Interview mit Nigel Glockler von SAXON

 

 

 

„Call to Arms“ ziert als 19. Studioalbum eure persönliche Diskografie. Lass uns da doch noch ein bisschen ins Detail gehen. Picken wir uns für den Anfang die Wahl des Titels hervor. Gibt es hierzu vielleicht eine kleine Anekdote zu erzählen?

 

Die Wahl des Titels war mehr oder weniger ein Alleingänger. Er entstand als wir den Titeltrack „Call to Arms“ schrieben und dann kam es uns in den Sinn, dass das ein unglaublich cooler Titel für das Album wäre, wie eine Art Schlachtruf für Metal Fans, würde ich sagen. Für den nötigen Ausdruck sorgt dann die Wahl des Covers. Wir haben hierfür eines der bekannten Poster zur britischen Rekrutierung während des Ersten Weltkrieges gewählt.  

 

Wie sieht so eine Produktion im Hause Saxon aus? Woher kommen die Ideen? Wie lange habt ihr für „Call to Arms“ über den Texten und im Studio gesessen?

 

Nun, wenn wir uns zusammensetzen, um Songs zu schreiben, hat jeder schon bestimmte Riffs oder Melodien im Kopf. Oftmals ist sogar schon ein Songtitel vorhanden – und dann heißt es einfach zusammenschneidern. Wir suchen uns die Ideen raus, an denen es sich lohnt zu arbeiten und jammen einfach so lange herum, bis wir ein ungefähres Rohmuster eines Songs haben. Sicherlich ist es von Song zu Song unterschiedlich, aber erst nach den Aufnahmen ist ein Song wirklich zu Ende gedacht. Am Ende ist es dann wie bei jedem Künstler der Fall, dass mehr Songs zur Auswahl stehen als Platz auf der Platte ist. Die Songs gehen nicht verloren. Wir heben uns die Songs auf für ein mögliches nächstes Album, oder sie werden später noch mal überarbeitet. Warum wir das machen? Das ist ganz einfach zu erklären. Wir hören uns das Album im Zusammenhang noch einmal an und wenn da Songs nicht wirklich ins Gesamtkonzept passen, haben wir entweder einen Alternativtrack in petto oder er verschwindet eben wieder in der Kiste, wie man so schön sagt.

Bei der aktuellen Scheibe waren wir sogar gleich in zwei Studios aktiv. Die Drums und den Bass haben wir in einer alten Kapelle in Lincolnshire aufgenommen – ein Studio mit einem großartigen Raum für Drums. Für die Vocals und die Gitarren waren wir dann im Studio in Brighton.

 

Wenn man sich die Songtexte eures neuen Schützlings genauer ansieht, kann man feststellen, dass ihr euch auf eure eigene Bandgeschichte bezieht anstelle des Erzählens irgendwelcher Märchen und Mythen. Als bestes Beispiel möchte ich hier den Track „Back in 1979“ nennen, welcher sich auf eure erste Veröffentlichung bezieht. Kann man euren neuen Silberling als eine gelungene Übersicht eurer Taten sehen? Wie kam es zu dem Entschluss, dass ihr eben eure und nicht irgendeine Geschichte erzählt?

 

„Back in 1979“ kann wirklich als eine Art Update von „Denim and Leather“ gesehen werden! Wir wollten schlichtweg eine Art Anerkennung für die Bewegung des Heavy Metals aussprechen und zum Ausdruck bringen welche Bedeutung dieser Schritt für uns und die Heavy Metal Fans hatte. Das ist es, wirklich!

Was ist deiner Meinung nach das Markante an „Call to Arms“? Worin liegt der Wiedererkennungswert?

 

Wir haben uns dazu entschlossen, wieder zu unseren Ursprüngen zurück zu kehren, gerade was die Aufnahmen anbelangen. Du findest zum Beispiel keine schnellen Double-Bass Tracks mehr, ebenso wenig wie Drum-Samples. Wir haben alles viel mehr auf Grooves ausgerichtet.

Hinzu kommt noch, dass wir uns weniger auf die Technologien verlassen haben. Klar, wir haben zum Aufnehmen Computer genutzt, aber mit dem Unterschied, dass wir sie bedient haben und nicht andersrum.

Die Drums wurden beispielsweise aufgenommen, während die Band tatsächlich am Spielen war. Wenn du mich fragst, haben wir mit Toby (Jepson – VV) einen unglaublich inspirierenden Kopf gefunden. Ich denke, ihn kann man persönlich dafür verantwortlich machen, dass von meiner Seite her wirklich großartige Grooves entstanden sind.
 


Nachdem ihr nun auf Millionen von verkauften Platten zurückschauen könnt und als „Urväter des New Wave of British Heavy Metal“ in die Geschichte eingeht, seid ihr noch immer in der Lage, auch nach so langer Zeit euren Traum zu verwirklichen. Hand auf’s Herz, hättet ihr euch „Back In 1976“ solch ein Ausmaß vorstellen können?

 

Ich muss zugestehen, dass ich, wie du weißt, damals noch nicht in der Band war, aber ich kann ohne Zweifel behaupten, dass es eine großartige Reise bis hierhin war. Jede Band hat ihre Höhen und ihre Tiefen, aber Saxon hat all diese Hürden überwunden – und eines kann ich dir versprechen: Unsere Reise ist noch nicht vorbei!

 

Jeder kennt sie, jeder macht sie, jeder will sie haben: Unvergessliche Momente während der Tourneen. Nachdem nunmehr beinahe jedes Land besucht zu sein scheint, stellt sich natürlich die Frage, ob es für euch noch Plätze dieser Welt gibt, die ihr unbedingt sehen möchtet? Vielleicht hast du ja eine der besagten Momente parat, die du mit uns teilen möchtest?

 

Da ich ein kleiner Curry-Freak bin, ist mein persönlicher Traum, irgendwann einmal in Indien zu spielen. Allein schon, weil ich von den Gerüchten gehört habe, dass die Metal Fans dort unglaublich euphorisch sein sollen. Das will ich sehen. Außerdem kommt hinzu, dass ich an dem geschichtlichen Aspekt Indiens sehr interessiert bin und einfach das Land im Allgemeinen erkunden möchte. Neuseeland klingt auch ziemlich cool. Aber sind wir mal ehrlich, wir werden immer dort sein und spielen, wo man nach uns verlangt.

Du willst Anekdoten? Das würde den Rahmen jetzt definitiv sprengen, weil es einfach zu viele sind, an die man sich gerne erinnert.

 

Wie sieht so ein typischer Tag auf Tour mit Saxon aus? Gibt es bei euch eine Art Routine, die Tag für Tag vonstatten geht? Wie bereitet ihr euch auf eine anstehende Show vor?

 

Ich kann jetzt nur von mir sprechen. Mein Tag startet mit – wer hätte es gedacht – dem Frühstück. Wann das stattfindet, hängt davon ab, wann ich aufstehe, was wiederum vom Zubettgehen oder der Müdigkeit abhängt. Feste Zeiten? Vergiss es! Man steht einfach auf, wenn der Körper einem die Signale sendet, genug geruht zu haben. Du siehst, es hängt alles zusammen. Danach erkunden wir, sofern es die Zeit erlaubt, ein wenig die Stadt, checken unsere Mails, informieren uns über Neuigkeiten zuhause und all die Dinge eben. So gegen 15 oder 16 Uhr haben wir in aller Regel Soundcheck. Anschließend probt jeder für sich noch eine Weile – gerade das neue Material. Ich zum Beispiel jamme einfach unglaublich gerne vor der Show, um mich einfach mit dem Sound des Venues vertraut zu machen. Meist folgen dann die Presse- und Interviewtermine. Ja und dann ist auch schon Essenszeit!

Für mich persönlich ist es besser, für alles genügend Zeit einzuplanen. Immerhin braucht auch alles seine Zeit – duschen, umziehen und dann einfach abschalten. Ich trainiere vor den Shows im Umkleideraum, in dem ich ein paar Stretch- und Muskelübungen mache. Warum? Weil ich immer noch wie mit Ameisen im Allerwertesten durch die Gegend renne, weil ich meine Nervosität vor der Show nicht im Griff habe, haha.

Natürlich gibt es auch den Ablauf nach der Show. Duschen, dann gibt es eventuell ein Late-Night-Curry (aber nur, wenn ich nichts gegessen habe), ein oder zwei Bier, vielleicht sogar einen Sambuka und dann geht es ab in die Falle, schließlich muss man seine Kräfte für den nächsten Tag sammeln.

 

Mittlerweile habt ihr schon ein paar Shows der aktuellen Tour hinter euch gebracht. Wie fiel das Feedback bis dato aus? Haben die Fans euer neues Material angenommen? Gibt es persönliche Highlights – sowohl positiver als auch negativer Natur?

 

Ganz ehrlich, dieses Jahr sind wir wirklich am Touren wie die Weltmeister. Wir haben es tatsächlich auf die Reihe gebracht, ganze sieben Monate am Stück on the road zu sein. Die Stimmung war einfach sagenhaft. Das neue Material hat sich echt gut geschlagen und wurde mit Chören von Seiten des Publikums in Empfang genommen.

Wir sind gerade zurück von unserer Show in Spanien zusammen mit Judas Priest und Motörhead. Mein Eindruck? Genial! Außerdem waren wir für ein paar Shows in Tokio, was ebenfalls eine tolle Erfahrung war. Die Fans dort sind einfach fantastisch und dankbar dafür, dass wir eine der ersten Bands waren, die dort nach dem schlimmen Unglück von Fukushima aufgetreten sind. Sicherlich kein leichtes Unterfangen. Justin Bieber können wir – für ihn wiederum ist das gut – nicht wirklich das Wasser reichen, dafür sind wir im Vergleich einfach „zu alt“. Aber nichtsdestotrotz liebe ich es, in Japan zu spielen. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle Fans: Ihr gebt uns jedes mal das Gefühl, willkommen zu sein, egal welches Land es nun ist.

 

Wenn man euch die Chance geben würde, die Zeit zurück zu drehen und alles noch einmal zu durchleben, würdet ihr etwas anderes machen? Vielleicht sogar für ein komplett anderes Leben entscheiden? Was würdet ihr verändern?

 

Wie ich bereits gesagt habe, ist es bis hierhin eine großartige Reise gewesen und wer weiß, wo sie noch hinführt. Wenn man sich alles nun noch mal rückblickend vor Augen führt, gibt es sicherlich Dinge, die wir anders machen würden. Seien es jetzt geschäftliche Entscheidungen oder persönliche. Es wurde geheiratet und geschieden. Um ehrlich zu sein, meine erste Karrierewahl war es, Tierarzt zu werden, allerdings brauchte man dafür Latein und ich sage dir, ich war so schlecht darin. Als das also nichts wurde, wollte ich Kampfpilot in der Fleet Air Arm (Teil der Britischen Navy – VV) werden, aber auch hier waren die Qualifikationen genau die Fächer, in denen ich zu Schulzeiten nicht wirklich glänzen konnte – Mathe und Physik. Ich war gut in Biologie, Geologie, Geografie, Kunst und Geschichte, aber ausgerechnet das, was ich für meinen Traumberuf benötigt hätte, gehörte nicht wirklich zu meinen persönlichen Stärken. Also wieder einen Traumberuf an den Nagel gehängt. Aber mal ehrlich, ich bereue es absolut nicht, den musikalischen Weg eingeschlagen zu haben, ganz im Gegenteil.

Mittlerweile könnt ihr auf eine Bilderbuch-Bandgeschichte zurückblicken. An eurer Seite haben schon diverse erfolgreiche Bands gespielt. Man führe hier nur mal Iron Maiden, Ozzy Osbourne und wie soeben in Spanien Motörhead und Judas Priest als Beispiele an. Es scheint als hättet ihr in dieser Hinsicht ein Full House hingelegt. Gibt es dennoch Bands, an deren Seite ihr zu spielen wünscht? Wie sieht es generell mit den Zielen Saxons aus, nachdem doch schon Unzähliges erreicht wurde?

Musikalisch kann ich mich mehr mit Progressive Metal identifizieren. Die Bands, die ich mag, gibt es entweder schon nicht mehr oder spielen den falschen Typ von Musik, um mit uns zusammen zu spielen. Wir haben zum Beispiel auf Festivals zusammen mit Porcupine Tree gespielt, die ich persönlich sehr mag, aber auf einer Tour kann ich mir die Kombination einfach nicht vorstellen. Auf Festivals ist alles möglich. Beim High Voltage in London zum Beispiel war es mein kleines, persönliches Highlight, Jethro Tull zu begutachten – absolut zu empfehlen. Bei einem Festival in Bulgarien standen wir zusammen mit Mike and the Mechanics auf dem Programm und haben so für die nötige Abwechslung zum üblichen Geknüppel gesorgt.

Mike Rutherford lebt in meiner Nähe und hat mich letztens dazu eingeladen, das Studio von Genesis zu sehen. Ich sag dir, damit wurde ein Traum wahr. Ich bin verdammt neidisch darauf, dass Saxon 1981 mit Rush auf Tour waren und ich nicht dabei war. Das ist eine meiner Lieblingsbands – wollen wir hoffen, dass es noch mal eine Tour zusammen gibt, das wäre großartig.

Wie schon gesagt, wir haben ein paar Shows zusammen mit Judas Priest gemacht und so hatte ich die Chance, die Jungs ein paar Mal anzusehen – einfach toll.

Wenn ich persönlich die Uhr zurückdrehen könnte, würde ich gerne zusammen auf der Setlist stehen mit Grand Funk und Bloodrock, als sie noch bekannte Größen Anfang der 70er Jahre waren. Vielleicht aber auch mit Humble Pie, als Peter Frampton noch in der Band war. Mann, was eine geniale Show das wäre. Nebenbei möchte ich bemerken, dass mein erstes Konzert eines von Grand Funk, Humble Pie und Heads, Hands and Feet damals im Hyde Park war. Ich werde dieses Konzert nie vergessen!

 

Nachdem nun doch schon die ein oder andere Show gespielt wurde, könnt ihr euch bei einem solch gefüllten Tourplan und neuen Ereignissen überhaupt noch an eure erste Show erinnern?

 

Da habe ich eine lustige Geschichte parat. Mein erster Gig sollte ursprünglich mein erstes besuchtes Konzert von Saxon werden. Das war während der „Denim and Leather“ Tour in meiner Heimatstadt. Zu der Zeit war ich damals noch in der Band Toyah aktiv und hatte sogar Tickets gekauft, um die Jungs zu sehen. Dass es dann so endet, dass ich mit den Jungs auf der Bühne stand, konnte ja keiner ahnen. Ich warte bis heute noch darauf, dass mir das Geld für die Tickets ersetzt wird, haha. Aber ich bin sicher, diese Geschichte kennt schon jeder.

 

Wie sieht es mit der Zukunftsplanung aus? Wie geht eure Geschichte weiter?

 

Nun ja, in erster Linie ist dieses Jahr vollgepackt mit der Tour. Bis Weihnachten werden wir unterwegs sein, und ich denke, danach werden wir eine Pause brauchen, um wieder Energie zu tanken. Nächstes Jahr stehen dann wieder ein paar Termine an. Ein paar Shows in Australien und in Südamerika. Was danach kommt, keine Ahnung! Vielleicht setzten wir uns hin und arbeiten an neuem Material, vielleicht die Festivals im Sommer, mal sehen.

 

Wie wir bereits festgehalten haben, ist „Call to Arms“ euer 19. Studioalbum. Wenn man dich vor die Wahl stellen würde, deinen persönlichen Favoriten eurer eigenen Diskografie zu wählen, wie würdest du dich entscheiden?

 

Die Frage ist unfair, haha. Womöglich wäre es das aktuelle, weil es immer noch so neu und frisch ist. „Unleash the Beast“ und „The Inner Sanctum“ rücken aber auch in die nähere Auswahl. Auf die beiden bin ich persönlich auch sehr stolz. Sowohl in Sachen Komposition und der Umsetzung liegen damit zwei wirklich aussagekräftige Alben vor.

 

Werden wir nun noch etwas gemeiner und verschärfen die Auswahl zum Abschluss noch ein bisschen mehr. Kannst du mir ganz spontan und unverbindlich einen expliziten Song nennen, der die Band Saxon am besten beschreibt?

 

Jetzt willst du es aber zum Abschluss noch einmal genau wissen, was? Aber interessante Frage. Spontan entscheide ich mich für „Feel your Power“ vom Album „The Inner Sanctum“. Der bringt eigentlich genau das auf den Punkt.

 

 

 

Vanessa Vogl – www.sounds2move.de

 

 

Web: www.saxon747.com