Interview mit Steven Wilson von PORCUPINE TREE

 

 

Was ist deiner Meinung nach der Hauptunterschied zwischen „Fear Of A Blank Planet“ und dem letzten Porcupine Tree-Album „Deadwing“ ?

 

Steven Wilson: „Fear Of A Blank Planet“ bildet für mich eher ein Ganzes. Es wirkt wie ein einziges, 50-minütiges Stück Musik. Es war von Anfang an geplant, ein Album zu machen, dass man als Ganzes erfahren muss, zumal sich auch textlich ein roter Faden durch das Album zieht. Und so nehme ich „Fear Of A Blank Planet“ auch wahr. Ich sehe weniger die einzelnen Tracks, ich sehe mehr ein großes Stück Musik. Ich denke, das ist der Hauptunterschied.

 

Wir haben es also mit einem Konzeptalbum zu tun ?

 

Ja.

 

Worum drehen sich denn die Texte von „Fear Of A Blank Planet“ ?

 

Es geht um Vieles, aber die Hauptidee, auf die sich auch der Albumtitel bezieht, ist meine Angst darüber, wie sich die Umstände des Informationszeitalters auf die heranwachsende Generation, auf die jungen Leute auswirken. Als ich ein Teenager war - und das ist gerade mal etwa 20 Jahre her - war das Einzige, was die Angst meiner Eltern darüber begründet hat, dass mich die Technologie von den eigentlich wichtigen Dingen des Lebens ablenkt, das Fernsehen. Aber heutzutage erleben wir eine ungeheure Explosion von Technologie und anderen Dingen, welche die jungen Leute von dem ablenken, was ich als das Wichtige im Leben erachte. Wir haben das Internet, I-Pods, Mobiltelefone, Playstations, DVDs, Reality-TV und Drogen. Der größte Anlass zur Klage ist das Internet, das alles von Musik bis zur Pornographie rasend schnell verfügbar gemacht hat. Die Sorge, die ich auf dem Album äußere, ist, dass wenn die jungen Leute einen derartig leichten Zugang zu allem von Musik über Nachrichten bis hin zu gewalttätigen oder pornographischen Darstellungen haben, nichts mehr wirklich Eindruck auf sie macht, sie sich von nichts mehr richtig fesseln lassen und sie nichts mehr richtig zu würdigen wissen. In den Achtzigern, als ich ein Kind war, konnte man neue Musik nur kennen lernen, indem man nach den Platten suchte und dafür bezahlte. Ich musste darüber nachdenken, für was ich mein Geld ausgeben wollte, weil ich mir nur ein, zwei Platten im Monat leisten konnte. Heute können sich die Kids den gesamten Backkatalog einer Band wie den Beatles oder Led Zeppelin umsonst im Internet herunter laden und das innerhalb von fünf Minuten. Ich denke aber, dass es in der menschlichen Natur liegt, die Dinge höher zu schätzen, die einem nicht einfach so zufallen. Wir würdigen vor allem die Dinge, für die wir arbeiten müssen, für die wir bezahlen müssen oder in die wir anderweitig Energie und Motivation investieren. Das ist es, worüber ich mich sorge, dass die Technologie die jungen Leute von dem ablenkt, was meiner Meinung nach das Geschenk des Lebens ausmacht.

 

Das klingt nach einem überaus interessanten Konzept. Gibt es einen besonderen Grund, dass du dir im Moment Gedanken über diese Dinge machst? Im Speziellen Beobachtungen aus deinem eigenen Leben ?

 

Ja, durchaus. Ich bin mir bewusst, dass dieses Problem nicht ausschließlich junge Leute betrifft. Ich selbst verbringe auch viel zu viel Zeit an meinem Laptop. Auch ältere Leute haben immer mehr Probleme mit ihrer Aufmerksamkeitsspanne, die sie bis vor kurzem kaum kannten. Vor 20 Jahren habe ich fast meine gesamte Zeit damit verbracht, Bücher zu lesen und Platten zu hören. Ich konnte ein Buch an einem Tag durchlesen, ohne dabei Pause machen zu müssen. Heutzutage fällt es mir schwer mich darauf zu konzentrieren. Nach zwei, drei Seiten kommen mir oft Gedanken wie „Ich muss meine E-Mails checken“, die mich vom Lesen ablenken. Ähnlich ist es bei anderen Dingen, die Konzentration erfordern. Ich glaube, die Aufmerksamkeitsspanne der Leute wird immer geringer. Auch als Erwachsener nehme ich also wahr, wie mich die Technik und die Informationsflut beeinflussen. Aber ich bemerke es und kann mich wenigstens daran erinnern, wie es früher war. Die nachfolgende Generation wurde direkt in dieses Zeitalter der Informationstechnik hinein geboren. Deshalb entwickeln viele junge Leute gar nicht mehr solche Fähigkeiten, wie die, konzentriert zu lesen oder auch nur sich mit anderen Menschen zu unterhalten, ohne dabei irgendwelche Messenger oder Internet-Funktionen zu benutzen.

 

Du bist bei Porcupine Tree Sänger, Gitarrist, Hauptsongwriter, Texter und Produzent. Bleibt dabei den anderen Bandmitgliedern noch der Raum, eigene Ideen einzubringen?

 

Ja, absolut. Die Musik ist das Produkt vier unterschiedlicher musikalischer Persönlichkeiten. Ich zwinge den anderen nicht meine Ideen darüber auf, wie zum Beispiel die Drumlines oder Keyboardparts genau ausgestaltet werden sollen. Der Sound der Band ist das Resultat des Zusammentreffens von vier sehr unterschiedlichen musikalischen Stilen. Das ist ja auch der Sinn einer Band: Jedes Mitglied sollte seine Persönlichkeit einbringen können.

 

Könnte man sagen, dass du demnach das Skelett der Songs konstruierst und dann alle Bandmitglieder gemeinsam das Fleisch auf die Knochen bringen?

 

Exakt. Das ist eine treffende Beschreibung.

 

Wie schreibst du üblicherweise deine Songs? Sammelst du Fragmente, wie etwa einzelne Riffs, Akkordfolgen oder Melodien, um diese dann zu Songs zusammen zu setzen? Oder hast du von vornherein eine Vision des Songs im Kopf?

 

Beides kommt vor. Manchmal habe ich einen ganzen Song im Kopf, manchmal ist es mehr wie das Zusammensetzen eines Puzzles. Auf dem neuen Album beispielsweise befindet sich ein sehr langes Stück namens „Anesthetize“, das sorgfältig über zweieinhalb Monate aus vielen verschiedenen Ideen zusammengesetzt wurde. Besonders wenn man an langen Songs arbeitet, die nicht an den konventionellen Songwriting-Strukturen festhalten, ist es manchmal sehr schwer, den richtigen Aufbau zu finden. Bei diesem Stück hat es allein einen Monat gedauert, all die Riffs, Melodien und Harmonien so anzuordnen, dass sich der richtige Fluss und die richtige Dynamik ergeben.

 

Einer der großen Pluspunkte von Porcupine Tree ist der, dass die Musik so emotional ist. Trotzdem hört man euren Produktionen immer an, dass ihr Perfektionisten seid, die sich viele Gedanken um die Details der Arrangements und des Sounds machen. Ist es schwierig, die Emotionalität des Songs über den aufwändigen Produktionsprozess zu retten?

 

Das ist eines der großen Probleme des Schreibens und Aufnehmens von Musik. Der Moment, in dem die Musik entsteht ist auch der, in dem die Emotionen, die man ausdrücken möchte, am stärksten und am reinsten sind. Bei der Produktion zerbricht man sich dann über Monate hinweg den Kopf über dieses Stück Musik, während man es aufnimmt, verfeinert und im Studio perfektioniert. So besteht die Gefahr, dass der Song seinen eigentlichen Ausdruck verliert, den er hatte, als er geschrieben wurde. Was ich über die Jahre festgestellt habe ist, dass die Gesangsaufnahmen, die ich in dem Moment mache, in dem ich den Song schreibe, also die Demo-Aufnahmen, sich hinterher kaum noch verbessern lassen. Wenn du heutzutage ein Porcupine Tree-Album hörst, dann hörst du meist die Vocal-Performance, die ich abgeliefert habe, als ich den Song schrieb. Zwar versuche ich während der Aufnahme-Sessions immer, den Part noch zu verbessern, aber in den seltensten Fällen habe ich das Gefühl dabei etwas einfangen zu können, das nicht schon in der Demo-Aufnahme da war. Deshalb versuche ich auch immer, schon diese Original-Gesangsaufnahmen technisch so gut wie möglich und in emotionaler Hinsicht ausdrucksstark zu gestalten. Denn es ist nie auszuschließen, dass ich diese Aufnahme für das Album verwende. Aber du hast Recht, es gibt immer die Gefahr, dass die Dinge zwar technisch immer besser werden und dafür etwas anderes verloren geht.

 

Wie viele Tonspuren benötigt man denn für eine Produktion wie die von „Fear Of A Blank Planet“?

 

Einige Songs sind natürlich simpler als andere. Bei manchen reichen 20 bis 30 Spuren aus, während es bei einem langen Stück wie „Anesthetize“ bis zu 70 oder 72 Spuren werden. Diese Songs sind dann auch entsprechend aufwändig zu mixen.

 

Wisst ihr schon, wie ihr das Programm eurer kommenden Tour gestaltet?

 

Wahrscheinlich spielen wir im ersten Teil der Show das neue Album vom Anfang bis zum Ende, visuell unterstützt von einem darauf abgestimmten Film. Im zweiten Teil der Show kommen dann weitere Songs aus der bisherigen Porcupine Tree-Historie zum Zuge.

 

Es hieß, dass du ein Projekt mit Mikael Åkerfeldt von Opeth und Mike Portnoy von Dream Theater planst. Gibt es da irgendwelche Fortschritte?

 

Mikael und ich haben uns Ende 2000 oder Anfang 2001 zum ersten Mal getroffen und kurz darauf stand schon die Idee einer Zusammenarbeit im Raum. Wir haben schon davon gesprochen, zusammen zu schreiben, bevor der Gedanke aufkam, dass ich Opeth produziere. Wir hatten das die ganze Zeit über im Hinterkopf und auch über die Jahre schon ein paar Songs für das Projekt geschrieben. Weil aber sowohl seine als auch meine Band über die Jahre immer bekannter geworden sind war es bisher nicht möglich die Zeit dazu zu finden, das Projekt zu realisieren. Ich nehme aber an, dass wir 2008 die Gelegenheit haben werden, zusammen zu kommen und das Album zu machen. Es wird auf jeden Fall passieren, ich kann nur noch nicht genau sagen, wann.

 

Wird es auch bald eine neue Auflage der Outtakes-Scheibe „Recordings“ geben? Bei eBay muss man dafür ja mittlerweile recht tief in die Tasche greifen.

 

Das steht auch auf meiner ziemlich umfangreichen To-Do-Liste. Worum ich mich dieses Jahr auf jeden Fall noch kümmern möchte, das ist die Neuauflage von „Lightbulb Sun“. Vielleicht werde ich dann auch gleichzeitig „Recordings“ überarbeiten, vielleicht werde ich es auch erst danach angehen. Es ist aber jedenfalls in Planung.

 

Ich habe gehört, dass auch eine DVD deines Projekts mit Aviv Geffen, Blackfield, in Planung sein soll.

 

Ja, wir haben letzte Woche in New York gefilmt. Es wird aber noch einiges an Arbeit kosten, das Material in die Form zu bringen, in der wir es gern veröffentlichen möchten. Wahrscheinlich wird die DVD irgendwann Anfang nächsten Jahres erscheinen.

 

Abschlussfrage: Was war der letzte Film, der dich begeistert hat?

 

Das war „Inland Empire“, der letzte David Lynch-Film. Ich bin ohnehin ein großer Fan von David Lynch und diesen Film halte ich für seine vielleicht beste Arbeit überhaupt.

 

Interview: Florian Gothe – www.sounds2move.de

 

Link: www.porcupinetree.com

Kommentar: "Fear of a blank Planet" von PORCUPINE TREE

Mit "Fear of a blank Planet" machen es einem PORCUPINE TREE dieses Mal nicht ganz so leicht wie noch bei ihrem 2005er Album "Deadwing". Über musikalisches und kompositorisches Können muss man bei den Briten glaube ich keine Worte mehr verlieren, ist doch landläufig bekannt, dass Steven Wilson genau wie Arjen Lucassen schon seit vielen Jahren zu den gegenwärtig talentiertesten Schöpfern progressiver Musik gehört. Doch damit sind wir auch am großen "aber" dieses Konzeptalbums - denn progressiv geht das Quartett hier definitiv zu Werke. Selbst zu dem Verb "sperrig" darf man als Musikbegeisterter greifen, ohne dass einem die geistigen Väter von "Fear of a blank Planet" wirklich böse sein könnten. Warum auch? Denn das Ganze ist beabsichtigt und Teil des anspruchsvollen Konzeptes. Easy-Listening machen andere, PORCUPINE TREE regen lieber der Verstand ihrer Verehrer an. Für Bandverhältnisse geradezu leichtverdauliche Kost wie etwa "Open Car", "Lazarus" und "Shallow", die den Vorgänger auch für Quereinsteiger schnell greifbar machten, haben im Kontext von 2007 keinen Platz gefunden. Am ehesten kann man da im Geiste noch die Brücke zu "Arriving somewhere but not here" schlagen. "Fear of a blank Planet" ist eine offene Herausforderung an alle Liebhaber anspruchsvoller Musik, die sich auch von Spielzeit um die 18 Minuten für einen einzigen Track nicht abschrecken, sondern eher motivieren lassen. Wer sich mit offenen Ohren und eingeschaltetem Verstand auf diese Erzählung über den Fluch unserer techniküberfluteten Zeit einlässt, der findet in diesem Sechsteiler eine weitere Referenzkreation aus dem Hause PORCUPINE TREE. Zeit und eine konstante Aufmerksamkeitsspanne vorausgesetzt.