Interview mit LIV KRISTINE

 

 

 

Liv, ich will gleich mal mit der Tür ins Haus fallen: Zu deinem letzten Album "Enter My Religion" war damals eine Tour geplant, die allerdings aus privaten Gründen ausfallen musste wie es hieß. Hast du vor, das nun mit "Skintight" nachzuholen? Oder soll deine Solokarriere ein Studioprojekt bleiben, abgesehen von ein paar Festivalshows vielleicht wie zum letzten Longplayer?


Ich möchte UNBEDINGT eine Solotour spielen, und zwar in kleineren Lokalen mit einer besonderen Atmosphäre, vielleicht sogar bestuhlt. Einige Angebote liegen schon vor, gerade aus Holland, aber ich bin noch am planen und Angebote einholen. Die Tour wird erst komplett zusammengestellt nach meiner Tour mit Leaves' Eyes, die am Dienstag losgeht und 5 Wochen lang dauert.

Wie viel Zeit bleibt dir zwischen den Veröffentlichungen überhaupt gegenwärtig für derlei Planungen? Wie man hört habt ihr bereits schon wieder damit begonnen, das nächste Album von Leaves' Eyes aufzunehmen. Eine längere US Tour steht ebenfalls unmittelbar bevor wie du gerade schon angemerkt hast.


Ja, wir sind sozusagen immer unterwegs, sei es an den Wochenenden oder für mehrere Wochen auf Tour. Dazwischen wird komponiert, aufgenommen, Pressearbeit geleistet, Texte geschrieben, Konzepte entwickelt und weitere Shows geplant. Wir sind Vollzeitmusiker, haben ein eigenes Tonstudio (Mastersoundstudio) und machen mittlerweile fast alles selbst. Es ist stressig, ohne Frage, aber jeder Beruf ist von Zeit zu Zeit anstrengend. Allerdings schätze ich mich glücklich, denn ich habe mir diesen Beruf aussuchen dürfen, ich habe viel von der Welt gesehen, ganz tolle Bandmitglieder ("Mitarbeiter") und kann wunderbar Familie und Beruf miteinander verbinden, damit meine Familie nicht zu kurz kommt. Es gibt auch bei mir einen ganz klaren Plan: Wenn meine Familie mich "nicht braucht", arbeite ich wie verrückt, und am liebsten ohne Pausen, aber wenn meine Liebsten da sind, dann ist Freizeit angesagt, und das Handy bleibt garantiert aus.

 

Du bist ja auch am Songwriting bei Leaves' Eyes immer maßgeblich beteiligt. In wie fern unterscheidet sich deine Vorgehensweise dort mit der Art und Weise wie du einen Song für deine Solo-Karriere komponierst?
 

Das Leaves' Eyes Konzept ist vielseitiger, umfangreicher, und hat andere externe Hintergründe (wie z.B. Geschichte oder Märchen) als ausschließlich mein eigenes Leben. Die Produktion hat viele, viele Schichten, wie z.B. das Orchester, mehrere Gitarren oder Chöre, und gesungen wird ja in bis zu acht Sprachen, mit Männer- und Frauengesang. Mein Soloprojekt ist deutlich "abgespeckter" und basiert ausschließlich auf eigenen Erfahrungen, z.B. aus meiner Kindheit, oder der Zeit als junge Frau. Die Songs für „Skintight“ sind durch Ideenaustausch im Mastersoundstudio zwischen Thorsten Bauer (Gitarrist und s2m-Kolumnist – MR) und mir entstanden. Ganz ohne Druck und Stress. Produziert hat das Album mein Ehegatte Alexander Krull. Es ist einfach ein super Gefühl, das Ruder selbst in der Hand zu haben.

Auf deinem letzten Album hast du dir in Sachen Songwriting hier und da unter die Arme greifen lassen, so hat etwa Peter Tägtgren, eigentlich für Death und Industrial Metal bekannt, ein paar Stücke beigesteuert. Hast du diesmal wieder mit Hilfe von außen gearbeitet oder dich nur auf dich selbst und deinen langjährigen Weggefährten Tosso verlassen?
 

Bei "Skintight" wollte ich bewusst so viel wie möglich selbst machen. Tosso ist mein Lieblingssongwriter und Saitenspieler und er kann meine Ideen sehr gut verstehen. Alexander ist der beste Produzent, den ich kenne, und ich war schon in vielen Studios. Er ist gleichzeitig auch mein schärfster Kritiker und unterstützende Kraft, wenn ich ihn brauche. Ich sehe generell jedes Album für sich. Ich bin eh keine Künstlerin, die mit dem Hauptstrom mitläuft. Ich war noch Teenager, als Theatre of Tragedy damals gegründet wurde, und bekam anfangs von vielen Kritikern das Messer zu spüren. Hat mich aber nicht interessiert. Mir ist es wichtig, mir selbst treu zu bleiben, und nicht dem, was überall zu sehen oder zu hören ist. Ganz allergisch reagiere ich darauf, wenn irgendwas von mir verlangt wird oder zum "muss" wird, gerade wenn es um's Geld geht. Ich entwickle mich jeden Tag, mit jedem Konzert, Song und mit jedem Album weiter, aber mit eigenen Zielen. Kritik kann ich gut einstecken, denn ich weiß, dass meine Kunst ehrlich und echt ist. Und Lob geht natürlich direkt ins Herz!

Der Albumtitel suggeriert, dass du den Zuhörer mit "Skintight" hautnah an dich heran lässt. Ist die neue Scheibe in deinen Augen somit noch einmal ein Stückchen persönlicher und offener als "Enter my Religion"?
 

Ja, "Skintight" ist mein persönlichstes und sogar wichtigstes Album. Außerdem wollte ich wie gesagt von Anfang an so viel wie möglich selbst machen. Ich habe bewusst darauf geachtet, die Kompositionen so "abgespeckt" wie möglich zu lassen, und die Gesänge in einem "One-take-Verfahren" aufzunehmen, damit der Gesang emotionaler, echter und lebendiger wirkt. Das Album ist roher, elementarer, erdiger aber auch lebhafter und emotionaler als andere Produktionen, an denen ich mitgewirkt habe.

Im Gegensatz zu deiner Hauptband, die sich textlich mit der Geschichte deiner Heimat Norwegen auseinandersetzt, hast du als Solokünstlerin ziemlich freie Hand was deine Texte betrifft. Genießt du diese Freiheit besonders, also nicht nur, dass du musikalisch andere Wege beschreiten, sondern auch mit den Texten andere Themen verarbeiten kannst?
 

Du hast Recht. "Skintight" ist wie ein Spiegel, der mir entgegengehalten wird. In diesem Album steckt meine Kindheit, meine Jugend, und die Erfahrungen aus dem Leben einer erwachsenen Frau, Mutter und Künstlerin. "Wonders" ist z.B. meinen Eltern gewidmet. Ich habe die besten Eltern auf der ganzen Welt, sie haben mir die Welt gezeigt, die Wunder der Natur bis zu den wundervollen, kleinen Glückserlebnissen, die wir manchmal im Alltag mitnehmen können. "The Rarest Flower" kritisiert das schnelle und gefährliche Leben der Jugend, das den Teenagern sogar durch Werbung und die Medien noch schmackhaft gemacht wird. "Love in Grey" und "Twofold" sind "erwachsene" Lieder, die Erfahrungen aus dem jetzigen Leben mit sich bringen. Manchmal musste ich beim Einsingen über mich selbst schmunzeln; manchmal kämpfte ich sogar mit der einen oder anderen Träne. Außerdem bin ich dieses mal 100% zufrieden mit dem Cover und dem Booklet, dank Stefan Heilemann, der das Booklet gestaltet hat und mich im letzten Herbst fotografiert hat, und meine Freundin Katja, die meine Texte durch ihre Bilder visuell umgesetzt hat. Das macht mich unheimlich stolz, und gerührt.

 

Es ist bekannt, dass du durchaus ein Fan elektronisch angehauchter Pop-Songs der 80er bist. Ist "Boy at the Window" dein persönliches Tribut an diese goldene Epoche der Popmusik?
 

Ja, ich liebe Madonna immer noch! Trotzdem, die 80er waren Mode-und Kunstmäßig betrachtet sehr "schrill" und es war meiner Meinung nach der Anfang des "schnelllebigen Leben". Die Großfamilie löste sich auf dieser globalen Hälfte langsam auf und Zeit wurde mit Geld gleich gesetzt. So rennen wir der Zeit hinterher und das Geld entscheidet über dein eigenes Leben. "Boy at the Window" steht textlich gesehen im Kontrast zu "Wonders" und beschreibt das Kind, dass allein gelassen wird, mitten in der grauen, schnelllebigen Großstadt, weil keiner Zeit hat. Das Album habe ich den Kindern dieser Welt gewidmet; sie sind unsere Zukunft und können uns Erwachsenen eine bessere, ehrlichere und liebevollere Welt zeigen!
 

Bei der ersten Auskopplung "Skintight" ist auffällig, dass dein Gesang sehr natürlich und direkt klingt, es scheint ein bisschen so als müsstest du nicht wie bei Leaves' Eyes ein Stück weit gegen eine breite Soundwand ansingen. Würdest du diese Einschätzung teilen?
 

Wir haben die ganze Aufnahmetechnik in einer kleineren, aber dafür gemütlicheren Räumlichkeit neu aufgebaut. Ich wollte beim Einsingen einfach die Weinberge und die Wiesen sehen, und - ganz wichtig - mit Thorsten und Alexander direkt während den Aufnahmen kommunizieren. Ich habe mir eine kleine Schutzwand gekauft, damit "meine Geräusche" bei mir bleiben, und alles andere nicht auf den Aufnahmen zu hören ist. Ich habe es sehr genossen, die Songs in einem "One-Take"-Aufnahmeverfahren aufzunehmen, denn so kann ich die emotionale Dynamik zwischen z.B. Strophe und Chorus natürlicher aufbauen. Nebengeräusche von mir sind alle drauf, sogar ein paar interessante halb-blaue Töne, die einfach ein emotionales i-Tüpfelchen setzen.

Zu eben diesem Stück hast du auch ein Video gedreht. Hast du mitgezählt, wie oft du dich für diesen am Ende knapp dreieinhalb Minuten langen Clip umziehen musstest, hehe?
 

Oha! 7 mal! Und geschminkt worden bin ich 5-mal in 1,5 Tagen. Aber das war es wert!
 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.livkristine.com