Interview mit Julie Kiss von TO-MERA

 

 

Julie, für mich reflektiert das erste Stück auf eurem neuen Album – „The Lie“ – alles, wofür die Platte steht. Denn das Stück ist in meinen Augen voll von unterschiedlichsten Stilrichtungen und stellt zudem einen regelrechten Trip durch unterschiedlichste Gefühle und Stimmungen dar. Wie stehst du zu dieser Umschreibung? Würdest du mir zustimmen?

 

Ja, absolut. Dieses Stück war auch die erste Nummer, die wir bei mySpace veröffentlicht haben – und zwar genau aus den von dir genannten Gründen. Interessanterweise handelt es sich gleichzeitig auch um das allererste Stück, welches wir für diesen Longplayer geschrieben haben, hehe.

 

Eine Sache, die eure Musik meiner Meinung nach sehr interessant macht, ist die Tatsache, dass man nie weiß was einen als nächstes erwartet. Ihr kombiniert typischen Progressive Metal mit Death-Einschüben, leichten Gothic Metal Nuancen und Jazz-Einlagen. Ist es für euch eines der Hauptziele eure Musik so unvorhersehbar wie möglich zu gestalten?

 

Ein erklärtes Ziel war es meiner Ansicht nach nicht, aber wir wollten die Platte schon spannend und aufregend halten. Oder wie Tom (MacLean, Gitarrist der Band – Red.) es ausdrücken würde, handelt es sich ein Stück weit auch um einen Zufall, da die Sache vermutlich auch anders hätte ausgehen können. Tom hat einen unheimlich breiten Musikgeschmack und all diese Stile, die wir haben einfließen lassen, scheinen auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun zu haben und gar nicht zueinander zu passen. Wenn man dann aber mal beispielsweise auf die Harmonien achtet, dann finden sich sehr wohl Parallelen und diese Vorzüge wollten wir für uns nutzen.

 

Hattet ihr auf der anderen Seite nicht auch ein Stück weit Angst davor, dass einige Zuhörer vielleicht aufgrund eben dieser Bandbreite vor euch und eurer Musik zurückschrecken könnten?

 

Nein, nicht wirklich. Lee (Barrett, mittlerweile ausgestiegener Bassist – Red.) hat es mal recht gut auf den Punkt gebracht, als er sagte „Wenn dir ein Teil davon nicht gefällt, dann mach dir keine Sorgen und vergiss ihn. In 2 Sekunden kommt etwas Neues“, haha. Aber mal im Ernst, darüber machen wir uns keine Gedanken. Das wäre sicher auch nicht gut für unsere kreative Arbeit. Unsere Musik richtet sich ganz klar an Zuhörer mit einem offenen Horizont, aber ich glaube auch, dass für fast jeden grundsätzlich irgendetwas dabei sein sollte.

 

Wo du gerade offene Zuhörer ansprichst: Glaubst du es gibt ein „typisches To-Mera Publikum“? Und wie ist eure Anhängerschaft gewichtet bzw. aufgeteilt? Sind bei euren Konzerten die Proggies in der Überzahl, vielleicht die Fans von Metal mit Frontfrau oder sogar eine ganz andere Klientel?

 

Ehrlich gesagt ist es eine sehr bunte Mischung, so wie man es vermutlich auch erwarten könnte. Das Schöne daran ist, dass wir dadurch potentiell in die verschiedensten Playlisten passen, ohne dabei aus dem Rahmen zu fallen und dass wir mit den unterschiedlichsten Bands zusammen spielen können. Von Emperor bis Dream Theater und sogar Nightwish passen wir eigentlich überall irgendwie rein.

 

Das Stück „Temptation“ besitzt ein sehr dramatisches und episches Ende und gleichzeitig schließt dieses Stück auch „Delusions“ ab. Kam dies spontan zu Stande oder war es ein erklärtes Ziel das Album auf eine solche Art ausklingen zu lassen?

 

Wir wollten das Album definitiv positiv ausklingen lassen. Dabei ist „Tempation“ das einzige Stück auf dem gesamten Album, das aus der Feder unseres mittlerweile ehemaligen Keyboarders Hugo stammt. Durch dessen Stil ist die Nummer ein bisschen verrückt und fällt im Vergleich mit den restlichen Songs etwas aus dem Rahmen. Auch das Ende hat er genau so komponiert und wir waren so begeistert davon, dass wir auf diese Art und Weise auch die Platte ausklingen lassen wollten und so haben wir es dann im Studio auch von vornherein eingeplant. Es ist einfach ein wundervoll optimistisch gestimmtes Ende und ich liebe Toms Solo in diesem Stück!

 

Lass uns kurz auf das Artwork zu sprechen kommen. Steckt eine Geschichte oder eine größere Bedeutung hinter dem Motiv? Auf mich wirkt es nämlich... sagen wir „abstrakt“, haha.

 

Yeah, das könnte man so sagen, haha. Hm... aber eigentlich soll es ein altes Portrait darstellen, welches auseinander gerissen und zerbrochen wird. Es soll die Idee symbolisieren, dass du veraltete, nicht mehr zeitgemäße Ideen zerstören und hinter dir lassen musst, um damit Platz für etwas Neues zu schaffen. Dies ist übrigens gleichzeitig auch die Message, die das gesamte Album übermitteln soll. Es könnte natürlich auch „ein Stück Rindfleisch, das aus dem Fenster eines Hochhauses springt“ sein, wo wie es Bruce Dickinson in seiner Radioshow genannt hat, als wir dort vor wenigen Wochen zu Gast waren, haha.

 

Der Gesang auf „Delusions“ klingt meiner Meinung nach sehr angenehm und natürlich. Glaubst du, dass deine ungekünstelte Stimme To-Mera ein Stück weit davor beschützen kann, dass einige Möchtegern-Fachleute und Großmäuler sich all zu dämliche Sprüche wie „Hey, schon wieder ein Nightwish-Klon“ verkneifen? Schließlich gibt es immer noch genug Spezialisten, die bei jeder Band mit weiblichem Gesang sofort behaupten müssen, dass selbige Truppe nur ein Stück vom Kuchen der kommerziell erfolgreichen Bands abbekommen will.

 

Haha, unglücklicherweise triffst du den Nagel damit genau auf den Kopf. Es gibt nichts, aber auch gar nichts, dass irgendeine Female-Fronted Band davor bewahren könnte nicht den „Noch so eine Band“-Stempel aufgedrückt zu bekommen. In dem Moment wo die Journalisten und Schreiber das Foto auf der Rückseite der Promo-CD sehen, bist du in 90% der Fälle verdammt, haha. Einige von diesen Leuten scheinen sich diesen Gedanken so tief in den Schädel gebrannt zu haben, dass sie nie im Leben auf den Gedanke kommen könnten, dass es sich nicht um „eine weitere Symphonic Metal Band“ handelt. Wobei Symphonic Metal dieser Tage immer gleichbedeutend mit Female Fronted Metal für die meisten zu sein scheint. Das kann schon frustrierend sein... Die Welt da draußen kann hart sein, wenn in deiner Band ein Mädel singt und du dann auch noch versuchst anders zu sein bzw. es bist.

Ich muss aber auch anmerken, dass uns das mit „Delusions“ bisher weitestgehend erspart geblieben ist. Bei unserem ersten Album war es ziemlich nervend und bisweilen surreal und bösartig, denn da kamen auch mal Sachen wie „Nightwish Light“ oder „Lacuna Coil haben angerufen: Sie wollen ihren Sound zurück“. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für ein Horror für uns war. Ich frage mich wer auf solche Sachen kommt.

 

Speziell im Progressive Metal Bereich gehörst du immer noch zu den Exotinnen, denn dort gibt es nur ganz vereinzelt Frontfrauen. Würdest du dich selbst zu den – überspitzen wir es an dieser Stelle ein mal – Vorreiterinnen in der Prog-Szene zählen, etwa wie Anneke van Giersbergen es auch bei The Gathering war?

 

Ich wäre vor jedem auf der Hut, der sich selbst einen Pionier auf welchem Gebiet auch immer nennt, haha. Zudem sind Bands wie Aghora (Prog Metal Truppe aus Florida, die auch lateinamerikanische und afroamerikanische Elemente in ihre Musik einbindet – Red.) schon ein paar Jahre länger zusammen als wir es sind. Somit kannst du uns guten Gewissens auch als alte Kamellen bezeichnen, haha.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de 

 

Link: www.to-mera.com