Interview mit Kari Rueslåtten
Zwischen deinem aktuellen
Album „Time to tell“ und dessen Vorgänger „Other People’s Stories“ sind nicht
weniger als neun Jahre ins Land gegangen. Daher die offensichtliche Frage
zuerst: Was hast du denn in der Zwischenzeit so getrieben?
Tja, was habe ich gemacht? Ich hatte das Gefühl, eine Pause von der Musik zu
brauchen. Daher begann ich damit, Psychologie zu studieren. Außerdem wollte ich
eine Familie gründen und Kinder bekommen, wofür ich auch ein stabiles Umfeld
errichten wollte. Deshalb ging es mir darum, nicht so viel auf Reisen zu sein
und mich auf ein regelmäßiges Einkommen verlassen zu können. Deshalb arbeitete
ich dann auch als Organisationspsychologin und konzentrierte mich darauf, meine
Mutterrolle auszufüllen.
Heißt das, dass du während dieser Pause nicht nur von Albumaufnahmen und
Konzerten Abstand genommen hast, sondern auch vom Komponieren?
Ja. Ich bin als Person so gestrickt, dass ich etwas entweder zu 100 Prozent oder
gar nicht mache. Das ist eine Eigenschaft, die manchmal gut und manchmal
schlecht ist. Dementsprechend steckte ich während dieser Zeit auch meine ganze
Konzentration in andere Dinge. Rückblickend betrachtet denke ich jetzt, da ich
zur Musik zurückgekehrt bin, allerdings schon häufig, dass es schade war, dass
ich mich während dieser ganzen Jahre überhaupt nicht mehr mit ihr befasst habe.
Ich fühle mich jetzt so viel kompletter als Person, dass ich mich nunmehr frage,
wie ich so lange auf die Musik verzichten konnte. Warum spielte ich zum Beispiel
noch nicht einmal mehr Klavier? Als ich wieder damit anfing, musste ich üben,
üben und nochmals üben, damit sich meine Finger überhaupt wieder daran
erinnerten, was sie zu tun hatten. Auch gesungen hatte ich während meiner ganzen
Auszeit nicht ernsthaft – wenn man nur gelegentlich etwas vor sich her summt,
während man mit etwas anderem beschäftigt ist, dann ist das ja kein wirkliches
Singen.
Aber während deiner
Auszeit selbst hattest du demnach noch nicht das Gefühl, etwas zu vermissen? |
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Deine letzten Alben waren
zumindest zum Teil von elektronischen Elementen geprägt. „Time to tell“ weist
hingegen ausschließlich authentische Instrumentierung auf. War das eine bewusste
Entscheidung oder einfach etwas, das sich im Arbeitsprozess so ergeben hat?
Das war eine ganz bewusste Entscheidung. Ich wollte mich bei meiner Rückkehr in
die Musikszene auf den Kern dessen besinnen, was es überhaupt heißt, Musik zu
machen und Musik zu schreiben. Wenn man mit Programmierungen arbeitet, kann man
zunächst einen guten Loop erarbeiten und dann auf dieser Grundlage den Song
konstruieren. Das ist ein ganz anderes Vorgehen. Mein Ziel war es diesmal, ganz
auf dem Boden zu bleiben, mit einer authentischeren, nackten Produktion.
Außerdem wollte ich damit auch etwas machen, was ich zuvor noch nie gemacht
hatte. Bis dahin hatte ich noch nie ein nur auf akustischen Instrumenten
basierendes Album gemacht. Auf „Other People’s Stories“ ging ich zwar schon in
diese Richtung, ließ den Anker des Elektronischen dabei aber nie ganz los.
Auf deinen vorherigen Alben warst du selbst für die Produktion
verantwortlich, während du dir für „Time to tell“ Jostein Ansnes als Produzenten
ins Boot geholt hast. Was war der Hintergrund dieser Entscheidung?
Diese Entscheidung lag auf der Hand, nachdem ich beschlossen hatte, dieses Mal
ein rein akustisches Album zu machen. Ein solches hätte ich selbst nicht
produzieren können. Man braucht dafür das richtige Studio und gute Kontakte zu
Musikern, die all die benötigten Instrumente beherrschen. Und Jostein ist zum
einen bekannt für seine guten Akustik-Produktionen, zum anderen ist sein Studio
auch in meinem eigenen Wohnort Trondheim. Das passte einfach perfekt, also rief
ich ihn an und sagte ihm, dass ich ihn gern als Produzenten hätte.
Du kanntest ihn zu diesem Zeitpunkt also noch nicht persönlich?
Nein, bis dahin kannte ich nur seine Arbeit. Er ist nicht nur als Produzent,
sondern auch als Gitarrist sehr geschätzt. Daher war ich auch ein wenig nervös,
als ich ihn anrief. Am Anfang war es auch seltsam, nicht selbst zu produzieren
und damit nicht alle Entscheidungen allein treffen zu können. Aber ich lernte
schnell, Jostein zu vertrauen.
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Ist der akustische
Ansatz also auch derjenige, den du auf den Alben, die da hoffentlich noch
kommen werden, weiterverfolgen willst? |
Es geht also insgesamt um Gefühle, die du selbst dann und wann hattest oder
noch hast?
Ja, selbstverständlich. Als ich mich entschlossen hatte, ein neues Album
aufzunehmen, war es mir klar, dass ich auch meine Persönlichkeit stark mit
einfließen lassen würde.
Wenn du daran gehst, einen Song zu schreiben, wie gehst du dabei vor? Steht
am Anfang eher die Musik oder der Text?
Ich denke, ich fange immer irgendwie mit einer Idee an, die den Rahmen für das
Lied setzt. Oft ist es eine bestimmte Emotion oder ein bestimmter Satz. Oft
geschieht es, dass ich am Anfang einige Textfragmente habe, zu denen ich dann
die Melodien erarbeite bevor ich den Text fertig schreibe. Wenn ich mich ans
Klavier setze, gibt es jedenfalls immer irgendeine Idee, in welche Richtung ich
gehen möchte.
Wie gelingt es dir − gerade bei einem Schreibstil der so emotionsbasiert ist
− die Stimmung des Moments bei den Gesangsaufnahmen für das Album wiederaufleben
zu lassen? Und kostete das dieses Mal wegen der Anwesenheit eines Produzenten
mehr Überwindung als sonst?
Grundsätzlich ist das schon eine Situation, in der man sich verletzbar fühlt.
Schon vor den Studioaufnahmen verbrachte ich aber viel Zeit mit Jostein, in der
wir uns über Themen wie dieses unterhielten und vor allem auch den Sound des
Albums besprachen. Ich schilderte ihm eingehend den Klang, den ich für die
Platte im Kopf hatte, und er überlegte sich dann, wie er sie nach diesen
Maßgaben produziert. Er war daher während der Studioarbeit wirklich kein
Unbekannter mehr für mich.
Am Anfang der Gesangsaufnahmen mussten wir aber tatsächlich erst einmal einige
andere Leute aus dem Studio herauskomplimentieren. Es hielten sich so viele
Personen darin auf! Das wäre bestimmt Vielen so gegangen, dass sie sich unwohl
gefühlt hätten, ihr Herz vor so vielen Leuten offenzulegen. Schließlich geht es
ja darum, sich wieder zurück in diejenige Stimmung zu versetzen, in der man sich
beim Schreiben des Liedes befunden hat.
Fällt es dir schwer, diese Stimmung auch in der Live-Situation
wiederzuerwecken?
Nein, das fällt mir leichter. Man hat live nur einen Versuch und das war es. Im
Studio kann man ja alles wiederholen, wenn man das Gefühl hat, das etwas nicht
passte oder man es falsch interpretiert hat. Das ist für mich eine ganz andere
Situation. Hinzu kommt, dass man live nicht nur auf sich selbst konzentriert
ist, sondern auch mit dem Publikum interagiert. Da spürt man sofort, ob man die
Leute mit dem, was man tut, anspricht und kann sich danach ausrichten. Dieses
direkte Feedback macht es mir leichter. Es könnte natürlich auch alles
schwieriger machen, wenn man die Leute nicht erreicht. Aber bei den bisherigen
Konzerten nach meiner Rückkehr hatte ich immer ein fantastisches Publikum, so
dass ich dahingehend nur großartige Erfahrungen gemacht habe.
Eine letzte Frage: Einem deiner Facebook-Posts ist zu entnehmen, dass du eine
Kollaboration mit Anneke Van Giersbergen und Liv Kristine planst. Was erwartet
uns denn diesbezüglich?
Dabei geht es um eine Reihe von Live-Shows, bei denen ich etwas von The 3rd and
the Mortal, Liv etwas von Theatre of Tragedy und Anneke etwas von The Gathering
singen wird. Hinzu sollen Lieder aus unseren jeweiligen Solokarrieren kommen.
Ich denke, das wird eine tolle Sache werden.
Florian Gothe -
www.sounds2move.de
Link: www.karirueslatten.com