Interview mit Maik Weichert von HEAVEN SHALL BURN
Und plötzlich
waren sie Headliner: Maik Weichert (links) und Heaven Shall Burn
Dafür, dass Heaven Shall Burn für ihre Clubtour zu „Wanderer“ die Hallengrößen
freiwillig stark geschrumpft haben, bietet das Zoom mitten in der Frankfurter
City relativ viel Backstage-Platz. Trotzdem ist an ein Interview im Inneren des
im 1. Stock gelegenen Ladens nicht zu denken, da draußen gerade Deathrite ihren
Soundcheck hinter sich bringen und man währenddessen in der kompletten Etage
kaum sein eigenes Wort versteht. Kurzerhand fliehen Musiker und Journalist auf
die Straße und lassen sich keine 100 Meter neben den zahlreichen wartenden Fans
unter einem Baum und neben malerischen Abfallcontainern nieder. Von Star-Allüren
keine Spur und auch die Fans ziehen schnurstracks an uns vorbei, scheinbar
rechnet niemand damit, einen der Helden des Abends in einer Seitenstraße sitzen
zu sehen. Eigentlich müssten sie es aber besser wissen, denn ihren Erfolg
verdanken Heaven Shall Burn nicht zuletzt ihrer unaufgeregten Bodenständigkeit
und ihrer Fan-Nähe.
Naturgewalt 1: Für’s Auge
Beurteilt man das Album erst einmal nach seinem Äußeren, so fällt natürlich das
monumentale Artwork ins Auge. Zu sehen ist ein beeindruckendes Landschaftsfoto,
welches auf Island vom befreundeten Fotografen Christian Thiele aufgenommen
wurde. Dafür hat man den Mann samt Equipment kurzerhand auf die nordeuropäische
Insel geflogen, mit der Vorgabe nicht ohne ein paar geile Aufnahmen zurück zu
kommen. Dabei ließ man dem Fachmann relativ freie Hand, der seine Auftraggeber
von unterwegs immer mal mit einigen Mustermotiven versorgte. „Wir haben ihm
natürlich trotzdem eine Liste mit Orten gegeben, die wir gerne abgedeckt hätten.
Ich bin selbst regelmäßig auf Island und habe entsprechend auch einige Plätze,
die mich immer besonders inspiriert haben und an denen ich auch schon über Musik
gegrübelt habe. Die sollten natürlich dabei sein“, schränkt Maik ein. Wer das
Ergebnis gesehen hat, wird mit der Band konform gehen, dass die Umsetzung
außerordentlich gut gelungen ist. Gerade im Großformat macht das Cover wirklich
Eindruck, sei es als Gatefold-LP oder im ähnlich großen Artbook. Diese optische
Naturgewalt passt natürlich auch perfekt zu einer stets epischen Live-Macht wie
Heaven Shall Burn, für die ein derartiges Artwork im Grunde überfällig war. „Das
stimmt und wir hatten auch keinen Bock auf irgendwas typisch Metal-mäßiges, wir
wollten keine Zeichnung und kein Gemälde. Da bleibt dann im Endeffekt eigentlich
nur noch ein Foto übrig, und zwar eins, das etwas aussagt - und fetter als mit
so einem großen Berg geht es eigentlich nicht“.
Für die naturverbundenen Thüringer eröffneten sich durch diesen optischen Rahmen
auch noch andere Möglichkeiten: So konnte man „Wanderer“ etwa direkt in einer
Art Outdoor-Paket vorbestellen, das einen Trekking-Rucksack und eine
Trinkflasche beinhaltete. Außerdem ließ man Zelte mit dem Artwork fertigen, die
man unter den Fans verloste. Alles gute Ideen, um für Furore zu sorgen und
einfach aufzufallen, was heutzutage das A und O ist, wie Maik weiß. „Es gibt
mittlerweile einige Bands, bei denen es nur noch um Style, Aufmachung und
Merchandise geht und bei denen die Musik fast schon Beiwerk ist, das eben so
mitläuft und viele eigentlich gar nicht so sehr interessiert. Bei uns ist das
zum Glück nicht der Fall, aber auf jeden Fall werden solche optischen Dinge
immer wichtiger, wenn man noch wahrgenommen werden will“. Dennoch ist klar, dass
nicht jeder das Glück haben kann, ein unkaputtbares Markenzeichen zu kreieren
wie etwa das Heartagram von Him oder die berühmte Zunge der Rolling Stones.
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Naturgewalt 2: Auf die Ohren Der bereits erwähnte „Naturgewalt-Sound“ wurde Heaven Shall Burn in der Vergangenheit ein Stück weit auch zum Verhängnis, zumindest was die Alben vor „Veto“ angeht. Dass diese Jungs seit jeher einige starke Bretter vorgelegt haben, wird niemand bestreiten wollen, aber doch hatten einige Hörer Probleme, wenn es über die volle Longplayer-Distanz ging. Klar macht diese lange Zeit praktizierte „Wall of Sound“ Eindruck und zieht dem Hörer ordentlich den Scheitel gerade, aber auf längere Sicht waren manche Scheiben schon etwas zu viel des Guten, und nur wenige Fans hatten die Ausdauer, diese mehrfach am Stück durchzuhören. Man wurde streckenweise schlichtweg erschlagen, was auch Maik und seinen Kollegen natürlich nicht entgangen ist, weshalb seit „Veto“ verstärkt und pro aktiv gegengesteuert wird. Noch immer fahren die Metalcore-Helden einen verdammt fetten Sound, aber man kleistert nicht mehr jede Lücke zu, sondern gibt den einzelnen Songs mehr Raum, lässt sie atmen und gesteht ihnen auch mal Freiräume zu. Damit konnte man das Hörvergnügen noch mal steigern, zugleich hört man „Veto“, vor allem aber „Wanderer“ viel lieber am Stück durch als ihre Vorgänger. Ist die Tatsache, dass sich Durchschlagskraft nicht immer proportional mit der Anzahl der Tonspuren steigert, womöglich die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Jahre für die Musiker? „Die Erkenntnis ist nicht unbedingt neu, dieser Prozess läuft in der Tat seit ‚Veto‘ und wir haben das diesmal noch etwas besser hinbekommen. Das zu erkennen ist aber das Eine, du musst es aber auch umsetzen können und das war lange der Knackpunkt, obwohl wir das wie gesagt schon länger auf dem Schirm hatten“, erklärt der Gitarrist die klangliche Entwicklung der Saalfelder. Und schiebt grinsend die Anekdote nach, dass Mischer Tue Madsen den Jungs genau das bereits seit vielen Jahren immer wieder erzählt habe, sie es aber lange nicht wahr haben wollten. |
Trotzdem haben auch Alben wie „Iconoclast“
und „Invictus“ ihre Daseinsberechtigung, auch was deren brutalen Sound
anbelangt. „Diese Platten sind eher so aufgebaut, dass sie den neuen
Hörgewohnheiten der Leute entsprechen. Wer hört sich heute noch ein Album am
Stück an, wenn er nicht gerade ein Review darüber schreiben muss? Heutzutage
wirst du als Band in eine Playlist gesteckt, in der du mit ein oder zwei Songs
vorkommst und dann heißt es zwischen Hatebreed, Killswitch Engage, In Flames und
Machine Head soundmäßig nicht abzustinken. Dadurch wurde alles immer lauter und
immer fetter, damit eben genau dieser eine Song in der Playlist besonders fett
klingt“, wird ein Einblick in die Gedankenspiele und unterschiedlichen
Philosophien der zeitgenössischen Konsumgewohnheiten gewährt. Daraus
resultierend gibt es aber auch Zustimmung für die Einschätzung des
Schreiberlings: „Wenn man diesen Sound auf der ganzen Platte hat und das über
die volle Distanz hören will, dann hält man das natürlich nicht wirklich durch -
da hast du recht. Darum haben wir uns jetzt auch dazu entschlossen, auf solche
Ansätze zu scheißen und es lieber so zu machen, dass man die Platte als Ganzes
genießen kann“.
Die Fans haben das letzte Wort
Den neu gewonnenen Freiraum haben Heaven Shall Burn subjektiv betrachtet
hauptsächlich mit noch mehr geilen Melodien gefüllt, wobei Maik darauf verweist,
dass man als Songwriter nicht wirklich analytisch an die Sache herangeht und
sich auf die Fahne schreibt, jetzt noch mehr Melodiebögen unterbringen zu
müssen, sondern solche Prozesse wenn dann unterbewusst ablaufen. Und dennoch war
man gefühlt noch nie so nah am klassischen Melodic Death Metal und damit an
Bands wie At the Gates oder Dark Tranquillity. „Godiva“ vom Vorgänger war
diesbezüglich scheinbar nur ein Vorgeschmack. „Das kann schon sein, dass bei
einigen Songs die Melodien luftiger und rockiger geworden sind und diesen
Eindruck somit verstärken. Am anderen Ende der Skala sind wir parallel aber auch
noch härter geworden, man muss sich nur „Prey to God“ und „Save me“ anhören“. So
oder so: Unbestritten wird die Aufgabe in Zukunft nicht leichter, wenn es darum
geht, die Setlist zu gestalten. „Wanderer“ hat nämlich eine ganze Reihe an
Songs, die regelrecht danach schreien, ins Programm aufgenommen zu werden, allen
voran „Downshifter“, „Bring the War home“ oder aber „Passage of the Crane“. Ein
Luxusproblem, das auch der Band nicht verborgen geblieben ist: „Bei dieser
Auswahl tun wir uns nicht leicht, denn es gibt viele Songs, die man ins Set
nehmen will, während auch andere gespielt werden müssen. Da wird es spannend zu
sehen was die Leute fordern und hören wollen. So gesehen hat quasi das Publikum
das letzte Wort“.
Da werden die eigenen Gassenhauer schnell zum (angenehmen) Problem, gerade wenn
man ein Album vorgelegt hat, das nach Meinung des Reviewers die bisher höchste
Hit-Dichte in der Geschichte der Band aufweist. Dieses Kompliment nimmt der
Musiker gerne an, verweist in aller Bescheidenheit aber auch auf die fast schon
traditionellen eigenen Fehleinschätzungen. „Für mich ist das schwer zu
beurteilen, weil ich einfach zu nah dran bin. Da überlassen wir lieber den
Leuten die Entscheidung was ein Hit ist und was nicht. Wenn wir eine Platte
schreiben, dann war es schon oft so, dass die Songs, von denen man dachte sie
werden der Bringer, am Ende die grauen Mäuse waren. Andererseits wurden Stücke,
die anfangs kaum den Cut geschafft haben und fast nicht auf einem Album gelandet
wären, am Ende die größten Hits“. Konkretes Beispiel gefällig? „Bei der letzten
Produktion war zum Beispiel „Godiva“ ein Song, den niemand so richtig leiden
konnte. Dann kamen noch ein paar Melodien mit drauf und der richtige Gesang und
auf einmal war es der Hit des Albums. „Hunters will be hunted“ war auch lange
ziemlich unspektakulär und jetzt lieben die Fans die Nummer“, schmunzelt Maik.
Aus Jugendsünden
gelernt |
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Headliner mit Herz
Abseits von Bühne, Proberaum und Studio sind Heaven Shall Burn sozial und ein
Stück weit auch politisch engagiert und sind durchaus eine Band, die ihre
Popularität auch für Projekte nutzt, die ihr am Herzen liegen. Da wäre nicht nur
die langjährige Zusammenarbeit mit der Umweltschutzorganisation Sea Shepherd,
sondern aktuell auch die Zusammenarbeit mit der aktiven Fanszene des FC
Carl-Zeiss Jena. Dort, also in unmittelbarer Nachbarschaft der Musiker, wird
gerade ein längst überfälliger Stadionneubau vorangetrieben, der allerdings nach
Argumentation der Entscheidungsträger und Ämter aus Kostengründen angeblich
damit einhergehen muss, dass die treuesten Anhänger ihre angestammte Heimat in
der Südkurve verlieren. Für Fans und Band ein Unding, weshalb die Metalstars
auch das von Fans initiierte „CrowdFANding“ unterstützen, um Geld für bauliche
Veränderungen zu generieren und die Fankurve, in der auch die Musiker regelmäßig
anzutreffen sind, zu retten. „Wir sind eine sozial sehr bewusste Band und haben
das Glück, dass die Fanszene absolut unsere Attitüde widerspiegelt, kürzlich
wurde etwa eine Typisierungsaktion für die DKMS organisiert. Das sind einfach
sehr engagierte und coole Leute, die wahnsinnig viel auf die Beine stellen. Für
diese Südkurven-Aktion wurden beispielsweise in ein paar Wochen 150.000 Euro
gesammelt. Genau solches Engagement wollen wir gern fördern, denn diese Jungs
und Mädels tragen das Herz am rechten Fleck“. Eine sehr löbliche Einstellung,
gerade wenn es um Themen geht, die in den Medien nicht viel Auflage machen und
deshalb weitestgehend unter dem Radar fliegen. Was absurd genug ist, denn
während Vorfälle mit Pyrotechnik teilweise über Monate die Schlagzeilen
bestimmen, stößt soziales Engagement von Fußballfans in der öffentlichen
Wahrnehmung regelmäßig auf Ignoranz und ist bestenfalls eine Fußnote wert.
Zufällig an die Spitze
Geht es um den inzwischen durchaus beachtlichen Status, den sich Heaven Shall
Burn erspielen konnten, dann kann man den Herren eigentlich nur gratulieren.
Denn während andere Bands locker neun Monate im Jahr auf Tour sind, um ihre
Brötchen zu verdienen (etwa die Label-Kollegen von Lacuna Coil), hat das
Quintett einen anderen, eigentlich weniger ambitionierten Weg eingeschlagen.
Anstatt um jeden Preis eine Karriere als Profimusiker zu forcieren, hat man sich
lieber dazu entschlossen, seine regulären Jobs zu behalten und Metal nur im
Nebenerwerb zu betreiben. Auch wenn man seine Aktivitäten dadurch vom
Urlaubsplan abhängig machen muss. Dem eigenen Siegeszug stand diese
bodenständige Herangehensweise jedenfalls nicht im Weg. „Vielleicht ist genau
das unser Geheimrezept, also dass wir uns immer rar gemacht haben und dass man
merkt, dass wir einfach Bock auf die Sache haben, weil es eben nicht nur unser
Job ist“, überlegt Maik. „Vielleicht ist das auch das Geheimnis dafür, dass es
uns seit 20 Jahren gibt. Andernfalls hätten wir die Schnauze vielleicht schon
voll“. Haben sie zum Glück nicht und nehmen den Status ihres „Hobbys“ mit einer
Mischung aus Demut und Verwunderung zur Kenntnis. Auf jeden Fall weiß man um das
eigene Privileg: „Wir stehen ja selbst teilweise da und wissen gar nicht warum
wir Erfolg haben. Uns ist natürlich nicht entgangen, dass es ringsherum 1.000
Bands gibt, die viel talentierter und objektiv betrachtet auch einfach besser
sind als wir und bei denen es nicht so gut läuft. Warum das so ist können wir
uns auch nicht so einfach erklären“.
Zumindest aber für ihr Umfeld brauchen Heaven Shall Burn natürlich absolute
Profis, gerade wenn man sieht in welchen Dimensionen mittlerweile etwa auf
Festivals von den Jungs agiert wird. Bei solchen Bühnenproduktionen und wenn
Feuer und Pyro-Effekte ins Spiel kommen, ist man zwangsläufig auf Fachleute
angewiesen, denn wenn die Thüringer etwas machen, dann bitte richtig. Man könnte
sagen, dass sich das Beste aus beiden Welten herausgepickt werden kann: Auf der
einen Seite kann man die Möglichkeiten einer mittelgroßen Band in Anspruch
nehmen und bei Open Airs zur Prime Time auf der Hauptbühne vor Tausenden Fans
eine fette Show spielen, andererseits kann man aber auch einfach mal persönlich
auf dem Summer Breeze 1.000 T-Shirts zur neuen Scheibe verschenken, ohne vorher
bei Label und Management um Erlaubnis fragen zu müssen. Man hat überall das
letzte Wort und noch selbst die Hand drauf, darf aber trotzdem im Konzert der
Großen mitspielen - der Traum einer jeden Underground-Band. „Genau dieses Leben
leben wir und das Geheimnis ist wohl, dass wir uns das nie so vorgestellt haben.
Wir haben nie erwartet oder geplant, dass wir da irgendwann hin kommen, sondern
alles so genommen wie es kam. Keiner von uns hatte den großen Traum,
professioneller Musiker zu werden, auch weil wir alle Jobs haben, die uns Spaß
machen. Das lief bei uns nie wie zum Beispiel bei Tom Angelripper von Sodom, der
früher Schlosser im Bergbau gewesen ist - dass der irgendwann keinen Bock mehr
auf den Job hatte, kann ich verstehen. Also ist er Profimusiker geworden, als er
die Chance dazu hatte“, lacht der Teilzeit-Profi. „Bei uns sieht die Sache
anders aus: Unser Sänger Marcus arbeitet gerne im Krankenhaus mit Menschen und
hat Spaß an seiner Arbeit dort. Das gleiche gilt für unseren Schlagzeuger, der
total gerne Lehrer ist. Es gibt doch nichts schönes als einen Beruf, der Spaß
macht und ein Hobby, das einem genauso viel Freude macht“.
Markus Rutten -
www.sounds2move.de
Links:
www.heavenshallburn.com
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