Interview mit Tom S. Englund von EVERGREY

 

 

Nachdem euer Vertrag mit Inside Out Music ausgelaufen ist, habt ihr euch für eine lange Zeit in Verhandlungen mit diversen Plattenfirmen gestürzt, bevor ihr euch letztlich mit Steamhammer geeinigt habt. Was waren eure Prioritäten während dieser Verhandlungen?

 

Zuallererst wollten wir natürlich einen möglichst guten Deal für uns abschließen, da wir natürlich der Hoffung sind, dass es der letzte Vertrag mit einer neuen Firma in der Geschichte von Evergrey sein wird. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf gibt es dann natürlich unheimlich viele Details, auf die es zu achten galt und die man in seine Erwägungen einfließen lassen musste. Wir haben natürlich nicht nur mit SPV verhandelt, sondern auch mit anderen großen Firmen, was natürlich ein ganz schönes Schachspiel war; angreifen, verteidigen, traktieren. Allerdings nicht so brutal wie sich das jetzt vielleicht anhören mag. Wir haben uns vorher viele Gedanken gemacht was wir wollen und es war uns klar, dass wir keine großen Kompromisse eingehen wollten. Glücklicherweise ist SPV auf unsere Vorstellungen und Wünsche eingegangen und wir sind sehr glücklich mit dem Resultat und hoffen, dass SPV es auch sind.

 

Warum war es für euch unumgänglich euch in Richtung einer größeren Firma zu verändern? Glaubst du Evergrey waren mit Inside Out am Limit dessen angelangt was für beide Seiten möglich war?

 

Es ist ganz simpel: Hin und wieder musst du einfach weiterziehen, um nicht auf der Stelle zu treten und dich in deiner Situation nicht zu bequem zu fühlen. Wenn du für lange Zeit immer mit dem gleichen Label, dem selben Management und der selben Bookingagentur zusammenarbeitest, dann kann das mit der Zeit vielleicht sogar zu einfach und berechenbar werden. Wenn dich jemand sehr gut kennt, dann hat er es natürlich einfacher dich hier und da zu ignorieren und die Gewissheit zu haben, dass ich nicht mit einer MG in der Hand die Tür eintrete wenn es mal ein Problem gibt, hehe. Aus diesen Gründen war es einfach Zeit für Veränderungen. Und vielleicht sind wir auch aus dem Rahmen von Inside Out herausgewachsen, das könnte ebenfalls ein Aspekt sein.

 

Steht der Albumtitel „Torn“ (dt.: losgerissen oder zerrissen, MR) in diesem Zusammenhang auch für eine neue Ära in der Geschichte von Evergrey? Im Sinne, dass ihr euch losgerissen habt oder eine Grenze bzw. Beschränkung eingerissen habt - zumindest in geschäftlicher Hinsicht?

 

Nein, das würde ich so nicht sehen. Wir haben schon immer sehr genau auf die geschäftlichen Details geachtet, jedenfalls bis zu einem gewissen Grat. Der Albumtitel bezieht sich auf weitaus verblüffendere Thematiken als Geschäftsparagrafen, hehe.

 

Wie ihr verkündet habt, haben SPV auch die Rechte an euren bisherigen Alben mit erworben. War dieser Umstand ebenfalls eine eurer größeren Interessen als es um einen neuen Deal ging? Denn mit diesen Rechten stehen euch nicht nur die Türen für wertige Re-Releases offen, sondern ihr habt in Zukunft auch keinerlei Einschränkungen, wenn es einmal an die Zusammenstellung und Veröffentlichung einer Best-of Scheibe gehen sollte. Und es ist zudem ausgeschlossen, dass jemand irgendwelche Veröffentlichungen welcher Art auch immer ohne eure Zustimmung auf den Markt bringt. Man sieht also, dass ihr richtige Taktik-Füchse seid, haha!

 

Allerdings! Das war in der Tat in unserer Prioritätenliste, jedoch nicht als größte Bedingung für einen Vertragsabschluss. Aber du hast recht, es ist sehr komfortabel alles an einem Platz und bei einem einzelnen Lizenzpartner zu wissen.

 

Du hast „Torn“ wieder selbst produziert, anstatt einen externen Produzenten hinzu zu ziehen. Warum war diese Arbeitsweise genau die Richtige für euch als Band im Allgemeinen und das Album im speziellen?

 

Naja, so habe ich es vor „Monday Morning Apocalypse“ ja auch schon gemacht und vor den Aufnahmen zu besagtem Album gab es lange Diskussionen ob und wie wir jemanden von außen dazuholen können, der auch ein vernünftiges Ergebnis im Sinne der Band erzielt. Aber jetzt, wo wir auch die Sache mit einem teuren, externen Produzenten einmal ausprobiert haben, sind wir der Meinung, dass wir selbst am besten wissen wie Evergrey klingen sollen. Ich muss aber auch klar sagen, dass wir von den Produzenten von „Monday Morning Apocalypse“ höllisch viel gelernt haben und dass sie uns sehr inspiriert und uns geholfen haben beim Mixing die richtigen Entscheidungen zu treffen.

 

Wie du schon sagst weiß wohl niemand besser wie Evergrey klingen müssen als du selbst. Würdest du sagen, dass dieser Umstand für euch am Ende wichtiger war als die Gefahr, dass du vielleicht eine gesunde Distanziertheit zum Material verlieren könntest, nachdem ihr über lange Zeit an den Songs gewerkelt habt und die Sache auch in der Vergangenheit gut funktioniert hat?

 

Ja, definitiv. Es gibt sicher ein paar Dinge, die nicht unbedingt vorteilhaft sind oder deine Objektivität einschränken wenn es daran geht eine eigene Platte zu produzieren, ABER wie du richtig sagst sind wir diese Risiken auch schon vorher eingegangen und wir waren bereit es wieder zu tun. Wenn du das Know-How und die richtige Zielstrebigkeit hast, dann bin ich der Meinung sollten alle Bands so arbeiten und ihre Alben selbst in die Hände nehmen, was viele heutzutage auch schon tun.

 

Ich will weder übertreiben noch mich anbiedern, aber ich kann aus Überzeugung sagen, dass „Torn“ für mich persönlich dem perfekten Evergrey-Album schon verdammt nahe kommt. Wie fällt deine Einschätzung aus, wenn du die Platte heute mit einer gewissen Distanz anhörst? Hörst du dir eure Alben überhaupt noch an, nachdem du sie eingespielt, produziert  und promotet hast? Oder sagst du eher „Geht mir weg mit dem Zeug, es reicht schon wenn ich das jeden Abend spielen muss, da will ich es nicht auch noch in meiner Freizeit anhören“?

 

Erst einmal freue ich mich sehr darüber, dass es dir so geht, denn damit liegst du nah an meiner eigenen Einschätzung des Albums. Ich meine dieses Mal, und es ist wirklich das allererste Mal, können wir den Journalisten und Fans wirklich in allen Belangen unsere absolut EHRLICHE Meinung sagen. Wenn du normalerweise ein Album machst, dann ist es naturgemäß erst mal das beste, was dir jemals gelungen ist. Jedoch wenn du ein paar Monaten hattest um dir Gedanken über alles zu machen, dann könnte deine Meinung schon von dem abweichen was du vorher gedacht hast. Natürlich nicht in dem Sinne, dass du ein Album auf einmal total schrecklich findest, aber du bist einfach weitaus weniger enthusiastisch. „Torn“ ist mittlerweile seit 9 Monaten fertig und ich kann immer noch mit Überzeugung sagen, dass es das beste Album ist, das Evergrey jemals abgeliefert haben. Vielleicht sogar nicht einmal nur auf Evergrey gezogen, haha!

 

„Monday Morning Apocalypse“ klang ziemlich direkt, zumindest für eure Verhältnisse. Jetzt seit ihr zu eurem ursprünglichen epischen und dosiert bombastischen Sound zurückgekehrt, der schon Alben wie „The Inner Circle“ und „Recreation Day“ ausgezeichnet hat. Warum war es für euch wichtig oder sogar notwendig zuletzt ein Album zu machen, das sich ein Stück weit von eurem traditionellen Sound abhebt?

 

 

Notwenig war in erster Linie ein Album abzuliefern hinter dem wir in Sachen Musik und Ausrichtung uneingeschränkt stehen können, so wie es schon bei allen anderen Alben der Fall war. Als „Monday Morning Apocalypse“ entstand war es genau das Album, das wir zu dem Zeitpunkt machen wollten. Außerdem hatte unsere letzte Scheibe großen Einfluss auf „Torn“ und ist verantwortlich dafür, dass das Album jetzt so klingt wie es nun mal klingt. Es ist ja auch nicht so, dass wir auf der Bühne stehen und es plötzlich heißt „Was ist dann denn jetzt? Das muss von ‚Monday Morning Apocalypse’ sein“. Ein paar wenige haben sich vielleicht an der Produktion etwas aufgerieben oder sich darüber aufgeregt, dass wir einen Produzenten hatten, der auch schon mit Brithey Spears gearbeitet hat. Wenn ich heute mit dir darüber spreche, dann weiß ich auch dass wir uns viel Scheiße von vermeindlichen „True“ Metal Kids anhören mussten. Aber hey, ich bin der Überzeugung „truer“ zu sein als die meisten von denen, immerhin mache ich seit einer Dekade Metalplatten, sodass mich solche Sprüche gar nicht mehr tangieren. Abgesehen davon war das Album letztlich auch verkaufstechnisch ein Erfolg, vor allem in den USA. Natürlich ist es unglücklich, wenn du aufgrund mancher Kleinigkeiten ein paar Fans verlierst, aber auf der anderen Seite gewinnst du häufig viele weitere Anhänger hinzu.

 

Ebenfalls ungewöhnlich für euch war das Coverartwork, das zum ersten Mal in der Bandgeschichte eure Gesichter zeigt, nachdem es zuvor ausschließlich Grafiken und Zeichnungen zu sehen gab. War es somit auch ein Stück weit eure Intention mit einem solchen Artwork zu untermauern, dass das darunter verborgene Album – mal überspitzt ausgedrückt – einen kleinen Exoten für Evergrey darstellt?

 

Wir wollten einfach mal etwas anders machen, nicht mehr. Ich habe vorher nie Interviews gegeben in denen ich nach einem Artwork gefragt wurde, aber bei diesem Album hat wirklich JEDER einzelne mich auf das Thema angesprochen! Und ich rede hier von geschätzten 200 Interviews, die ich damals zum Album gegeben habe. Und jetzt kommst du – als Nummer 201, hahaha! Aber im Ernst: Genau das war unser Gedanke und ich denke die Idee ist uns gelungen.

 

Beim Song „Theses Scars“ ist wieder deine Frau Carina zu hören, die auf „Monday Morning Apocalypse“ nur sehr sporadisch zum Einsatz kam, nämlich mit einem sehr kurzen Beitrag zu „Still in the Water“. Jetzt ist sie wieder mit einer größeren Präsenz vertreten und somit nebenbei auch weiterhin ausnahmslos auf jeder eurer Scheiben zu hören. Steht dieser wiedergewonnene Raum für ihre Stimme ebenfalls für euren neuen alten Sound?

 

Es ist nach wie vor so, dass Carina nur auf einem Song bzw. Album auftaucht, wenn die Aufnahme davon auch profitiert. Unter keinen Umständen wird sie auf einem Album erscheinen, nur damit sie dabei ist oder weil sie eben eine schöne Stimme hat. Es verhält sich viel mehr wie mit einem Gitarrensolo: Man sollte eines in einen Song integrieren, wenn dieser vorher wenig zu sagen hat oder wenn es sich einfach als erforderlich herausstellt dieses Element einzubinden. Und genau so verhält es sich auch mit Carina. Ungeachtet dessen denke ich, dass sie dieses Mal ihre mit Abstand beste Leistung abgeliefert hat!

 

Woraus hast du dieses Mal die Inspiration für deine Texte bezogen?

 

Aus dem selben Mist wie jedes Mal. Aus meinen Gefühlen und Ideen, aus den geistigen Kriegen in meinem Kopf, aus Dingen, die mich tiefgehend beeinflusst oder sonst irgendwie bewegt haben. Diese Sache schlagen sich teilweise in meinen Texten nieder, auch wenn ich es beim Schreiben an sich oft nicht direkt merke. Im Nachhinein finde ich aber immer Spuren von den Dingen, mit denen ich mich intensiv befasse und die mich umgeben. Texte zu schreiben ist für mich wie mit meinem besten Freund zu sprechen, es geht mal um zwischenmenschliche Probleme, mal um Ängste. Für mich ist das gleichermaßen Selbsterfahrung und Herausforderung. Zusammenfassend kann man sagen, dass „Torn“ davon handelt, dass man nicht allein auf eine bestimmte Art und Weise fühlt oder fühlte. Egal um was es geht, es gibt immer Menschen, denen es genauso oder gar noch schlimmer ergeht als dir selbst. Ich halte das für einen tröstlichen Gedanken, man ist nicht allein.

 

Letzte Frage: Anfang diesen Jahres habt ihr eine Co-Headliner Tour mit Brainstorm abgesagt, weil „Torn“ zum angedachten Zeitraum noch nicht bereits zur Veröffentlichung war. Wann werdet ihr nun an die Live-Front zurückkehren? Und wenn es soweit ist, kann man euch dann als Headliner oder nur als Support bewundern?

 

Wir werden von allem etwas machen. Nackt, angezogen und vielleicht auch betrunken von Zeit zu Zeit. Du kennst uns Schweden ja...

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.evergrey.net