Interview mit LIV KRISTINE

 

 

Liv, dieser Tage erscheint dein viertes Soloalbum „Libertine“ und wieder klingt ein Album, an dem du maßgeblich beteiligt bist, etwas anders als seine Vorgänger.

 

Während eines exklusiven Solokonzertes im Dezember 2011 in Nagold wurde mir klar, dass „Libertine“ ein Album sein wird, das einen "back to the roots"- Touch haben wird. Ich hatte bei diesem Konzert mein erstes Demo zum Album, den rockigen Titeltrack "Libertine", sowie drei Theatre of Tragedy-Klassiker live gespielt. Die Lieder kamen so was von gut an, das Publikum war außer Rand und Band! Also habe ich mich dort in Nagold dafür entschieden, meinen Metal-Wurzeln und der ToT-Vergangenheit etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

  

Stimmt, und wenn wir über den Sound und die Einflüsse von „Libertine“ sprechen, dann wird diesmal überdeutlich, dass du zwar offiziell ein neues Pop-Album gemacht hast, du aber gleichzeitig nicht auf rockige Einflüsse und ein paar saftige Gitarren verzichten wolltest – nachzuhören etwa in „Vanilla Skin Delight“, „Paris Paris“ und dem Titelstück. So ganz kommst du irgendwie nie aus deiner Rocker-Haut, kann das sein, hehe?

 

Hehe! Ich würde mich als Solokünstlerin aber sowieso eher als Indie bezeichnen. Es ist einfach alles erlaubt, solange ich mir selbst und meinem künstlerischen Herz treu bin. Ich bin 1976 geboren, meine Eltern waren damals noch sehr jung und haben Musik geliebt. Ich bin mit Black Sabbath, Ozzy, Iron Maiden, Deep Purple, Rolling Stones, The Beatles, dann aber auch Edvard Grieg, Kate Bush, Blondie und Abba aufgewachsen. Eine bunte Mischung aus unterschiedlichsten Einflüssen und das vom ersten Tag an. So kam es dazu, dass ich schon mein ganzes Leben lang Musik geliebt habe, und mir kommt zu gute, dass ich ein ausgezeichnetes Gehör habe und schon mit sechs Jahren bewusst singen geübt und komponiert habe. Alles natürlich noch ohne Noten oder Gesangsunterricht. Mit 18 hatte ich dann die brillante Idee, eine Doom-Metal Band zu gründen, mit weiblichem Soprangesang. Das war der Ursprung des "The Beauty and the Beast"-Konzeptes und von Theatre of Tragedy. Ich werde immer Metal und Rock lieben, ebenso wie Grieg, Kate Bush und Abba.


Wobei du natürlich auch ganz anders kannst, dazu muss man sich nur mal die Pianoballade „The Man with the Child in his Eyes“ anhören. Welchen persönlichen Bezug hast du zu dem Stück, das im Original ja aus der Feder von Kate Bush stammt?

 

Da ich bis heute noch keinen Gesangsunterricht hatte, und auch nie Musik studiert habe, habe ich sozusagen meinen eigenen Weg gefunden, wie ich meine Stimme in Form halten und besser werden kann. Kate Bushs „Best Of“ hat mich schon während den Aufnahmen von Theatre of Tragedys "Velvet Darkness they fear" begleitet und inspiriert. Ich kann mich zu Kates Stimme sehr gut auf Aufnahmen und Liveshows vorbereiten. "The Man with the Child in his Eyes“ habe ich mir aber ausgesucht, weil meine Freundin Katja mich darauf aufmerksam gemacht hatte... nach einer Party und vier Stunden Kate Bush-Karaoke. Ich ging am nächsten Tag in mein Studio und nahm dieses wunderbare Lied in einem Take auf. So musste es sein, ein kompletter Take, um die Emotionen optimieren und verstärken zu können. Kate - und Tori Amos - sind für mich beide eine große Inspiration.
 

„Paris Paris“ singst du teilweise auf Französisch, teilweise auf Englisch. In der Vergangenheit haben wir dich bei Leaves’ Eyes auch auf Norwegisch und in einigen alten und exotischen Sprachen singen hören. Korrigiere mich gern, wenn ich falsch liege, aber wie kommt es, dass du dich bisher noch nie dazu durchringen konntest einen deutschen Text zu schreiben bzw. zu singen? Dass du das gut hinbekommen würdest, hast du ja bereits vor einigen Jahren bewiesen, als du eine Version von Umbra Et Imagos „Ein letztes Mal“ eingesungen hast.

 

Hehe, vielen Dank. Du hast wirklich recht, bis jetzt habe ich lediglich mal ein Textstück im "Frøya's Theme" (Leaves' Eyes) für Alex auf Mittelhochdeutsch geschrieben. Und das obwohl ich sogar in 2003 mein Germanistikstudium absolviert habe. Vielleicht traue ich mir auf meinem nächsten Album zu, ein Lied komplett auf Deutsch zu singen. Spanisch, Alt-Englisch, Französisch, Norwegisch... habe ich ja auch alles schon ausprobiert. Allerdings: Gestern erst habe ich für meinen guten Freund Alex von Samsas Traum tatsächlich ein Lied komplett auf Deutsch aufgenommen! Es geschehen doch noch Wunder, haha! Das Stück ist super geworden, ich freue mich auf sein nächstes Album. (Anmerkung: "Tanz der Schatten" und "Der Spiegel" von Theatre of Tragedy waren auf (damals noch gebrochenem) Deutsch gesungen! - AD)

 

Beim Cover der neuen Scheibe scheinst du dich an die Ästhetik der 50er Jahre anzulehnen, ähnlich wie in deinem neuen Video zu „Paris Paris“. Der geschwungene Libertine-Schriftzug weckt zudem Assoziationen zum bekannten Coca Cola-Logo und rundet das Bild gewissermaßen ab – deren klassische Werbeplakate und Schilder erfreuen sich schließlich nach wie vor größter Beliebtheit und geben eine tolle Vorlage ab. Spielst du beim Cover bewusst mit diesen klassischen Stilelementen?

 

Das Artwork ist während der Phase des Komponierens nach und nach, Idee für Idee, entstanden. Die Bilder im Booklet sind alle von mir. Ich male einfach gerne abends zu einer Tasse Tee oder einem Glas Rotwein, dazu noch viele Kerzen und Dead Can Dance oder eine meiner Lieblingsscheiben überhaupt - "Ark" von Brendan Perry. Als das Booklet schon fertig war, jedoch das Cover noch fehlte, fuhr ich an einem Samstagmorgen los, um zu schauen, ob ich ein passendes Kleid oder irgendetwas Interessantes für die bevorstehende Fotosession finden würde. Ich fand an diesem Tag alles: Das rote Kleid, die Schuhe, den Regenschirm... perfekt! Es war aber gar nichts geplant davon. Weil das Wetter gut war, habe ich mit Alex (Krull, Livs Ehemann – MR) am gleichen Nachmittag eine Fotosession gemacht, und im Hintergrund siehst du unsere Felder und Weinberge! An diesem Tag hat einfach alles gepasst, alles lief super. Stefan Heilemann hat meine Artwork-Ideen dann klasse umgesetzt. Die 50er Jahre kamen hingegen erst beim Videodreh für "Paris Paris" so richtig zur Geltung. Das Lied hat einfach eine „sweet-and-sexy“-Atmosphäre, und als wir über das Videokonzept mit Patric von Revolver gesprochen haben, hatten wir alle irgendwie die 50er im Kopf. Ich bin Patric so dankbar, denn er hat meine Idee und meine Gedanken souverän umgesetzt. Wir hatten richtig viel Spaß beim Dreh. Und ich muss ehrlich zugeben: Ich liebe diese Petticoat-Kleider und die Schuhe!


Die meisten Rock- und Metalfans reagieren nicht unbedingt zu unrecht ziemlich allergisch auf Castingshows. Du hast dich trotzdem mit einem ehemaligen DSDS-Gewinner zusammengetan, nämlich Tobias Regner. Wie bist du ausgerechnet auf ihn gekommen und gab es Bedenken deinerseits, die Zuhörer könnten ihn eventuell ablehnen? Wobei das Ergebnis dir recht gibt, „Vanilla Skin Delight“ ist nämlich eines der Highlights von „Libertine“ geworden.

 

Ich muss ehrlich zugeben, ich halte selbst nichts von Castingshows, aber die einzige Castingshow, die ich mir angeguckt habe, war die Staffel von DSDS als Tobias gewonnen hat. Seine Stimme fand und finde ich sensationell! Für "Vanilla Skin Delight" meinte mein Mann und Produzent Alex "wir brauchen eine coole, raue, rockige Männerstimme". Wir haben dann den Kontakt durch einen gemeinsamen Freund hergestellt, und 48 Stunden später klopfte Tobias an die Tür des Mastersound Studio. Er ist ein super Kerl, wir haben uns sofort prima verstanden und uns viele, viele Geschichten erzählt. Er war topp vorbereitet und hatte glaube ich auch beim Einsingen sehr viel Spaß! 

 

Soll ich dir verraten was bei uns im Team für die meiste Verwirrung gesorgt hat? Der Aufkleber, der deinem neuen Werk verpasst wurde und der die Musik Fans von Kate Bush, Lana Del Rey und Coldplay ans Herz zu legen versucht. Wir fanden die Vergleiche ehrlich gesagt etwas aus der Luft gegriffen bzw. eher unpassend. Wie sind deine Reaktionen ausgefallen, als du zum ersten mal gesehen hast, was dein Label „Libertine“ für einen Sticker verpasst hat, hehe? Natürlich sind das alles große Namen, aber so richtig gerecht werden die Vergleiche deinem Album nicht, wenn man mal von deinem Kate Bush-Coversong absieht.

 

Plattenfirmen lieben eben Sticker. Ich bin Indie, fertig aus. Etwas Gutes hat der Sticker aber, und zwar sind meine drei Vorgänger-Soloalben fast immer im Metal-Regal gelandet. Das geht gar nicht! "Libertine" hingegen entdecke ich bei meinen Besuchen in Plattenläden fast immer im Pop-Rock-Fach - endlich. Aber Kate, Coldplay und Lana sind alles großartige Künstler, von denen ich mir schon alles gekauft habe.

 

Zu guter letzt noch die obligatorische Frage nach möglichen Live-Shows von dir als Solokünstlerin. Vor einigen Monaten hast du in der Nähe deiner Heimatstadt eine einzelne Show gespielt und dabei neben Solosongs auch unter anderem Material von Theater of Tragedy zum Besten gegeben. Abgesehen davon hat man dich aber schon länger nicht mehr als Liv Kristine live gesehen. Zu „Enter my Religion“ hast du ein paar Festivals gespielt, die im Anschluss geplante Tour musste glaube ich aus privaten Gründen abgesagt werden und seitdem hast du dich sehr rar gemacht. Wann können wir dich also wieder als Solokünstlerin live bewundern?

 

Das „Nagold“-Konzert hast Du schon angesprochen - auch dieses Jahr gibt es am 22. Dezember wieder ein Solokonzert dort. Ich freue mich riesig, dort wieder zu spielen. Wir sind derzeit auch noch am planen für weitere Shows. Gerade sind wir aber erst von einer gigantischen, vierwöchigen Europatour mit Leaves' Eyes und Firewind zurückgekehrt und müssen uns jetzt natürlich erst einmal wieder sammeln und orientieren. Ich will unbedingt eine kleine, feine Solo-Tour spielen, in ein paar deutschen Städten (abgesehen vom wunderbaren Nagold), Madrid, Barcelona, London, Manchester, Paris, Lyon, dazu noch ein paar holländische Shows – das wäre meine Ideal- und Wunschvorstellung. Ich habe es dem Universum hiermit schon einmal gesagt, hehe. Und Festivals, die spiele ich immer gerne!

 

Apropos Theatre of Tragedy: Deine einstigen Kollegen haben ja vor nicht ganz zwei Jahren ihre Bandaktivitäten eingestellt und sich offiziell aufgelöst. Hast du ihren Werdegang nach deinem Abschied eigentlich noch verfolgt? Kam die Entscheidung für dich überraschend, und wie geht es dir damit, dass sie Schluss gemacht haben? Ich schätze mal, zum finalen Konzert hat dich niemand mehr eingeladen, obwohl du großen Anteil an der Geschichte von Theatre of Tragedy hattest? Eigentlich ist das ein Jammer, denn ich bin mir hundertprozentig sicher, dass nicht wenige Fans sich gewünscht hätten, euch noch einmal gemeinsam auf der Bühne erleben zu dürfen.

 

Abgeschlossen habe ich mit dem plötzlichen Rauswurf in 2003... zumindest fast. Ich muss ehrlich sagen: Wie konnten meine Ex-Bandkollegen damals so etwas Dummes tun? Die Antwort habe ich noch nicht offiziell bekommen. Nell (Sigland, Livs Nachfolgerin – MR) ist eine tolle Sängerin und eine liebe Frau, wir haben uns bei einem Leaves' Eyes Konzert in Oslo kennen gelernt, auf das ich sie eingeladen hatte. Aber es gab schon fünf Alben mit mir vor Nells Einstieg in die Band, das vergessen unsere Fans niemals. Raymond, der Sänger, ist der Einzige, der mit mir nach dem Rauswurf noch darüber sprechen wollte - wir sind bis heute immer noch im Kontakt. Er hat mich tatsächlich vor ein paar Jahren gefragt, ob ich beim letzten Gig in meiner Heimatstadt Stavanger mitsingen wolle. Ich war aber zu der Zeit leider selbst auf Tour. Theatre of Tragedy war und ist mir wichtig, denn zu der Künstlerin, die ich heute bin, hat mich zu großen Teilen meine enorme Erfahrung gemacht, die ich über die ganzen Jahre live und im Studio sammeln konnte. Theatre of Tragedy spielen dabei eine grundlegende Rolle. 

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.livkristine.de