Interview mit Jonas Renkse von KATATONIA

 

 

Jonas, was mir an eurem neuen Album richtig gut gefällt, ist die Dramaturgie des Ganzen. Ihr startet mit „Forsaker“, einem recht harten und aggressiven Stück und nehmt danach erst einmal wieder das Tempo raus, wobei besonders das fragil wirkende „Idle Blood“ ein wirklich großer Kontrastpunkt zu besagtem Opener ist. Gleichzeitig macht ihr damit deutlich, wie vielseitig Katatonia klingen können. Wie wichtig war euch die Reihenfolge der Stücke für die finale Version von „Night is the new Day“?

 

Sehr wichtig, und wir haben sehr sorgfältig daran gearbeitet. Ich glaube wir haben diesmal so um die 9-10 Konstellationen ausprobiert, bevor wir bei der jetzigen Anordnung gelandet sind. Allerdings war bei jeder Änderung dennoch „Forsaker“ der Opener und „Departer“ der Ausklang und ich bin mir recht sicher, dass wir für diese Scheibe den ultimativen Aufbau finden konnten.

 

Mir kommt es so vor, als wäre „Forsaker“ einfach der perfekte Verbindungspunkt, um die Brücke vom Vorgänger „The Great Cold Distance“ zu „Night is the new Day“ zu schlagen, da dieser Song auch die Atmosphäre eures letzten Longplayers aufzugreifen scheint.

 

In der Tat, das ist ganz genau auch unser Eindruck. „Forsaker“ fühlt sich sehr „The Great Cold Distance“-artig an, während der Rest des Materials sehr breit gefächert ist und sich von diesem Ausgangspunkt aus in die verschiedensten Richtung weg entwickelt. TGCD bildet sicherlich das Fundament für seinen Nachfolger, aber wir haben der Musik diesmal darüber hinaus absolute Entfaltungsfreiheit eingeräumt.

 

In eurem Studio-Blog war zu lesen, dass ihr euch diesmal sehr lang im Studio aufgehalten habt, bevor ihr vollends zufrieden mit dem Resultat wart. Du musst mittlerweile ziemlich müde sein, die Songs immer und immer wieder zu hören, oder? Kannst du denn inzwischen wieder halbwegs neutral an die Scheibe herangehen? Immerhin wird euch das Material die nächsten Jahre vor allem bei euren Shows verstärkt begleiten.

 

In gewisser Weise bin ich schon ziemlich erschöpft, aber andererseits waren wir auch so konzentriert und fixiert darauf, aus jedem Song das Maximum heraus zu holen, dass ich überhaupt nicht mehr realisiert habe, wie oft wir die eine oder andere Nummer überhaupt gehört haben, bevor das Endergebnis irgendwann fertig gemischt vor uns lag. Bis zu dem Zeitpunkt an dem du mit dem Mix beginnst, dreht sich fast alles darum, die Grenzen für das auszuloten, was du als Künstler musikalisch bewerkstelligen kannst. Es hat allerdings bis vor kurzem gedauert, bis ich mit so etwas wie einem neutralen Ohr an „Night is the new Day“ herangehen konnte. Bis zu diesem Moment war die Musik für mich vor allem ein Haufen Kanäle und Tonspuren auf dem Display eines Mischpults, haha.

Natürlich werden wir dieses Album jetzt für ein paar Jährchen betouren, aber ich bin mir sehr sicher, dass dieses Material live großartig rüber kommen wird, also wird es auch Spaß machen und eine Herausforderung sein, das Beste aus uns heraus zu holen.
 

Bei euren letzten Alben war es immer zu großen Teilen Anders (Nyström, Gitarrist der Band – MR), der für das Songwriting zuständig war, wohingegen es diesmal an dir war, das meiste Material beizusteuern. Für wie groß hältst du die Unterschiede zwischen euch beiden als Songwriter und wie nimmst du diese gestiegene Verantwortung deinerseits auf: Eher als Ehre oder als Belastung?

 

Es ist weder eine Ehre noch eine Bürde, sondern einfach so wie es zu sein hat. Katatonia ist mein Leben und war es auch in den vergangenen fast 20 Jahren. Im Laufe der Zeit habe ich immer mehr Musik geschrieben und beigesteuert und ich schätze, dass auch TGCD gut zur Hälfte auf meinen Songs basiert. Natürlich sind Anders und ich unter bestimmten Gesichtspunkten unterschiedliche Songschreiber, aber wir verfolgen dennoch die gleichen Ziele und wissen genau, dass egal was wir schreiben, es zu 100% Katatonia sein muss. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass niemand von außen mit Bestimmtheit wirklich sagen könnte, wer von uns für welchen Song oder welchen Part verantwortlich ist. Unter dem Strich sind es wohl vor allem Anders und ich, denen diese Unterschiede wirklich auffallen.

 

Sind „Deliberation“ vom letzten Album und der neue Track „Liberation“ eigentlich in irgendeiner Form miteinander verknüpft oder ist es eine zufällige Entwicklung, dass man der Namensgebung wegen eine Zusammengehörigkeit vermuten könnte?

 

Das ist einfach nur ein Zufall. Ich denke „Liberation“ würde seinen Titel auch tragen, wenn es „Deliberation“ nicht geben würde.

 

Der Hörer kann auf „Night is the new Day“ scheinbar endlos viele kleine Details entdecken. Eines dieser besagten Details sind die Streicher-Arrangements in „Inheritance“. Stammen diese von Gastmusikern aus Fleisch und Blut oder habt ihr da auf die Dienste eines Pro-Tools zurück gegriffen?

Ich für meinen Teil hätte liebend gern mit echten Musikern gearbeitet, um diese Tonspuren einzuspielen, aber leider hatten wir dafür weder die Zeit noch das Budget. Somit ist es letztlich unser Keyboard-Meister Frank Default, der ein wenig mit Samples gezaubert hat.

 

Während der letzten zwei Jahre hast du neben Katatonia auch noch Songs für Ayreon, Swallow the Sun und Long Distance Calling eingesungen. Hast du aus diesen Kooperationen etwas mitnehmen können, das sich positiv im Bezug auf „Night is the new Day“ ausgewirkt hat?

 

Die Tatsache, dass ich im Fall von Ayreon auch die Gesangsmelodie geschrieben habe, hat mich darin angetrieben, weiterhin verstärkt an den Vocals für Katatonia und den Songideen zu arbeiten, selbst wenn ich in dieser Zeit eigentlich nicht die Energie dafür hatte. Es hat wirklich Spaß gemacht mit Arjen (Lucassen, der Mann hinter den Ayreon-Alben – MR) zu arbeiten und er hat mir im Studio wirklich sehr geholfen. Ich habe vorher noch nie mit einem Produzenten gearbeitet und er hat mir toll dabei geholfen, das Beste aus meiner Stimme heraus zu holen.

 

Euer Vertrag bei Peaceville läuft mit diesem Album nach zehnjähriger Partnerschaft erst mal aus. Wie sehen eure Zukunftspläne aus: Besteht die Möglichkeit, dass ihr eure Zusammenarbeit fortsetzt oder steht für euch bereits fest, dass ihr weiterziehen werdet?

 

Unser Verhältnis zu Peaceville ist dieser Tage wirklich ausgezeichnet, außerdem haben wir schon eine wirklich lange Zeit zusammen gearbeitet, was in diesem Geschäft sehr wertvoll und nicht der Regelfall ist. Wir wissen, was wir von ihnen zu halten und erwarten haben und umgekehrt ist es genauso. Meiner Meinung nach hätte ein Labelwechsel sowohl Vorteile als auch Nachteile für uns, jedoch ist mein Gefühl im Moment, dass ich wirklich froh bin, Peaceville-Künstler zu sein.

 

Da ich Katatonia als sehr unabhängige und künstlerische Band betrachte, stellt sich mir die Frage, wie wichtig es euch ist, so viel wie möglich selbst in den Händen zu haben, was eure Band betrifft?

 

Wir haben immer versucht, an unserem „Geschäft“ so nah wie es geht dran zu sein. Dennoch haben wir uns entschlossen, da unsere Popularität und die Nachfrage mit der Zeit doch gestiegen ist, ein Management auf den Plan treten zu lassen, damit wir uns weiterhin im erforderlichen Umfang um kreative Belange kümmern können. Ich meine, wir waren wirklich nie diese Anzug-und-Krawatte-Typen. Wir werden immer für die künstlerische Seite und unsere Unabhängigkeit selbst verantwortlich sein, soviel steht fest.

 

Ihr habt auch nie so große und viele Tourneen gespielt wie viele andere Bands und seid nie zu „Festivalhuren“ verkommen, die in den Sommermonaten an jeder Steckdose spielen. Wollt ihr die Konzerte auf diese Art und Weise auch ein bisschen spannend und besonders halten – sowohl für euch als Musiker als auch für die Fans?
 

Natürlich wollen wir, dass jedes Konzert ein spezielles Ereignis für alle ist, selbst wenn wir von nun an sicherlich mehr touren werden müssen als in der Vergangenheit. Einfach, weil live zu spielen inzwischen so ziemlich die einzige Chance für eine Band wie uns ist, noch Geld mit unserer Musik zu verdienen.

 

Euer alter Freund Mikael Akerfeldt (Opeth Frontmann – MR) hat schon vor ein paar Wochen ein sehr begeistertes Review zu „Night is the new Day“ veröffentlicht, nachdem er das Album während einer privaten Listening-Session mit euch gehört hatte. Mikael ist einerseits unbestritten ein absoluter Fachmann, was progressiven und düsteren Metal betrifft, auf der anderen Seite ist er aber auch wie gesagt ein langjähriger Freund des Hauses, der wohl kaum „Finger weg von diesem Teil, das Album ist totaler Müll“ schreiben würde, hehe. Wie hast du persönlich sein Review aufgenommen und was war deine Reaktion auf den Text?

Ich kann es total nachvollziehen wenn manche Leute vermuten, dass er uns einfach einen Gefallen tun wollte und deshalb dieses Review verfasst hat und dieses dann auch noch veröffentlicht hat. Dazu sollte allerdings klargestellt werden, dass unsere Freundschaft auf anderen Werten und Idealen basiert als auf billiger Promotion. Wenn Mikael das Album scheiße finden würde, oder zumindest nur so lala, dann wäre ich der erste, der es erfährt und er würde niemals auf die Idee kommen zu behaupten, dass er es offiziell großartig findet. Keine Chance! Er ist wirklich ein sehr ehrlicher und aufrichtiger Mensch, diese Eigenschaften schätze ich wirklich sehr.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.katatonia.com