Interview mit STEVEN WILSON

 

 

Wie läuft die Tour bisher? Bist du mit der Performance deiner Band zufrieden?

 

Die Tour läuft gut und die Band ist sagenhaft.

 

Welcher der bisherigen Auftritte war der deiner Meinung nach beste?

 

Es hängt vor Allem vom Publikum ab, wie ich einen Auftritt erlebe. Natürlich haben wir auch als Band mal bessere und mal schlechtere Tage, aber der wichtigste Faktor sind meiner Meinung nach die Zuschauer. Das Publikum in Paris war großartig. Berlin war ebenfalls toll. Die Shows in Amsterdam sind auch immer fantastisch. Aber die stärksten Reaktionen werden wir vermutlich in Südamerika haben, dort herrscht immer eine fabelhafte Stimmung.

 

Nun ja, im Vergleich dazu sind wir Deutschen wohl in der Tat ziemlich reserviert.

 

Das hängt auch von der jeweiligen Stadt ab. In Hamburg war das so, in Berlin aber nicht. Die Essener waren gestern auch ziemlich stimmungsvoll, die Kölner erschienen mir hingegen eher ruhig.

 

Mit dabei ist diesmal auch dein neuer Leadgitarrist Guthrie Govan, seinerseits bereits der dritte Musiker, der diesen Posten bekleidet. Hat er sich als die richtige Wahl erwiesen? Und inwiefern unterscheidet sich sein Stil von dem seiner Vorgänger?

 

Ich würde auf jeden Fall sagen, dass er sich als die richtige Wahl erwiesen hat. Er ist außergewöhnlich gut. Ich würde ihn als so etwas wie einen „Flair-Player“ bezeichnen, denn sein Spiel ist ungemein inspiriert und es kommt niemals vor, dass er an zwei Abenden hintereinander genau dasselbe spielt. Seine Beiträge sind immer unverbraucht, reich an Improvisation und sehr impulsiv. Und das ist genau das, was ich wollte. Mir war es daran gelegen, dass die Band nicht zu klinisch agiert und sich nicht zu stark auf bestimmte Muster festlegt. Ich wollte, dass sie gewissermaßen im Fluss bleibt.

 

„The Raven that refused to sing (and other Stories)“ wurde von der Öffentlichkeit ja sehr begeistert aufgenommen. Allein hierzulande erreichte die Platte Platz 3 der Album-Charts und wurde mit Titelgeschichten in mehreren großen Rockzeitschriften sowie überschwänglichen Reviews bedacht. Bist du überrascht über diesen Erfolg?

 

Ja. Die Sache ist die, dass ich bei jedem Album bestrebt bin, das beste Ergebnis zu erzielen, das mir möglich ist. Ich denke, manche Leute glauben, dass ich mir dieses mal mehr Mühe gegeben habe, eine starke Platte zu erschaffen. Aber eigentlich versuche ich jedes mal, ein großartiges Album aufzunehmen und fast immer, wenn ich bisher ein Werk vollendet hatte, war ich der Meinung, dass es mein bis dahin bestes ist. Aus irgendeinem Grund hat die neue Platte aber stärker eingeschlagen als etwa meine beiden vorherigen Alben, insbesondere was das größere Interesse der Medien und die begeisterten Reaktionen der Fans angeht. Ich kann gar nicht genau sagen, woran das liegt, aber natürlich bin ich darüber trotzdem glücklich. Vielleicht ist das einfach mein Moment. Vielleicht hat die Presse einfach entschieden, dass es nun Zeit ist, etwas über diesen Kerl zu schreiben, der nun schon seit 20 Jahren im Geschäft ist und immer noch nicht aufgegeben hat.

 

Du hast also auch keine Erklärung dafür, warum nicht schon dem Vorgänger „Grace for Drowning“ größerer Erfolg beschert war, obschon es vom Ansatz her in eine ähnliche Richtung ging wie das neue Album?

 

Ich denke, „Grace for Drowning“ hat dem Erfolg des neuen Albums den Boden bereitet. Als die letzte Platte heraus kam, löste sie zwar keine so große Explosion des Interesses aus, wurde aber im Verlauf der folgenden 18 Monate Schritt für Schritt von einer Menge Leute entdeckt. Deshalb, so denke ich, waren diese Leute nun auch bereit, dem neuen Album von Anfang an ihre Aufmerksamkeit zu widmen.

 

Hast du eigentlich Sorge, dass der große Erfolg von „The Raven that refused to sing“ dich nun dem Druck aussetzt, den Erwartungen der Fans, die das Album so lieben, mit der nächsten Platte gerecht zu werden? Bringt dich das vielleicht ein wenig zurück in die Situation, der du eigentlich entkommen wolltest, indem du deiner Solo-Karriere bis auf Weiteres den Vorrang vor Porcupine Tree einräumtest?

 

Nein, und das war auch gar nicht das Problem bei Porcupine Tree. Ich hatte noch nie das Gefühl, mich einem solchen Erwartungsdruck beugen zu müssen. Um so etwas kümmere ich mich nicht. Das Problem bei Porcupine Tree war also nicht etwa, dass die Fans etwas Bestimmtes erwartet hätten, sondern, dass mir nichts Neues eingefallen ist, was wir noch hätten tun können. Ich konnte in meinem Kopf einfach keine Musik hören, die wir noch hätten spielen können. Mein Ziel war es, etwas Neues zu machen, ich wusste aber nicht, wie ich das mit dieser Besetzung hätte angehen sollen. Vielmehr hatte ich das Gefühl, dafür andere Musiker zu benötigen.

 

Aber um zurückzukommen auf die Sache mit dem Erwartungsdruck: Bei meiner Karriere ging es schon immer um Wandel. Um das Fortentwickeln von Stilen, die Änderung des Sounds und die Wahl unterschiedlicher Ansätze. Manche dieser Sachen helfen auf lange Sicht dabei, eine Fanbase zu entwickeln, bei anderen ist das gerade nicht der Fall. Aber aus der künstlerischen Perspektive ist das der einzige Weg, den ich beschreiten kann und beschreiten will. Dabei spüre ich keinen Druck, die Fans zufrieden zu stellen. Ich glaube auch nicht, dass sie das überhaupt wollten. Die Fans meiner Musik möchten bestimmt nicht, dass ich darüber nachdenke, was sie wohl für Ansprüche an meine Arbeit haben könnten. Denn das hieße nur, sich in eine Sackgasse zu manövrieren.

 

Vielleicht ist es so, dass es, da so viele Leute das neue Album sehr zu mögen scheinen, auch ein paar gibt, die sich wünschen, dass das nächste ihm ähnlich wird. Auf der anderen Seite: Ich habe bisher drei Solo-Alben veröffentlicht und sie unterscheiden sich alle deutlich voneinander. Und das vierte wird wieder anders werden. Ich bin noch nicht sicher, wie es stilistisch ausfallen wird, aber ich weiß, dass es sich von den bisherigen Alben unterscheiden wird, da ich kein Interesse daran habe, mich zu wiederholen. Darüber, ob das Album dann genauso positiv aufgenommen werden wird wie „The Raven...“, möchte ich gar nicht nachdenken. Ich meine, die Platte stieß auf eine so großartige Resonanz, dass ich gar nicht weiß, ob ich einen solchen Erfolg überhaupt noch einmal erzielen werde. Mir wird es nur darum gehen, ein neues Album zu erschaffen, auf das ich stolz sein kann.

 

Der Grundgedanke des Textes zum Song „The Watchmaker“ vom neuen Album ist der, dass Menschen dazu neigen können, sich aus Bequemlichkeit an einmal eingegangene Kompromisse zu gewöhnen um dann erst viel zu spät festzustellen, wie wenig sie dies eigentlich erfüllt hat. Nach dem, was du gerade gesagt hast, basiert diese Idee aber wohl nicht auf deinen eigenen Ängsten in Bezug auf deine Karriere, oder?

 

In Bezug auf die Karriere: Nein. In Bezug auf das Leben: Ja. Was die Karriere betrifft, bin ich noch immer neugierig, neue musikalische Wege zu entdecken und bereit, die dafür notwendigen Schritte zu gehen. Deshalb habe ich ja auch einstweilen mit Porcupine Tree aufgehört, da ich diese neuen Wege mit diesem Line-Up nicht hätte beschreiten können. Denn ehrlich gesagt wäre es sehr einfach gewesen, mit Porcupine Tree weiterzumachen. Das Management und die Plattenfirma hätte das glücklich gemacht. Wir hätten ohne Weiteres ein neues Album herausbringen, auf Tour gehen und damit gutes Geld verdienen können. Aber da es musikalisch im Moment mit dieser Band nichts zu sagen gibt, haben wir das eben nicht gemacht, sondern stattdessen erst einmal aufgehört.

 

Trotzdem begegnete mir dieses Gefühl der Ermüdung, um das es in „The Watchmaker“ geht, in vielen anderen Bereichen meines Lebens. Es geht in dem Text ja um ein Paar, das nur aus Bequemlichkeit zusammen geblieben ist, aus Angst vor dem Unbekannten und der Angst davor, einen Schritt ins Dunkel zu wagen. Solch ein Verhalten kann aber nicht nur auf Beziehungen bezogen sein, sondern zum Beispiel auch auf den Beruf oder nur darauf, dass man seine Heimatstadt niemals verlässt. Auch in Ansehung vieler Aspekte des eigenen Lebens fürchte ich solche Entwicklungen.

 

Kommen wir doch noch einmal auf die Produktion des aktuellen Albums zurück. Weite Teile der Platte wurden live eingespielt. Konnte die Band die Stücke denn gemeinsam proben, ehe es ins Studio ging?

 

Nein. Wir hatten mit der Band sieben Tage Zeit im Studio und auch sieben Songs aufzunehmen. Sechs der Lieder haben es auf das Album geschafft, eines ist noch übrig geblieben. Wir haben also jeden Tag um neun Uhr angefangen, einen der Songs zu proben. Nach ein paar Stunden, so ungefähr zur Mittagsessenszeit, waren wir dann soweit, mit der Aufnahme zu beginnen. Und nach vier oder fünf Takes hatten wir dann meistens einen guten Mitschnitt. Diesen haben wir dann eingehend angehört und diskutiert. Gegebenenfalls folgten dann zwei oder drei weitere Takes, aber dann war auch Schluss und wir beendeten den Arbeitstag, um uns am Folgetag einem neuen Song widmen zu können. Diese Musiker sind einfach so gut, dass sie nicht viel Zeit benötigten, um die Stücke zu lernen. Natürlich kannten sie die Demos und waren daher bereits mit der Struktur der Songs vertraut. Jedoch haben wir die Stücke im Studio zum ersten Mal zusammen gespielt. Die einzige Ausnahme davon stellt der Titel „Luminol“ dar, den wir bereits auf der vorherigen Tour live gespielt hatten. Die Songs waren also für uns noch ganz unverbraucht. Und das ist eine schöne Art, ein Album aufzunehmen, denn normalerweise muss man die Songs während des Aufnahmeprozesses so oft hören, dass man von ihnen bald schon die Nase voll hat. So aber war alles frisch und aufregend.

 

Dafür klingt das Ergebnis aber sehr exakt.

 

Ja, die Jungs sind großartig. Ich wollte es aber nicht zu tight und klinisch haben, damit man die Energie und Elektrizität der Aufnahmen spürt. So einen Effekt erzielt man manchmal gerade dadurch, dass man nicht zu einhundert Prozent exakt ist, dass man auch mal nicht ganz genau „in time“ spielt oder ein Instrument einmal nicht ganz genau in der richtigen Stimmung ist. Es gibt durchaus einige Momente auf der Platte, die etwas schludrig geraten sind, aber gerade deshalb fängt sie so gut die Atmosphäre einer Band ein, die live spielt. Und das mag ich.

 

Habt ihr denn einen Clicktrack bei den Aufnahmen verwendet?

 

Bei einigen Songs ja, bei anderen nicht. Bei einigen der Stücke hört man, wie das Tempo anzieht und wieder abfällt. Gerade das finde ich aufregend.

 

Welche Overdubs hast du den Liveaufnahmen dann noch hinzugefügt?

 

Nicht viele. Die Streicher für die Titel „Drive Home“ und „The Raven that refused to sing“ kamen im Nachhinein dazu. Den Gesang habe ich natürlich auch hinterher in meinem Studio aufgenommen. Auch das Mellotron habe ich nachträglich eingespielt. Sonst fällt mir aber nichts weiter ein. Alles in allem würde ich sagen, dass 90 Prozent dessen, was du auf dem Album hörst, von den Liveaufnahmen in Los Angeles stammt.

 

Wie gerade erwähnt benutztest du für die Aufnahmen zum aktuellen Album ein echtes Mellotron. Hattest du ein solches schon auf vorherigen deiner Platten eingesetzt?

 

Ein echtes hatte ich zuvor noch nicht verwendet. Bis dahin hatte ich auf Sample-Bibliotheken zurückgegriffen und da auch großartige Samples gefunden. Nun hatte ich aber die Gelegenheit, das Original Mark II, das, wie ich glaube, im Jahre 1964 gebaut wurde, zu verwenden. Das Teil war sehr schwer zu spielen und befand sich in einem furchtbaren Zustand. Im Prinzip war es kaum noch funktionstüchtig. Aber: Es klingt unglaublich! Viel besser als jedes Sample, das ich je gehört habe. Meistens ist das richtige Instrument eben einfach besser als ein Sample und das Mellotron bildet dabei keine Ausnahme. Und das, obwohl es sich dabei ja eigentlich selbst um ein sample-basiertes Instrument handelt. Das ist schon eine seltsame Sache.

 

Es hält sich ja das Gerücht, Rick Wakeman habe sein Mellotron verbrannt, als endlich eine Alternative erhältlich war...

 

Ich denke, dass viele der Musiker aus der 60er/70er Generation die Nase vom Mellotron voll hatten, weil es so unzuverlässig ist. Es ist Schwankungen in Leistung und Stimmung ausgesetzt, die Bänder reißen häufig und dann ist es ja auch noch richtig sperrig. Es muss ständig repariert und gepflegt werden... kein Wunder, dass diese Musiker irgendwann einen regelrechten Hass darauf entwickelt hatten. Das Modell, das ich auf dem Album gespielt habe, war ein Alptraum hinsichtlich der Bedienung. Allein, um einen Ton heraus zu bekommen, musste man die Tasten ungefähr so anschlagen (schlägt mit der Hand wuchtig auf den Tisch - Anm. d. Verf.). Damit, die Tasten einfach sanft zu drücken, kam man überhaupt nicht weiter. Die ganze Aufnahme war wie ein andauernder Kampf gegen das Gerät.

 

Dass deine Arbeit an den Wiederveröffentlichungen diverser Prog-Klassiker (z. B. King Crimson, Jethro Tull, ELP) Spuren im Songwriting für das neue Album hinterlassen hat, wurde ja schon hinreichend thematisiert. Was ich mich frage ist, ob dadurch auch deine Art des Abmischens oder der Suche nach dem passenden Sound beeinflusst wurde. Denn zumindest meiner Ansicht nach unterscheiden sich „Grace for Drowning“ und „The Raven...“ klanglich deutlich von deinen vorherigen Produktionen.

 

Ich denke, dass ich aus allem, was ich tue, etwas lerne - sei es die Arbeit an einer Death-Metal-Platte, das Neuabmischen eines Klassikers aus den 70ern oder die Produktion eines Ambient-Albums. Ich habe das Gefühl, bisher mit jeder meiner Platten einen Fortschritt in Bezug auf den Sound gemacht zu haben, wie im Übrigen natürlich auch in künstlerischer Hinsicht. Vieles von dem, was ich in den letzten 20 Jahren getan habe – und dazu gehören natürlich auch die Kollaborationen mit anderen Musikern oder die Arbeiten für andere Bands – hat also meine heutige Musik mitgeprägt. Die Arbeit an diesen klassischen Alben der 70er bildet dabei ganz gewiss keine Ausnahme. Das war sehr bildend und ich habe viel darüber gelernt, wie diese Alben gemacht wurden und was ich an ihnen mag. Davon abgesehen gibt es aber auch noch andere Einflüsse. Zum Beispiel war „Grace for Drowning“ die erste Platte, die ich aufnahm, nachdem ich von der Stadt auf das Land gezogen war. Wenn ich aus dem Fenster schaute, sah ich nicht mehr die Vorstadt, so wie es die 20 Jahre zuvor der Fall gewesen war, sondern Kühe, Schafe, Flüsse und Bäume. Dem entspricht auch die Veränderung in der Soundpalette vom letzten Porcupine Tree-Album „The Incident“, das von industriell anmutenden Elementen wie harten Gitarren und schweren Drums geprägt war, hin zu dem organischeren Ansatz von „Grace for Drowning“, auf dem zum Beispiel viel mehr Akustikgitarre, Hammondorgel und Fender Rhodes Piano zu hören sind. Zudem verändert sich natürlich auch der eigene Geschmack dadurch, dass man nun einmal älter wird.

 

Sind denn weitere Überarbeitungen wichtiger 70er-Alben von dir zu erwarten?

 

Ja, ich habe im Verlauf der letzten zwei Jahre etwa fünf oder sechs Alben bearbeitet, die alle noch nicht veröffentlicht sind. Die Sache bei diesen Wiederveröffentlichungen ist die, dass mein Teil der Arbeit der einfache ist. Das Schwierige ist es, sich dann um solche Dinge wie das Design, die Sleeve-Notes, die Rechte, zusätzliches Videomaterial und so weiter zu kümmern. Das dauert alles ewig! „Larks' Tongues in Aspic“ hatte ich zum Beispiel schon 2010 fertiggestellt, aber herausgekommen ist es erst vor einigen Monaten, also zwei Jahre nach dem Abmischen. Deshalb sind auch die anderen Alben, die ich schon gemixt habe, noch nicht erhältlich. Einige davon wurden bereits offiziell angekündigt, andere noch nicht, so dass ich über diese natürlich auch noch nichts sagen darf. Was ich schon sagen kann ist, dass es zwei weitere Jethro Tull-Alben geben wird. Für den Mai ist außerdem die Veröffentlichung eines fabelhaften Hawkwind-Albums von 1975 geplant.

 

Wenn sich nun ein Fan deines aktuellen Albums durch dieses dazu inspiriert fühlte, den „klassischen“ Progrock zu erkunden: Zur Anschaffung welcher Alben würdest du ihm zwecks einer ersten Orientierung raten?

 

Nun, zunächst einmal würde ich ihm raten, sich nicht auf Prog zu beschränken, denn es gibt eine sehr große Palette an wunderbarer Musik da draußen. Was ich an der Musik der von dir angesprochenen Zeit besonders mag, ist vor Allem diese spezielle Atmosphäre des Experimentierens und der Auslotung dessen, welche Möglichkeiten es gibt, ein spannendes Album zu gestalten, anstatt nur auf dreiminütige Popsongs zu setzen. Das gab es aber nicht nur im Progressive-Bereich. Daher würde ich auch dazu raten, sich zum Beispiel den Jazz von Miles Davis und John Coltrane anzuhören sowie das Mahavishnu Orchestra als Vorreiter dessen, was wir heute als Fusion kennen. Ich würde aber auch dazu raten, sich damit auseinander zu setzen, was die Beach Boys, Todd Rundgren und Neil Young gemacht haben. Ich denke, dass das manchmal der Fehler ist... viel von der Musik, die man heutzutage hört, klingt zu beschränkt, so als hörten sich die Musiker selbst nur eine einzige Musikrichtung an.

 

Oh, und es gibt einen ganzen Haufen deutscher Musik, die ich sehr mag, vor Allem jene, die man wohl als „Krautrock“ bezeichnet. Tangerine Dream, Klaus Schulze, Neu!, Faust, Amon Düül, Can, Kraftwerk, das sind meines Erachtens außergewöhnliche Bands.

 

„The Raven...“ ist natürlich stark beeinflusst von dem, was wir heute die „progressive“ Musik der frühen 70er nennen, auch wenn den Begriff damals niemand verwendete. Es war einfach ambitionierte, albumorientierte Musik. Es finden sich darauf aber auch starke Jazzeinflüsse.

 

Wenn es aber darum geht, einen guten Einstieg in den Progressive Rock der 70er zu empfehlen, bin ich vermutlich nicht der richtige Ansprechpartner. Denn auf all den Bestenlisten bezüglich dieser Alben findet man in der Regel dieselben fünf, sechs Platten. Da hat man immer „Close to the Edge“ von Yes, das nicht mein Lieblingsalbum der Band ist, „In the Court of the Crimson King“ von King Crimson, das auch nicht mein bevorzugtes Crimson-Album ist, „The dark Side of the Moon“, das nicht mein favorisiertes Pink-Floyd-Album ist... ich bin also vermutlich nicht geeignet, da eine passende Auskunft zu geben, denn ich tendiere eher zu den exotischeren Alben. Mein Lieblingsalbum von King Crimson ist zum Beispiel „Lizard“, das von Yes ist „Tales from topographic Oceans“. Mein absolutes Lieblingsalbum dürfte hingegen Tangerine Dreams „Zeit“ sein. Das ist fast so etwas wie die erste Ambient-Platte überhaupt. Es handelt sich um ein Doppelalbum von 1972 mit vier Songs. Auf der originalen Vinyl-Version fand sich also auf jeder Seite ein ca. 20-minütiges Stück. Nicht, dass ich falsch verstanden werde: All diese genannten Alben, die üblicherweise in den Bestenlisten auftauchen, sind tolle Platten. Aber eben nicht meine Lieblingsalben, weil ich eine Tendenz habe, die esoterischen, seltsamen Werke zu bevorzugen.

 

Du hattest gesagt, dass du eines Tages gern die Musik zu einem Film schreiben würdest. Welche Art von Film könnte dich denn dazu inspirieren, den dazu passenden Soundtrack zu ersinnen?

 

Irgendetwas Bizarres. Bizarr und düster, so wie die Musik. Ich bin kein so großer Freund der typischen Hollywood-Filme. Lieber sind mir die traditionellen Filme europäischen Stils, besonders die seltsamen, surrealen Werke. Außerdem bin ich ein Fan von David Lynch. Wobei es natürlich auch unter den Mainstream-Regisseuren durchaus solche gibt, die außergewöhnliche Filme produzieren. Ich denke da etwa an Christopher Nolan. Filme wie „The Prestige“ oder „Inception“ gehören meines Erachtens zu den intelligentesten Big-Budget-Filmen, die ich je gesehen habe.

 

Was ich nicht mag, sind zu stark kategorisierte Filme. Ich wollte nicht die Musik für einen typischen Horrorfilm oder einen typischen Thriller machen. Am liebsten wäre mir also etwas, das Genregrenzen überschreitet. Im Ergebnis könnte ich das aber nur entscheiden, wenn ich das Skript sähe. Gäbe mir jemand ein Skript, das mich inspiriert, so würde ich es natürlich lieben, die Musik dazu zu komponieren. Das steht ganz oben auf der Liste meiner Ziele. Daher wäre es natürlich schön, wenn dies mein nächstes Projekt werden könnte. Ich weiß aber auch, dass das ein Geschäft ist, in das hineinzukommen sehr schwierig ist.

 

Florian Gothe - www.sounds2move.de 

 

 

Link: www.stevenwilsonhq.com