Interview mit Arejay Hale von HALESTORM

 

Der Wettergott macht was er will. Innerhalb einer Stunde erlebt man in und um Frankfurt so ziemlich alles, was das deutsche Wetter zu bieten hat: blauen Himmel mit strahlendem Sonnenschein, plötzlich dunkle Wolken und Platzregen, dann eine fiese Mischung aus Hagel und Graupel, gefolgt von der nächsten Salve Sonnenstrahlen, alles garniert mit einem schneidenden, stürmischen Wind. Es ist das perfekte Wetter im April, der einer Bauernweisheit zufolge ohnehin macht was er will - gerade am 1. April, dem Jahrestag für mehr oder minder witzige Meldungen in den Medien und Spaßvögel in Büros und Betrieben. Arejay Hale, der im großen Catering-Raum der Batschkapp sitzt und den zur Tür hereinschneienden Schreiberling schnell als ein ihm bekanntes Gesicht ausfindig macht, lässt sich die Laune von solchen meteorologischen Lappalien nicht vermiesen. Er hat heute Geburtstag, es ist sein 28., und weil seine Schwester Lzzy, die gleichzeitig Frontfrau und Gitarristin der gemeinsamen Band Halestorm ist, schon seit einigen Tagen gegen den klassischen "Tour-Schnupfen" kämpft, muss er heute die anliegenden Interviews alleine stemmen. Ein Wort der Klage sucht man vergebens, erst recht nicht, da der Schlagzeuger zur Feier des Tages eine Flasche regionalen Kräuterschnaps überreicht bekommt - sounds2move weiß eben was sich gehört.
 

Doch auch ohne derartige Aufmerksamkeiten und unabhängig vom eigenen Ehrentag ist der US Boy, der seine zottelige Lausbubenfrisur heute unter einer Wollmütze versteckt, bestens gelaunt. Kein Wunder: Erst im Oktober hat er seine langjährige Freundin Jessie Covets, die ebenfalls Musikerin ist, in einer regelrechten Nacht und Nebel Aktion zur Frau genommen. Dass es passieren würde, war dem verlobten Paar schon einige Zeit klar, umgesetzt wurde es dann doch sehr spontan und natürlich Rock ´n´ Roll-typisch im fabulösen Las Vegas. Fast noch mehr jedoch freut sich Arejay, endlich das dritte Halestorm-Album fertig zu haben, dessen Titel perfekt zur Musik, aber auch zu seinem momentanen Leben passt: "Into the Wild Life".  

 

Wilde Träume

 

Den Einstieg in selbiges markiert "Scream", ein Song der nicht wie man vielleicht denken könnte dem Hörer direkt ins Gesicht schreit wie es "Love bites" auf dem Vorgänger getan hat. Stattdessen wird erst einmal Spannung aufgebaut, das Album schleicht sich gewissermaßen heran. "Ich weiß gar nicht mehr warum ausgerechnet dieser Song der Opener wurde", gesteht Arejay. "Aber wir lieben den Groove und die Tribal Drums, was eine richtig coole Art ist, in die Platte einzusteigen". Ganz Plaudertasche schiebt der Rotschopf auch gleich eine interessante Anekdote nach und verrät, dass das Stück ursprünglich "Dream" hieß und die markanteste Zeile im Chorus "Dream, dream your wildest" hätte lauten sollen. Außerdem war die Nummer so seltsam und fast schon obskur, dass Arejay zum damaligen Zeitpunkt jede Wette eingegangen wäre, dass das Teil mit als erstes der Schere zum Opfer fallen würde, wie er lachend verrät. Im Studio entstand dann erst mal nur ein Demo, das auch Produzent Jay Joyce nicht vollumfänglich überzeugte, wobei die Band selbst zumindest von der Musik irgendwie angefixt war und man sich - obwohl man nach wie vor davon ausging es mit einem Streichkandidaten zu tun zu haben - sogar gedanklich zurechtlegte, wie man die Nummer vielleicht im Kollektiv mit Percussions würde live umsetzten können. "Das Problem war, dass der Text nach wie vor keinen Sinn ergab und irgendwie scheiße war. Irgendjemand aus der Studiocrew stellte dann eher beiläufig die Frage, warum wir es nicht einfach in "Scream" ändern würden. Dieser Einwurf hat den Song gewissermaßen gerettet, also warfen wir den Text komplett in die Tonne und schrieben einen neuen. Jetzt ist es sogar der Opener geworden".

 

 

The Wild LIVE

 

Dieses Festhalten an einer eigentlich fast schon gescheiterten Idee steht stellvertretend für einen wichtigen Aspekte von "Into the Wild Life", nämlich den, dass Halestorm keinesfalls auf Nummer sicher gegangen sind und sie stattdessen auf ihr Bauchgefühl gehört haben. Arejay und seine Schwester stehen bereits seit 18 (!) Jahren gemeinsam auf der Bühne, so lange er zurückdenken kann macht er Musik, und genau darum sollte es beim dritten Album gehen. Also ging man ins Studio und spielte einfach zusammen die gesammelten Songideen durch. Nicht selten wurde dabei auf den üblichen Click-Track (eine technische Hilfestellung, um im Studio das richtige Tempo beim Spielen des Instruments zu halten - MR) verzichtet und auch die Tonspuren wurden hinterher nicht im großen Stile nachbearbeitet und zusammengeschnippelt wie es heutzutage dank Pro-Tools eigentlich an der Tagesordnung ist. "Genau so war es bei unserem Debüt, und seitdem versuchen wir das zu vermeiden. Bei "The strange Case..." haben wir schon deutlich mehr experimentiert, und diesmal sind wir noch einmal deutlich weiter gegangen und haben uns noch mehr getraut. Aber genau dafür steht der Albumtitel für mich: Sich aus seiner sicheren Umgebung heraus zu wagen, neues Territorium zu betreten und sich selbst herauszufordern. Einfach mal mit den ungeschriebenen Regeln brechen und sein eigenes Ding machen. Wir hatten das Gefühl, dass wir mittlerweile genug Erfahrung gesammelt haben und wir im Studio sicher genug sind, um die Dinge anders anzugehen, und dazu gehört für uns, nicht einer nach dem anderen nur seinen Part eines Songs einzuspielen, sondern die Sachen auch mal zusammen und live aufzunehmen". Dass man auf den beiden vorherigen Longplayern an gewisse Grenzen stieß bzw. stoßen musste, ist für Arejay unterdessen kein Problem und ganz natürlich. Immerhin fehlte die entsprechende Erfahrung, und so bewegte man sich eben im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten. Was nichts schlechtes sein muss, wie jeder bestätigen kann, der die besagten Platten kennt. Trotzdem wollten Halestorm mit ihrem neuen Album aus diesem Korsett ausbrechen, suchten sich einen neuen Produzenten, sahen das Studio diesmal eher als Spielwiese denn als Arbeitsplatz und fühlten sich stark und erfahren genug, um noch besser umsetzen zu können was ihnen vorschwebt. Das Ergebnis sind netto 13 neue Songs (plus Bonustracks), die teils sehr unterschiedlich klingen, durch clever fließende Übergänge aber trotzdem zu einem "großen musikalischen Gesamtwerk" geformt werden konnten.

 
 

Die Sache mit dem Titel

 

Angesprochen auf den Albumtitel, mit dem Interpretationsversuch, dass dieser nicht nur die stilistische Vielfalt der Scheibe, sondern auch das verrückte Leben einer Rockband abbilden soll, nickt Arejay zustimmend und philosophiert danach ausgiebig über die eigentlich kurze Zeile "Into the Wild Life". "Für mich ist das immer eine der schwierigsten Entscheidungen überhaupt und sie fällt bei uns auch grundsätzlich ganz zum Schluss, wenn alles andere fertig ist. Der Titel muss alles zusammenfassen, wofür die Songs im Kollektiv stehen". Gerade dieses Album sei teilweise ein regelrechter Kampf mit der eigenen Ehrlichkeit gewesen, denn es kann einem Angst machen, wenn man brutal ehrlich sein will und dadurch seine Seele für alle Welt öffentlich macht. Wie weit ist man bereit zu gehen? "Ich fühle mich als wäre ich innerhalb dieses einen Jahres, in dem die Platte entstanden ist, zehn Jahre gealtert, aber auch reifer geworden. Dabei habe ich gelernt, meinen Ängsten ins Auge zu schauen, und je mehr ich das tat, desto leichter fiel es mir". Zudem hat der Drummer wie eingangs erwähnt auch geheiratet, was ebenfalls irgendwie in diesen "Wild Life"-Kontext passt, denn obwohl er seine Frau auch als seine beste Freundin bezeichnet und er am liebsten jeden Tag mit ihr verbringen würde, gilt es für beide die Situation zu managen, dass ein professioneller Musiker heutzutage eben vor allem durch Tourneen Geld verdient. Ein Umstand, der allen involvierten Personen einiges abverlangen kann, was auch eine Belastung für Familie und Freunde ist. In diesem Zusammenhang vergleicht Arejay seine Musik mit einer Therapie, um seine tiefsten Gefühl zu kanalisieren. Klingt ein bisschen kitschig, aber hey - der Mann ist frisch verheiratet! Bei so viel Süßholzgeraspel wechseln wir lieber schnell das Thema: Warum gibt es bei Halestorm eigentlich nie einen Titelsong? "Das ist seltsam, oder? Bei uns hat es fast schon Methode, dass kein Album nach einem Song benannt ist. Ein solches Stück muss für mich repräsentativ für die gesamte Platte sein und das ist gerade bei einem so breit aufgestellten Longplayer wie "Into the Wild Life" quasi unmöglich. Darum heißt der Vorgänger ja auch "The strange case of Halestorm", weil wir eine seltsame Band sind, die einerseits heftige Songs wie "Love bites" und "Freak like me" hat, andererseits aber auch Balladen wie "Break in" und "Here's to us". Andere Bands können das einfach besser, Sevendust zum Beispiel, die sowohl mit "Alpha" als auch mit "Home" jeweils den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Wir hingegen sind meistens eher wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde".
 


Zurück auf die Schulbank

 

Aus ihren Einflüssen haben Halestorm noch nie einen Hehl gemacht, was Sängerin Lzzy bereits im Interview zum Vorgänger deutlich machte als sie anmerkte, dass "Love bites" - eine der großen Bandhymnen, die 2013 bekanntlich sogar einen Grammy abstauben konnte - nur möglich war, weil man zuvor "Slave to the Grind" von Skid Row coverte und dadurch lernte, dass man überhaupt in der Lage war derartige Songs zu spielen. Dieser Satz rief sich dem Autor augenblicklich wieder ins Gedächtnis, als "Into the Wild Life" erstmalig beim Country-mäßigen "New Modern Love" angelangte. Wer sich etwas intensiver mit Halestorm befasst, zieht hier schnell Parallelen zum Fleedwood Mac-Cover "Gold Dust Women" von der zweiten Cover-EP, die - na klar - zwischen dem letzten und dem neuen Album veröffentlicht wurde. Purer Zufall? Sicher nicht! "Das hast du vollkommen richtig erkannt, das ist eine dieser kleinen Geschichten und Anekdoten, die vor allem den Leuten auffallen, die sich etwas genauer mit einer Band befassen", grinst Arejay zustimmend und versucht dabei pseudo-ertappt drein zu blicken. "Das ist einer der großen Vorteile, wenn du als Band viel unterwegs bist und auf der Bühne stehst: Du lernst viel darüber, welche Arten von Songs live funktionieren und welche nicht. 'Gold Dust Women' haben wir relativ schnell ins Set genommen, und es hat uns und den Leuten so viel Spaß gemacht, dass wir uns schnell einig waren, dass wir einen eigenen Song brauchen, der ein vergleichbares Feeling transportiert. Darum haben wir auch so viel Freude an diesen Cover-EPs, in gewisser Weise schicken sie uns zurück in den Musikunterricht, denn wir lernen die Lieder anderer Leute". So gesehen sollte man sich als Fan nicht für verrückt halten, wenn man sich einbildet, irgendwo Elemente herauszuhören, die an Lady Gaga ("Bad Romance") oder Alicia Keys ("Empire State of Mind") erinnern. Denn beider Ladies haben sich Halestorm bereits angenommen.
 

 

Heavy Love


Ehrensache, dass unser Loverboy auch und gerade zu "New Modern Love" eine emotionale Verbindung pflegt, das musikalisch eher old-school, inhaltlich jedoch auf der Höhe der Zeit ist. "Die Beziehung zwischen mir und meiner Frau ist sehr unorthodox und ein bisschen verrückt, von daher passt "New Modern Love" perfekt zu uns. Wir sind beide durchgeknallt, und ich würde mal sagen, wahre Liebe hast du dann gefunden, wenn du jemanden an deiner Seite hast, der mindestens genauso verrückt ist wie du selbst", lacht Arejay. Besagte Nummer sieht er deshalb als ein Statement gegen diejenigen, die andere für ihre Entscheidungen kritisieren ("über meine Frau und mich sagen auch einige 'ihr seid beide ständig auf Tour, das funktioniert niemals - in drei Jahren seid ihr fertig miteinander'") und für diejenigen, die sich einen Dreck darum scheren, ob ihr Lebensstil anderen passt oder nicht. "Was wir mit dem Text sagen wollen, ist 'wenn du ein Problem damit hast wen ich liebe oder wie meine Beziehung aussieht, dann fick dich'. Die Message ist ziemlich universell und fast jeder kennt die Situation, für das verurteilt zu werden was man ist, sei es aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder wegen anderer Entscheidungen in seinem Leben, die man getroffen hat, um sein Glück zu finden".

 

Den musikalisch gesehen größten Kontrast zum restlichen Material auf "Into the Wild Life" bietet "What sober couldn't say", ein beinahe loungischer Hangover-Song, der thematisch durchaus Berührungspunkte mit "New Modern Love" aufweist. "Viele der neuen Stücke passen in ihrer Aussage zusammen, dazu gehören 'Gonna get mine', 'Sick Individual', 'I am the Fire' und 'The Reckoning'. Diese Platte ist wenn man so will wie ein Soundtrack unseres Heranwachsens bis zu dem Punkt an dem wir heute stehen. Denn je älter du wirst, desto mehr fällt dir auf, dass Leute über dich urteilen oder dich nicht mögen, weil du derjenige bist, der du nun mal bist und weil du nicht das tust, was alle anderen tun, sondern das was dich glücklich macht. Die Aussage der meisten Songs ist daher 'Fuck you', dann bin ich für dich eben ein kranker Verrückter, aber ich mache verdammt noch mal was ich für richtig halte'". "What sober couldn't say" ist in dem Zusammenhang ein Song darüber, "dass du dir den Scheiß anderer Leute erst mal geduldig anhörst, ihnen nach ein paar Drinks dann aber doch richtig die Meinung geigst. Das kann unglaublich befreiend sein", kichert der Schlagzeuger schelmisch. Statt mit diesem Augenzwinkern schließt "Into the Wild Life" jedoch mit einem ordentlich Brett, nämlich dem vielsagend betitelten "I like it heavy". Das wurde zum größten Teil live eingespielt, der Gesang ist teilweise entsprechend stark verzerrt, und die Nummer macht zum Ende der Scheibe noch einmal richtig Alarm. Drum-Derwisch Arejay durfte sich hier noch einmal besonders austoben. "Wir haben beim Mischen mehrere Schlagzeugspuren übereinander gelegt, und ich habe drei verschiedenen Kits gespielt, darunter mein Tour-Kit. Zum Schluss haben wir noch eine riesige 36'' Base Drum dazu genommen, die regelrechte Kanonenschläge von sich gegeben hat, wenn ich auf mein Pedal getreten bin. Wir haben das Teil in einer alten Kirche aufgenommen und im ganzen Raum Mikrofone verteilt. Zum Schluss haben wir die ganzen Spuren übereinander gelegt und obwohl das was ich spiele eigentlich total simpel ist, macht der Ergebnis dem Titel alle Ehre. So sind wir eben, das ist unser Ding: Wir mögen es heavy!" .

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de

 

 

Link: www.halestormrocks.com