Interview mit THOMAS LINDNER von SCHANDMAUL

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MB: Wie fühlt man sich, wenn man so ein Großereignis (euer Konzert im Circus Krone) hinter sich gebracht hat? Froh, dass es vorbei ist, oder traurig, eben weil es vorbei ist?

Thomas: Ein wenig von beiden Dingen. In dem Moment, als im Circus Krone der letzte Ton gespielt war, muss ich schon sagen, dass mir (bzw. uns) eine Geröllhalde vom Herzen gefallen ist und als wir uns nach dem Konzert in der Garderobe in den Armen lagen, ist schon die eine oder andere Träne der Erleichterung geflossen. Es war über Monate ein schier unbeschreiblicher Arbeitsaufwand und der Druck der auf uns lastete (wir hatten nur einen Schuss, der musste sitzen) war riesengroß! Als der plötzlich weg fiel, war es als ob wir fliegen könnten. Im nachhinein kann ich aber sagen, dass der Circus Krone unser bisher schönstes Konzert war und ich denke gerne daran zurück.

MB: Würdet ihr im Nachhinein irgendwas anders machen (wollen)?

T: Wir würden mit Sicherheit einige organisatorische Dinge anders besser lösen können – man lernt ja dazu – aber im Großen und Ganzen ist das so schon perfekt gelaufen.

MR: Die Vorbereitungen und Arrangements für dieses Projekt haben unheimlich viel Zeit verschlungen. In wie weit hatte dieser intensive Arbeitsprozess Auswirkungen auf  das kommende Studioalbum? Wurden die Arbeiten am nächsten „richtigen Album“ merklich in die 2. Reihe geschoben?

T: Die Arbeiten am neuen Album wurden für die Zeit des Arrangieren, Notieren, Proben und Produzieren von unserem „Kunststück“ komplett ausgesetzt. Dafür waren im Kopf einfach keine Kapazitäten mehr frei. Am neuen Album arbeiten wir seid dem Circus Krone aber wieder mit Vollgas. Wir haben schon alle Songs geschrieben und stecken mitten in der Vorproduktion. Eigens für die neue Platte sind wir eine Woche in Klausur gegangen und haben uns in der Runneburg in Weissensee / Thüringen eingeschlossen. Eine sehr kreative Woche – man darf gespannt sein.

MB: Bereits auf euer ersten DVD „Hexenkessel“ hattet ihr mit Micha Rhein von In Extremo einen prominenten Gast dabei. Im Circus Krone waren nun Wim und Castus von Corvus Corax mit von der Partie. Wie ist eure Verbindung zu diesen Bands? Gibt es tiefere Freundschaften?

T: Man lernt sich meistens auf Festivals kennen, auf denen man gemeinsam spielt. Da wird Backstage geplaudert, ein Bierchen getrunken und man tauscht sich aus. Über die Jahre sind da schon einige Freundschaften entstanden. Ist ja auch sinnvoll: In dieser doch eher überschaubaren Szene, bringt es dem gesamten Genre mehr, wenn man sich gegenseitig hilft und sich unterstützt. Gehaue und Gesteche und alberne Neidhammelei überlassen anderen...

MB: Da wir gerade von Beziehungen reden: Ihr habt immer schon eine besondere Verbindung zu euren Fans gehabt. Ich habe selber erlebt, dass ihr nach dem Konzert nach am Merch-Stand vorbeischaut und mit euren Fans sprecht. Wie wichtig ist euch die Meinung der Leute, die eure Musik hören?

T: Sich Meinungen und konstruktive Kritik einzuholen, halte ich schon für wichtig, man muss ja in Bewegung bleiben. Übertreiben sollte man es aber auch nicht. Es gibt da diesen schlauen Spruch: „Wer dem Publikum immer hinterher rennt, wird nie mehr, als dessen Hinterteil sehen.“ Ich glaube das war Goethe, und da hat er recht.

MB: Wie „fanatisch“ eure Anhänger sind, kann man meiner Meinung nach sehr gut bei „Dein Anblick“ von der Live-CD hören. Wie habt ihr es nur geschafft, dass die Leute derart perfekt mitsingen? Das gleicht ja schon einem mehrstimmigen Chor...

T: Das war jahrelange Übung auf Live-Konzerten. Wir hatten ja seid der Veröffentlichung von „Narrenkönig“ im Jahre 2002 genügend Zeit, die Zuschauer einzureiten ;o)

MB: Nähe zu den Fans bedeutet ja auch immer ein gewisses Risiko. Habt ihr schon negative Erfahrungen mit Fans gemacht?

T: Bisher glücklicherweise nicht. Die sind alle wunderbar artig. Klar gibt’s hier und da mal jemanden, der eine Tasse Bier zuviel erwischt hat und die eigene Muttersprache nicht mehr wirklich beherrscht, aber vor irgendwelchen Eklats sind wir bis jetzt verschont geblieben.

MB: Aktuell seid ihr ja schon wieder auf Tour. Hat man bei so vielen Shows im Jahr überhaupt noch Zeit für ein geregeltes Privatleben?

T: Definitiv nein. Geregelt ist da gar nix mehr. Man lebt komplett im anderen Modus: Schläft bis mittags, fängt am Nachmittag das arbeiten an und hört in den frühen Morgenstunden erst wieder auf. Auch Freundschaftspflege ist komplizierter. Haben die Jungs und Mädels von der Clique Zeit und machen am Wochenende einen drauf, sind wir auf der Straße und geben Gigs. Wenn ich mal Zeit habe, sind die anderen dann arbeiten. Sehr schwierig da, aber ich beschwere mich nicht: Das ist MEIN Leben!

MB: Im Header eurer Homepage beschreibt ihr euch selbst als „Schelmische Mittelalter-Folk-Rock-Band mit Verbindung zu Musiktherapie“. Wie kam denn diese Verbindung zum DZfM zustande?

T: Als Band hat man alle Nase lang irgendwelche Benefiz-Anfragen und mit steigender Popularität werden die auch nicht weniger. Wenn wir alle Sachen spielen würden, hätten wir nur noch Benefiz-Konzerte und das ist nicht der Sinn der Sache. Aber wie wählt man aus? Es sind alles wichtige und unterstützenswerte Geschichten. Also haben wir uns entschlossen etwas eigenes zu finden, etwas zu dem wir auch einen persönlichen Bezug haben, etwas, dass wir anfassen können. Schließlich sind wir auf das Deutsche Zentrum für Musiktherapie-Forschung in Heidelberg gestoßen und wir waren unglaublich beeindruckt, was die können! Medikamentfreie Behandlung von Tinnitus und Migräne, Begleitung von Krebskranken, Behandlung von geistig- und körperlich behinderte Menschen und vieles, vieles mehr...

MB: Wie unterstützt ihr die dortige Forschung denn eigentlich? Wird eure Musik auch schon für Therapien eingesetzt?

T: Nein, gar nicht. Unsere Musik hat da primär erst mal gar nix mit zu tun. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass da einfach stumpf irgendein Song abgespielt wird und dann ist alles wieder gut. Es ist vielmehr ein Arbeiten mit Klängen und Geräuschen, mit Instrumenten, die zum Teil von den Patienten selber bedient werden. Da passiert viel mit Rhythmus, viel mit Gesang, und viel mit Bewegung.

Unsere Aufgabe ist eher die eines Botschafters. Wir tragen die Kunde in das Land und sagen: Schaut mal alle her, da gibt es noch eine Alternative zur Schulmedizin! Des weiteren werden wir dann natürlich für ganz bestimmte Fälle Geld einsammeln gehen. Und da wären wir dann wieder beim Thema Benefiz. So ist es für 2006 geplant, in Heidelberg ein großes Open Air, mit mehreren Bands zu veranstalten, wovon der Erlös voll und ganz bestimmten Projekten des DZMs zufließen wird.

MB: Ist das ganze eigentlich wissenschaftlich anerkannt, oder muss man da immer noch von „alternativer Behandlungsmethode“ sprechen?

T: Natürlich ist es wissenschaftlich anerkannt. Man spricht hier von sogenannter „sanften Medizin“. Umso trauriger ist es, dass viele Krankenkassen das noch gar nicht auf dem Schirm haben und es dementsprechend auch nicht unterstützen.

MB: Warum eigentlich gerade Musiktherapie? Ich meine, es gibt ja viele Sachen, wo man sich engagieren kann. Warum habt diese ausgewählt?

T: Es gibt nahezu unzählige Sachen, in denen man sich engagieren kann. Uns war es in erster Linie aber wichtig einen persönlichen Bezug dazu zu haben, wir wollten Gesichter und Namen, wir wollten uns damit identifizieren können. Klar brennt es an allen Ecken und Enden auf der ganzen Welt, aber eben auch hier vor der eigenen Haustür.

MB: Apropos Engagement: Wenn man euch gefragt hätte, hättet ihr bei „Live8“ gespielt? Oder ist euch das zu oberflächlich?

T: Es war schon eine Riesensause, die da veranstaltet wurde, aber ich denke, dass ein großer Teil des Publikums eher die Konzerte genossen hat, als über die Armut in der Welt nachzudenken, und im Umkehrschluss ein Großteil der Bands eher den Promotion-Effekt genutzt haben, als ihre politische Einstellung kund zu tun. Von daher: Ja es ist sehr, sehr oberflächlich gewesen, aber auf der anderen Seite kann man eigentlich gar nicht nein sagen, wenn man gefragt wird.

MB: Ebenfalls auf eurer Homepage kann man lesen, dass Anna seit kurzem eine klassische Gesangsbildung macht. Wird dieser Umstand mit in die nächsten Produktionen einfließen? Werden wir irgendwann mal Anna als Solosängerin bei einem Schandmaul-Song erleben können?

T: Anna studiert in erster Linie Geige an der Hochschule und das bringt bis zu 6 Stunden Übe-Terror täglich mit sich. Da ist Singen ein schöner Ausgleich. An der Besetzung von Schandmaul ändert das nichts, aber man weiß ja nicht was sie sonst noch so vor hat ;o)

MB: Noch einmal ein kleiner Ausflug in den Live-Sektor: Ihr habt im letzten Jahr auf dem Wacken Open Air gespielt. Wie war das für euch, die ihr ja eigentlich eine ziemlich unmetallische Band seid?

T: Wacken war ein unglaublich geiles Konzert! Zigtausend Menschen vor der Bühne und augenscheinlich hatten alle ihren Spaß. In unserem Publikum befanden sich schon von jeher auch die Metaller-Fraktion – von daher haben wir da gar keine Berührungsängste und spielen gern auf Metal-Festivals. Ich denke wir sind da auch eine ganz gern gesehene Abwechslung zwischen dem ganzen „Geschrubbe“ ;o) Und nach uns gibt’s ja dann auch wieder was auf die Ohren...

MR: Stichwort gemischtes Publikum: Was macht Schandmaul sowohl bei Metallern als auch Goths, Mittelalterfreaks oder „Charthörern“ so erfolgreich? Wie schaffen es Schandmaul ein so breites Publikum zu einen?

T: Wenn ich das so genau wüsste... Ich denke, es verbindet der Spaßfaktor, den wir von der Bühne herunter in Publikum transportieren und vor allem die gemeinsame Sehnsucht  für zwei Stunden am Konzert, oder 1 Stunde mit der CD einfach den Kopf auszuschalten und in eine andere Welt abzutauchen.

MB: Könnt ihr zum Abschluss vielleicht schon etwas über das nächste Studio-Album verraten?

T: Es wird sehr schick! Es wird den Geist und den Flair von „Wie Pech & Schwefel“ weitertragen...

Interview: Michael Bruns & Markus Rutten - www.sounds2move.de / Ausarbeitung: Markus Rutten - www.sounds2move.de

Homepage: www.schandmaul.de

Deutsches Zentrum für Musiktherapieforschung: http://www.dzm.fh-heidelberg.de/deutsch/index.htm