Interview mit LIV KRISTINE & ALEX KRULL von LEAVES´ EYES / ATROCITY

Markus: Wie ist es euch bisher ergangen? Ihr seid ja am Endspurt...

Liv: Ja, aber nur von der ersten Hälfte der Tour. Wir machen gleich zwei, mit Battlelore und Darkwell. Es geht außerhalb Deutschlands. Wir machen auch ein paar Deutschlandshows, aber das meiste ist in Italien, Spanien, Portugal.

Markus: Aber nur Europa?

Liv: Ja, nur in Europa. Aber danach – das haben wir gestern erfahren und ich freue mich sehr – noch einige Termine in Russland und Weißrussland. Wir haben einiges zu tun, aber wir haben gesagt – bis Mitte Dezember ist das okay und danach wollen wir zu Hause sein, da unser Sohn dann seinen Geburtstag feiert.

Markus: Wann geht der zweite Teil weiter?

Liv: Der erste Termin wird Mitte November sein. So anstrengend ist es auch nicht, mit der Erkältung muss man rechnen...

Markus: Wir haben schon davon gehört, dass ihr alle ein bisschen angeschlagen seid...

Liv: Da wir alle im selben Raum schlafen, ist es klar, dass irgendwann alle die Erkältung haben. Das ist auch einer der Gründe, warum wir unseren Sohn nicht mit auf Tour genommen haben.

Simone: Wie oft habt ihr Leon in der Zeit der Tour gesehen?

Liv: Gar nicht. 2 ½ Wochen ohne unseren kleinen Sohn. Am Sonntag sehen wir ihn endlich wieder.

Markus: Da freut ihr euch sicher.

Liv: Oh ja, und wie.

Simone: Du hast vor kurzem einen Solovertrag bei Roadrunner Records unterschrieben. Warum gerade dieses Label und nicht wieder Napalm Records oder ein anderes?

Liv: Roadrunner haben einige kommerzielle Acts, z. B. Nickelback und ich denke, es ist die richtige Schublade für mich wenn ich ein Popalbum mache. Napalm ist metal und ich denke es ist besser wenn diese beiden Sachen getrennt sind. Mein Album wird auf jeden Fall in Richtung Dark Pop gehen. Wir kennen auch den Chef von Roadrunner, genauso wie wir den Chef von Napalm kennen und wir sind uns alle einig, dass das so gut funktionieren wird.

Simone: Welche Ziele möchtest du mit deinem Soloalbum erreichen?


Liv: Es ist sehr lange, als ich mein erstes Album veröffentlicht habe. Zwischenzeitlich gab es einen Gerichtsstreit, ich habe um meine Rechte gekämpft, deshalb kam auch bisher kein zweites Soloalbum von mir, weil ich nicht durfte. Jetzt habe ich aber wieder alle Rechte bei mir und das ist ein neuer Anfang.

Markus: Dann hattest du ja sicher in der langen Zeit die Songs schon fertig und es muss nur noch aufgenommen werden.

Liv: Ein Teil der Songs ist schon fertig, aber ich möchte sie bearbeiten, die Technik ändert sich auch. Da denkt man die Streicher, die ich damals hatte, jetzt gibt es viel schönere. Ich denke, dass die Platte im Herbst 2005 fertig sein wird. Dazu kommt die neue Leaves´ Eyes Platte, die im Frühsommer nächsten Jahres erscheinen wird. Wir basteln schon. Wir haben schon so viele Ideen. Wir müssen wahrscheinlich die Hälfte weg lassen, wie schon beim ersten Album. Wir hatten vier Songs zu viel und mussten dann abstimmen. Da gab es zum Beispiel auf der Single zu „Into Your Light“ den Song „Leaves Whisper“, der nicht auf dem Album zu finden ist. Das ist mit Absicht so. Wir wollten nicht viele Remixe machen, so wie andere Bands, sondern wir wollten was richtig gutes auf die Single packen.

Simone: Geht es wieder in die gleiche Richtung?

Liv: Ja, es wird wieder um Gefühle gehen und es wird auch musikalisch in eine ähnliche Richtung gehen.

Simone: Wird es wieder ein Konzeptalbum sein?

Liv: Ja, auf jeden Fall.

Simone: Ich hab gelesen, dass du gern ein Duett mit Lisa von Xandria machen würdest.

Liv: Das würde ich sehr gern machen.

Simone: Und mit Tarja von Nightwish auch.

Liv: Auch sehr gern.

Simone: Gibt es dazu konkrete Pläne?


Liv: Es gibt keine Konkreten Pläne, aber ich versuche seit Jahren, so etwas hinzubekommen. Es ist generell nicht so einfach mit anderen Frauen. Ich bin sehr offen und ich sehe sie nicht als Konkurrentinnen, sondern als Arbeitskolleginnen. Ich versuche immer wieder nachzufragen und nachzuhaken, und sie sagen auch immer ´ja klar, das wäre sehr schön.´ Aber danach passiert leider nichts mehr.

Markus: Willst du das Duett dann im Rahmen von Leaves Eyes machen oder lieber auf deiner Soloplatte als speziellen Song mal ein Duett mit reinbringen?

Liv: Das weiß ich noch nicht.

Markus: Wahrscheinlich ist es dir dann auch in dem Moment egal -  hauptsache es klappt.

Liv: Genau, wenn das Lied  mir gefällt und die Musik gut ist. So war es auch bei Cradle Of Filth, sie haben mit den Song zugeschickt und mir hat der Song auf Anhieb gefallen, sodass ich gesagt habe, das würde ich gern machen.

Simone: Wie war die Zusammenarbeit mit Cradle Of Filth?

Liv: Zum Videodreh haben wir uns getroffen. Es war auch ganz witzig, ich bekam ein Mail von Roadrunner USA wegen Cradle Of Filth, sie hatten ja vorher mit Cristina Scabbia von Lacuna Coil geplant. Roadrunner Records hatte genaue Vorstellungen von dem Song. Da dachte ich, so was können wir machen, das wird passen.

(Alex: So, bin wieder da.)

Liv: Da wir ja unser eigenes Tonstudio haben, war es kein Problem, die Vocals für „Nymphetamine“ sofort aufzunehmen und rüberzuschicken und ein paar Wochen später haben wir uns dann zum Videodreh getroffen. Ich denke wenn die Richtung einfach stimmt, und der Kontrast hat einfach gepasst bei diesem Song.

Simone: Wie klappt es, die Familie und die Band(s) unter einen Gut zu bekommen?


Liv: Es klappt hervorragend. Wir haben uns vorgestellt, es muss schön und auch stressig sein, Eltern zu sein. Ich muss sagen, es ist viel schöner als wir es uns vorgestellt haben. Dazu muss ich sagen, dass wir großes Glück haben, ein eigenes Studio zu haben und dazu eine Wohnung und es ist bei uns natürlich alles babygerecht, weil wir schon früher Bands mit Kindern im Studio zu Besuch gehabt haben...

Alex: Zum Beispiel Tom von Elis, er hat auch Kinder.

Liv: Genau, und das ist natürlich ein riesen Vorteil, dass wir tagsüber zu dritt sein können. Der einzige Nachteil ist, dass wir – wenn wir auf Tour sind – den Kleinen nicht mitnehmen können. Aber da gibt’s auch noch die Oma.

Simone: Es heißt auch, dass die Oma noch sehr fit sein soll.

Liv: Ja, Leon hat seit wir weg sind, nur ein Mal geweint.

Alex: ...und absolut keinen Stress gemacht.

Liv: Wir haben ein sehr liebes Kind. Aber ich glaube es hat auch damit was zu tun, dass er im Studio ist, da ist immer viel los. Er weint nie, wenn er Hunger hat, gibt er uns ein Zeichen, aber schreien gab es bisher nicht einmal.

Markus: Die Arbeit im Studio geht weiter, auch wenn ihr unterwegs seid?

Alex: Nein, im Moment gar nicht. Wenn wir zurück kommen, machen wir weiter.

Markus: Elis hast du ja auch produziert. Wie kam das zustande?

Alex: Ja, unter anderem auch. Ich manage Elis ja auch. Erben der Schöpfung hab ich ja auch schon produziert, danach wurde ich angesprochen ob ich auch weiterhin für Elis tätig sein möchte. Dann haben wir den Deal mit Napalm gemacht. Und es ist seitdem eine sehr gute Zusammenarbeit. Man merkt, wie sehr die Band sich gesteigert hat. Die Band ist zusammengewachsen. Bei Erben der Schöpfung war es eher noch Projektdenken, aber es ist der richtige Weg, den die Band eingeschlagen hat.

Markus: Vorhin ging es kurz um Roadrunner Records. Mit Roadrunner arbeitest du ja auch seit kurzem zusammen.

Alex: Richtig, ich bin seit Juli Talentscout für das Label.

Markus: Wie läuft das ab? Ist das dann z. B. so, dass du irgendwo hinfährst und dir Bands anschaust.

Alex: Ich bin Freelancer, ich bekomme aber auch Bands angeboten von Managements und anderen Firmen, von Brasilien bis Norwegen. Ich habe die Aufgabe zu schauen, was es für Talente gibt, die interessant sein könnten. Muss aber nicht so sein, dass Roadrunner das dann gleich haben will. Diese Arbeit basiert auf Vertrauensbasis, den Chef von Roadrunner kenn ich schon ziemlich lang, als wir mit Atrocity noch bei Roadrunner waren, war er als Promoter dort tätig, mittlerweile ist er Geschäftsführer. Das alles hat sich einfach so ergeben. Bei Roadrunner ist es wieder möglich, zu signen, auch deutsche Bands. Deshalb ist es gut, die Augen im Gothic- und Metalbereich offen zu halten. Wer weiß, wenn sich was gutes findet, dann wird Roadrunner das sicher auch machen wollen.

Markus: Sollst du das dann auch produzieren, wenn du was findest oder hält die Plattenfirma sich da eher bedeckt?

Alex: Ausgeschlossen ist das natürlich nicht, aber es ist auch keine Grundvoraussetzung. Der Gedanke ist sicherlich auch vorhanden. Ich bin ja schon jahrelang für Labels tätig, hab miterlebt, wie z.B. Crematory oder Theatre Of Tragedy groß geworden sind.

Markus: Du hast ja auch quasi dein ganzes Leben nichts anderes gemacht ;)

Alex: Schule war für mich Zeitverschwendung, ich habe im Grunde eine rebellische Ader in mir. Und dieses ganze Schulsystem, das es dann auch speziell bei uns hab, wir hatten einige strafversetzte Lehrer und ich dachte, was sollen die mir erzählen... Ich habe schon meinen Abschluss gemacht und habe dann Tontechnik studiert. Ich habe früh – etwa mit 16 - mein Leben der Musik verschrieben. Ich wusste, das ist das Ding, was ich machen wollte. Mein Fernziel war, ein Studio aufzubauen und das habe ich auch geschafft. Ich habe vom Schreiberling bis zum Konzertveranstalter schon alles gemacht. Jetzt bin ich Produzent, Manager und Musiker.

Simone: Und Vater...

Alex: Und natürlich Vater.

Markus: Ihr habt ja sowieso ein sehr musikalisches Kind.

Alex: Das stimmt, er singt jetzt schon gut mit. Er spitzt schon ganz schön die Ohren. Er hat ja die Lovelorn-Platte miterlebt, vom ersten bis zum letzten Ton.

Simone: Liv, Meinst du, dass sich deine Schwangerschaft sehr auf „Lovelorn“ ausgewirkt hat?

Liv: Auf jeden Fall. Man ist, wenn man Schwanger ist, total gespannt auf dass was da kommt. Man merkt, da wächst ein Leben. Ich hatte auch eine sehr schöne Schwangerschaft. Keine Komplikationen. Ich habe gerade den letzten Song eingesungen, danach sind wir ins Krankenhaus und da war er dann auch schon. Ganz knapp geschafft. Ich weiß, dass er das alles nah miterlebt hat. Er kennt die Leaves´ Eyes-Songs. Das gibt ihm Geborgenheit und Freude. Wenn er die Songs hört, dann strahlt er. Er mag auch die tiefen Männerstimmen, und das mag nicht jedes Kind.

Alex: Die meisten Kinder würden wahrscheinlich erschrecken. Beim Videodreh war es extrem. Wir wollten ursprünglich am Meer drehen, aber dann kam ein Schneesturm. Wir sind im Endeffekt nicht ganz so zufrieden. Es kommt nicht ganz dem nah, was wir ursprünglich geplant hatten. Als die Mama auf der Bühne gesungen hat, war er irgendwie unruhig, aber sobald die Türen vom Saal aufgegangen sind, wollte er auch dabei sein. Die Grundvoraussetzung zum Musiker ist auf jeden Fall da, aber vielleicht wird er ja auch Bankkaufmann.

Markus: Es gab viele Leute, die die Leaves´ Eyes Platte durchgehört haben, die gesagt haben, die Platte ist gut, aber warum muss da immer einer dazwischengrunzen.

Alex: Ich denke, es ist wie ein bisschen Salz in der Suppe und live kommt es ach super an. Es gibt die gewisse Dynamik. Solche Kritiken entsprechen nicht der Meinung der Fans. Songs wie „Oceans Way“ zum Beispiel gefällt den Fans einfach.

Markus: Liv, wie lang hat es eigentlich gedauert bis du die Schriftart zu Atlantis von Atrocity fertig gstellt hast?

Liv: So etwa 3 Stunden. Auch durch mein Studium wusste ich, wie die Schriftart in etwa aussehen sollte. Das war an einem Morgen, da dachte ich ´so muss es sein´. Sie sieht ein bisschen fremd aus, aber wenn man sich damit beschäftigt, dann geht es ganz schnell. Wir haben dann noch die Feinheiten besprochen.

Alex: Die Erstellung des Fonts war schon sehr viel Arbeit. 

Liv: Aber so was zu haben ist schon was besonderes.

Markus: Dass das Album in Buchform erschienen ist, das ist auch so eine Sache. Sowas ist in meinen Augen ein ganz anderer Kaufanreiz. Wenn die Leute sehen, dass man sich als Künstler viel Arbeit mit der Optik macht, das Album vielleicht in ein kleines Digi-Book einarbeitet oder wie in eurem Falle dieser spezielle Font. Würden die großen der Industrie sich mehr Mühe bei solchen Sachen geben, dann bräuchten sie sich auch nicht ständig über die bösen Kopierer zu beschweren. Das "Lovelorn" Digibook ist das beste Beispiel, denn da ist zusätzlich die Schrift noch in Silber ins Cover geprägt. Sowas macht sich doch ganz anders als liebloses Plastik mit 4-seitigem Booklet.

Alex: Wir haben uns schon länger mal überlegt einfach ein neues Format zu nehmen. Nicht wegen der Verkaufszahlen, sondern auch weil es nicht so langweilig ist.

Markus: Habt ihr euch eigentlich richtigen geschichtlichen Hintergrund angelesen bevor ihr "Atlantis" und auch speziell die Schriftart ausgearbeitet habt?

Alex: Ja logisch! Es gibt eigentlich keine überlieferte Schriftform aus dem atlantischen, aber man vermutet dass es im Baskenland ein paar überlieferte Schriftrelikte gibt, die evtl. atlantischen Ursprungs sind. Das lustige was eigentlich den Bezug zwischen Atlantis und der heutigen Zeit in Europa herstellt ist ja die Baskische Sprache. Baskisch ist in Europa einzigartig und geschichtlich eher mit dem indianischen verwandt.

* Es folgt ein Exkurs über Atlantische Mythen, Überlieferungen und die Ursprünge diverser Sprachen *

Alex: Was wir mit der speziellen Schrift auf "Atlantis" erreichen wollten ist eigentlich, dass die Fans erst einmal die Platte anschauen und zuerst denken "Uff, was is das denn". Sie können es nicht auf Anhieb lesen und müssen sich damit beschäftigen. Wenn sie den Multimedia-Part nutzen wollen, müssen sie sich mit der Schrift beschäftigen. Und dort im Mulitmedia-Part ist dann auch die Auflösung zwischen unserem Atlantisch und den normalen Buchstaben. Aber wenn man erst einmal dahinter kommen, dann macht es auch wirklich Spaß mit den Hintergrunddaten zu arbeiten, die wir mit drauf gepackt haben.  Füher war es ja auch so, z.B. bei Pink Floyd, Led Zepplin... Diese großen Acts haben sich teilweise auch monströse Sachen ausgedacht - gerade wenn ich an "The Wall" denke.

Markus: Genau, mit dem Film. Einfach großartig.

Alex: Aber hunderprozentig. Das ist mein Vorbild. Ich war damals 9 Jahre alt und hab mich da total reinversetzt. Mir war sowas auch von Anfang an wichtig. Wenn man musikalisch etwas erschaffen will musst muss einfach hart arbeiten und etwas bieten. Viele Bands im Metalbereich greifen nur andere Ideen auf und wissen gar nicht genau wovon sie da eigentlich reden. Anschließend legen sie das Thema ab und das wars dann. Sowas ist nichts für mich. Es war ja auch während unserer Hochzeitsreise so, dass ich zwischendurch zwischen irgendwelchen Megalythsteinen rumgesprungen bin und auch einen Teil der Texte direkt am Atlantik geschrieben habe. Es war für mich von Anfang an wichtig so originell wie möglich zu klingen.

Markus: Das Thema "Atlantis" ist ja sehr weitläufig und dadurch, dass es nichts bewiesenes gibt hat man auch eine enorme Bandbreite. Man kann so viel spekulieren und hin und her.

Alex: Ja, man könnte theoretisch sogar einen zweiten Teil davon machen. Das werden wir warscheinlich nicht machen, aber es wäre möglich.

Markus: Das ist doch eine Sache, die dich bestimmt sehr reizen würde, oder?

Alex: Eventuell, aber jetzt machen wir erst mal einen zweiten Teil von "Werk 80".

Interview und Ausarbeitung: Markus Rutten und Simone Steinbüchel