Interview mit Matt Heafy von TRIVIUM

 

 

Schon irgendwie eine absurde Situation: Ausgerechnet eine seiner großen Leidenschaften, das Essen, ist dafür verantwortlich, dass aus einem straff durchorganisierten Promo-Tag ein knüppelharter Stresstag für Matthew Heafy wird. Eigentlich hätten er und sein Kollege Corey Beaulieu den ganzen Tag mit Interviews zum neuen Album "Silence in the Snow" zubringen sollen, doch dann verdirbt sich der Gitarrist den Magen und der Tagesplan muss komplett über den Haufen geworfen werden. Am Ende muss Heafy die komplette Journalistenmeute allein bändigen - ein Knochenjob, der den Frontmann dennoch nicht davon abhält, sich für jeden Gesprächspartner so viel Zeit wie möglich zu nehmen und gewohnt sympathisch Auskunft zu geben. Auch hört man heraus, wie stolz man im Hause Trivium auf die siebte Scheibe ist, und dazu hat man auch allen Grund.

 

 

Die Geheimniskrämer, oder: Wir machen's wie in Hollywood

 

Das erste Kunststück ist den vier Freunden aus Orlando dabei bereits im Vorfeld gelungen, denn sie haben es tatsächlich geschafft, "Silence in the Snow" zu schreiben und aufzunehmen, ohne dass die Öffentlichkeit davon Wind bekommen hat. Eingeweiht war nur der absolut innere Zirkel, sodass man zuerst alles fertig stellen konnte, bevor man einen mysteriösen Countdown auf der Bandwebsite platzierte, der von immer mal wechselnden Soundschnipseln, Bildausschnitten und Textfragmenten begleitet wurde und so die Nerven der treuen Anhängerschar strapazierte und zugleich die Spekulationen ins Kraut schießen lies. Für einen derartigen Aufruhr sorgen in Zeiten von Social Media und Informationshighway bestenfalls noch die Kollegen von Slipknot. Für Trivium konnte man auf diese Weise eher das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden: "Wir haben uns vorab angeschaut, was alle anderen machen, wenn sie ein neues Album aufnehmen", steigt Matt ins Thema ein. "In den meisten Fällen ist es doch so, dass regelmäßig nicht all zu prickelnde Fotos gepostet werden, auf denen man Musiker mit einem Bier in der Hand vor dem Computer rumhängen sieht, haha. Letztlich wirkt das doch alles irgendwie beliebig und ist in viele Fällen auch nicht sonderlich gut durchdacht", wird der Finger in die Wunde der "Generation Instagram" gelegt. Als Gegenbeispiel nennt Matt das Vorgehen der Filmindustrie und zieht als Beispiel den kommenden "Star Wars"-Film heran. Dort gibt es den ersten Trailer auch erst dann, wenn der Film komplett im Kasten ist. Niemand bringt vorher ein Making-of heraus, das kommt erst später, nachdem der eigentliche Film bereits erschienen ist - eine durchaus schlüssige Argumentationskette. Was also machen Trivium? Das genaue Gegenteil von dem, was der Großteil der anderen Bands macht. "Oft ist es heutzutage so, dass man von den ständig neuen Informationen regelrecht überrollt wird. 'Ich nehme gerade die Drums auf', 'jetzt nehmen wir den Bass auf'... Also haben wir die Sache ins andere Extrem umgedreht und einfach niemandem irgendetwas gesagt und überhaupt nichts gepostet. Für die Leute kamen wir dann quasi aus dem Nichts und hatten sofort nicht nur alle Infos zum Album parat, sondern auch die Videos im Kasten. Das sorgte für mehr Aufregung als wenn wir vorher ständig irgendwas, letztlich aber doch nichts Sinnvolles von uns gegeben hätten". So schafften es Trivium für mächtig Gesprächsstoff auf Facebook, Twitter und Co. zu sorgen, was als Marktvorteil neben der klassischen Promo-Arbeit heutzutage im Grunde genommen unbezahlbar ist.

 

Auch anderweitig schwimmen Trivium schon länger gern gegen den Strom, so zum Beispiel mit dem Video zu "In Waves" vom gleichnamigen Album, in dem die Musiker weder performen, noch gesungen wird. Der Deluxe Edition des gleichen Albums wurde damals eine DVD beigelegt, auf der man unter anderem den Mitschnitt "Live at the Chapman Studios" finden konnte, ein in einem Filmstudio aufgezeichnetes "Konzert" ohne Bühne oder Publikum. Heafy: "Wir sind eben gern anders als die anderen. Nicht dass wir uns gegen irgendjemanden stellen wollen, wir haben nur einfach Spaß daran anders zu sein. Dazu schauen wir uns an, was die Norm ist und versuchen es einfach anders zu machen, um so unseren eigenen Weg zu finden".

 

 

Konstante Partnerschaften

 

Abgesehen vom Debüt "Ember to Inferno" haben Trivium alle ihre Alben über den inzwischen leider von einem Major übernommenen und zu großen Teilen zerschlagenen (Ex-) Metal-Riesen Roadrunner Records veröffentlicht. Gleiches gilt für den Diskografie-Neuzugang "Silence in the Snow", der erneut über das Label mit niederländischen Wurzeln erscheint - im Gegenteil zu den letzten Alben von ehemaligen Kollegen wie Machine Head, Soulfly und Lamb of God. Auch und besonders Matts Truppe genoss über die Jahre durchaus die Aufmerksamkeit und Unterstützung der Plattenfirma und ihres Promotion-Personals, sodass man sich durchaus verbunden fühlt, selbst wenn hinter der Firma einige turbulente Jahre liegen. "In den meisten Fällen kommt es zur Trennung, weil ein Label eine Band fallen lässt, nicht weil die Band unbedingt weg will", holt Matt aus. "Wir hatten bisher das Glück, dass sie uns behalten wollten und ich hoffe, dass das auch weiterhin so bleibt. Über die Jahre mussten einige gute Freunde von uns gehen, sowohl was Bands angeht, als auch unter den Mitarbeitern. Glücklicherweise sind trotzdem noch einige Leute bei Roadrunner, die wir schon sehr lange kennen, und das wissen wir zu schätzen". Überhaupt sind Trivium sehr loyal und harmoniebedürftig, denn egal ob es um die Crew, die Plattenfirma oder den Partner für's Merchandise geht: Das Quartett setzt auf Konstanz und einen gemeinsamen Weg. "All diese Leute arbeiten mit uns und nicht für uns. So haben wir es schon immer gehandhabt. Wir alle sind ein Team und verfolgen die gleichen Ziele".

 


YouTube-Helden ohne Gefühl

 

Wenn schon im Umfeld der Jungs aus Florida alles beim Alten bleibt, dann gönnt man sich zumindest kreativ gerne den einen oder anderen Ausflug auf unbekanntes Terrain. Im aktuellen Fall bedeutet dies, dass Trivium die neuen Stücke von jeglichem Ballast befreit haben (sogar ihre heiß geliebten Gitarrenduelle wurden merklich reduziert), um den Song, und nichts als den Song in den Mittelpunkt zu stellen. "Es ging uns diesmal nicht darum, möglichst technisch, brutal oder komplex zu klingen. Das hatten wir doch alles schon mal auf anderen Alben: "Shogun" ist ein 12-Minuten-Biest von einem Song, "The Crusade" ein achteinhalbminütiges Instrumental. Wir haben mehrfach bewiesen, dass wir keine Angst vor derartigen Dingen haben, und ich bin mir sicher, dass wir auch wieder solche Sachen machen werden. Aber diesmal wollten wir den Songs einfach möglichst viel Raum geben, ihnen erlauben zu amten, wie man so schön sagt und nicht jede Lücke bis zum Rand mit Tönen, Noten und Akkorden zuschütten. Dadurch ist die Platte für mich weiter und offener geworden, dabei aber auch heavy, episch und eingängig". Plädoyer abgeschlossen, und man kann dem sympathischen Frontmann nur beipflichten. Denn natürlich sind er und seine Kollegen, die mit Ausnahme von Schlagzeuger Mat Madiro bereits seit 2004 in dieser Konstellation zusammenspielen dazu in der Lage, beeindruckende Kunststücke auf dem Griffbrett zu vollführen und sich durch einen Fünfzehnminüter zu frickeln. Die größte Kunst eines technisch versierten Musikers ist es allerdings, sein ganzes Können nur dann aufblitzen zu lassen, wenn ein Stück davon profitiert. Mal ganz abgesehen davon, dass perfekt durchexerzierte Musik hin und wieder dazu neigt, jegliche Dynamik vermissen zu lassen, wovon "Silence in the Snow" meilenweit entfernt ist. Zumal auch die meisten der Flitzefinger unter den YouTube-Helden zwar shredden können wie von einem anderen Planeten, während sie in ihrem ganzen Leben jedoch noch nie auch nur einen einzigen vernünftigen Song geschrieben haben. Matt kann da nur beipflichten: "Um diese These zu untermauern muss man sich nur einen Typen wie Kurt Cobain anschauen. Der konnte nicht mal überragend Gitarre spielen, aber er hat ein paar der größten Songs aller Zeiten geschrieben und die Rockmusik für immer verändert. Natürlich ist es verdammt schwierig, die Balance zwischen technisch anspruchsvollem und songdienlichem Spiel zu finden, und zumeist ist man entweder das eine oder das andere. Aber es gibt auch einige gute Beispiele von Leuten, die beides können. Ich denke da etwa an John Petrucci (Gitarrist von Dream Theater - MR), der unfassbare technische Fähigkeiten hat, gleichzeitig aber auch ein toller Songwriter ist. Solche Leute sind sehr rar gesät". Nach einer kurzen Denkpause schiebt Heafy noch einen wichtigen wie richtigen Gedanken hinterher: "Wer sein Publikum wirklich erreichen und berühren will, wird immer mehr Erfolg mit dem richtigen Feeling haben, als mit extrem anspruchsvollen Songs. Denn nur über das Gefühl stellst du eine wirkliche Verbindung zu deinen Hörern her und unter diesen werden die Musiker-Nerds gegenüber den normalen Fans immer in der absoluten Minderheit sein."
 

 




"Screaming is easy, singing is hard"

 

Neben den extrem eingängigen Songs an sich, die einen mit ihren monströsen Hooks dermaßen mitreißen, dass man sie direkt beim ersten Hören am liebsten mitschmettern würde, darf vor allem der Gesang als weiteres Ausrufezeichen bezeichnet werden. Diesbezüglich hat sich Matt Heafy noch mehr reingehängt und selbst ans Limit und darüber hinaus gepusht, als er es zuvor bereits getan hat. Mit dem Resultat, dass er gesangstechnisch nun endgültig zu den Schwergewichten der "modernen" Frontmänner gezählt werden muss. "Ich wollte schon früher ein richtiger Sänger sein" schaut Matt, dem die Lorbeeren fast schon ein bisschen unangenehm zu sein scheinen, zurück. "Das Problem war nur: Ich konnte nicht singen. Also habe ich geschrien, und wir haben für Trivium auch einfach keinen anderen guten Sänger gefunden. Also habe ich versucht mich zu steigern und zu verbessern und habe über die Jahre so immer mehr Klargesang in unsere Songs einbauen können. Die natürlichen Grenzen waren ganz simpel meine eigenen beschränkten Fähigkeiten". Davon kann auf den letzten Alben keine Rede mehr sein und auf "Silence in the Snow" schon gar nicht. Im Gegenteil geht der US-Amerikaner mit den asiatischen Wurzeln seit etwa anderthalb Jahren sogar noch einen Schritt weiter und hat sich die Dienste einer wahren Koryphäe gesichert, die ihm inzwischen hilft, nicht nur seine Stimme zu trainieren, sondern dabei auch die richtigen Techniken anzuwenden. Die Rede ist von Ron Anderson, einem Mann, den sogar Chris Cornell, Axl Rose, Neil Diamond, Alicia Keys, Björk und Janet Jackson um stimmlichen Rat fragen und der wiederum sein Hand- bzw. Mundwerk einst vom gleichen Gesanglehrer lernte wie der unerreichte Freddie Mercury. Da ist es keine Überraschung, dass Heafy seinen Lehrmeister über den grünen Klee lobt, der ihm wie niemand zuvor die Feinheiten der richtigen Gesangs- und Schreitechnik näher brachte, was schnell zu einer wichtigen Erkenntnis führte: "Ich habe 15 Jahre lang falsch geschrien, und seit ich die richtige Technik kenne muss ich sagen, dass schreien eigentlich ziemlich einfach ist. Im Gegenteil zum richtigen Singen, denn da musst du immer am Ball bleiben und ständig an dir arbeiten, wodurch es zu einer lebenslangen Herausforderung wird". Diesen Anforderungen stellt sich auch der Trivium-Frontmann überaus konsequent: "Live schreie ich natürlich schon immer und auch heute noch bei den älteren Songs. Aber was den normalen Gesang angeht, so hatte ich immer das Gefühl, nie so richtig dahin zu kommen wo ich gerne hin wollte. Meine absoluten Helden diesbezüglich sind Bruce Dickinson, Ronnie James Dio und Freddie Mercury, und ich bin mir im Klaren darüber, dass es unmöglich ist, jemals deren Level zu erreichen. Trotzdem arbeite ich jeden Tag an meinem Gesang, sieben Tage die Woche, auch wenn ich zu Hause und nicht auf Tour bin. Wenn wir unterwegs sind, dann wärme ich mich drei Stunden vor dem Konzert eine Stunde lang auf und dann noch mal eine Stunde vorher für 30 Minuten, damit auch wirklich jeder Ton sitzt". Mangelnden Ehrgeiz kann man Matt also wirklich nicht vorwerfen, zumal er mit der gleichen Passion und Disziplin auch an seinem Gitarrenspiel und seinen Fähigkeiten als Songschreiber feilt. Wo der Mann nebenher noch die Zeit für Kampfsport, die Fotografie, seinen Food Blog (www.kiichichaos.com, https://instagram.com/kiichichaos/) und ein Privatleben nimmt, wird wohl ein Mysterium bleiben.
 

 

Sparsam getourt

 

Dem aufmerksamen Beobachter wird beim Schlagwort "Tour" einfallen, dass Trivium mit "Vengeance Falls" für ihre Verhältnisse ziemlich geizig gegenüber dem europäischen Publikum waren, denn mit besagter Platte haben sie sich nur ein mal im Rahmen einer Hallentournee blicken lassen. "Da hast du glaube ich recht, wir haben neben den Festivals nur eine größere Tour bei euch gemacht - warum weiß ich gar nicht so genau, um ehrlich zu sein", tönt die prompte Bestätigung durch den Hörer. Einen wirklichen Plan oder gar die Absicht, keinen zweiten Abstecher nachzulegen gab es laut Matt allerdings nicht, die Sache sei eher zufällig so gelaufen und möglicherweise auch dem Umstand geschuldet, dass die Band so früh wie möglich mit den Arbeiten am nächsten Langspieler - also dem inzwischen vorliegenden "Silence in the Snow" - beginnen wollte. Für die Zeit nach der Veröffentlichung steht bisher eine Co-Headlinertour mit dem Soloprojekt von Mark Tremonti (Alter Bridge) in den Staaten auf der Agenda, außerdem wollen Trivium eine ganze Reihe an europäischen Festivals im kommenden Sommer spielen, nachdem sie in diesem Jahr nur sehr vereinzelt auf Open Airs zu sehen waren, dann aber vornehmlich als (Co-) Headliner. So auch beim Summer Breeze, wo man zum ersten Mal überhaupt in Deutschland bei einem Festival ganz oben in der Bandauflistung stand. Matt ist immer noch begeistert: "Das war eine der großartigsten Shows unser gesamten Karriere und gehört wohl in unsere Top 5". Neben einer durchaus sehr innigen Beziehung zum deutschen Publikum sieht der Sänger keine all zu großen Unterschiede bei den Fans seiner Band, wenn er die unterschiedlichen Länder und Kontinente miteinander vergleicht. "Man hört ja immer, dass die Asiaten eher zurückhalten und ein sehr ruhiges Publikum sind. Das kann ich allerdings nicht bestätigen, haha. Die Italiener und Argentinier sind vielleicht ein kleines bisschen verrückter als der Rest, weil sie sogar Gitarrenmelodien mitsingen. Ansonsten haben wir das große Glück, überall tolle und loyale Fans zu haben", gibt man sich auf den ersten Blick nur höflich und diplomatisch, weiß aber auch noch weitere Fakten zu präsentieren. "Unsere Mercher arbeiten ja alle auch noch für andere Bands, aber wir bekommen immer zu hören, wie höflich und zuvorkommend die Leute bei unseren Shows sind. Ich finde das wunderbar, denn bei unseren Konzerten geht es doch vor allem darum, dass alle gemeinsam eine gute Zeit haben". Die Chancen darauf stehen durch die neuen Leckerbissen von "Silence in the Snow" keinesfalls schlechter.

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de 

 

 

Link: www.trivium.org