Interview mit Chrigel von ELUVEITIE

 

Inhaltlich stellt „Everything Remains (As It Never Was)“ wohl keine Fortsetzung zu eurem letzten Metal-Album „Slania“ dar, trotzdem scheint das aktuelle Cover eine direkte Fortführung des Covers von „Slania“ zu sein, da sich beide Cover doch sehr ähneln bzw. das Mädchen von „Slania“ allen Anschein zur Frau gereift ist. Besteht vielleicht doch eine Verbindung zwischen „Slania“ und „Everything Remains“, oder wieso habt ihr euch für dieses Cover entschieden?

 

Stimmt! Das mit der „kleinen Slania“, die inzwischen zu einer jungen Frau herangewachsen ist, war einfach eine spontane Idee, die uns sehr gut gefiel. Gleich wie damals hat das Cover nicht einen direkten, bzw. plakativen Bezug zum lyrischen Inhalt, sondern es ist mehr künstlerisches, metaphorisches und atmosphärisches Schaffen; allerdings haben wir eben die Idee des Mädchens „Slania“, welche den Hörer bei der Hand nimmt und ihn in ihre Welt und ihr Zeitalter entführt und ihm vom Leben ihrer Menschen berichtet, wieder aufgegriffen.

 

Der lyrische Bogen auf „Everything Remains“ umfasst ja verschiedene historisch überlieferte gallische Erzählungen, wobei ihr selber auch versucht jene teils kritisch zu hinterfragen, die einzelnen Geschichten also nicht einfach so im Raum stehen zu lassen. Wie ist es zu dem Entschluss gekommen, auch kritische Töne zuzulassen? Kannst du vielleicht auch einen Song als repräsentatives Beispiel anführen?

 

Eine kritische Herangehensweise ist für uns absolut nichts Neues. Ich denke, eine hinterfragende Haltung ist eigentlich immer unabdingbar, wenn man sich mit Geschichte und Geschichtsforschung beschäftigt. Allerdings betrieb ich beim Erarbeiten der Lyrics das Hinterfragen dieses Mal durchaus intensiver. Vieles, was wir heute über die gallische Geschichte wissen, wissen wir primär von ihren Zeitgenossen – von römischen und griechischen Geschichtsschreibern. Aber viele von ihnen stellten ihre Beobachtungen aus nicht unbeträchtlicher Distanz an, nicht nur geografischer, sondern auch kultureller Distanz. Manche ihrer niedergeschriebenen Informationen über die Gallier beruhen sogar selbst auf Erzählungen, die sie über die Gallier hörten. Zudem hatten ja die Römer großenteils ein kriegerisches Verhältnis mit den Galliern. Sprich: Viele ihrer Schilderungen über die Gallier sind alles andere als nüchtern und sachlich, sondern sind sowohl von ihrem eigenen Weltbild als auch von politischen Interessen geprägt. Und ich würde meinen, das ist Grund genug, um verdammt kritisch zu sein. ;) Beschäftigt man sich intensiver mit Geschichten wie z.B. jener des Orgetorix (und seiner Rolle, welche er in der nicht gerade einfachen und friedlichen Beziehung zwischen Helvetiern und Rom spielte) auseinandersetzt, dann tauchen immer mehr Fragezeichen auf, je tiefer man gräbt. Und es wird deutlich, dass sich die Geschichte wohl kaum so abgespielt haben kann, wie sie uns aus römischer Hand geschildert wird. In den Songs von  „Everything remains…“ greifen wir Fälle wie eben diesen auf und versuchen uns auszumalen, was damals wirklich geschehen sein könnte.

 

Wie kommt es, dass man auf dem Album eine direkte Anspielung auf ein Werk von E.A. Poe entdecken kann, bedeutet der Titel „Quoth The Raven“ doch nichts anderes als „Sprach der Rabe“?

 

Genau das bedeutet der Titel und auch genau das ist der Bezug zu Poes berühmtem Gedicht, weiter eigentlich nichts. Der Titel passte einfach perfekt. Der Song dreht sich um den Tod, das Sterben und das Jenseits und beschreibt diese Themen so, wie sie in der keltischen Mythologie beschrieben werden. Der Song ist in der ersten Person aus Sicht des anderweltlichen Rabens geschrieben, der beim Tod eines Menschen kommt, um ihn „abzuholen“ und ihn zur „verborgenen Insel“ zu geleiten. Insofern hat der Song eigentlich auch sonst inhaltlich einiges mit Poes „The Raven“ gemeinsam. Allerdings ist das wohl eher zufällig. Unser Song entspringt der keltischen Mythologie und nicht der amerikanischen Gruselliteratur des 19. Jahrhunderts, haha. 

 

Als erste Singleauskopplung habt ihr euch für den Song „Thousandfold“ entschieden, der zwar sehr eingängig ist, aber meiner Meinung nach lange nicht so eingängig wie „The Essence Of The Ashes“. Wieso habt ihr „Thousandfold“ als erste Single auserkoren und stand vielleicht „The Essence Of The Ashes“ auch zur Debatte?

 „Thousandfold“ wurde ja lediglich als Clubsingle veröffentlicht. Und es ist der erste Song, zu dem wir einen Videoclip drehten. Nun, einen Song für so was auszuwählen, ist nicht immer ganz einfach, bzw. hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Eingängigkeit des Songs ist bestimmt ein Bestandteil davon. Aber es spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise der lyrische Inhalt oder auch wie sehr ein Song das komplette Album repräsentiert (denn so ein Song ist ja jeweils das erste, was die Fans vom Album zu hören kriegen). Insofern hatten wir eigentlich einige „Wunsch-Kandidaten“ für Video-Songs. Letztlich entschieden wir uns dann für „Thousandfold“.

Aber es freut mich, dass du die Eingängigkeit von „The essence of ashes“ betonst. Der Song spannt zwischen lyrischem Inhalt und musikalischer Umsetzung nämlich einen interessanten Bogen! Der Songtext behandelt den so genannten Bagauden-Krieg, der sich in der späteren Antike im inzwischen von Rom besetzten Gallien abspielte. Gallische Bauern waren damals mit der neuen Staatsführung unter römischer Flagge sehr unzufrieden – sie hatten schwer unter der neu eingeführten, erdrückenden Steuerlast und andern politischen Maßnahmen zu leiden. Und so kam es in jener Zeit, in welcher es offenbar ein gewisses Machtvakuum in Rom gab, zu diversen Bauernaufständen in Gallien.

Nun, diese traurige Geschichte wiederholte sich in der gesamten Menschheitsgeschichte immer und immer wieder, bis heute. Und es sind immer wieder die Bauern (und allgemein das „Fußvolk“), welche jeweils unter machthungrigen und geldgierigen Führern und/oder Imperialmächten zu leiden haben. Dies war Jahrhunderte später auch beim schweizerischen Bauernkrieg von 1653 der Fall, bzw. dessen Ursprung. Jahrhunderte vergingen seit dem Bagauden-Krieg im antiken Gallien, aber die traurigen Umstände und zerstörerischen Mechanismen der Unterdrückung blieben über all die Jahrhunderte dieselben. Es ist manchmal erstaunlich, wie wenig wir Menschen uns ändern und wie wenig wir aus der Vergangenheit lernen. However, es gibt ein altes, traditionelles Schweizer Volkslied, welches den Bauernkrieg von 1653 besingt. Es heißt „Die Ballade vom Leuenberger“. Der Chorus von „The essence of ashes“ lehnt sich in seiner Melodie stark an dieses alte Schweizer Volkslied an und auch lyrisch haben wir den Text der „Leuenberger-Ballade“ im Chorus fast 1:1 übernommen. Und ja, die „Leuenberger-Ballade“ ist in der Tat sehr eingängig! ;)

 

Für die Produktion von „Everything Remains (As It Never Was)“ habt ihr mit Tommy Vetterli zusammengearbeitet. Wie seit ihr auf ihn gekommen, war er eure erste Wahl als Produzent, oder standen noch andere Namen zur Diskussion?

 

Also, produziert haben wir das Album selbst. Allerdings stand uns bei den Aufnahmen der Metal-Instrumente und Gesänge Tommy als Co-Produzent hilfreich und kompetent zur Seite. „Schuld“ an der Zusammenarbeit mit Tommy war ursprünglich unser Manager, der damals auch Manager von Coroner war und somit auch ein alter Freund von Tommy ist. Und inzwischen sind wir ihm unheimlich dankbar, dass er Tommy und uns zusammenbrachte! Tommy ist nicht nur ein toller, liebenswerter Kerl und ein völlig der Musik ergebenes Arbeitstier. Nachdem wir bei ihm aufnahmen, muss ich nun auch sagen, dass er weltweit wohl einer der besten und fähigsten Engineers ist und in der Metal-Welt meiner Meinung nach auch nicht genügend als solcher anerkannt und honoriert! Ja, zuerst standen schon noch andere Namen, bzw. Studios zur Debatte. Aber nachdem wir nach einem ersten Gespräch dann Tommy und seine Newsound Studios besuchten, war für uns der Fall mehr als klar.

 

„Slania“ war schon ein sehr stark produziertes Album, aber die Produktion von „Everything Remains“ übertrifft in meinen Augen alles und kann getrost als DIE Referenz im Pagan-Bereich angesehen werden, an der sich andere Bands zukünftig messen müssen. In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, ob ihr rückblickend etwas an der Produktion von „Slania“ auszusetzen habt, oder ob ihr immer noch vollauf damit zufrieden seid?

 

Danke für die „Blumen“! Ich persönlich finde auch, dass der Mix und das Mastering von „Everything remains…“ hervorragend ist und unsre bisherigen Alben produktionsmäßig in den Schatten stellt. Vor allem, was die Transparenz angeht. Zugegeben, es ist alles andere als einfach, ein Eluveitie-Album zu mischen. Nur so als Beispiel: Für den Titeltrack des Albums waren es gut 90 Spuren zu mischen! Es ist bei dieser vielschichtigen Instrumentierung und den verschiedenen Gesangsspuren und Chören sehr schwierig, alles hörbar und transparent zu halten, jedes Instrument zur Geltung zu bringen und gleichzeitig einen druckvollen Sound zu gewährleisten. Doch genau dieses kleine Wunder ist Colin Richardson gelungen. Es ist eigentlich das erste Eluveitie-Album (abgesehen vom akustischen „Evocation I“), auf welchem wirklich alle Instrumente wirklich zur Geltung kommen und der ganze Sound so transparent ist. Was „Slania“ angeht: Ja, gerade dieser Punkt war bei der damaligen Produktion mangelhaft. „Slania“ klingt zwar druckvoll und wuchtig, aber der Druck geht öfters zu Lasten der Folk-Instrumente, welche hier und dort etwas untergehen. Aber was heißt schon unzufrieden? Ich meine, mit jeder Albumproduktion lernt man dazu (oder sollte es zumindest, haha). „Slania“ war damals das Beste, was wir hinkriegen konnten. Insofern waren (und sind) wir damit auch zufrieden. Es war nach „Spirit“ eine deutliche Steigerung, genau so, wie „Everything remains…“ gegenüber „Slania“ eine Steigerung ist. So lernt man und bei jeder Albenproduktion, versuchen wir, das bisher Gelernte und die gemachten Erfahrungen einfließen zu lassen und die Sache besser zu machen, als beim letzten Mal.

 

Bleiben wir kurz beim Thema „Referenz“: Spätestens seit „Slania“, für viele auch schon seit „Spirit“, bildet ihr ganz klar die Speerspitze im Pagan-Metal und befindet somit auch auf Augenhöhe mit großartigen Bands wie Moonsorrow und Primordial. Wie nehmt ihr selber diese Entwicklung zur Referenzband wahr, seid ihr euch eures Status bewusst, oder versucht ihr solche Gedankengänge eher außen vor zu lassen, um euch nicht selber zusätzlich unter Druck zu setzen?

 

Hmm, okay. Ich meine, wir lassen, wie du das ausdrückst, solche Gedanken eher von außen zu; oder nehmen sie (wenn auch dankbar, natürlich) zur Kenntnis. Aber unter Druck setzen wir uns deswegen nicht. Und wir selbst sehen uns auch nicht in dem Sinne irgendwie als irgendeine Referenz für irgendwas an. Ich meine, wir machen einfach unser Ding und freuen uns daran. Wenn sich andere Leute auch daran freuen, dann ist das natürlich umso schöner! Aber es setzt uns nicht irgendwie unter Druck.

 

Primordial Frontmann Alan „Nemtheanga“ Averill ist bekanntermaßen nicht unbedingt der größte Fan vom mehr und mehr grassierenden Fun-Pagan-Metal, in dem es nur um Party machen und Saufen geht. Ihm persönlich mangelt es mehr und mehr am nötigen Ernst in den Pagan-Szene, doch wie denkst du darüber, siehst du auch mehr eine Abdriften eine von oberflächlichem Spaß regierte Pagan-Szene, oder stehst du dem vielleicht nicht so kritisch wie Alan „Nemtheanga“ Averill gegenüber?

 

Hahaha, der liebe Alan! Ja, ich diskutierte schon bei manch einem Glas guten Rotweins dieses Thema mit ihm. Und ich muss sagen, auch wenn unsere persönlichen Musikgeschmäcker teilweise um Welten auseinanderdriften, so sind wir uns in diesem Thema ganz und gar einig! Persönlich kann ich überhaupt nichts mit der met-seligen Party-Sauf-und-schwing-als-Wicki-verkleidet-das-Tanzbein Sache anfangen und empfinde sie auch als oberflächlich. Eigentlich beschäftigt mich die ganze Chose aber wohl nicht so sehr, wie sie Alan beschäftigt. Denn wir selbst empfinden uns selbst eigentlich gar nicht so sehr als Pagan Metal Band, bzw. als Teil dieser Szene. Natürlich gehören wir dort dazu. Aber dennoch tanzten wir schon seit Anbeginn immer wieder und gerne aus der gegebenen, nicht selten feucht-fröhlichen Humppatanz-Reihe. Insofern ist uns die ganze Sache primär einfach wurscht. Jedem das seine! Wer Fun-Pagan-Party haben will, der soll sie haben. Es ist nicht unser Ding, aber das bedeutet ja nicht zwingend, dass wir deshalb ein Problem damit haben müssen. ;) Wie gesagt, wir machen einfach unser Ding. Und so soll jeder sein Ding machen.

 

Nach eurem Akustikalbum „Evocation I –The Arcane Dominion“ ist „Everything Remains (As It Never Was)“ das erste vollwertige Album auf dem sich auch die beiden Neuzugänge Kay Brem und Päde Kistler ins Songwriting einbringen konnten. Haben sich beiden unterdessen auch in kreativer Hinsicht vollständig in die Band integriert und dementsprechend etwas zum neuen Album beigesteuert, oder haben sie sich noch zurückgehalten? 

 

Eigentlich haben sie sich bei „Evocation I“ mehr eingebracht. Ein Track darauf („Memento“) stammt ja fast vollständig von Päde. Aber das ist eine Sache, der eigentlich weniger konkrete oder bewusste Entscheidungen zu Grunde liegen, sondern so was entwickelt sich während der Songwriting-Phase recht spontan und intuitiv.

 

Ich war erstaunt zu sehen, dass ein paar Internet-Shops euer nächstes Akustikalbum „Evocation II – Visions“ schon im Angebot haben und es für Anfang 2011 ankündigen. Habt ihr tatsächlich schon den vorgegebenen Plan „Evocation II – Visions“ Anfang 2011 zu veröffentlichen, oder haben da ein paar Shops vielleicht einfach mal per gut Glück ins Blaue geschossen mit ihrer Vorankündigung?

 

Haha, ja solche Vorankündigungen habe ich auch schon gesehen! Nun, es ist nicht so, dass es beschlossene Sache wäre, dass wir nächstes Jahr „Evocation II“ veröffentlichen, gar nicht. Wir sprachen lediglich darüber. Aber wir haben uns diesbezüglich noch nicht entschieden. Vielleicht werden Part II des Akusik-Konzeptes auch erst viel später realisieren, wir wissen es schlicht noch nicht. Ebenso ist auch der Titel „Visions“ erst ein Arbeitstitel. Dass manche Mailorder das nun bereits schon so in ihre Kataloge aufgenommen haben, hat wohl eher damit zu tun, dass noch keine konkreteren Informationen vorliegen.

 

Gibt es eigentlich eine Pagan-Band, die dich in letzter Zeit besonders beeindruckt hat, vielleicht ein Newcomer aus dem Underground? Oder hast du gar keine Zeit, um ein Ohr auf die „Konkurrenz“ zu werfen?

 

Leider komme ich sehr selten dazu, mir neue Sachen anzuhören oder überhaupt viel Musik zu hören. Aber wie ich schon vorher erwähnte, wir selbst sind eigentlich gar nicht so sehr in der ganzen Pagan Metal Szene verankert, was sich auch darin widerspiegelt, dass sich niemand von uns privat Pagan Metal anhört, geschweige denn solchen sonderlich mag, haha. Wir hören uns alles Mögliche an. Natürlich gibt’s immer wieder befreundete Bands, die wir als Menschen und Musiker sehr schätzen und deren neue Alben wir uns jeweils anhören. Finntroll sind z.B. so ein Fall. Mika (ihr Gitarrist) erzählte mir neulich am Telefon über die diversen Einflüsse, die sie in ihre neue Scheibe pappten und diese klangen doch schon sehr abenteuerlich, haha! Ich bin sehr gespannt, in ihr neues Album reinzuhören, kam aber bislang leider noch nicht dazu. Aber eben… wenn wir privat zum Musikhören kommen, dann ist das höchst selten Pagan Metal. Die CD, die bei mir in den letzten zwei Monaten am häufigsten ihre Runden im CD-Player drehte, war The Black Eyed Peas’ „The E.N.D.“, hehe!

 

Nando Rohner – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.eluveitie.ch