Interview mit Jan Thomas von PYLON

 

 

 

Als Anfang und für alle, die vielleicht noch nicht wissen, was für Musik Pÿlon machen: Wie würdest du selber euren Doom umschreiben, welche Bands dienen euch als direktes Vorbild?

 

Wer Doom ausschließlich als ungöttlich laaaaangsame Klanggebilde kennt, wird bei Pÿlon plötzlich auf groovende Rhythmen und vor allem auf Songstrukturen stoßen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere langsame, bisweilen heftige, bisweilen entrückende Musik nicht zuletzt Freunde von Bands wie Saint Vitus (wegen der langen, abartigen Gitarrensolos), den frühen Black Sabbath (wegen Matts Stimme) und Count Raven (wegen der bisweilen epischen Stimmung unserer ansonsten traditionell doomigen Songs) anspricht.

 

Euer neues Album ist schlicht und einfach mit „Doom“ betitelt. Habt ihr keine Bedenken, dass ihr mit diesem Albumtitel, der schließlich auch die Bezeichnung eines ganzen musikalisches Genres darstellt, beim Hörer vielleicht zu hohe Erwartungen weckt, die ihr vielleicht nicht erfüllen könnt? Oder ist es eher so, dass ihr da gänzlich selbstsicher seid und keinerlei Bedenken in dieser Hinsicht hegt?

 

Oh ja, das Risiko erhobener Zeigefinger und skeptischer Blicke besteht selbstverständlich und diente uns als Ansporn, ein Album zu schreiben, welches diesen offensichtlichen Aspekt der Namensgebung rechtfertigt. (Wir selbst würden hier vielleicht eher von einem Inhaltsverzeichnis denn von einer Überschrift des Albums sprechen.). Des weiteren bedeutet das Wort ‚doom‘ jedoch auch ‚Schicksal‘, ‚Urteil‘ sowie ‚Ruin‘, und dies sind die Aspekte, die in die Texte einflossen. Oftmals steht die zugrunde gehende geistige Verfassung des Protagonisten im Mittelpunkt, Ho Theos Erchestai greift die Schöpfungsnarrationen in Paradise Lost auf – der göttliche Urteilsspruch lautet hier also: „Sei! … und vergehe.“ In The Shade beschreibt zahllose Sterbeprozesse, während Beneath, Beyond sowie DeadLove Tod und Liebe auf herzlich un-rock´n´roll´-ige Weise verbinden.

 

Was ist deine persönliche Definition von Doom?

 

Doom definiert sich durch die Leute, welche ihn hören, fühlen und lieben. Daher ist es besonders erfreulich, dass Doom erstaunlich viele Hörer anspricht, dabei aber dennoch den Charme eines Minderheitengenres hat; so findet man an Doomkonzerten „normale“ Metalheads wie auch eingefleischte Fans, welche sich erinnern, auf welchem Label die ersten Saint-Vitus-Alben erschienen und seit wann sie nicht mehr erhältlich sind. Dabei besteht eine große Toleranz für Ausgefallenes und Unübliches, aber auch für Genreüberschneidungen – man denke nur schon an die Hälfte aller Candlemass-Songs, welche ganz schön zackig voranpreschen.

 

Wenn du unseren Lesern nun ein paar Doom-Alben der letzten Zeit empfehlen müsstet, für welche Alben würdest du eine Kaufempfehlung aussprechen?

 

Neben unseren eigenen? – Na gut, weil du es bist:

Om "Pilgrimage" (2007)

Majestic Downfall "The First Abyss" (2008)

Nie aus den Augen verlieren: Ophis und Mirror of Deception.

 

Wir ticken etwas langsamer, daher müssen die letzten zwei Jahre als ‚in letzter Zeit‘ ausreichen. „Lucifer Rising“ von Candlemass war grauenhaft – der Mix ruiniert alles.

Ich muss unbedingt noch nachholen, was Electric Wizard und Goatwhore in den letzten Jahren getrieben haben.

 

Wenn man sich das Artwork von „Doom“ ansieht, dann fällt auf, dass ihr viel mit christlichen Symbolen arbeitet. In welcher Hinsicht setzt ihr euch auf „Doom“ mit dem christlichen Glauben auseinander?

 

Ein bisschen Kitsch muss sein, und eine Doomband, die mit einem Arsenal an alten Kirchen, Kruzifixen, Schädeln und Grabsteinen kokettiert, ist … naja, weiß Gott nichts Ungewöhnliches. Gut, der weiß vielleicht noch ganz anderes, dem sich zu verschließen ein Verlust für einen Menschen wäre. Ein Bandmitglied empfiehlt die Bibel, das andere Paradise Lost und behauptet, dass dies inhaltlich keinen Unterschied mache.

 

Was mit bei einem Vergleich zwischen „Th' Eternal Wedding Band“ und „Doom“ auffällt ist, dass ihr nicht nur ein gutes Stück düsterer, sondern auch selbstsicherer und differenzierter im Einsatz einzelner Stilmittel geworden seid. Inwiefern hat sich euer Arbeitsstil in den letzten zwei Jahren verändert?

 

Ich nehme an, du denkst an den Einsatz von Flöten, Keyboards (besten Dank an Niemanden, der sie einspielte!) und gelegentlich überraschenden Soundeffekten? Ja, daran merkt man wohl, dass wir ohne Schlagzeuger keinerlei „Verpflichtung“ fühlen, uns auf Bühnen zu zeigen, sondern die Zeit nutzen, Knöpfchen zu drehen und Tasten zu drücken, zu pusten, zu kratzen und zu klopfen. Einzelne Songs wurden ganz ohne Schlagzeug komponiert, deshalb konnten wir die perkussiven Elemente genauso wie die anderen eher verzierenden Instrumente effektgerichteter einsetzen. Beispiele hierfür sind „DeadLove“ und „Beneath, Beyond“, bei denen das Schlagzeug oder die Perkussion nicht schon zu Beginn im Klangbild auftaucht; bei anderen Songs wie „Renovatio (Renewal & Relapse)“ oder „Doomstone“ baten wir die gestandenen Metalschlagzeuger, welche zu den Aufnahmen zu Besuch waren, an orangefarbene Trompetenhosen mit Blumenpatches, an Rüschenkragen und Holzperlenketten zu denken und so zu solieren, wie sie es sonst nie täten.

 

Auf diese Weise ist „Doom“ im Vergleich zu „Th' Eternal Wedding Band“ teilweise sehr psychedelisch ausgefallen. Wer von euch beiden ist dafür verantwortlich – oder hegt ihr beide eine Vorliebe für solch psychedelische Passagen?

 

Ich schaffe es gewiss, mehr flötenwurbelnde und orgelgurgelnde Endsechzigergruppen wie Sweet Smoke, Black Widow oder Iron Butterfly herunterzubeten als Matt, doch die Spontaneität von Aufnahmen aus den Siebzigern ist genau so sehr sein Anliegen. Wichtig ist es gerade bei derartiger Musik, dass sie sich öffnet und den Hörer einlädt, sich selbst ganz zu vergessen. Wir warten gespannt auf die ersten Resultate aus Kifferkreisen.

 

Bleiben wir noch beim Thema Arbeitsstil: Pÿlon sind ja zum Duo geschrumpft und bestehen somit momentan nur aus euch zwei. Da ergibt sich automatisch die Frage: Wer von euch hat das letzte Wort bei musikalischen Unstimmigkeiten?

 

Immer derjenige, der länger flennt, natürlich! Ich bin das lästige Ekelpaket, wenn es um „den Aufbau! den Aufbau!“, d.h. um zunehmende Intensität und Kraft durch Instrumentierung sowie um fließende Übergänge geht, Matt hat sich dort durchgesetzt, wo abrupte Wechsel zu hören sind. Deine Nachricht erreichte uns unterwegs, auf der Wanderung von wo der Pfeffer wächst, wohin wir uns gegenseitig zahllose Male wünschten. Alles in allem unterstützten wir uns gegenseitig bei diesen Aufnahmen stärker und enthusiastischer als noch bei „Th‘ Eternal Wedding Band“; dennoch glaube ich, dass kräftige Emotionen bei der Erschaffung von Musik notwendig sind, damit diese von den Aufnahmen absorbiert werden.

 

Schaut man sich die Musiker-Credits von „Doom“ an, dann fällt einem auf, dass für das Album insgesamt fünf Schlagzeuger verheizt habt bzw. dass sich insgesamt fünf Schlagzeuger als Gastmusiker am Album beteiligt haben. Wieso habt ihr euch entschieden, mit gleich fünf verschiedenen Schlagzeugern zu arbeiten, anstatt für das ganze Album nur auf einen einzigen Gast-Schlagzeuger zurückzugreifen?

 

Fünf Schlagzeuger? – Aber nein, das hat doch jede Band, die etwas auf sich hält! We go to six! Denn als ob er nicht schon so genügend täte, hat sich Matt auch noch das Schlagzeugspielen beigebracht und prügelt sich durch „Dream A Dream“ und „DeadLove“. Ernsthaft: Wir haben die Freude und die Ehre, durch unsere Tätigkeit auch außerhalb von Pÿlon sehr viele tolle Musiker kennen- und schätzen gelernt zu haben. „Musiker und auch Schlagzeuger“, klar, haha. Und da nun die Kompositionen nicht alle gleichzeitig abgeschlossen waren und einzelne unserer Freunde nicht allzu viel Zeit für weitere musikalische Bindungen haben, waren wir sehr dankbar, den einen oder anderen einladen und mit ihm losrocken zu dürfen. Dennoch hätten wir selbstverständlich gerne ein drittes festes Bandmitglied.

 

Stand eigentlich nie zur Debatte, auf „Doom“ vielleicht auch mal mit einem Gastsänger zu arbeiten?  

 

Die Musik mag streckenweise etwas zähflüssig sein, wir sind dies aber nicht und schreiten gerne voran. Wir hatten zwar Kontakt mit weiteren Musikern, doch einige unserer Freunde fanden keine Zeit für zusätzliche Aufnahmen, so freuen wir uns darauf, sie fürs nächste Album erneut zu kontaktieren. Ganz abgesehen davon legte Matt bei den entsprechenden Songs eine derart reife – ach, was sag‘ ich – eine tolle Gesangsleistung an den Tag, dass es eine Schande gewesen wäre, diese Aufnahmen zu ersetzen.

 

Bei „Doom“ handelt es sich um den zweiten Teil einer Trilogie, die mit „Th' Eternal Wedding Band“ begonnen hat und mit „Armoury Of God“ enden wird. Könnt ihr etwas über das Konzept hinter dieser Trilogie verraten?

 

Trilogien haben das Potential, ganz, ganz peinlich für die zunächst noch ambitionierten Künstler werden zu können, daher hängen wir unser Durchhalteprojekt auch nicht an die große Glocke. Dennoch sind wir bestrebt, drei Alben zu produzieren, welche dieselben Hörer ansprechen, indem die Texte und die Musik – im weiteren Sinne auch das Artwork – zusammenpassen. Wir hoffen bloß, dass die Aufnahmezeit sich für das nächste Album nicht ebenfalls derart lange hin- und den Austritt eines weiteren Mitgliedes nach sich ziehen wird!

 

Habt ihr für denn schon Songs in der Hinterhand, oder existieren für den Abschluss eurer Doom-Trilogie noch keine Song-Ideen?

 

Doch, Matts Riffschmiede und Jans Texterei haben jeden Tag offen. Daher überschneiden sich die Kompositionen der Songs jedes Albums mit der Aufnahmezeit des Vorgängeralbums. Die Songs beginnen mit den beiden genannten Elementen, danach kommt der Bass, dann das (Gast-)Schlagzeug hinzu. Diese nehmen wir dann in umgekehrter Reihenfolge auf … und dann beginnt das Sounddesign mit zusätzlichen Elementen, Klangeffekten und so weiter, da wir selbst als Hörer ans Werk gehen und beobachten, was uns gefällt, wo etwas noch schöner, majestätischer … oder roher werden darf. – Dies ist ein schöner und sehr befriedigender, jedoch auch enorm zeitintensiver Prozess!

 

Ihr veröffentlicht „Doom“ über euer eigenes Label Quam Libet Records, wobei ursprünglich mal die Überlegung bestand, das Album über ein anderes Label zu veröffentlichen.  Wieso habt ihr euch nun doch entschieden, „Doom“ über das eigene Label unter die Leute zu bringen?

 

Weißt du, als Musiker – der englische Ausdruck ‚recording artist‘, ‚Aufnahmekünstler‘, trifft’s genauer – ist eine fertige Aufnahme eine Art Last, welche man gerne abwirft. Hätten wir die CD hier- und dorthin gesandt und auf Antworten (möglicherweise Absagen) gewartet, hätte auch bei uns wie bei vielen befreundeten Bands über ein Jahr vergehen können. So masochistisch, unsere Krux derart lange zu tragen, sind wir einfach nicht. Auch hat sich in den letzten Jahren in der Labelei einiges geändert. Heute übernehmen Labels mitunter Alben, welche bereits gepresst und in einer ersten Auflage verbreitet wurden, da sie dies als Qualitätsmerkmal betrachten. Daher werden wir es uns nicht nehmen lassen, bei den für diese Musik relevanten Labels in der mittleren Zukunft mit einer Portion ganz adretter Musik zu hausieren. – Wer weiß, wer weiß …?

 

Für den Song „2046“ von eurem letzten Album „Th' Eternal Wedding Band“ habt ihr damals in Eigenregie einen Videoclip gedreht. Plant ihr für das neue Album auch wieder einen Clip, oder bleibt „Doom“ ein cliploses Album?

 

Wir planten zunächst durchaus, einen Clip für „Beneath, Beyond“ als Bonus aufs Album zu nehmen und machten geschmackvolle Feld-, Wald- und Kruzifixaufnahmen um das Kloster Fahr, scheiterten dann aber doppelt an der Technik: Zum einen kommen wir mit dem moderneren Schnittprogramm auf Matts neuem Computer nicht zurecht, und zum anderen war das Album plötzlich randvoll. 77 Minuten aus dem Nichts! – Keine Chance, da noch irgendwelche Daten hinzuzufügen! Das Video selbst könnte aber durchaus noch zustande kommen.

 

Mit „DeadLove“ befindet sich auf „Doom“ auch euer bislang härtester Song, zumindest in Sachen Gesang, da die Growls so auch von einer Funeral-Doom-Band stammen könnte. Das darauf folgende Outro, bei dem das Weinen eines Mannes zu hören ist, beendet „Doom“ dann gänzlich würdig. War es für euch von Anfang an klar, dass „Doom“ auf diese Weise enden würde, oder wann habt ihr entschieden, dass „DeadLove“ der letzte richtige Song auf dem Album sein wird?

 

„DeadLove“ ist ein markanter Song, und jedes Album benötigt einen markanten Abschluss. „DeadLove“ wird nicht allen Hörern gefallen, doch wir setzen auf diese funebre Magie als dasjenige, was dem Hörer in der darauf folgenden Stille noch weiter im Kopf umherkreisen wird. Wenigstens bis zur nächsten Erneuerung durch „Renovatio (Renewal & Relapse)“, auf welchem sich unsere beiden Stimmen ebenfalls begegnen, dort jedoch im Widerspiel als Echo. Folgendermaßen schließt sich der Kreis der verschiedensten Ausformungen von Doom auf diesem Album.

 

Nando Rohner – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.pylon-doom.net