Interview mit Liv Kristine von LEAVES' EYES

 

 

 

Euer letztes Album "Meredead" stellte einen ziemlichen Sprung dar und hob sich deutlich hörbar von euren vorherigen Alben ab. Da wäre einerseits die ausgeprägte Folk-Schlagseite, andererseits unter anderem die Tatsache, dass ihr auf Grunts vollständig verzichtet habt. "Symphonies of the Night" kombiniert jetzt beide Seiten: Den Folk von "Meredead" und die metallische Seite eurer ersten drei Alben. Muss man manchmal einen Schritt zurück machen, um zwei vorwärts zu kommen?

 

Kann man so sehen, aber die Erfahrung kam erst nach und nach. Ich möchte am Anfang einer Produktion nie irgendwelche Limits oder Trendströmungen in Betracht ziehen. Nachdem wir etwa 15 Lieder als Demo aufgenommen hatten, wussten wir, dass dieses Album an Härte und Bombast gewinnen würde. Zudem hat Alex diesmal wieder mehr Passagen im Gesangsanteil übernommen, nachdem wir zuletzt auf dem Vorgängeralbum "Meredead" einige Gäste hatten. Dieser Prozess ist ganz natürlich in Gang gekommen, denn wir wollten einfach richtig losrocken! Und zweitens hat das Album unheimlich schöne Melodien und einige interessante instrumentale Klänge (Dulcimer, Uillian Pipe, Whistles und Fiddle), die einen Kontrast zu dem harten Sound bilden. Es gibt viele überraschende Momente auf "Symphonies of the Night" für die Fans, sowohl zum Rocken als auch zum Träumen. 
 

Wenn man es sehr kritisch sieht, könnte man behaupten ihr wärt mit dem neuen Album gewissermaßen etwas zurückgerudert, weil der stilistische Sprung unter Umständen doch etwas zu groß war für eure Fans. Eine andere Sichtweise ist die, dass "Symphonies of the Night" eine ziemlich gute Zusammenfassung eures bisherigen Schaffens ist. Welche Perspektive vertrittst du?


Im klanglichen Gesamtbild stehen neben den harten Gitarren und fetten Drums natürlich immer noch traditionelle Einflüsse z.B. aus meinem Heimatland Norwegen, die sich mit den symphonischen Elemente ergänzen. "Symphonies of the Night" ist daraus gewachsen, dass wir nordische und irische Töne in die gesamte Musik haben einfließen lassen. Zudem haben wir quasi alle Stärken aus unserer zehnjährigen Bandgeschichte auf diesem Album vereinigt. Vor allem die Power und den Bombast von "Njord" und die Epik von "Vinland Saga". Ich fühle mich mit diesem Album einfach verdammt wohl, wenn ich das so sagen darf.

 

Wieder einmal hast du dich für die Texte von Weltgeschichte und Mythen inspirieren lassen. Was hat es beispielsweise mit der "Maid of Lorraine" auf sich, die in einem der neuen Stücke besungen wird? Zum Ende hin scheinst du aus einer Art Tagebuch zu zitieren.
 

Maid of Lorraine ist Jeanne d'Arc gewidmet, eine wahre Heldin, die ich unheimlich inspirierend finde. Zu ihrer Geschichte gehören natürlich Naturinstrumente, um dem Lied die richtige Würze und Originalität zu geben. Eine Fiddle leitet die wunderschöne Hauptmelodie des Songs ein, die sich als Chorus im Lied entfaltet. Jeanne d'Arc war nur neunzehn Jahre alt als sie am 30. Mai 1431 verbrannt wurde. Wir haben "Maid of Lorraine" schon einige Male live gespielt, und es ist ein definitives Highlight für das Publikum in unserer Setliste.
 

Ein anderes Stück trägt den Namen "Saint Cecelia", eine sehr cineastische, stimmungsvolle Ballade. Handelt es sich bei der Titelgeberin um die katholische Heilige Cäcilia von Rom, die - was wir bei Wikipedia lernen - die Patronin der Kirchenmusik ist und deren Attribute Orgel, Geige, Schwert und Rose sind? Welcher Aspekt der Überlieferungen über sie hat dich so gepackt, dass sie dir einen Songtext wert war?

 

Dieser Song erinnert sofort an einen opulenten Filmsoundtrack. Den würde ich gerne mal in einem Opernhaus mit unserem Orchester aufführen! Tosso hatte dieses wunderbare Stück Musik schon einige Monate vor Produktionsbeginn als Layout aufgenommen. Es wurde trotzdem als letztes Lied von mir eingesungen, nachdem wir es mit Orchester noch einmal neu eingespielt hatten. Es ist wahrlich eine klassische Perle - vielschichtig, spielerisch und wie ich finde sehr interessant. Den Sound finde ich opulent und zugleich traurig schön, von daher fiel mir die Legende "Cecelia" ein. Cäcilia von Rom (* um 200 n. Chr. in Rom; † um 230 eben da) ist eine christliche Heilige, Jungfrau und Märtyrerin der frühen Kirche, wie du auch schon richtig erwähnt hast. Als der Henker daraufhin versuchte, sie zu enthaupten, gelang es ihm nicht, der Heiligen den Kopf abzutrennen. Sie lebte noch drei Tage lang und verteilte ihre Reichtümer unter den Armen. 

 

Generell fällt auf, dass diejenigen Songs, die sich auf den ersten Blick konkret auf geschichtliche Figuren beziehen - so auch Galswintha, Elenore de Provence und Ophelia, die Geliebte Hamlets -, immer einer weiblichen Person gewidmet sind. Zufall oder Konzept?

 

Jedes Album hat sein eigenes Konzept, sprich, jede Produktion hat eine starke und einzigartige Aussagekraft und Atmosphäre. Songtexte entstehen erst nachdem ich die Musik gehört habe, die mich dazu inspiriert, über gewisse Themen zu schreiben. Es kommt also auf den musikalischen Eindruck an, den das Lied auf mich macht. Oft reichen nur ein paar Töne und ich weiß sofort wohin die Reise gehen soll. Ich schreibe generell unheimlich gerne. Der Albumtitel passt sehr gut als Zusammenfassung der Songtexte und des klanglichen Erscheinungsbildes. Der Titel "Symphonies of the Night" ist sozusagen die Verbindung zwischen unserer Musik und den textlichen Mythen des neuen Albums. Schon in der Vorproduktion wurde uns klar, dass die Klassik in dieser Produktion eine sehr starke Rolle spielen würde. "Saint Cecilia" war dabei das erste Stück, das aufgenommen wurde. Persönlich erinnert mich dieses Lied an den Ballettunterricht in meiner Kindheit. Mein Lieblingsstück zum Vortanzen war Tschaikowskys Symphonie "Schwanensee", so bin ich auch auf den Albumtitel gekommen. Auf Theatre of Tragedys Album "Aegis" hatte Raymond ein Konzept von "bösen Frauencharakteren" ausgearbeitet, und ich finde das Album immer noch spitze! Auf "Symphonies of the Night" sind meine Protagonistinnen jedoch eher die Guten, sprich die Helden, hehe.

 

Nicht zum ersten Mal tauchen bei euch irische Folklore-Einflüsse auf, außerdem hören wir dich auf "Angel and the Ghost" in klassischem Oxford-English. Was macht das Vereinigte Königreich so spannend für dich?

 

Die Geschichte und Kultur des Vereinigten Königreiches hat mich schon immer interessiert, und die englische Sprache kenne ich seit ich 6 oder 7 Jahre alt bin. Die Wikinger, vor allem die nord-germanischen Stämme, hatten einen riesigen Einfluss auf dieses Territorium, zum Beispiel auf York oder Dublin. Ich liebe diese Städte! An der Uni Stuttgart war "Old-English" mein Lieblingsfach und Shakespeare und E.A. Poe meine Lieblingsautoren. 

  

Sowohl bei Leaves' Eyes als auch mit Atrocity kann man zweifelsfrei feststellen, dass ihr eine gewisse Vorliebe für exotische Instrumente habt. Da müssten euch die israelischen Kollegen von Orphaned Land mit ihren arabischen bis orientalischen Einflüssen doch gut gefallen, hehe. Wäre das nicht mal eine interessante Kooperation wert? Schwaben meets Norwegen meets Israel!

 

 

Du hast vollkommen recht, von daher haben wir auch die Band Acyl aus Algerien/Frankreich eingeladen, im Vorprogramm auf der vergangenen Europatournee zu spielen. Wir haben supergut zu einander gepasst, außerdem finde ich diese Band und die Bandmitglieder spitze! Mir fällt aber ein, dass ich in den Neunzigern unheimlich gerne Ofra Haza gehört habe. Sie lebt leider nicht mehr. Eine großartige Sängerin!

  

Dieser Tage wurde es richtig exotisch für euch, denn ihr seid für ein paar Konzerte nach Südostasien geflogen. Wie fällt dein persönliches Fazit dieser Mini-Tour aus, und könntest du dir vorstellen, von dort womöglich Einflüsse und Inspirationen für zukünftige Musik von Leaves' Eyes mitgebracht zu haben?

 

Ja, wir sind gerade aus China, Taiwan und Thailand zurück, und bevor das Jahr zu Ende ist, geht es im Dezember auch noch nach Russland. Zudem werde ich, wenn wir zurück sind, noch spezielle Solo-Weihnachtsshows spielen. Im Januar geht es dann ab nach UK, Puerto Rico und dann mit dem "70.000 Tons of Metal"-Kreuzer durch die Karibik. Es folgt direkt im Anschluss eine längere Amerika Tournee mit Moonspell und Atrocity. Im Frühjahr werden wir dann noch mal in Europa touren. Ich freue mich riesig, "Symphonies of the Night" live zu spielen! Asien war jedenfalls einfach gigantisch - die Menschen sind so dankbar und hilfsbereit, und wir sind überall eingeladen worden, die Kultur, das Essen und die Geschichte kennen zu lernen. Das alleine inspiriert mich in meiner Kunst und kreativen Arbeit unheimlich. 

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de

 

 

Link: www.leaveseyes.de