Interview mit VIC ANSELMO

 

 

Die Arrangements auf deinem neuen Album „Who disturbs the Water“ sind spartanischer als die auf deinen vorherigen Werken. Im Mittelpunkt stehen ganz klar dein Gesang und dein Spiel auf dem Flügel. Wusstest du bereits als du die Stücke geschrieben hast, dass dies der Ansatz für das Album werden würde?

 

Am Anfang war ich mir darüber noch nicht sicher, aber es hat sich dann alles ganz natürlich in diese Richtung entwickelt. Als ich Joost van den Broek, der das Album produziert hat, traf, hatte er sehr genaue Vorstellungen vom Sound der Platte. Und wie es sich herausstellte, waren diese Vorstellungen absolut passend. Zuvor hatte ich bereits ein paar Skizzen für die Arrangements an meinem PC entworfen und auch diese waren eher minimalistisch ausgefallen. Plötzlich schien die Entscheidung für den Ansatz des Albums auf der Hand zu liegen. Schließlich habe ich die Stücke ja auch allesamt auf dem Klavier geschrieben und sie dabei bereits als in sich geschlossene Songs angelegt. Auf meinen vorherigen Alben gab es immer Passagen, an denen wir mit der ganzen Band gearbeitet hatten und die dabei natürlich immer Änderungen unterworfen waren. Die neuen Songs hingegen waren, nachdem ich sie am Klavier komponiert hatte, im Prinzip fertig. Die anderen Instrumente sind dann sozusagen noch als Farbtupfer hinzugekommen. Die Streicher zum Beispiel unterstützen die Songs dadurch, dass sie für zusätzliche Atmosphäre und Emotionalität sorgen.

 

Zugegeben, manchmal habe ich im Studio all die Gitarren und Percussion-Instrumente, die dort standen, angesehen und dachte mir: „Vielleicht ist mehr doch besser...“. Aber ich bin mit dem Ergebnis sehr glücklich, denn ich denke das Album hat eine fast schon intime Atmosphäre. Joost hat meinen Gesang und mein Spiel auf dem Flügel gleichzeitig aufgenommen, so dass ein gewisses Live-Feeling entstand. Außerdem finde ich es großartig, wie er meine Stimme produziert hat. Sie klingt so, als wäre sie ganz nah – genau so wollte ich das. Es gibt dem Ganzen eine sehr persönliche Ausstrahlung.

 

Solo-Konzerte, in denen du dich lediglich selbst auf dem Klavier bzw. Keyboard oder der Akustikgitarre begleitest, gibst du ja schon seit längerem. Ich muss zugeben, dass ich vor diesem Hintergrund schon manches Mal gehofft habe, dass du auch einmal ein Studioalbum in diesem Stil aufnimmst.

 

Das ist großartig, danke! Bei Solo-Konzerten bin ich schon häufig darauf angesprochen worden. Bereits bei meinen Auftritten im Vorprogramm von Deine Lakaien vor einigen Jahren kamen viele Leute mit einem ähnlichen Wunsch auf mich zu. Deshalb hatte ich auch bereits meinem zweiten Album „In my fragile...“ ein paar Aufnahmen aus einer Solo-Show als Bonustracks beigefügt. Aber das waren eben Live-Mitschnitte und das ist noch einmal etwas anderes als ein richtiges Studioalbum. Ein solches Album war auch einer meiner Träume, und ich bin glücklich, dass die neuen Songs so eine so organische Ausstrahlung haben, dass ein solches Arrangement genau zu ihnen passt.

 

Wie du ja bereits erzählt hast, wurden der Gesang und der Flügel im Studio parallel aufgenommen. Hast du dabei nach einem Clicktrack gespielt, um es nachher einfacher zu machen, die zusätzlichen Instrumente hinzuzufügen?

 

Nein, es gab überhaupt keine Clicktracks. Das waren richtige Old School-Live-Aufnahmen. Es war dann natürlich zum Teil eine ziemliche Herausforderung, Gitarre und Percussion aufzunehmen – ganz besonders in Stücken, in denen es Tempowechsel gibt, wie „Everytime you come around“. Aber wie man sieht, hat es am Ende trotzdem funktioniert. Das nachträgliche Hinzufügen der Streicher war demgegenüber deutlich einfacher, da sie eher Melodien spielen und außerdem erst im späteren Verlauf der Stücke dazukommen. Kompliziert war es immer dann, wenn eine rhythmische Passage aufgenommen werden musste – insbesondere also bei der Percussion, auch wenn sie auf dem Album letztlich gar nicht so häufig eingesetzt wird.

 

Schreibst du Songs, indem du dich bewusst hinsetzt und gezielt komponierst oder wartest du darauf, dass das Leben dich zu einem neuen Stück inspiriert?

 

Auf mich trifft eher das Zweitgenannte zu. Sicher, manchmal setze ich mich auch ans Klavier, um herumzuspielen, zu improvisieren und einfach zu schauen, was sich daraus entwickelt. Auch das liebe ich. Aber üblicherweise kommt der Song aus einer bestimmten Emotion heraus oder wird inspiriert durch Erfahrungen, die ich gesammelt habe. Manchmal stauen sich all die Erfahrungen, die ich so über die Zeit hinweg sammle – durchaus auch schlechte – in mir an, bis sie eben raus müssen. Dann kommt es sogar vor, dass ich die Songs in meinen Träumen höre. „Cody“ ist ein solches Lied. Es ist schon lustig, denn nicht nur die Melodie, auch der Name „Cody“ kommt aus diesem Traum. Wenn man dem, was man so lange Zeit in sich getragen hat, plötzlich auf seine ganz eigene Weise Ausdruck verleihen kann, ist das immer ein wunderbares Gefühl. Viele Leute haben mich schon gefragt, von welcher Musik ich inspiriert werde oder welche anderen Sängerinnen ich zu meinen Vorbildern zähle. Die Wahrheit ist aber, dass ich mir vor allem Musik anhöre, die ganz anders ist als meine eigene. Darunter sind viel Instrumentalmusik und Musik mit männlichen Sängern, deren Stil mit dem meinen überhaupt nichts gemein hat. Daher finde ich es sehr interessant, wie sich die Inspiration ihre eigenen Wege sucht. Sie kommt in dieser Form zu mir und ich kann noch nicht einmal sagen, warum das so ist.

 

Auch die Art, wie du deine Stimme einsetzt und mit ihr spielst, ist sehr charakteristisch.

 

Wer mich kennt weiß, dass ich eine ziemlich emotionale Person bin. Ich vertraue da meinem Gefühl und folge ihm. Nicht ganz blind, natürlich – zumindest nicht im künstlerischen Bereich. Aber das ist einfach der beste Weg, seine Emotionen zum Ausdruck zu bringen und die innere Spannung, die damit einhergeht, abzubauen. Davon abgesehen denke ich aber, dass es auch ganz allgemein eines der wichtigsten Dinge im Leben ist, seinem Bauchgefühl zu vertrauen. Um als Person wirklich zufrieden mit dir sein zu können, musst du auch du selbst sein.

 

Eine Zielsetzung, an der so mancher leider immer wieder scheitert...

 

Ja, das passiert andauernd. Es gibt eben stereotype Vorstellungen davon, wie unser Leben aussehen sollte. Auch haben viele Leute einfach Angst davor, Risiken einzugehen. Meiner Erfahrung nach ist es das Risiko aber immer wert, wenn man etwas erreichen will, von dem man einfach fühlt, dass es richtig ist. Vielleicht stellt es sich hinterher als Fehler heraus, aber auch daraus lernt man ja wieder.

 

Trifft die Einschätzung zu, dass es sich bei „Who disturbs the Water“ auch in textlicher Hinsicht um dein bisher persönlichstes Album handelt?

 

Ja, so ist es. Ich denke, ich verwende hier zum Teil viel offenere Worte für meine Gefühle, als auf den vorherigen Alben. Dort versteckte ich mein Innenleben oft hinter Abstraktionen – sowohl von den Texten, als auch vom Image her. Letztlich ging es in meinen Songs auch schon früher um das richtige Leben, um echte Gefühle und echten Schmerz. Aber das Ganze war eben besser versteckt. Jetzt bin ich dahingehend direkter. Schließlich bin ich nun auch schon 30 Jahre alt und fühle mich nun ehrlich gesagt auch ein wenig anders als früher. Ich bin noch immer eine Person, die allem gegenüber sehr aufgeschlossen ist – insbesondere, was Musik und Kunst betrifft. Daher kann ich also noch nicht sagen, wie das nächste Album ausgerichtet sein wird – man soll ja niemals nie sagen. Im Moment kommt es mir aber so vor, als hätte ich mich von einer Maske befreit. Und das fühlt sich großartig an. Ich freue mich schon sehr auf die kommenden Konzerte.

 

Der Titel des neuen Albums und deine Faszination für das Element Wasser im Allgemeinen sollen von deinem Vater inspiriert sein, der als Seemann tätig war.

 

Ja. Ich wollte diesen Titel ohnehin wählen, aber er bekam inzwischen eine besondere Bedeutung durch ein tragisches Ereignis. Mein Vater ist vor anderthalb Jahren verstorben. Es braucht viel Zeit, so etwas zu verarbeiten. Insbesondere dann, wenn man weit weg lebt von seiner Familie – auch wenn ich sie natürlich besuche. Auch aus diesem Blickwinkel handelt es sich für mich um ein ganz besonderes Album. Denn es gibt mir ein gutes Gefühl, dass mein Vater sicher stolz darauf gewesen wäre. Gleichzeitig bin ich aber sehr traurig darüber, dass er es nicht in den Händen halten kann. Im Booklet findet sich auch ein Gedicht, das ich ihm gewidmet habe und das als Nachricht an ihn formuliert ist. Natürlich ist das ein Teil des Lebens – der Tod gehört nun einmal dazu. Trotzdem ist es manchmal sehr schwer, das zu ertragen. Ich wusste vorher nicht, wie schmerzhaft es ist, jemanden zu verlieren, der einem so nahe stand.

 

Zur Zeit deines letzten Interviews mit sounds2move.de, das anlässlich der Veröffentlichung deines Debüts „Trapped in a Dream“ stattfand, lebtest du noch in Riga. Mittlerweile bist du nach Bochum umgezogen. Hat sich diese Entscheidung für dich ausgezahlt?

 

Der Umzug hat tatsächlich viel für mich bewirkt. Ich lebe ja jetzt im Ruhrgebiet, wo die Städte direkt ineinander übergehen. Das gibt einem viele Gelegenheiten, Konzerte zu besuchen und Leute zu treffen. Und die Tatsache, dass die holländische Grenze nicht weit weg ist, hat mir die Gelegenheit eröffnet, in Anneke van Giersbergens Band und bei The Sirens zu spielen. Ich habe das Gefühl, dass hier viel mehr los ist, als in Riga. Riga ist eine sehr schöne Stadt und ich empfehle dir, sie unbedingt einmal zu besuchen. Aber als Musiker hat man dort nicht besonders viele Möglichkeiten. Ich bin eine ziemlich rastlose Person, die es nicht mag, sich zu langweilen – und ich bin schnell gelangweilt. Daher brauche ich schon ein wenig Action und viele Möglichkeiten um mich herum. Es ist einfach spannend, die Welt kennenlernen zu können und andere Musiker zu treffen, mit denen man zusammenarbeiten oder einfach nur mal ein Bier trinken gehen kann. Und seit meinem Umzug kann ich all das tun. Dadurch habe ich schon jetzt wieder viele Ideen für ein neues Album oder künftige Kollaborationen.

 

Ich nehme aber an, von diesen geplanten Kollaborationen kannst du jetzt noch nichts verraten?

 

Nein, da ist noch nichts sicher. Sobald ich Genaueres weiß, sage ich natürlich Bescheid. Aber erst einmal muss ich meinen Kopf ein wenig frei bekommen. Die Crowdfunding-Kampagne zu „Who disturbs the Water“ war eine unglaubliche Erfahrung für mich. Aber gleichzeitig bedeutet so etwas auch viel Arbeit. Am Postamt bin ich jetzt jedenfalls schon gut bekannt. Das Ganze war eine großartige Sache, aber die Abwicklung kostet eben doch sehr viel Zeit, so dass ich erst jetzt wieder anfangen kann, mich langsam wieder auf das Komponieren zu besinnen.

 

Florian Gothe - www.sounds2move.de

 

 

Link: www.vicanselmo.com