Interview mit Matthias Voigt von HEAVEN SHALL BURN

 

 

Als erstes fällt einem auf, dass ihr für die optische Komponente von "Veto" einen ungewöhnlichen Weg beschreitet, denn ihr habt ein Gemälde namens "Lady Godiva" als Cover gewählt. Was macht das Teil so perfekt für euer Album, immerhin habt ihr auch den Opener "Godiva" getauft. Passt ihre Geschichte einfach wunderbar zur Attitüde von Heaven Shall Burn?

 

Ein klassisches Cover hatten wir schon immer mal im Kopf. Es gibt viele Metal-Alben, die mit solchen Werken arbeiten und bei denen dadurch auch eine besondere Atmosphäre geschaffen wird. „The 4th Crusade“ von Bolt Thrower fällt mir da immer spontan als Beispiel ein. Früher hatten wir meist Artworks, die extra für ein Album in Auftrag gegeben wurden, und da steckt im Prinzip genauso viel Geld drin, wie wenn du hier eben etwas an die Eigentümer der Rechte zahlst und so ein Gemälde nutzen kannst, was eigentlich ziemlich viel Geld wert ist. Ich persönlich finde die Idee mit dem klassischen Cover gar nicht so unüblich, aber es kann schon sein, dass das heutzutage nicht mehr so oft zur Verwendung kommt. Das ist sicherlich eine Wahrnehmungssache. Viele unserer Lieblingsalben haben solche Artworks, und deswegen ist das gar nicht so außergewöhnlich für uns.

 

Die Legende um Lady Godiva passt in der Tat ganz gut zu uns, weil wir schon immer gerne Geschichten um Personen in die Texte eingebaut haben, die für oder gegen etwas standen. Im Falle von Lady Godiva war es eben so, dass sie als englische Edelfrau ihr Veto gegen die Steuerpolitik ihres eigenen Ehegatten eingelegt hat. Sie empfand die Steuern als zu hoch und als existenzbedrohend für die Untertanen und hat sich für ihre Interessen eingesetzt. Das ist insoweit beeindruckend, dass Angehörige der herrschenden Klasse selten für die Unterprivilegierten einstehen.

 

Einen recht ungewöhnlichen Weg habt ihr auch mit eurer sensationellen Coverversion von Blind Guardians "Valhalla" beschritten. Die hat nämlich teilweise Hansi Kürsch höchstpersönlich mit euch eingesungen. Nicht gerade alltäglich, dass ein Sänger dabei mithilft seinen eigenen Song zu covern oder? Ich glaube ich trete euch nicht zu nahe, wenn ich behaupte, dass es für euch schwer gewesen wäre den Chorus in dieser Form selbst einzusingen, hehe.

 

Da Marcus ja kein Sänger im klassischen Sinne ist, hätten wir auch gar nicht versucht, ihn in Blind Guardian-Art singen zu lassen. Wir haben ja zum Beispiel auch „River runs red“ von Life Of Agony als Bonussong veröffentlicht, und dieser Song hat im Original auch keine geschrieenen Vocals. Trotzdem hat Marcus das dann auf seine eigene Art getan. Bei „Valhalla“ ist er im Endmix beim Chorus auch die ganze Zeit zu hören, und seine und Hansis Stimme ergänzen sich in unserer Version sehr gut. Da wussten wir auch nicht, wie es funktionieren würde, aber am Ende waren wir alle sehr begeistert. Dass Hansi von unserer Idee, den Song zu covern, angetan war und auch mitwirken wollte, war für uns natürlich wie ein Ritterschlag. Die Zusammenarbeit war wirklich eine riesige Ehre für uns.
 

Vor allem die Produktion von "Veto" hat vielerorts schon frühzeitig für positive Schlagzeilen gesorgt. Ich denke, man kann guten Gewissens behaupten, dass schon lange kein HSB-Album mehr so dynamisch und lebendig geklungen hat. Dadurch kommen auch die Facetten eures Sounds viel besser zur Geltung. Wie man jetzt weiß, hättet ihr es schon beim letzten Album so haben können, aber ihr konntet euch nicht dazu durchringen auf Tue Madsen zu hören. Dass er Recht hatte, weiß man jetzt, aber was hat euch damals davon abgehalten, es auf seine Weise zu versuchen? Der berühmte Tunnelblick?  

 

Man muss auch sagen, dass sich dieses Mal insgesamt viel mehr Zeit für die Scheibe genommen und viel mehr an Details gefeilt wurde. Außerdem lag „Invictus“ mittlerweile auch schon ein bisschen zurück, und man lernt immer dazu und vor allem aus früheren Fehlern. Diese „Fehler“ muss man als Band auf seinem Weg auch machen, um sich zu entwickeln. Der Sound und die Atmosphäre eines Albums hängen ja nicht nur von ein paar Knöpfchen ab, die gedreht werden, sondern da spielen viele Dinge rein. Bei „Invictus“ wollten wir den Sound eben so, und Tue hat den Job so gemacht, wie es gewünscht war. Seine Bedenken hat er natürlich geäußert, aber wenn man eine Idee im Kopf hat, dann hört man eben nicht immer auf andere Leute, obwohl man weiß, dass die viel mehr Ahnung von der Sache haben, als man selbst... haha. Das ist vollkommen normal.

 

In welche Richtung man selbst mit einer Platte gehen möchte, hängt zum Beispiel auch von der Stimmungslage ab. Wir wollten eben ein Album, welches von vorne bis hinten ballert und sind über das Ziel hinaus geschossen. Wenn du zum Beispiel „Iconoclast“, die Platte davor, nimmst, ist die auch dynamischer und offener und irgendwie auch relaxter. „Deaf to our Prayers“ hingegen war auch so ein Brett, was man sich nicht am Stück geben kann. Ich will damit sagen, dass das Resultat auch bestimmten Stimmungsschwankungen unterliegt. „Antigone“ war wiederum eine Scheibe, bei der wir das erste Mal mit Tue Madsen gearbeitet haben, und da haben wir auch noch mehr auf ihn gehört, weil wir noch sehr grün hinter den Ohren waren. Die Platten davor waren immer durch unsere Möglichkeiten limitiert. Da war es irgendwie gar nicht die Frage, welche Art Sound wir haben wollen, sondern wir haben einfach versucht, aus allen Instrumenten „das Beste“ mit unseren Möglichkeiten herauszuholen. Die Technik im Studio hat da auch in den letzten 15 Jahren wahnsinnige Fortschritte gemacht, und heute hat man oft die Qual der Wahl, welchen Gitarrensound man denn zum Beispiel haben will. Früher hatte man den Amp, und der klang eben, wie er klang. Ich weiß, das ist doof zu erklären, aber so ähnlich kann man sich das vorstellen.

 

Du hast natürlich alle eure Songs schon unendlich oft gehört, aber würdest du dem Eindruck zustimmen, dass "Veto" problemlos am Stück durchgehört werden kann, während das bei den letzten Alben nicht immer so ganz einfach war? Es sind alles geile Platten, aber es stellte sich für mich persönlich viel schneller ein Sättigungsgefühl ein als jetzt bei der neuen Scheibe.

 

Was die Qualität der Songs angeht, kann ich schlecht etwas sagen. Das ist ja rein subjektiv. Aber der offenere und dynamischere Sound macht es auf jeden Fall zu einem angenehmeren Hörerlebnis. Das ist klar. Und wie gesagt, man hatte einfach mehr Zeit bzw. man hat mit mehr Liebe zum Detail gearbeitet. Vielleicht hat es insgesamt nicht mal länger gedauert, die Songs zu arrangieren, aber man wird mit der Zeit eben effektiver bei der Arbeitsweise und weiß auch noch mehr, was man will. Das ist auch eine Frage der Erfahrung.

 

Ihr habt schon immer Härte mit eingängigen Melodien kombiniert, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass euch das noch nie so gut gelungen ist wie auf "Veto". Es ist eine gern bemühte Floskel, in Bezug auf ein aktuelles oder kommendes Album vom reifsten des bisherigen Schaffens zu sprechen, aber in eurem Fall würde ich dem jederzeit zustimmen. Wie schätzt du "Veto" ein, habt ihr tatsächlich euren persönlichen heiligen Gral gefunden? Und was habt ihr anders gemacht als beispielsweise bei "Invictus", mal abgesehen vom Sound?

 

Ja, wie gesagt, das ist die Weiterentwicklung, die die meisten Bands durchmachen. Wir haben uns ja über die Jahre nie radikal verändert oder unsere Wurzeln abgeschnitten. Deswegen betreiben wir jetzt immer eine Art „Feintuning“, innerhalb der Grenzen, die wir uns selbst mehr oder weniger unbewusst setzen. Wir wissen ja mittlerweile alle, was zu HSB passt und was nicht. Man hat da auch mal andere Ideen, aber die presst man nicht bei HSB rein, sondern behält sie erstmal im Hinterkopf. Eigentlich müsste das bei jeder Band so sein, die keinen absoluten Stilbruch begeht. Es gibt ja Bands, die zwischendurch mal was anderes machen und dann aber wieder zu ihren Wurzeln zurück kehren. Die liefern dann auch meist eine Art Steigerung ab. Wenn man sich selbst irgendwie gefunden hat, ist das wohl ganz einfach so. Das schützt einen nicht davor, vielleicht mal eine weniger interessante Platte zu machen, aber im Grunde genommen arbeitet man sich immer weiter vor, auf seinem Weg zur perfekten Platte. Auch wenn man die sicher nie aufnimmt...haha. Der Weg ist das Ziel.
 

"Veto" erscheint wieder in mehreren Versionen, wobei es auch ein schönes Boxset zu erstehen gibt, dem als Bonus u.a. eine nur hier erhältliche CD namens "Blizzard over England" beiliegt und auf welcher "Veto" dank Colin Richardson in einem etwas veränderten Soundgewand daher kommt. Könntest du den Lesern vielleicht noch mal kurz zusammenfassen wie es zu diesem alternativen Mix kam? Produziert wurde das Album wieder von euch selbst, und den Mix hat eigentlich Tue Madsen besorgt, oder? Wie kam da Richardson ins Spiel?

 

Für uns war eigentlich klar, dass wir wieder mit Tue Madsen arbeiten würden, weil er uns einfach versteht und wir ja auch gemerkt hatten, dass er weiß, was gut für uns ist und was nicht, haha. Irgendwie hat uns aber Colin kontaktiert und gefragt, ob wir nicht Lust hätten, die Scheibe von ihm mixen zu lassen. Wenn man sieht, mit welchen Bands er schon gearbeitet hat, überlegt man dann eben, ob man nicht doch den Versuch wagt. Es war auch kein Risiko, weil wir wussten, dass wir uns auf Tue verlassen können und sicher gehen konnten, dass wir auf jeden Fall mindestens einen guten Mix in der Tasche haben werden. Nicht, dass wir an Colin jemals gezweifelt hätten, aber wir wussten wirklich nicht, wie seine Arbeit zu uns passen und wie wir mit ihm arbeiten würden. Für uns war das ein interessantes Vorhaben, und wenn man sich überlegt, mit welchen Bands er schon gearbeitet hat, musste man einfach dem Ganzen eine Chance geben. Wir waren da wirklich sehr gespannt.

 

Der Mix mit Tue war dann abgeschlossen und es gab Termine, an denen unsere Gitarristen Maik und Alex nach England fliegen und alles zusätzlich mit Colin abmischen sollten. Pünktlich zu den Terminen ist dann der Winter über England herein gebrochen und Flughäfen und Straßen wurden geschlossen. Colin selbst war in seinem Studio eingeschneit. Die Absprachen zum Mix liefen also per Telefon und Internet ab. Das sind natürlich nicht die optimalen Voraussetzungen, aber Colin lieferte echt einen super Job ab, und der Mix war am Ende so gut, dass wir ihn den Leuten nicht vorenthalten wollten. Ich denke, dass es ganz interessant ist, wenn man sich für Sounds und Studioarbeit interessiert und dann die beiden unterschiedlichen Versionen hören kann. Im Prinzip verkörpern sie ja zwei unterschiedliche Arbeits- bzw. Herangehensweisen. Die Vinylversion kommt zum Beispiel in der Richardson-Variante und hat aber auch eine CD beiliegen, die den Tue Madsen-Mix enthält. Wer die Richardson-Version hat, kann sie also auch immer mit dem Original vergleichen.

 

Wie sehr seid ihr eigentlich generell in solche Sachen wie besagtes Boxset selbst involviert, also in die Aufmachung, den Umfang und auch ganz konkret den Inhalt? Gehen solche Sachen "über euren Tisch" oder verlasst ihr euch diesbezüglich auf eure Partner Century Media und Impericon?

 

Wir quatschen als Band schon ab, was wir alles gerne haben würden, und dann schauen wir zusammen mit Century Media und auch Impericon, was da alles machbar ist. Meist ist es so, dass wir uns bandintern grundsätzlich auf diverse Sachen verständigen und ein Vertreter von uns dann die Sachen im Detail regelt. Da herrscht Arbeitsteilung bei uns, haha. Wenn du mich jetzt beispielsweise konkret fragen würdest, wie viele Versionen es von den Boxsets gibt und was wo genau drin ist, müsste ich selbst erstmal in Ruhe überlegen. Das habe ich nicht so auf dem Schirm. Aber im Groben wissen wir alle schon, was es so gibt. Bei den Shirtdesigns ist das ähnlich: Wir entscheiden nicht zu fünft über jedes einzelne Teil, aber wir wissen immer alle, in welche Richtung es geht oder auch, was nicht zu uns passen würde. Das ist alles ganz gut eingespielt und am Ende geschieht da nichts, ohne die Einwilligung der Band.

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de

 

 

 

Link: www.heavenshallburn.com