Interview mit Helen Vogt von FLOWING TEARS

Nach eurem letzten Album „Razorbliss“ habt ihr euch vom recht großen Namen Century Media getrennt und seid nun nach einiger Zeit der Funkstille bei Ascendance untergekommen, einem Label, das einen absoluten Indi-Status inne hat. Böse Zungen könnten jetzt von einem Rückschritt sprechen, doch wie sieht die Sache aus eurer Sicht aus? Handelt es sich nicht eher um einen Wechsel, der euch eine höhere Priorität bescheren sollte?

Helen: Wer sich in dem Geschäft ein wenig auskennt, weiß, dass ein kleineres Label wesentlich mehr künstlerische Freiheit bedeutet. Außerdem ist der Kontakt und die Arbeit mit dem Label viel persönlicher, da man nicht nur eine Band von hunderten ist. Insofern ist der Wechsel zu Ascendance auf jeden Fall ein Fortschritt für uns! 

Wieso kam es überhaupt zum Split mit CM? Immerhin war das Pressefeedback für euer letztes Album recht gut und die Platte war ebenfalls flächendeckend erhältlich. Wo lag also der Knackpunkt?

Die Zusammenarbeit hat einfach nicht mehr so funktioniert, wie es sein sollte. Wir wollten wieder selbst entscheiden können, wie z.B. unser Artwork auszusehen hat. Ohne Century Media wären wir heute sicherlich nicht da wo wir sind, aber es war einfach an der Zeit, neue Wege zu gehen.

Hattet ihr auch Angst, dass man von Labelseite eher auf andere Schultern baut, statt auf die von Flowing Tears? Etwa auf Lacuna Coil, die auch eine „Female Fronted Band“ sind, die aber vor allem in den letzten Jahren europaweit und sogar international sehr viel Aufmerksamkeit erhalten haben?

Dass Lacuna Coil als eine der größten CM-Bands sehr viel Aufmerksamkeit genießen, ist doch ganz normal und kein Grund sich darüber aufzuregen oder Angst davor zu haben. Wir brauchen kein Label, das aus uns das „beste Pferd im Stall“ machen will, sondern ein Label, das an uns glaubt und uns in unserer Kreativität unterstützt.

Bei eurem Debüt für das neue Label handelt es sich um ein Livealbum. Kann man diese Entscheidung so deuten, dass ihr nach der (unfreiwilligen?) Pause erst einmal wieder für ein Lebenszeichen sorgen wolltet, bevor es mit einem Studioalbum weitergeht?

Nein, „Invanity“ ist auf keinen Fall nur ein Lückenfüller. Wir haben seit dieser Semiakustiktour geplant, die Aufnahmen zu veröffentlichen. Das war uns aber wegen der geschäftlichen Situation leider nicht früher möglich.

 

„Invanity“ ist dabei kein klassisches Livedokument geworden, sondern es stellt ein halbakustisches Konzert dar. Nun stammt diese Show wenn ich mich nicht irre aber aus dem Jahr 2004, das Material ist also schon etwas betagter. Wieso habt ihr euch dennoch dazu entschlossen auf älteres Material zurück zu greifen? War der Denkansatz vielleicht „Wenn schon eine ‚Brückenveröffentlichung’, dann bitte auch etwas besonders!“?

Wie schon gesagt, das Album ist auf keinen Fall nur eine „Brückenveröffentlichung“ für uns. Diese Aufnahmen sind für uns alle etwas ganz Besonderes. Sie stammen von dem Konzert in der Passionskirche in Berlin und diese spezielle Atmosphäre in der Kirche spürt man auch bei den Aufnahmen. Als wir unsere eigenen Stücke komplett umarrangiert haben, um sie in ein semiakustisches Gewand zu kleiden, war es komischerweise so, dass sehr viel von den Grundideen und –emotionen der Lieder, die in den Studioversionen gar nicht mehr so offensichtlich waren, wieder zum Vorschein kamen. Diese Live- Versionen sind deshalb zum Teil wesentlich emotionaler und persönlicher, als die Versionen auf den Studioalben.

 

Die 9 Songs auf „Invanity“ kommen auf knappe 40 Minuten. Habt ihr Material von eurer Show in der Berliner Passionskirche außen vor gelassen oder ging das Konzert damals nur über diese Distanz? Auf den ersten Blick überrascht einen die für ein Livealbum relativ knappe Spielzeit nämlich erst einmal.

Das Konzert ist im Rahmen der „Sleepy Buildings“- Semiakustiktournee von The Gathering aufgenommen worden. Als Vorband war unsere Spielzeit einfach nicht länger. Damit das Album nicht zu kurz ist, haben wir ja auch als Bonustrack noch ein Cover von Nick Cave`s  „The Weeping Song“ in Zusammenarbeit mit Johan Edlund von Tiamat aufgenommen.

Andererseits gibt es sicher auch Hörer, denen solche Klänge zwar generell gut gefallen, die aber schnell satt sind und dann lieber wieder zu einer anderen Scheibe greifen. Hat man sich also auch ein bisschen danach gerichtet den positiven und exotischen Moment nicht übertrieben lang zu strapazieren und den Longplayer lieber mit einer gewissen Nachhaltigkeit auszustatten?

Ich persönlich mag lieber CDs mit kürzerer Laufzeit, die aber in sich stimmig sind, als ultralange CDs mit einigen „Lückenfüllern“. Außerdem ist Invanity meiner Meinung nach sowieso kein Album, das man so nebenher hören kann. Am besten wirkt es, wenn man sich mit einem Glas Wein in aller Ruhe hinsetzt und es wirken lässt. Und da ist es doch einfacher sich mal 40 Minuten zu nehmen, anstatt sich ganze 90 Minuten freischaufeln zu müssen, hehe.

 

Eines der Stücke auf dem Album ist „Dead Skin Mask“ von Slayer – offensichtlich keine Band, die für ihre akustischen Intermezzi bekannt ist. Wie wurde die Idee geboren, sich gerade an einem Stück der Bay-Area-Giganten zu versuchen und was gab den Ausschlag es letztlich auch in die Tat um zu setzen?

Das Ganze ist im Vorfeld während der Proben zur Tour mehr oder minder aus einem Spaß entstanden. Unser Drummer spielte das Drumloop zu Massive Attacks  „Teardrop“ und Ben spielte das Riff von „Dead skin mask“ dazu und wir wunderten uns, dass das Ganze so gut zueinander passt. Es war eine absolute gesangliche Herausforderung, das Böse, was das Lied im Original ausmacht, trotz „softerem“ Gesang beizubehalten, aber alles in allem ist aus dem Song etwas geworden, auf das wir alle sehr stolz sind.

Nun ist das Material von „Invanity“ schon etwas älter und viele Fans werden sich fragen, wie es aktuell im Hause Flowing Tears ausschaut. Habt ihr schon neue Songs für ein Studioalbum geschrieben? Falls ja: In welche Richtung geht das Material und wann können wir mit dem Album rechnen?

Ja, wir haben schon einiges an neuem Material geschrieben.  Wir gehen auf jeden Fall mehr in die Extreme. Einerseits gehen wir zurück zu unseren Wurzeln mit sphärischen Elementen a la „Jade“, andererseits werden wir wesentlich mehr Gewicht auf die Gitarren legen und auch härter werden. „Razorbliss“ war ein sehr homogenes live geeignetes Album, das Neue wird wohl wesentlich vielschichtiger und etwas weniger „easy- listening“ sein.

 

Vor wenigen Wochen habt ihr auf dem Metal Female Voices Fest in Belgien gespielt und euch dort erstmals seit längerer Zeit wieder live präsentiert. War das der Startschuss für eure Rückkehr auf die europäischen Bühnen?

Das hoffen wir doch, haha! Das Festival war fantastisch. Es war uns eine sehr große Freude für ein solches Publikum zu spielen und so viele interessante Leute zu treffen. Nach doch sehr langer Bühnenabstinenz war das der beste Startschuss, den man nur haben kann. Live zu spielen ist für die ganze Band das absolut wichtigste, also hoffen wir, dass vor allem nach dem nächsten Studioalbum noch ganz viele Konzerte folgen werden!

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

Link: www.flowingtears.de