Interview mit Oliver Nikolas Schmid von LACRIMAS PROFUNDERE
Zwischenzeitlich war es
mal recht ruhig um Lacrimas, für Außenstehende liegt da die Vermutung nah, dass
ihr euch bewusst zurückgezogen habt, um jetzt einen Leckerbissen wie "Antiadore"
raus zu hauen. Scheinbar habt ihr euch auch zumindest eine kleine Auszeit
genommen, um den Kopf frei zu bekommen und mal durchzuschnaufen. Liegt darin
auch der Grund dafür, dass ihr auf dem Album so frisch klingt wie schon lange
nicht mehr? Etwas härter geht es ja auch zu, man könnte auch sagen: noch näher
an eurem Livesound.
Ja, ganz genau, das war
unser Ziel! Ruhig geworden ist es aber Gott sei Dank „nur“ in Deutschland. Wir
bekamen auch immer viele Mails von unseren deutschen Fans, weshalb man denn von
uns gar nichts mehr hört, aber eigentlich waren wir immer im Studio oder auf
Tour. Nur bekommt man das in Deutschland eben nicht mit, wenn wir gerade in
China versuchen mit Stäbchen zu essen! „The Grandiose Nowhere“ hat uns durch 16
Länder geführt u.a. Exoten wie Südamerika, Russland oder China und das kostet
Zeit, und auf Tour konnte ich noch nie schreiben! "Antiadore" war eigentlich
auch Anfang 2012 schon geschrieben, aber da hatte Hiili (Hiilesmaa, Produzent -
MR) keine Zeit, dann war der Corni mit seinen Weltraumstudios am Umziehen und so
verging die Zeit. Weil du die Härte angesprochen hast, muss ich sagen: Ja, genau
das wollten wir, einen Querschnitt aus unseren Alben und endlich diese
Gitarrenwand, die mich an meine Jugend erinnert und in bester Pantera/Manowar-Manier
aus den Boxen knallt.
Für einen frischen Wind dürfte auch besagter Hiili Hiilesmaa gesorgt haben, den ich gerne als "finnischen Großmeister der Melancholie" bezeichne. Warum habt ihr euch diesmal gegen John Fryer und für Hiilesmaa entschieden?
Haha, ja das ist er ganz
sicher! Wir wollten eben was Neues ausprobieren! Hiili stand schon sehr lange
auf unserer Liste, wie auch Tue Madsen, der sich für das Mastering
verantwortlich zeichnet. Nach drei Alben mit unserem Vater John war es an der
Zeit, sozusagen das Nest zu verlassen und endlich mal Dinge anzupacken, welche
wir, sei es aus Geld- , Zeit-, oder Organisationsgründen, nie wirklich
angegangen sind. Wir wollten nicht wieder nur reden und es auf das nächste Mal
verschieben, wir wollten es einfach tun, haben sehr viele neue Einflüsse
zugelassen und uns mehr Freiheiten gelassen. Der Sound war auch ein Thema,
welches wir mit John immer wieder diskutiert haben. Sein Credo war: die Gitarren
nach hinten, den Gesang nach vorne - „für´s Radio“. Worauf unsere Antwort
eigentlich immer dieselbe war: „Hä? Radio? Die spielen uns doch eh nicht!“ Den
einzigen kommerziellen Erfolg, den wir je hatten, war ein Song im ZDF
Montagskrimi und die Songs auf MTV in der Show von Jackass-Star Bam Margera. Das
Radio hat uns noch nie unterstützt oder gar gefördert. Die einzigen, die immer
volles Risiko gehen, sind wir selbst, und spätestens bei "Antiadore" gab es dann
auch keine Kompromisse mehr, daher haben wir uns wie erwähnt auch für Tue Madsen
entschieden, welcher ja meines Wissens noch nie eine Gothic-Kombo gemischt
hatte, sondern eher für sein heftiges Zeug berühmt ist. Wir wollten dieses Metal
Brett, und jetzt haben die Radios auch endlich eine Ausrede, die ich gelten
lasse, weil selbst ich würde die neuen Songs so auch nicht mehr im Mainstream
Radio spielen, haha! An kommerziellen Erfolg glauben wir eh schon lange nicht
mehr, daher gibt es bei uns auch keinen Masterplan wie etwa „alle Songs müssen
die perfekte Radiolänge von 3:10 Minuten haben“, „ein Album sollte mindesten 55
Minuten Spielzeit haben und sonst streckt man es eben mit Frauengestöhne,
Pferdegetrampel oder Geschichtenerzähler“, oder „man nimmt besser diesen oder
jenen Song für einen Videoclip oder jenes Covermotiv“ usw. Wir kacken gelinde
gesagt auf all das Marketing-Geschwafel, bei uns gibt es zwölf Songs, auf dem
Digipack 14, das Artwork wird so wie wir die Stimmung der Musik empfinden, und
wenn in einem Song in 2:40 Minuten alles gesagt ist, dann ist es eben so. Im
besten Falle fällt dir die Kinnlade runter oder eben nicht, aber dazwischen gibt
es eh nichts!
2013 feiern
Lacrimas bereits ihren 20. Geburtstag als Band. Die Zeit ist ganz schön an
euch vorbei geflogen oder? Habt ihr abgesehen von "Antiadore" noch spezielle
Pläne für euer Jubiläum in diesem Jahr?
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Einen kleinen Ausflug in eure Vergangenheit bietet ja schon das Mitwirken deines Bruders Christopher, der lange Zeit auch euer Sänger war. Mit ihm kehren unter anderem die Grunts in "My Release in Pain" zurück. Wie kam es dazu, dass er mal wieder etwas mit euch gemacht hat? Hat es in den Fingern gejuckt, wie man so schön sagt?
So könnte man es sagen. Musiker bist du eben oder du bist es nicht, und wenn du es bist, bist du es dein Leben lang. Er war für mich auch nie wirklich weg, weil er ja zu jedem Album den ein oder anderen Text beigesteuert hat, diesmal hat er aber zusätzlich einige Backing Vocals eingesungen, und als das alles sehr schnell im Kasten war, hatte er den Vorschlag, auch noch Grunts beizusteuern, und Rob und ich hatten daraufhin sofort die Idee, dass es bei "My Release in Pain" perfekt passen würde. Wir lieben den Part einfach, und als er uns bei unserem Gig vor zwei Wochen in Helsinki besuchen kam, kletterte er auf die Bühne und hat den Song live mit uns geschmettert, einfach cool!
Könnt ihr euch vorstellen, ihn in Maßen auch zukünftig immer mal wieder für einen Song zu rekrutieren? Oder hat er sich abgesehen von diesem kleinen Gastspiel bei euch komplett aus der Musik zurückgezogen?
Er hat sich komplett zurückgezogen, aber ich schreibe gerade für ein Sideprojekt mit ihm an neuen Stücken, drei sind schon fertig und klingen sehr vielversprechend, mal sehen ob da baldigst was kommt!
Ein anderer Gast ist Ricky Warwick, den man unter anderem von The Almighty und Thin Lizzy kennt. Er hat sich ins Songwriting zum neuen Album eingebracht, wobei ich mir vorstellen kann, dass ihr ihn nicht mal eben irgendwo in einer Bar aufgegabelt und gefragt habt, ob er mit euch einen Song machen würde. Wie habt ihr ihn also in die Finger bekommen?
Haha, nein, das kam durch unseren Verlag. Mir ist es immer wichtig, auch Leute in der Entstehung der Songs dabei zu haben, die ich jetzt nicht schon eine Ewigkeit kenne, sondern die Demos auch mit Leuten zu teilen, die nicht aus dem Gothic Bereich kommen. Das ist es ja, was wie ich finde unsere Musik ausmacht, meine Mitmusiker und auch die Gäste auf unseren Platten haben alle einen komplett unterschiedlichen musikalischen Hintergrund. Rob ist der Tool-, Placebo-, Muse-Typ, Tony und ich kommen aus dem 80er Jahre Metal und Dominik ist der Death/Black-Metaller! Aber zurück zu Ricky: Als ich mit einigen Tracks noch nicht zu 100 Prozent zufrieden war, hab ich unseren Verlag Universal Music angeschrieben und die haben mir Ricky empfohlen. Anfangs konnte ich das gar nicht glauben: Hey hier liegen nun die Kontaktdaten von Ricky Warwick auf meinem Tisch, und es dauerte tatsächlich zwei bis drei Tage bis ich den Mut gefasst hatte, meine Kellerraum-Demos an eines meiner Jugendidole zu senden, aber der Typ ist super nett, komplett auf dem Boden geblieben, und wir haben dann „Head held high“ zusammen geschrieben. Weil das so gut geklappt hat, haben wir noch drei weitere Songs gemacht, welche aber leider bis zum Studiotermin nicht fertig wurden, aber sicherlich baldigst veröffentlicht werden.
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Haha, ja zu den dicken Fischen gehören wir mit Sicherheit nicht. Wir haben halt nur dicke Eier, haha! Ich gebe dir recht, als es dann in die Vorbereitungen ging, waren wir uns auch nicht mehr wirklich sicher, ob es eine gute Idee war, aber nach dieser Tour kann ich sagen: Ja es war eine gute Idee, die Leute waren unglaublich, und ich würde es wieder so machen.
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Abgesehen davon was in Sachen Tour mit "Antiadore" noch so alles laufen wird in Zukunft: Mit "The Grandiose Nowhere" seid ihr schon mal mächtig rum gekommen, du sprachst etwa von Russland, Südamerika und sogar China. Mir gefällt ja seit jeher an dir, dass du immer zu allem eine schöne Anekdote parat hast, dann hau doch mal ein paar schöne Sachen aus der jüngeren Vergangenheit "on the Road" raus, hehe!
Ach, da gibt es so viele... als mein Bruder damals in München auf einer wirklich hohen Bühne auf der Lacuna Coil Tour erst über mein Gitarrenkabel und dann über die Monitorbox einen Hecht in den Fotograben hingelegt hat. Ihm ist nichts Schlimmes passiert, außer Schwindeltrauma, und er hat sich im wahrsten Sinne des Wortes den „Arsch aufgerissen“, daher können wir heute auch darüber lachen. Natürlich unser Gig in Moskau, wo wir ganz knapp und nur durch die Hilfe eines Fans, welcher durch Zufall bei der Lufthansa gearbeitet hat, unseren Flug nach Hause bekommen haben. Südamerika, wo die Leute die beim Slayer-Gig gegenüber keine Karten mehr bekommen haben und ganz glücklich bei uns gerockt haben, oder Mexiko als wir drei Tage dort waren und dann im Hotel saßen und nur weil wir nachgefragt haben, wann wir denn abgeholt werden würden, unseren Auftritt nicht verpasst hatten. Die Tour mit Apocalyptica, als unser Busfahrer eine Reifenpanne hatte und mit Anhänger rückwärts auf der Autobahn nach Birmingham zum nächsten Autohof gefahren ist und 20 Minuten später die Polizei die komplette Tour canceln wollte, weil sie das Treiben gefilmt hatte. Dann der Veranstalter in Tacna (Südamerika), welcher uns sitzen ließ und mit den gesamten Einnahmen abgehauen war und der Taxifahrer verständlicherweise ohne Anzahlung nicht zum nächsten Flughafen fahren wollte. Dann wäre da noch unsere erste Tour durch Mexiko mit Einschusslöchern im Nightliner, oder als wir uns in Ungarn eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hatten und zum nächsten Gig nach München sage und schreibe zwölf Stunden benötigt hatten, weil alle 20 Minuten ein anderer ganz dringend mal musste! Da haben wir im wahrsten Sinne des Wortes „viel Zeit verschissen“, haha! Ach da gibt es so viele, auch als uns der Promoter in Finnland am Flughafen abholte und meinte, das Hotel wäre gecancelt aber wir können ja im Kinderzimmer seines Sohnes schlafen… Manchmal wirst du schon unruhig, aber that's Rock ´n´ Roll und du hast wenigstens was zu erzählen… haha!
Final noch mal was in eigener Sache, wo du gerade so schön bei den netten Rock ´n´ Roll-Geschichten bist: In diesem Jahr gibt es nicht nur 20 Jahre Lacrimas zu feiern, sondern auch 10 Jahre sounds2move. Wir kennen uns im Grunde seit der ersten Stunde von s2m und begegnen uns seit "Ave End" regelmäßig. Was fällt dir spontan zu dem Thema "10 Jahre s2m" bzw. "s2m und Lacrimas" ein?
Wow, wie die Zeit vergeht! Ja ich kann mich noch gut erinnern an unser erstes
persönliches Treffen, ich glaub das war beim Summerbreeze, und ich hab dir
schonungslos all meine Jungendsünden reingedrückt und du hast tapfer
durchgehalten und meine betrunkenen Ausführungen von Mexiko bis zur Türkei und
von Paradise Lost bis Manowar über dich ergehen lassen - großen Respekt. Da
wusste ich, der Mann hält durch, und ich kann dir hier nur ganz herzlich
gratulieren zum 10-Jährigen! Auch glaube ich, mussten wir wegen all meiner
Schimpfwörter und Ausdrücke mal ein Videointerview unveröffentlicht lassen,
oder? Haha! Das waren noch Zeiten…
(Besagtes Video existiert tatsächlich, wird aber aus Gründen der Diskretion
unter Verschluss bleiben ;-) - MR)
Markus Rutten - www.sounds2move.de
Link: www.lacrimas.com