Interview mit Peter Tägtgren von PAIN

 

 

Anfang Mai lässt Peter Tägtgren mit „Psalms of Extinction“ das fünfte Album seiner Industrial Metal Band Pain vom Stapel, welches sich einmal mehr durch abwechslungsreiches Songwriting und breit gemischte Stimmungen auszeichnet. Als wir den passionierten Sänger, Gitarristen und Produzenten Mitte März zum Interview an der Strippe haben, verweilt ein entspannter und auskunftsfreudiger Mr. Tägtgren gerade im Kölner Office seiner neuen Plattenfirma Roadrunner Records. Obwohl der Mann noch für knapp 10 Tage in ganz Europa unterwegs sein wird, um schon mal die Werbetrommel für sein neues Baby zu rühren, scheint den ehemaligen Workaholic nichts aus der Ruhe bringen zu können, im Gegenteil. Man hat viel mehr das Gefühl, einen alten Bekannten zum lockeren Plausch an der Strippe zu haben, egal ob es nun um das neue Album oder sonstige Themen geht.

 

Herr im eigenen Haus

 

„Für mich ist diesmal eigentlich alles gelaufen, wie es immer ist bei Pain. Der Sound gibt die Vorgabe dafür, wie ein Song am Ende klingt. Für Pain setze ich mich nicht hin und plane irgendetwas oder will sturköpfig eine bestimmte Art von Song schreiben. Es ist eher so, dass das erste Riff, das ich schreibe oder die erste Idee einfach zu dem führen, was am Ende dabei heraus kommt“, versucht Peter die Gründe dafür zu finden, dass „Psalms of Extinction“ von einem Song zum nächsten eine völlig andere Atmosphäre aufweisen kann. „Hinzu kommt, dass ich mich, wenn ich einen Song vollendet habe, mit dem folgenden Stück so weit wie möglich davon entfernen möchte, denn ich bin niemand, der sich gern wiederholt“, ergänzt der Schwede. Das Beachtliche daran ist jedoch, dass die Platte im Gesamten dennoch vollkommen stimmig klingt, was natürlich auch der Tatsache zu verdanken ist, dass Tägtgren sein Handwerk als Produzent versteht wie kaum ein Zweiter. „Ich glaube die neue Platte ist das breiteste Album, das ich mit Pain bisher gemacht habe. Es hat so viele verschiedene Elemente im Verlauf der Scheibe und auch in Sachen Gesang gibt es von Song zu Song verschiedene Variationen, was das Ganze aus meiner Sicht sehr interessant macht – auch für mich selbst, als ich das Album produziert habe“, zeigt sich Peter ob seiner kreativen Freiräume sehr zufrieden.

 

Einflussreicher Bastler

 

Die vielen Einflüsse eines Peter Tägtgren kommen natürlich nicht von ungefähr, schließlich ist der Mann nicht nur seit Jahren selbst Musiker, sondern auch die vielen großen Namen, mit denen der Besitzer der mittlerweile legendären Abyss Studios bereits gearbeitet hat, sind mehr als beeindruckend. Als Beispiele seien nur Destruction, Dimmu Borgir und Celtic Frost genannt, die dem Herren der Augenringe einige ihrer Meisterwerke mitverdanken. Bekommt man dabei nicht automatisch die eine oder andere Strömung mit, die dann möglicherweise ihren Weg in die eigenen Songs findet? Peter: „In der Vergangenheit ist das in der Tat ein paar mal passiert. Aber heute mache ich nicht mehr so viele Produzentenjobs und versuche vielmehr meine eigenen kreativen Wege zu erkunden und mich in gewisser Form selbst neu zu erfinden, auch als Ansporn für mich persönlich. Ich experimentiere zum Beispiel viel mit Drumsounds, Loops etc. herum, was natürlich sehr viel Zeit verschlingt, mir aber auch die Gewissheit verschafft, dass meine Scheibe anders klingt als alles, was andere machen“. Während seiner Experimente lässt Tägtgren dabei fast konstant die Aufnahmetaste gedrückt, um zu einem späteren Zeitpunkt aus diesen für Außenstehende mitunter wirren Fragmenten später einen kompletten, stimmigen Song zu kreieren.

 

Weltoffener Egoist

 

Wer soviel mit Stilistiken und Elementen experimentiert, muss eigentlich automatisch ein weltoffenes Wesen haben, denn Genre-Puristen werden allein bei der Kombination aus Electro-Beats und harten Riffs vermutlich genervt mit den Augen rollen. „Mit Pain kann einfach alles passieren, ich limitiere mich da in keiner Weise. Ich weiß meistens nicht mal selbst wie der nächste Song klingen wird. Mir wird niemand vorschreiben wie Pain zu klingen hat, denn von jedem Punkt aus kann es in alle erdenklichen Richtungen gehen. Ein einzelnes Genre wäre mir viel zu eng gesteckt für Pain“, erörtert der Schwede seine Philosophie. Dass er damit nicht überall auf ungeteilte Zustimmung trifft, ist Peter Tägtgren herzlich egal, wie er betont: „Das wichtigste ist, dass ich stolz auf mich selbst sein kann. Natürlich ist es super, wenn andere die Sachen auch geil finden. Aber in erster Linie muss ich weder Tausende von Platten verkaufen, noch es aller Welt recht machen. Wenn ich von Herzen ehrlich zu mir selbst bin, dann ist alles andere nebensächlich“, gibt sich der Stockholmer poetisch. Nur auf Metal lässt sich ein Peter Tägtgren trotz seiner Vergangenheit nicht beschränken, denn auch in fremden Genres fühlt sich unser Mann durchaus wohl. Als Produzent und Songwriter kennt er kaum Grenzen, was man unter anderem an der Tatsache erkennen kann, dass Tägtgren zum Beispiel drei Popsongs für das letzte Soloalbum der Norwegerin Liv Kristine beigesteuert hat.

 

Liebhaber angenehmer Düfte

 

Auch jenseits seines Tonstudios probiert der Pain-Chef übrigens gern außergewöhnliche Dinge aus. So hatte er für die Touraktivitäten zu seiner letzten Veröffentlichung eine Live-Band um sich geschart, die abgesehen von Schlagzeuger David Wallin nur aus zwei weiblichen Saitenhexerinnen bestand. Leider hatte diese ungewöhnliche Besetzung auch einige Schwachstellen, selbst wenn Peter stets von einer „sehr angenehmen Erfahrung“ spricht. So offenbarte die damalige Zusammenstellung einige logistische Problem, da die Musikerinnen an Tägtgrens Seite aus Deutschland stammten, während der Mainman himself bekanntlich in der Nähe von Stockholm residiert. Abgesehen davon offenbarte sich in Sachen Tourplanung auch ein negativer Punkt des ehemaligen Labels unseres Gesprächspartners: „Ich hatte eigentlich überhaupt keine große Lust das letzte Album zu betouren, da ich vom damaligen Label keinerlei Unterstützung dabei erhielt“. Mittlerweile sieht die Sache schon wieder rosiger aus, auch wenn sich die Begleitung Tägtgrens abermals neu zusammensetzt. „Jetzt kommen endlich alle aus Stockholm und der Umgebung, was es sehr einfach macht. Ich habe etwa Andre Skaug von Clawfinger dabei, der den Bass zupfen wird und auch sonst ein echt netter Kerl ist. Ein alter Bekannter und guter Freund ist mir erhalten geblieben, denn David wird wieder als Drummer mit dabei sein. Da wird definitiv einiges gehen auf der Bühne, denn ich habe einen wirklich verrückten Haufen beisammen“, gewährt der Spitzbartträger einen Einblick in seinen Kader. Die Vorzüge seiner zurückliegenden Besatzung weiß der Sänger und Gitarrist rückblickend aber dennoch weiterhin zu schätzen: „Die Mädels konnten genauso gut feiern wie die Jungs. Und auch sonst war es immer sehr angenehm und entspannt. Und außerdem roch der Bus sehr viel besser als gewöhnlich“, fördert Peter lachend einen weiteren Vorteil zu Tage.

 

Vernachlässigter Künstler

 

Nach der Veröffentlichung seines vierten Albums „Dancing with the Dead“, das bei einem Major Label erschien, hatte der weltoffene Peter schnell wieder die Nase voll von den Riesen der Unterhaltungsbranche. Zwar genoss das Multitalent eine hohe Priorität in seiner Heimat Schweden sowie den anderen skandinavischen Ländern, aber vor allem in Mitteleuropa musste er sich mit Pain regelmäßig weit hinten anstellen. Das war natürlich alles andere als im Interesse Tägtgrens und so machte er unfreiwillig eine harte Zeit mit allerlei Widrigkeiten durch, die er in dem Stück „Nailed to the Ground“ verarbeitet hat. „Es ist schwer voran zu kommen, wenn man keine Unterstützung bekommt. Ich musste um vieles kämpfen, hatte hier und da aber leider die Hände gebunden“, deutet Tägtgren den schweren Stand seiner Industrial Metal Band zwischen Popsternchen und Mainstreamacts an. „Außerhalb von Skandinavien hatte Universal einfach andere Bands wie etwa Eminem, U2 und Bon Jovi, um die sie sich mit Hochdruck kümmern mussten. Da wollte natürlich niemand eine Minute an diesen zotteligen Schweden und seine Band vergeuden“, beweist der Maestro auch ein feines Händchen für sarkastischen Humor. Wenig später bringt er es dann kurz und bündig auf den Punkt: „Ich bin lieber eine Größe auf einem Indi-Label, als ein Nichts auf einem Major“.

 

Wählerischer Eigenbrötler

 

Wer Tägtgren kennt, der weiß, dass der Mann genau weiß was er will und wie seine Bands zu klingen haben. Da versteht es sich eigentlich von selbst, dass ein derart erfahrener Mann die Produktion seiner Platten natürlich in die eigenen kompetenten Hände legt. Und dennoch wäre der Mann einer Kooperation mit einem Produzenten von außen nicht grundsätzlich abgeneigt – Einstellung und Fähigkeiten vorausgesetzt. „Bisher habe ich noch nichts gehört was mich so beeindruckt hat, dass ich das Gefühl hatte es würde für Pain Sinn machen. Aber ich bin für alles offen, vielleicht passiert das eines Tages“, gibt sich Tägtgren wählerisch. Eine generelle Richtung schwebt ihm diesbezüglich auch schon vor: „Vielleicht ein Produzent, der normalerweise überhaupt nicht aus dem Metal kommt. Denn den Metal kann ich selbst in den Topf werfen, er soll lieber eine neue, andere Zutat beifügen“.

 

Gefragter Gastgeber

 

Angesichts der beachtlichen Referenzen der schwedischen Koryphäe ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Mann ausnahmslos alle namhaften Gastmusiker, die er sich für „Psalms of Extinction“ gewünscht hatte, zum Schluss auch bekommen hat. Motorhead-Drummer Mikkey Dee ist etwa auf „Zombie Slam“ zu hören. Tägtgren dazu: „Als ich an ‚Zombie Slam’ arbeitete, vermisste ich diesen gewissen Swing, den ich unbedingt in diesem Stück haben wollte. Mikkey hatte vor längerem mal gesagt, wie gern er auf einem Pain Album spielen würde und da hab ich ihn einfach angerufen und er kam für die Aufnahmen nach Schweden. Mit seinem groovigen Spiel, das mehr in Richtung Rock N Roll geht, funktioniert der Song gleich um ein vielfaches besser. Genau so wollte ich es haben und es hat einfach nur perfekt gepasst“. Des Weiteren ist unter anderem auch Alexi Laiho von Children of Bodom zu hören, der ein Solo beigesteuert hat und den Tägtgren als „einen wirklich Guitar Hero“ lobpreist. „Ein plumpes Album voller Gaststars wollte ich natürlich auf keinen Fall machen. Das wäre auch gar nicht das Ding von Pain. Die Jungs auf der Platte sind ausschließlich langjährige Freunde von mir, das macht die Sache natürlich um einiges einfacher“, gibt Peter mit einem schmunzelnden Lachen zu Protokoll. Sicher auch in der Gewissheit, dass ihm mit „Psalms of Extinction“ das vielleicht stärkste, garantiert aber vielfältigste Album seines bisherigen Schaffens mit Pain geglückt ist. Und das ist bei einer solchen Band gleich ein doppeltes Kompliment.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

Link: www.pain.cd