Interview mit Cristian Machado von ILL NINO

 

 

Ill Nino-Sänger Cristian Machado ist abseits der Bühne ein entspannter Zeitgenosse. Trotz seiner mutmaßlich heißblütigen lateinamerikanischen Wurzeln präsentiert sich der Frontmann am späten Nachmittag dieses Tourtages gelassen und mit fast schon jamaikanischer Unbekümmertheit. Um während seinem sounds2move-Interview bei bester Laune zu bleiben reichen ihm eine große Flasche Bananensaft und eine ausreichende Menge Glimmstängel. Auch muss man dem baumlangen US-Boy nicht, wie bei den meisten seiner Landsleute leider üblich, jede Antwort aus der Nase ziehen. Nein, Mr. Machado muss man eher bremsen, wenn er auf „seine“ Themen angesprochen wird, damit einen der Redefluss nicht davon spült. So werden aus angesetzten 20 Minuten schnell 40, selbst wenn diese durchaus informativ und unterhaltsam ausfallen.

 

 

Faith No More vs. Sepultura

 

„Ich will es mal auf den Punkt bringen: Unser Album war schon im letzten Jahr fertig. Genau genommen sogar schon bevor wir im Juni und Juli für einige Festivals hier nach Europa gekommen waren“, erzählt Cristian auf die Frage nach den Gründen für das mehrmalige Verschieben des neuen Albums „Enigma“. „Ok, der Mix von Jay Baumgardner hat etwas länger gedauert als geplant, denn er musste unter anderem noch an der neuen Foo Fighters und P.O.D. arbeiten, aber trotzdem hätte das Album theoretisch viel früher draußen sein können. Das hat man als Künstler einfach nicht in der Hand und kann mitunter auch ziemlich stressig werden. Aber wir sind nicht diejenigen, die ins Auto steigen und die Platten zu den Läden fahren“, folgt ein Wink mit dem Zaunpfahl. So richtig rund scheint die Beziehung zu Cement Shoes Records, dem neuen Label der Band dann wohl noch nicht zu laufen. Da hätte man eigentlich genauso gut bei Roadrunner Records bleiben können, von denen man sich nach „One Nation Underground“ getrennt hatte. Cristian umreißt die Beweggründe für die Luftveränderung seiner Truppe: „Wir wollten ein sehr vielseitiges Album machen und uns ein Stück weit vom Rahmen der vorherigen Alben entfernen. Wir waren einfach an einem Punkt, wo wir uns verändern wollten, um unser eigenes Ding zu machen und unserem Sound eine noch eigenständigere Note zu verpassen. In dieser Hinsicht war unsere „Undercover Sessions“ EP nicht unwichtig, denn sie zeigt, dass wir mehr eine Latin-Version von Faith No More sind als eine Band im Dunstkreis von Sepultura – selbst wenn wir selbige sehr schätzen. Ich weiß nicht ob ein Album wie ‚Enigma’ es letztlich geworden ist auch bei Roadrunner möglich gewesen wäre. Vielleicht hätte man uns dort gesagt wir sollten nicht so viele Akustiksongs machen und eine reine Metalplatte aufnehmen“.

 

 

Latino-Pop vs. Dampfhammer

 

Metal findet sich natürlich weiterhin im Ill Nino-Kosmos, aber man hat auch Platz gemacht für neue Einflüsse und Experimente. Vor einigen davon wäre manch andere Band vermutlich zurückgeschreckt, um nicht Gefahr zu laufen das eigene Publikum vor den Kopf zu stoßen. Einen Song wie „De Sangre Hermosa“  oder „Me gusta la Soledad“ – beides astreiner Latino-Pop - muss man als Heavy-Band mit größtenteils metallischem Publikum erst einmal auf sein Album packen. Und Ill Nino tun genau dies, während einige andere Stücke in genau die entgegen gesetzte Richtung laufen und fast schon Hardcore-artige Aggressionsschübe offerieren. Ganz offensichtlich lotet der Sechser derzeit sein Spektrum und die Toleranzgrenze seiner Anhängerschaft neu aus. „Es ist wie du sagst, wir sind noch extremer in beide Richtung gegangen“, stimmt Cristian zu. „Aus musikalischer Sicht haben wir uns diverser Stilrichtungen angenommen, etwas Blues, natürlich Metal, dann gibt es Stellen die vielleicht ägyptisch klingen und manches klingt natürlich südamerikanisch. Es war definitiv an der Zeit für uns noch mutiger zu experimentieren“. Außerdem stellt der Dreadlockträger klar, dass seine Band seit jeher nicht versucht einem bestimmten Hörerkreis zu 100% zu entsprechen, weder dem beinharten, reinrassigen Metal-Publikum oder dem Anhänger von Latin Music, noch der radiohörenden Sekretärin des Chefs. Vielseitig wolle man klingen, so die Kernaussage des Mannes aus New Jersey. Diese Mission wäre erfüllt.

 

 

Latin Metal vs. Industrial Computer Rock

 

Darüber, dass die Latino-Einflüsse den größten Anteil an der musikalischen Identität von Ill Nino haben, daran lässt Machado keinen Zweifel. „Da bin ich mir sicher. Vor uns gab es keine Band, deren Stil man als ‚Latin Metal’ bezeichnet hat“, weiß Cristian. Außerdem gehört er zur absoluten Minderheit unter den Musikern, die sich ohne Probleme mit einem Genre bzw. einer ebensolchen Bezeichnung arrangieren können: „Mit dieser Kategorisierung kann ich übrigens sehr gut leben. Zudem haben wir selbst vor einigen Jahren damit begonnen unseren Stil so zu nennen – auch weil wir nicht wussten wie wir ihn sonst nennen sollten“, lacht der Sänger und lehnt sich schmunzelnd auf dem Sofa zurück. „Aber ernsthaft, mir fällt keine andere Band ein, die man außer uns als Latin Metal bezeichnen könnte. Einige Bands kommen aus der Richtung Tribal Metal, aber das ist wieder etwas anderes. Wir verwenden auch hin und wieder Tribal-Elemente, was uns jedoch noch lange nicht zu einer dieser Bands macht. Unsere Prioritäten sind anderweitig verteilt“. Machado geht sogar soweit zu sagen, dass es niemals ein Ill Nino Album ohne die bekannten Trademarks geben wird, obgleich man im selbst definierten Rahmen konstant neue Experimente erwarte darf. Für alles andere, da ist sich der Frontmann sicher, gäbe es immer noch die Option eines Nebenprojektes, so wie er aktuell eines in der Planungsphase hat. Industrial Computer Rock nennt der Sunnyboy als selbst definierten Oberbegriff für etwas, das – der Name verrät es – in komplett anderen musikalischen Bahnen verläuft als seine Hauptband.

 


 

Astralkraft vs. Live-Power

 

Wer den ersten Videoclip zum neuen Album, genauer gesagt zu „Alibi of Tyrants“ gesehen hat, der wird überrascht sein, dass Ill Nino „nur“ einen Live-Clip (das Material stammt vom letzjährigen With Full Force, Red.) und kein klassisches Studio-Video vorgelegt haben. Hat die neue Plattenfirma etwa beim Budget geknausert? Machado verneint und erläutert den Denkansatz hinter dieser Idee: „Das live spielen ist der Aspekt an Ill Nino, der uns all die Jahre am Leben gehalten hat. Dabei haben wir mit einigen der größten Metalbands unserer Zeit gespielt, aber auch mit anderen großen Bands, die statt auf Härte auf Eingängigkeit und Melodien setzen. Ich bin der Meinung, dass unsere Shows die Maschine sozusagen am Laufen halten und diesen Aspekt wollten wir einfach unterstreichen“. Da der Albumtitel „Enigma“ übersetzt so viel wie „Rätsel“ bedeutet, liegt es natürlich auf der Hand den Sänger und Texter abschließend nach der tieferen Bedeutung dieser Taufe zu fragen. Was also ist das Geheimnis hinter „Enigma“? Mit dieser Frage scheint man in das sprichwörtliche Wespennest gestochen zu haben, denn Cristian antwortet mit einem mehrminütigen Exkurs über Astralenergie und die Kraft der Elemente. Ein kurzer Auszug: „Dieses Album beschäftigt sich mehr als jemals zuvor bei uns mit den Elementen und Dingen wie der Sonne, dem Ozean oder der Fragen nach unserer Blutlinie. Hauptsächlich Dinge für die wir als Menschen nicht all zu viel Verständnis haben, wenngleich sie großen Einfluss haben auf die Welt in der wir leben. Ich wollte Themen behandeln, die wir nur falsch oder gar nicht verstehen, es aber gern könnten. Es geht um die großen Kräfte und Mysterien im Universum“. Damit wären doch alle Klarheiten beseitig, oder?

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.illnino.com