Interview mit Nathan Leone von MADINA LAKE

 

 

 

Nathan, bevor wir über das neue Album sprechen erst einmal zu einem noch wichtigeren Thema: Wie geht es deinem Bruder Matthew im Moment? Vor einem Jahr war nicht mal klar, ob er überhaupt jemals wieder ein normales Leben führen oder gar Bass spielen können würde (der Musiker hatte einer Frau geholfen, die von ihrem Freund auf offener Straße geschlagen wurde, machte sich damit selbst zur Zielscheibe und wurde auf die Intensivstation geprügelt – MR). Wie ist der Stand der Dinge nach dieser harten Zeit für alle Beteiligten?

 

Vielen Dank für die Nachfrage, es geht ihm schon viel besser, obwohl seine Genesung einer kleinen Achterbahnfahrt gleich kommt. Er hatte unter anderem ein Schädel- Hirntrauma erlitten, dessen Heilungsprozess mindestens vier Jahre dauern wird. Matthew hat den unbändigen Willen wieder ein normales Leben zu führen, so wie früher, allerdings hat er im Moment immer mal wieder Erschöpfungsphasen und braucht dann eine Pause. Außerdem hat er immer noch große Schmerzen in den betreffenden Körperregionen, die in Mitleidenschaft gezogen wurden. Letztlich ist es so, dass er einige Einschnitte und Änderungen in Kauf nehmen und damit umzugehen lernen muss. Aber er wird garantiert nicht zulassen, dass ihm das in irgendeiner Form im Wege steht. Lediglich wird er sich physisch auf die Strapazen einer Tour einstellen müssen, was sich durch Sport und regelmäßiges Training aber bewerkstelligen lässt.

 

Wart ihr euch eigentlich sicher, dass ihr nach diesen dramatischen Vorfällen noch mal ein Album als Madina Lake veröffentlichen werdet? Oder stand gar im Raum die Band aufzulösen oder umzubenennen, falls Matthew im schlimmsten Fall nicht wieder hätte Teil der Band werden können?

 

Die Frage kann ich dir unmöglich beantworten, da sie für uns gar nicht erst im Raum stand. Genau genommen habe ich mich nicht mal überhaupt mit dem Gedanken befasst, dass mein Bruder vielleicht starke permanente Schäden davontragen würde oder noch schlimmer das Ganze gar nicht überleben würde. Ich habe ihn schon die unmöglichsten Dinge durchstehen und bewältigen sehen… (macht eine kurze Denkpause). Ich kann wirklich nur sagen, dass ich seine Ausdauer und seine Kraft zutiefst bewundere.

 

Wegen des oft gescholtenen, miesen Gesundheitssystem in den USA und der damit verbundenen Tatsache, dass Matthew keine gesetzliche Krankenversicherung hat, habt ihr anderen damit begonnen, auf verschiedene Art und Weise Geld für die Behandlung und den Krankenhausaufenthalt eures Freundes und Bruders aufzutreiben. Beispielsweise über die Plattform „Pledge Music“ wo ihr den Fans und auch allen Anderen die Gelegenheit eröffnet habt zu spenden oder für bestimmte Beträge die unterschiedlichsten Dinge zu erwerben, vom klassischen Merchandise bis hin zu Meet & Greets und sogar Wohnzimmerkonzerten. Darüber hinaus habt ihr sogar noch ein überwältigendes Echo von einer Vielzahl an Künstlern erhalten, die euch mit großen und kleinen Gesten unterstützt haben. Manche haben zu euren Gunsten Raritäten bei eBay versteigert, andere wie die Smashing Pumpkins spielten sogar Benefizkonzerte (und erwirtschafteten damit allein dem Vernehmen nach einen fünfstelligen Betrag – MR). Hat das alles denn am Ende gereicht, um alle bisherigen Rechnungen zu begleichen?

 

Ich kann unsere tiefe Dankbarkeit offen gesagt nicht mal in Worte fassen. Die Hilfe und Unterstützung, die wir von überall auf der Welt empfangen haben, macht mich sprachlos. Es hat sich regelrecht die gesamte Musik Community um uns versammelt, was ohne Zweifel für deren Integrität, Loyalität und ehrliches Mitgefühl spricht. Das erfüllt mich echt mit Stolz und allen anderen sollte es genauso gehen, egal ob als einfacher Fan, Musiker oder Mitarbeiter der Musikindustrie.

Gegenwärtig trudeln ganz langsam die ersten Rechnungen ein, sodass wir gerade erst damit beginnen konnten erste Zahlungen zu tätigen. Die Bürokratie rund um unser Gesundheitssystem ist groß und macht das Ganze zu einer noch zäheren Angelegenheit. Darum wissen wir bisher auch noch überhaupt nicht wie teuer alles am Ende wird, aber dank Organisationen wie „Sweet Relief“ sind wir guter Dinge, dass wir letztlich dazu in der Lage sein werden, für alle Kosten aufzukommen.

 

Wenn du diese Hilfsaktion als großes Ganzes betrachtest: Was hat dich insgesamt am meisten beeindruckt oder was war für dich der speziellste Moment? Vielleicht die Tatsache, dass wirklich große Bands wie Green Day und die Smashing Pumpkins einer verhältnismäßig kleinen Band wie Madina Lake ohne gefragt zu werden geholfen haben?

 

Ich kann es nur noch mal ganz deutlich sagen, auch wenn es vielleicht komisch klingt: Die Musikindustrie hat uns gerettet. Sie und mit ihr alle, die dazu gehören. Kevin Lyman und seine „Warped Tour“ haben mehrere Plattformen ins Leben gerufen, Billy Corgan und die Smashing Pumpkins haben ein Konzert gegeben und die kompletten Einnahmen gespendet. Von Gene Simmons, über Madonna bis hin zu jedem Einzelnen da draußen, der sonst noch in Gedanken bei uns war: Sie alle sind gleichermaßen großartig und allen gebührt unser aufrichtiger Dank. Wir haben wirklich versucht diese ganzen tollen Aktionen - so weit möglich - von Madina Lake als Band fern zu halten, weil es einzig um die Gesundheit unseres Freundes geht und nicht darum unsere Band auf diese Art und Weise zu promoten oder in die Schlagzeilen zu bringen. Allerdings ist auf diesem Wege auch eine Freundschaft zu Billy Corgan entstanden, der mit uns sogar einen Song für „World War III“ geschrieben hat und zwar „Imagineer“. Das war ohne Zweifel eine surreale Situation für uns.

 

Nachdem ihr die „The Dresden Codex“ EP veröffentlicht hattet, seid ihr mit einem Aushilfsbassisten auf eine UK-Tour gegangen. Hat sich das nicht seltsam angefühlt? Nicht nur für euch, die ihr ohne Matthew unterwegs wart, sondern auch für ihn, der sozusagen zusehen musste, während seine Kollegen ohne ihn durch die Clubs rocken.

 

Eigentlich war es unmöglich, haha. Er bestand aber mit Nachdruck darauf, dass wir diese Tour auch ohne ihn durchziehen. Ich musste ihn während einer schweren Zeit und mitten in seiner noch angespannten Genesungsphase allein lassen, woran ich ehrlich gesagt heute noch zu knabbern habe. Andererseits waren die Fans bei den Shows so freundlich und mitfühlend, dass ich im Endeffekt irgendwie doch froh bin, dass wir es durchgezogen haben.

 

Ein paar Songs von besagter EP sind jetzt auch auf „World War III“ gelandet wie etwa „Dear Superstar“, andere sind nur auf der EP erschienen. Hat das Material im Vergleich nicht die nötige Qualität für den Longplayer gehabt oder ging es euch vor allem darum den Käufern eine gewisse Exklusivität zuzugestehen?

 

Wir waren bereits mitten im Songwriting für „WWIII“, als wir uns dazu entschieden diese EP zu machen. Bei der Auswahl haben wir einfach die Songs genommen, die unserer Meinung nach am besten funktioniert haben. Im Grunde ist die EP als Vorspiel zum eigentlichen Album gedacht, angereichert mit ein paar Bonustracks. Natürlich wollten wir auch etwas Besonderes machen für den harten Kern unserer Fans, weshalb es auch insgesamt nur 2.000 Exemplare gibt.

 

Mir kommt es ein bisschen so vor als wärt ihr für dieses Album noch offener für neue kreative Einflüsse gewesen als ohnehin schon. Kann das sein? Von Rock, über Metal bis Pop, Electro und sogar Rap („Take me or leave me“ – MR) ist wirklich alles vertreten.

 

Ja, wir haben unseren Gedanken und Ideen einfach freien Lauf gelassen. Das war schon eine bemerkenswerte Phase unseres Lebens, denn wir haben keinerlei Einschränkungen zugelassen. Wir haben uns wenn du so willst einfach treiben lassen und nicht auf irgendwelche Eckpunkte fixiert. Das Wichtigste für uns ist aber, dass wir, obwohl schon ein großer Druck auf uns lastete, ein Album abgeliefert haben auf das wir so stolz sein können wie nie zuvor.

 

Hattet ihr dabei nicht trotzdem Angst zu sehr von eurem Kurs abzuweichen? Neue Einflüsse sind ja schön und gut, aber die Liste von Bands, die sich dabei verzettelt und gleichzeitig ihre Fans verprellt haben, ist lang.

 

Ein gewisses Risiko geht man da natürlich immer ein, aber solche Gedanken dürfen keine Rolle spielen. Bei Madina Lake gab es nie ein geplantes Ziel und keinen geheimen Masterplan, sondern wir bewegen uns einfach dahin, wo uns das Leben hintreibt. Sich immer nur auf sein „Kerngeschäft“ zu konzentrieren und nur der Sicherheit wegen zu agieren, ist meiner Meinung nach ein Schritt in Richtung Scheitern, denn du wirst zwangsläufig zu einem unaufrichtigen Ergebnis kommen. Und bei Musik kannst du niemanden zum Narren halten.

 

Euch ist das Kunststück gelungen, trotz aller Einflüsse zu einem stimmigen und harmonischen Ergebnis zu kommen, denn „World War III“ klingt durchaus geschlossen. Wie schafft ihr es eure Alben vielseitig, aber zugleich nicht nach einer losen Zusammenstellung von Songs klingen zu lassen?

 

Danke für dein Lob! Ich denke es ist schon kritisch, wenn man jedes Bandmitglied seinen Part immer individuell interpretieren lässt. Aus diesem Grund haben wir auch die Produktion des Albums selbst übernommen, um eben das möglich zu machen. Heutzutage werden so viele Alben verwässert oder von Pro Tools und Autotune versaut, dass es regelrecht die Seele aus der Musik zu saugen scheint. So lange wir mit dem Herzen dabei sind, uns selbst treu bleiben und wir unseren eigenen Weg gehen können, so lange wird es auch Madina Lake geben.

 

Das neue Album hat den bedeutungsschwangeren Titel „World War III“ verpasst bekommen. Wie könnte dieser imaginäre dritte Weltkrieg deiner Meinung nach aussehen, was könnten die Ursachen einer Eskalation sein und wer wäre womöglich beteiligt?

 

Es würde wohl vor allem um den Kampf zwischen Selbstwert und Egoismus gehen. Wenn wir erkennen würden, dass Egoismus wie eine Krankheit für die Menschheit ist und wir uns ihrer entledigen könnten, würden wir vermutlich Glück und Frieden erlangen. Falls nicht, und das ist wahrscheinlicher, werden wir uns erst gegenseitig und dann selbst zerstören.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.madinalake.com