Interview mit TARJA TURUNEN

 

 

 

Tarja, als Solokünstlerin schreibst du nicht nur quasi konstant an neuen Ideen, sondern weißt auch genau, dass du allein mit dem späteren Ergebnis assoziiert wirst. Nun hat es dir ja an Songideen im Voraus nicht gemangelt wie man lesen konnte, wobei die reguläre Edition des Albums 11 Songs umfasst, dazu eine Hand voll Bonustracks. Wie schwer war es für dich beim Aussieben schon lieb gewonnene Ideen hinten runter fallen zu lassen?

 

Das war schon sehr hart. Wenn du so viel Material schreibst und dabei immer in einer anderen Stimmung und Gemütslage bist, dann ist dir auch klar, dass jedes Stück irgendwo seine Daseinsberechtigung hat. Da ich aber auch aufgrund des Alters mancher Ideen die Möglichkeit hatte, einige Entwürfe sacken zu lassen, zeichnete sich irgendwann ein harter Kern ab, den ich unbedingt an die Welt weitergeben wollte. Manche Geschichten wollte ich unbedingt erzählen und das tue ich jetzt auch, die anderen liegen aber immer noch in meinen Händen und können vielleicht eines Tages weiter geformt und verändert werden, bis sie sich für mich richtig anfühlen.

 

Bemühen wir kurz ein völlig abgegriffenes Klischee, aber „What lies beneath“ erscheint mir in jede Richtung noch konsequenter als „My Winter Storm“. Mehr Härte, mehr Rock und an wenigen Stellen auch noch mehr Oper. Kurz gesagt „mehr Tarja“.

 

Damit triffst du den Nagel auf den Kopf, denn – und da haben wir das nächste Klischee – es ist ein sehr persönliches Album. Was da zu hören ist, bin definitiv ich! Ich würde mir wünschen, dass der Hörer das auch fühlt, wenn er sich das Album anhört. In vielerlei Hinsicht habe ich mich mehr gestreckt und weiter raus gewagt also jemals zuvor: Es wurden wesentlich mehr Stücke geschrieben und auch die Produktion habe ich zu großen Teilen selbst übernommen. Gerade letzteres war natürlich wie ein großer Schritt ins Ungewisse, aber ich war dennoch nicht ängstlich und wusste, dass ich das schaffen kann. Mit der Erfahrung aus der ersten Albumproduktion, den vielen Konzerten und der Unterstützung meiner Bandkollegen, die mich inzwischen zum Teil auch schon lange begleiten, wodurch sich im Prinzip alles wie eine richtige Band anfühlt, war ich guten Mutes. Warum soll ich mir jemanden von außen dazu holen, dem ich erst noch erklären muss wo ich derzeitig stehe, was ich von ihm will und was mir vorschwebt, wo meine Ziele sind, wenn ich die Dinge auch auf eigene Faust hin bekomme?

 

Ehrlich gesagt hat mich der arabische Einfluss in dem Stück „Dark Star“ ein wenig überrascht. Klar, du bist eine Globetrotterin, in Finnland geboren, lebst zeitweise bei deinem Ehemann in Argentinien, hast die neue Scheibe zum Teil in den USA produziert und so weiter. Nur wo diese nahöstliche Note herkommt, erschließt sich mir aus dem Stehgreif nicht so recht, hehe.

 

Hm, sehr gut aufgepasst, hehe. Dazu muss ich dir eine kleine Geschichte erzählen: Ich war letztes Jahr zum ersten Mal überhaupt in der Türkei, um in Istanbul ein Konzert zu geben. Die Show lief echt gut, doch zuvor spazierte ich tagsüber so durch die Straßen und hörte plötzlich diese religiösen Gesänge, die man dort mehrmals täglich über Lautsprecher in der ganzen Stadt hört. Mehr zum Spaß und als Erinnerung habe ich mein iPhone gezückt und diese Gesänge aufgezeichnet. Wochen später habe ich gerade an „Dark Star“ gearbeitet und mir währenddessen diese Aufnahme auf dem Handy angehört – und die Tonlage und der Rhythmus passten perfekt! Also spulte ich mein Demo zurück, spielte zu Beginn dieses Sample ab und beides passte traumhaft zusammen, haha. Das hat mich diebisch gefreut, wie ein kleines Mädchen, und ich sagte nur zu mir „warum nicht“ und beließ es später so. Alles scheint wie füreinander gemacht, das war ein sehr spezieller Moment.

 

Zum Glück stimmte auch die Audioqualität der Aufnahme.

 

Ja, und man kann meine High-Heels heraushören… klack, klack, klack… haha!

 

Aus dem Gast - du hast in den letzten Jahren unter anderem mit Doro und jüngst auch den Scorpions gesungen - wurde diesmal eine Gastgeberin. Unter anderem ist Gitarrist Joe Satriani in „Falling Awake“ zu hören. Wie bist du ausgerechnet auf ihn gestoßen?

 

Wir lernten uns in der Nähe von Los Angeles kennen als ich gerade mitten in der Produktion steckte. „Falling Awake“ war schon weitestgehend fertig, aber mir fehlte dort und an einigen anderen Stellen des Albums einfach noch das eine oder andere Gitarrensolo. Den Kontakt hat dann mein Bassist Dough Wimbish hergestellt, der ein guter Freund von Joe ist. Er fragte mich, warum ich nicht einfach mal Joe frage, woraufhin mir erst mal die Gesichtszüge entgleist sind und ich ihn für verrückt erklärt habe. Warum sollte so jemand ausgerechnet auf meinem Album spielen wollen? Haha! Er wurde mir dann leibhaftig vorgestellt, ich zeigte ihm ziemlich aufgeregt und nervös ob seiner Reaktion den Song, er war begeistert und spielte das Solo. Und schon hatte ich einen legendären Gitarristen auf dem Album, hehe.

 

Für ihn hast du dann in einem Trailer zu „Falling Awake“ auch eigenhändig eine Gitarre samt Gruß auf ein Blatt Papier gemalt (Video: http://www.youtube.com/watch?v=X_1PqsvcWhw). Was hast du mit diesem kleinen Kunstwerk angestellt? In Zeiten, in denen Vinnie Paul ein schönes Sümmchen für seinen alten, kaputten Ofen bekommt, solltest du es vielleicht mal bei eBay versuchen, hehe.

 

Dafür ist es leider zu spät. Ich habe es nämlich bereits an ein paar Fans verschenkt wenn ich mich recht erinnere. Das Bild mit der Überschrift „Thank you Joe“ ist an ein paar belgische Fans gegangen. Wenn es wirklich bei eBay auftaucht, dann kommt es garantiert von ihnen, haha. Ich traf sie auf einer der ersten Shows diesen Sommer und sie haben mich fast schon angebettelt es ihnen zu überlassen. Da ich es zufällig noch im Gepäck hatte, war ich so frei, hehe.

 

Für Phil von All That Remains und Van Canto, die ebenfalls auf dem Album sind, hast du aber keine Bilder gemalt oder?

 

Nein, haha. Was nicht heißt, dass sie nicht auch eine tolle Arbeit abgeliefert haben. „Anteroom of Death“, das ich mit Van Canto gemacht habe, ist sehr progressiv und anders, absolut unerwartet für mich. Ihre Gesangsarrangements sind herausragend und bereichern den Song und das Album. Überhaupt sind Gäste immer eine schöne Sache, das bringt Pep und einen frischen Wind hinein. Es ist interessant zu sehen wie jemand anderes an gewisse Dinge und die Songs herangeht.

 

Natürlich hast du dir auch wieder zur Optik des neuen Albums so deine Gedanken gemacht. Es gibt da einen Preview-Clip im Netz, in dem du unter anderem eine Art Horror-Make-Up trägst, eine riesige Narbe, die über dein halbes Gesicht geht. Der Blick in den Spiegel war ziemlich schockierend oder?

Oh ja, ziemlich angsteinflößend, denn es sah sehr echt aus, hehe. Ich hatte die Idee das komplette CD-Artwork auf Fotos aufzubauen, denn Fotos erzählen immer auch eine Geschichte und sollen natürlich in dem Fall zur Musik passen. Der visuelle Aspekt und die Musik müssen gut zusammenarbeiten und ein starkes Gesamtbild ergeben. Also entschloss ich mich dazu, diese auf den ersten Blick schönen Fotos machen zu lassen, die jedoch auch eine tiefere, verborgene Ebene haben. Der ausschlaggebende Gedanke für das Konzept sind diese ganzen wunderschönen Frauen in den Hochglanzmagazinen und der Kontrast dazwischen wie sie dort aussehen und dargestellt werden und wie sie in Wirklichkeit aussehen. Was du da zu sehen bekommst ist keinesfalls die Wahrheit, denn so sieht niemand aus - wir werden regelrecht ausgetrickst. „What lies beneath“ steht aber noch für etwas anderes, viel Grundsätzlicheres, denn das Fotokonzept soll ausdrücken, dass man immer auch einen zweiten Blick riskieren sollte. Im Leben werden viele Dinge klarer, wenn man sich eine Sekunde für einen genaueren Blick nimmt.
 

Als das Cover im Netz auftauchte war vielerorts erst einmal zu lesen und zu hören „Was ist denn mit ihrer Nase los?“. Dabei ist die Sache gar nicht so kompliziert, wenn man genauer darüber nachdenkt. Es ist die beginnende Korrosion der scheinbar makellosen Oberfläche, bevor zum Vorschein kommt, was darunter, im Verborgenen liegt – „What lies beneath“ eben. Was glaubst du wie viele auf den ersten Blick dahinter kommen?

 

Hoffentlich nicht zu viele, haha! Genau darum geht es ja, wem das auffällt und wer diese Idee „geknackt“ hat, weiß auch, was ich mit dem Album sagen will. Vor einiger Zeit war ich in London und traf dort einen Journalisten, dem ich mein neues Album vorspielen sollte und gerade an diesem Tag hatte ich auch das fertige Artwork bekommen. Also zeigte ich es ihm gleich mal auf meinem Laptop. Er warf einen Blick darauf und seine einzige Reaktion war „Du siehst super aus“. Ende, das war’s. Oh man, ich habe innerlich richtig gefeiert mir nur gedacht „es funktioniert, es funktioniert…!“, haha.

 

Ganz schön gerissen…

 

Aber ich kann den Pressevertreter trösten, denn mir ist kürzlich auch etwas Ähnliches passiert. Ich bin ein großer Fan von Peter Gabriel und eines seiner letzten Alben war „Up“ (2002 – MR). Das habe ich schon seit langer Zeit in meiner Sammlung, kenne die Songs, die Texte und hatte die CD schon locker hundertmal in der Hand. Auf dem Cover sind ein paar Wassertropfen zu sehen und ich habe mir über das Bild nie so richtig Gedanken gemacht. Bis es mir kürzlich wie Schuppen von den Augen fiel, als ich das Cover online in einer kleineren Version sah. Denn man kann Peters Gesicht im Hintergrund sehen! Ich war regelrecht geschockt und konnte nicht glauben, dass mir das über all die Jahre nie aufgefallen ist!

 

Für die limitierte Edition der neuen Scheibe hast du wieder einen Klassiker gecovert, diesmal „Still of the Night“ von Whitesnake. Auf „My Winter Strom“ hattest du dich bereits an „Poison“ von Alice Cooper versucht. Hast du damit eine Tradition für deine zukünftigen Alben losgetreten?

 

Nicht unbedingt, aber ich mache damit weiter, sehr testosteronlastige Songs zu singen, haha. Das ist für manche Leute sicher richtig hart, denn vermutlich hat man noch nie gehört, dass eine Frau solche Songs singt. Tja, jetzt habt ihr den Salat, haha. Aber was soll ich machen, Bands wie Whitesnake haben mich nun mal stark beeinflusst. „Still of the Night“ habe ich mir herausgepickt wegen seines Mittelteils, denn ich fand schon immer, dass dort ein großes Orchester und ein Chor fehlen. Diesen „Schönheitsfehler“ habe ich mit meiner Version jetzt ausgemerzt und dem Ganzen einen richtig schön bombastischen Anstrich verpasst.

 

Klingt als wäre auch eine reine Cover-EP oder gar ein komplettes Album ein interessantes Projekt für dich?

 

Das wäre eine tolle Sache, genug gute und lohnenswerte Nummern aus den 80ern gibt es ja.

 

Zum Beispiel?

 

Gute Frage, so ganz spontan. Puh… Ideen habe ich schon, aber wenn das wirklich eines Tages passieren sollte, dann sage ich jetzt zur Sicherheit keine Namen laut, hehe.

 

Vor ein paar Wochen hattest du die Gelegenheit beim jährlichen Miskolc Opernfestival in Ungarn aufzutreten, wo du neben eigenen Nummern auch einige klassische Kompositionen dargeboten hast, die sich nicht wirklich für dein normales Set eignen würden. Eine einmalige Erfahrung?

 

Ja und zugleich ein ganz schönes Chaos. Wir mussten im Vorfeld die Bühnenproduktion sehr sorgfältig planen und vorbereiten, am Ende waren immerhin um die 100 Menschen auf der Bühne. Es ist aber ein sehr spezielles, stilistisch offenes Festival, weil es nicht alltäglich ist, dass man im Rahmen einer solchen Veranstaltung ein Rockkonzert geben darf, was mich doch beeindruckt hat. Kurze Zeit später hatte ich noch eine zweite Möglichkeit mit einem Orchester aufzutreten, beim tschechischen Masters of Rock Festival, wo wir einer der Headliner waren. Zuletzt gab es ohnehin eine beachtliche Bandbreite an Festivals für uns: Wir haben zum Beispiel kürzlich in Wacken gespielt, das Festival ist inzwischen wirklich gigantisch groß. Andererseits haben wir im Herbst beim Metal Female Voices Fest in Belgien einen Auftritt absolviert, natürlich ist der Name Programm und auch dort hatte ich viel Spaß.

 

In Miskolc bist du insgesamt die dritte Persönlichkeit aus dem Rock / Metal Bereich, die dort auftreten durfte. Epica und Therion hatten da ebenfalls schon ein Gastspiel und haben im Nachhinein jeweils ein Live-Album zur besagten Show veröffentlicht. Hast du dein Konzert ebenfalls filmen oder mitschneiden lassen?

 

Sogar beides, aber ich habe noch keine konkreten Pläne ob und wie ich das Ganze vielleicht irgendwann verwenden werde. Das Problem ist, dass ich zwar schon ein paar erste zaghafte Pläne für eine DVD habe, diese aber mit meiner eigenen Bühnenproduktion umsetzen möchte, weil es einfach mich und meine Vision repräsentieren soll. Es war die allererste Show diesen Sommer und wir haben erstmals auch neue Songs gespielt, zudem war es eben auch ein Festival und keine Headlinershow. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das für mich wirklich richtig anfühlt.

 

Nur kurze Zeit nach diesem Orchester-Konzert warst du in Kavarna, Bulgarien zu Gast. Dort kann man neuerdings ein riesiges Portrait von dir auf einer Hauswand bewundern. Hast du die Chance direkt beim Schopf gepackt um dir dein riesiges Ich in Natura anzusehen?

 

Das ist ein Ding, kann man so etwas glauben? Wo gibt es denn bitteschön so was und wem passiert etwas Derartiges?! Haha! Na klar habe ich mir das nicht entgehen lassen wollen, es gab sogar einen richtig groß aufgezogenen Medientermin an diesem Tag. Schon eine großartige Sache und wenn ich mich nicht irre, bin ich die erste Sängerin, die eine ganze Hauswand schmückt. Zumindest in Kavarna, denn dort gibt es außerdem auch noch ähnliche Bilder von Klaus Meine, Ronnie James Dio und James Hetfield. Da fragt man sich nur, was ich zwischen diesen Legenden zu suchen habe, haha.

 

Man hätte eigentlich erwarten können, dass so etwas wenn, dann in deiner Heimat Finnland passiert, wo du ein richtiger Celebrity bist. Dort reißt sich sogar die Boulevardpresse um dich und dein Privatleben, die es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt. Kannst du dich noch an die abgefahrenste Story oder das verrückteste Gerücht über dich erinnern? Du liest da doch sicher immer mal etwas, von dem du selbst noch nichts weißt, hehe.

 

Da wurde in der Tat schon ganz schön viel Schrott geschrieben, haha. Wo fange ich da am besten an? Also zuletzt war das Lieblingsthema, dass ich schwanger wäre. Vielleicht sollte ich diesen Leuten sagen, dass mein Bauch, wenn, dann aus anderen Gründen etwas dicker geworden ist, haha. Nach den vielen Monaten, die ich inzwischen angeblich schon schwanger bin, müsste ich ein ganz schönes Monster zur Welt bringen, haha.

 

Was für eine Schlagzeile wäre dir lieber? Was würdest du gern mal über dich lesen?

 

Das ist eine schwere Frage. Vielleicht „Das Mädchen, das seinen Träumen folgte“, so albern oder kitschig das klingen mag, aber in meinem Fall trifft es tatsächlich zu. Ich habe großes Glück, all das erleben zu dürfen. Eine derartige Schlagzeile würde aber bestimmt nicht halb so viele Exemplare absetzen wie das Thema zuvor, haha.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.tarjaturunen.com