Interview mit EMILIE AUTUMN

 

 

 

Über die offizielle Emilie Autumn Facebook-Seite hast du vor ein paar Tagen verlauten lassen, dass der Tag der Veröffentlichung von „Fight like a Girl“ auf den 30.06. fallen wird. Das Album trägt den gleichen Namen wie die aktuelle Tour. Mal angenommen, man nimmt jetzt nur den Titel des Albums oder der Tour und interpretiert ihn in jegliche Richtung, was kann man denn von dem neuesten Werk erwarten? Wie wird die Platte sein?

 

Zunächst muss ich ganz ehrlich sagen, dass es mich wirklich überwältigt hat, die ganzen Rückmeldungen zu erhalten, bevor das Album überhaupt veröffentlicht wurde. Es macht mich einfach glücklich zu sehen, wie das neue Material angenommen wird, bevor man „Fight like a Girl“ in den Händen halten kann und es somit stückchenweise für sich entdeckt.

Wie die neue Platte sein wird? Lass es mich versuchen, es kurz zusammenzufassen: episch, aber mindestens genauso dramatisch, in gewissem Maße aber auch gewaltig – selbstverständlich in einer schönen Art und Weise und gewissermaßen auf der Suche nach Gerechtigkeit. Hauptsächlich basiert das neue Album auf meinem Buch „The Asylum for Wayward Victorian Girls“ - jetzt mal ganz abgesehen davon, dass so ziemlich jeder Gedanke oder jede Showeinlage auf diesem Buch basiert – es ist nun mal das, was in meinem Kopf vorgeht. Somit stellt „Fight like a Girl“ nicht nur ein weiteres Album in meiner Diskografie dar, sondern ist vielleicht sogar als eine kleine, musikalische Untermalung des Buches zu betrachten.

Der Titel repräsentiert hauptsächlich die Stelle im Buch, in der es um die Mädels geht, die aus dem „Victorian Asylum“ ausgebrochen und somit dem Gefängnis entflohen sind und von dort an auf sich alleine gestellt waren und sich in der Welt beweisen mussten. „Fight like a Girl“ ist eben nicht nur ein kleines bisschen Kratzen, Beißen oder Schubsen – nein, es ist „fighting like an ultimate bad-ass warrior“ und das so gut, wie nur irgendwie möglich. Es ist eben etwas, bei dem ich der Meinung bin, dass es jeder für sich verinnerlichen sollte. Vielleicht hilft es auch als Denkanstoß dafür, dass wir in der heutigen Zeit noch immer mit der ungerechten Bewertung männlicher und weiblicher Arbeitskraft zu tun haben. Und genau das ist der springende Punkt, den ich ansprechen möchte.

 

Der Grund, warum das Album erst nach der Tour veröffentlicht wird, ist folgender: Die Show, die wir hier bieten, ist kein Konzert im klassischen Sinne. Wir sind eben keine Rockband, die ein Album veröffentlicht und dann auf Promotour geht. Sicherlich haben wir das bei den vorangegangenen Alben auch so gehandhabt, um eben die Platte so gut es geht zu supporten. Aber jetzt ist es eben so, dass die Attraktion die Show ist, und das Album ist der Soundtrack dazu. Wie bei einem Musical. Ganz einfach – wenn dir die Show gefällt, kaufst du dir das Album. „Fight like a Girl“ ist ein Teil der Show heute Abend, es dauert lediglich noch einen Moment, bis man dieses Stückchen Erinnerung zuhause haben kann.

 

Verglichen mit den Alben vorher, was hat sich seitdem verändert und was ist noch immer gleich geblieben?

Was gleich geblieben ist, ist die generelle Palette an verschiedensten Sounds, würde ich sagen. Gerade der Anteil, der im klassischen Teil angesiedelt ist, wird einfach wie eine Art „erste Liebe“ für mich bleiben. Man kann wirklich sagen, wenn wir an Ideen für Songs zusammensitzen, sind die symphonischen Elemente die ersten springenden Gedanken, die ich in meinem Kopf habe. Unabhängig ob danach ein Pop-Song dabei entsteht oder eine rockige Nummer – der Einfluss liegt in der Klassik. Es resultiert immer etwas Orchestrales.

Ich habe versucht, alle verschiedenen Bandbreiten, die ich die letzten Jahre für mich entdeckt habe zu verbinden und in Einklang zu bringen. Sei es jetzt die Industrial Percussion für die aggressiveren Parts, die Metal Vocals, um die Gewalt wortwörtlich rauszuschreien oder eben die elektronischen und melodisch-akkusitischen Elemente. Ich mag es einfach, mich stilistisch auszutoben. Es ist dieser schöne, nervende Sound, in den ich mich verliebt habe. Aber so ist der Wiedererkennungswert eben da, solch einen Sound hat meiner Meinung nach niemand anderes – das ist eben Emilie Autumn.

 

Verändert hat sich die Anzahl der „Fight-Szenen“ auf dem Album. Es geht rabiater zur Sache. Es hat alles seinen Grund warum etwas passiert, da bin ich mir sicher, aber wenn du dir wirklich über jeden Mist Gedanken machst, ist dein Kopf irgendwann voll davon. Und genau das war der Fall bei mir – ich habe versucht, dem ganzen Luft zu machen. Ich habe mich hingesetzt und mir sprichwörtlich alles von der Seele geschrieben. Erst dann habe ich die Konzepte für die Musik und die Show zusammengetragen. Dieser viktorianische Flair ist im Grunde genommen erst nach dem Schreiben zum Tragen gekommen.

Für mich persönlich ist es das schönste Album, das ich je geschrieben habe, weil es wirklich zu 100 Prozent energiegeladen ist. Nicht nur, weil wir während der Show auf einen extrem großen Warrior-Kopfschmuck setzen, nein. Schönheit ist nichts Extravagantes. Sie liegt im Auge des Betrachters. Aber nach wie vor erhebe ich keine Wünsche oder Ansprüche auf einen Grammy oder habe die Verkaufszahlen im Visier. Sicherlich ist es schwer, die Musik von Emilie Autumn in ein bestimmtes Genre einzuordnen, aber genau das ist es, was es doch ausmacht – man möchte nicht sein, wie alle andern, man möchte sich doch von der Masse abheben und ich denke, das ist uns bis heute gut gelungen.

Jeder der schon einmal auf einer Show von dir und deinen Bloody Crumpets war, wird folgender Aussage zweifelsohne zustimmen: Sie sind einfach jedes Mal etwas Besonders, einfach genial. Du hast gerade schon den Kopfschmuck angesprochen, aber was kann man denn heute Abend noch von dir und deinen Mädels erwarten, gerade im Hinblick auf das neue Material?

Ich kann es ehrlich gesagt gar nicht abwarten, heute Abend auf der Bühne zu stehen und zu performen. Während der letzten Tourneen hatten wir immer diverse Kostümwechsel in der Show, aber nie wirklich Haarschmuck eingebaut. Es ist zwar Backstage ein riesengroßer Aufwand, mir das Ding auf den Kopf zu packen, aber es macht schon was her, wenn ich dann auf der Bühne stehe und mich damit der Menge präsentiere. Es gibt bei dem Mohawk keinen Trick, es ist kein Clip der da festgemacht wird, es ist echt ein Aufwand, bis das Teil da ist, wo es hin soll. Insgesamt kommt dieser zweimal auf den Kopf und wieder runter. Aber das ist es mir wert. Auch wenn hier und da mal etwas schief geht. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass ich den gesamten Song hinter der Bühne singe, weil wir noch mit dem Kopfschmuck beschäftigt sind und ihn einfach nicht festbekommen, haha.

 

Korrigiere mich bitte, falls ich falsch liegen sollte, aber du sollst vor geraumer Zeit mal erwähnt haben, dass es dein größter Wunsch ist, “to be an anti-repression statement and empowerment”. Wie weit hat sich denn dieser Wunsch deiner Meinung nach bisher erfüllt?

 

Für mich persönlich ist es der Wunsch, einen kleinen Ort zu erschaffen, der innerhalb jeder Halle entstehen kann. Es soll ein Ort sein, an dem jeder willkommen ist, zu dem jeder kommen kann und an dem sich jeder wohl fühlt. Vielleicht nimmt sich auch jeder ein Stück dieses Ortes mit nach Hause und behält ihn in seiner Erinnerung, das weiß ich nicht. Für mich persönlich ist das eine Art Akzeptanz, dass meine Träume geteilt werden und dass Menschen Interesse daran haben, ein Teil davon zu werden.

Ich finde es einfach unglaublich, dass die Besucher der Show, egal wo wir sind, egal vor wie vielen Leuten wir spielen und egal wie bekannt wir sind, ihre Individualität zeigen und dazu stehen. Sie haben alle ihre eigenen Kreationen: Frisuren, Make-Up, Outfit, Accessoires – keiner gleicht dem anderen. Es sind sie, die die Shows zu etwas Besonderem machen, nicht ich. Es geht einfach darum dein schönstes Erscheinungsbild zum Vorschein zu bringen und sei das auch auf die noch so verrückteste, bunteste oder gar schrillste Art und Weise. Das ist eben der große Unterschied zu den Rock-, Metal- oder Gothicbands: Bei einer Emilie Autumn-Show geht es nicht darum, diese oder jene Band auf dem T-Shirt oder dies oder jenes Top zu tragen, hier geht es wirklich nur um dich und deine Individualität. Es ist ein Treffen, bei dem wir alle unsere eigenen Projekte sind, an denen wir stundenlang gesessen haben.

Einfach dieses Gefühl zu haben, dass man der einzige in diesem Outfit in dieser bunten Menge ist, darum geht es. Sieh dir nur die verschiedenen Altersklassen bei einer Emilie Autumn-Show an. Es sind ganz junge Menschen da, die genauso begeistert sind, wie Menschen, die schon jahrelang Teil dieser Szene sind. Dass ich genau das schaffe, irgendwann mal diejenige zu sein, die mit dem Finger auf jemanden deutet und ihn ermutigt und sagt „Sieh dich um, du bist der oder die einzige, die ist wie du. Darauf kannst du stolz sein“, das hätte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können.

Emilie, du bist nicht nur musikalisch sehr erfolgreich. Dein Erfolg erstreckt sich mittlerweile über viele kleine Einzelsektoren. Man nehme hier nur beispielsweise deine erste veröffentlichte Platte vor 15 Jahren oder das dir persönlich sehr am Herzen liegende Buch „The Asylum for Wayward Victorian Girls“. Greifen wir an dieser Stelle mal letzteres auf. Das Buch besteht zur Hälfte aus autobiografisch anmutenden Tagebucheinträgen, die sich größtenteils mit dem Alltag deiner bipolaren affektiven Störung beschäftigen, und zum anderen aus fiktionalen Geschichten. Viele Besteller der ersten Stunde müssen noch immer warten, um dein Werk endlich in den Händen zu halten weil es ständig ausverkauft ist. Besser geht es doch gar nicht, oder? Ich meine, viele Autoren wünschen sich eine solche Resonanz.


Um ehrlich zu sein, das Buch ist erfolgreicher eingeschlagen als meine gesamten Alben zusammengefasst. Es ist überraschend, wie rasend schnell das Buch ausverkauft ist. Ich habe mein ganzes Leben schon immer diverse Sachen geschrieben, ob nun Geschichten, Poesie oder Gedichte, aber ein solcher Erfolg meiner eigenen Art von Autobiografie, die aber auch als Novelle eingeordnet werden kann, haut selbst mich völlig vom Hocker.


Selbst in Ländern, in denen nicht fließend Englisch gesprochen wird, ist das Buch gefragt – aber dafür sind ja genügend Bilder im Buch, sodass man es sich angucken kann, ohne die Sprache verstehen zu können, und es ist ein Buch für alle Altersklassen von klein auf, haha. Nein Spaß beiseite, es ist für mich eine einzigartige Erfahrung, die ich mit „The Asylum for Wayward Victorian Girls“ machen darf. Auch weil, wie bereits erwähnt, ich mich für die Shows jetzt auf Ideen aus dem Buch berufen kann.

Hinzu kommt natürlich der finanzielle Aspekt. Als Musiker, der nur Musik macht, verdienst du kein Geld. Das kommt aus anderen Quellen – sei es jetzt die Vermarktung der Songs für Werbezwecke oder das Merchandise, aber die reine Musik bringt dir nicht wirklich viel.

Du kannst definitiv auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken. Sei es nun, dass dir eine Rolle in “The Devil's Carnival” zu Teil wurde, oder dass du mittlerweile dein bereits schon zweites Label besitzt oder eben, dass du den Status genießt, dass gerade junge Leute zu dir aufschauen. Lassen wir nun die Vergangenheit an dieser Stelle mal beiseite. Wie sieht denn die Zukunft im Hause Emilie Autumn aus?

 

In Kürze steht zunächst die Veröffentlichung der Single „Fight like a Girl“ und der dazugehörigen Platte an. Das Tolle daran ist, dass es über das Label „The End Records“ läuft, über das alles was „The Asylum“ betrifft auch veröffentlicht wird. Es ist einfach toll, so ein bisschen die Kontrolle über die ganzen Geschehnisse zu haben. Die B-Seite davon wird „Take the Pill“ sein, ein Song, den du auch heute Abend hören wirst.

 

Anschließend stehen dann die Auftritte zu „The Devil's Carnival“ an. Ich bin schon aufgeregt, wie das so wird, weil ich gerade in dieser Szene noch recht unbekannt bin und es auch für mich eine neue Erfahrung ist, die Kreativität eines anderen umzusetzen. Sonst bin ich ja der kreative Kopf.

Und danach geht es ein Jahr, wenn nicht sogar ganze zwei Jahre darum, die passenden Schauspieler für das „The Asylum“-Musical zu casten und die Show zu planen, die stolze drei Stunden Spielzeit vorzuweisen hat. Und die Show heute Abend mit uns Vieren ist nur ein klitzekleiner Vorgeschmack, was es vom Musical zu erwarten gibt.

Am 21.12.2012 soll die Welt und die Menschheit zu ihrem Ende kommen. Mal angenommen, diese Theorie bestätigt sich, wie sähe der letzte Tag im Leben von Emilie Autumn aus? Genießt du die letzten Sekunden des Lebens zuhause im gemütlichen Wohnzimmer oder wirst du diesen Tag leben, so wie es sich für den letzten Tag eben gehört?

Ich würde meine Bloody Crumpets um mich herum versammeln, händchenhaltend in einem Kreis sitzen und den letzten Abend im Kreise meiner Lieben verbringen. Das ist ja das Schöne – wir sind nicht nur während der Tour ein eingespieltes Team, nein, wir kommen auch privat alle ziemlich gut miteinander aus. Wir haben so viel Zeit miteinander verbracht, haben die Welt betourt, es ist für mich einfach eine ganz wunderbare Konstellation, die ich gerne auch an meinem letztem Abend auf dieser Welt erleben möchte.



 

 

Vanessa Vogl – www.sounds2move.de

 



Link: www.emilieautumn.com