Interview mit Gunnar Schröder von DRITTE WAHL

 

 

Erst mal herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum. Vor 20 Jahren hättet ihr euch sicher nicht denken lassen, dass ihr heute noch auf der Bühne stehen würdet und dass ihr ein Jubiläumskonzert auf dem Force Attack vor mehreren Tausend Besuchern spielen werdet, oder?

 

Vielen Dank! Nein, vor 20 Jahren war das sicherlich nicht abzusehen, aber wer hätte im Oktober 1988 schon gedacht, dass wir im November des Folgejahres in Lübeck spielen würden. Das Leben überrascht uns eben immer wieder. Aber es stimmt, über einen Zeitraum von 20 Jahren haben wir damals nicht nachgedacht.

 

Apropos Force Attack: Stand es für euch zur Debatte, eure große Jubiläumsshow für die neue DVD anderswo als quasi direkt vor eurer Haustür aufzunehmen? Welche Alternativen waren denkbar?

 

Erst einmal ist das Force Attack ja unser Haus und Hof Festival. Wir waren schon in den ersten Jahren dabei, habe alle Umzüge miterlebt und ich glaube nicht, dass es eine Band gibt, die öfter dort gespielt hat als wir. Außerdem liegt es direkt vor der Haustür - ist also auch ein kleines Heimspiel.

 

Die History auf der neuen DVD beinhaltet jede Menge neues und altes Live-Material, darunter steinalte Aufnahmen von euren frühen Konzerten – modische Gratwanderungen inklusive. Wie oft musstet ihr schmunzeln oder mit dem Kopf schütteln, während ihr eure Archive durchgeschaut habt?

 

Beides häufig. Selbst einige Intros, oder bestimmte Versionen von einzelnen Songs kannte ich gar nicht mehr. Manchmal tat es aber auch etwas weh, besonders wenn man Busch´n fit und gut gelaunt über die Bühne fegen sah und daran denken musste, dass er nun schon 4 Jahr tot ist. Außerdem wurde uns auch schmerzlich bewusst, was wir schon für alte Säcke sind!

 

Gab es auch Material, das ihr – aus welchen Gründen auch immer – vorsichtshalber im Giftschrank habt stehen lassen? An dieser Stelle kannst du uns einen Einblick in die Abgründe aus 20 Jahren Dritte Wahl geben, hehe.

 

Wir haben uns keine Peinlichkeiten erspart. So richtig krasse Sachen waren aber (Gott sei Dank!) nicht dabei. Viele Aufnahmen waren aber so schlecht, dass man sie nicht verwenden konnte. So liegen nun bei uns haufenweise Bänder und CDs und DVDs rum, die sich ziemlich sicher niemand mehr freiwillig anschauen wird, und die wir doch nicht wegschmeißen wollen/können. Geschichte eben! 

 

Ein weiteres Zitat aus eurer History ist, dass das Interesse seitens größerer Plattenfirmen an Dritte Wahl durchaus vorhanden war, jedoch zu bisweilen zweifelhaften bis dubiosen Bedingungen. Mal rein spekulativ und unter der Voraussetzung es wäre ein vernünftiges Angebot einer großen Firma dabei gewesen: Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, wo deine Band heute möglicherweise stehen könnte oder wie sich alles entwickelt hätte, wenn man sich seinerzeit für einen solchen Vertrag entschieden hätte?

 

Es war schon eine sehr bewusste Entscheidung unser eigenes Label zu gründen und unsere Belange selbst in die Hand zu nehmen. Vor 10 - 12 Jahren, als das Thema anstand, war es mit dem Punkrock und dem lieben Geld noch viel schwieriger als heute. Mit dieser Musik Geld zu verdienen war ja Verrat. Also waren wir an einem Punkt, wo man sich überlegen musste, was wird passieren, wenn wir zu einem Major wechseln. Schlimmsten Falls bleiben die alten Fans weg und man schafft es nicht sich neue dauerhafte Anhänger zu erspielen. Die Musikbranche ist ja zu weilen auch ein  kurzlebiges Geschäft. Da kann man schnell zur Eintagsfliege oder gar ganz zum Flop werden. Dazu kommt, dass wir (glaube ich) nie die "richtigen", radiotauglichen Hits hatten. Wir waren (und sind) immer eine Nischenband. Ich glaube mal ganz nüchtern betrachtet sind wir schon da wo wir hingehören. Sicher, mehr geht immer, aber wir wollten/wollen das nicht erzwingen.

 

 

Wird man Dritte Wahl deiner Meinung nach wirklich gerecht, wenn man euch einfach als Punkband bezeichnet? Eure Platten und auch die neue DVD zeigen nämlich, dass bei euch durchaus auch Platz für andere Einflüsse von Ska bis Metal ist.

 

Wir waren immer eine Rockband, auch wenn ich vom Grundgefühl her sagen würde wir machen Punkrock. Wir haben schon immer viele verschiedene Einflüsse zugelassen. Mit Bad K. waren wir zum Beispiel wohl die erste deutschsprachige Punkcombo, die sich an eine Rap-Nummer ran getraut hat. Ska und Metaleinflüsse sind auch schon von Anfang an dabei. Gespielt wird was Spaß macht! Komischerweise sind viele Stücke, die etwas aus dem Rahmen fallen, wie beispielsweise „Free Hash“ oder „So wie ihr seid“,  zu unseren bekanntesten Liedern geworden.

 

Stichwort Metal: Es ist bekannt, dass ihr zu Gründungszeiten auch eine große Vorliebe für Metal hattet. Was hat letztlich den Ausschlag gegeben, dass aus euch eine Punk und keine Metalband wurde? Die Frisuren hätten ja damals durchaus auch zum Headbanger-Look getaugt...

 

Ja, wir kamen damals absolut aus der Metalecke, sind mit AC/DC, Accept, Iron Maiden, Judas Priest, Saxon, Rose Tattoo usw. aufgewachsen. Ich habe aber schon sehr früh auch Punk oder z.B. Ton Steine Scherben gehört. Dann habe ich angefangen deutsche Texte zu schreiben und die Songs wurden irgendwie ganz von allein immer punkiger.

 

Obligatorisch ist zu einem runden Geburtstag wie dem euren natürlich die Frage nach den Höhepunkten und Tiefpunkten aus dem bisherigen 20 Jahren Dritte Wahl. Welche Ereignisse sind es wert, noch einmal in Erinnerung gerufen zu werden?

 

Wir haben viele sehr schöne Momente erlebt. So richtig DEN Augenblick gab es aber nicht. Die Europatourneen mit The Exploited, der Support für die Toten Hosen oder aber auch das erste Mal beim With Full Force Festival - das waren aber schon Highlights.

Tiefpunkt war natürlich der Tod von unserem Bassisten Busch´n, der vor 4 Jahren an Krebs gestorben ist.

 

Was mich an der Bandhistory ehrlich gesagt etwas stört, ist der recht zerstückelte Ablauf. Das Material finde ich zu sehr großen Teilen wirklich interessant, nur stört mich die Tatsache, dass alles ziemlich zerstückelt wurde und damit dem inhaltlichen Fluss etwas im Wege steht. Vielleicht kannst du kurz erklären welchem Gedanken ihr bei diesem Ansatz gefolgt seid.

 

Wir haben das in erster Linie gemacht, weil wir so qualitativ verschiedenes Material hatten. Es gab die Überlegung das Ganze chronologisch aufzubauen, wir wollten aber möglichst viel Material unterbringen, sodass wir sogar während der Titel in verschiedene Zeiten schalten. Oft (meist) hatten wir ja nur eine einzige Kameraeinstellung und wir wollten nicht 3 Minuten lang nur die Totale von einem Uraltkonzert zeigen.

 

Wie viel Rebellion und Gesellschaftskritik war deiner Meinung nach für eine Band wie euch zu DDR-Zeiten möglich? Und wie hat sich die ostdeutsche Punkszene im allgemeinen und ihr euch im speziellen nach der Wende verändert?

 

 

Wir selbst haben zu Zonenzeiten sicher nicht alles ausgeschöpft, was drin gewesen wäre. Unsere Songs waren schon etwas gemäßigter als heute. Da wurde in den Texten viel  umschrieben und versteckt. Wir hatten auch nie Sorgen mit der Stasi, obwohl wir keine Spielgenehmigung hatten, die man damals eigentlich brauchte. Es gab aber schon Bands die verboten wurden und denen ein abenteuerlicher Ruf voraus eilte. Freygang, Herbst in Peking oder Schleimkeim zum Beispiel. Dann gab es aber auch die "Vorzeigepunks", wie z.B. Feeling B., die schon zu Ostzeiten Platten machen durften und Gastspiele in Westdeutschland gaben.

 

Wie hast du die Karriere der drei „großen“ deutschsprachigen Bands mit Punk-Wurzeln, sprich der Hosen, Onkelz und Ärzte, wahrgenommen und wie stehst du heute zu diesen Bands?

 

Ich habe die Hosen und die Ärzte letztes Jahr live spielen sehen und ich fand beide Konzerte super. Gerade die Hosen sind live eine Macht. Mir gefällt sogar die neue Scheibe ganz gut. Für die Onkelz habe ich mich nie interessiert.

 

Auf eurer DVD sagt ihr, dass ihr euch wünscht zum richtigen Zeitpunkt den Absprung zu schaffen, sprich irgendwann im passenden Moment aufzuhören. Glaubst du die Onkelz haben diesen Moment erwischt? Und wann wird es möglicherweise für die Berliner bzw. Düsseldorfer an der Zeit sein die Segel zu streichen?

 

Ich glaube die Ärzte können wahrscheinlich noch mit 100 Jahren witzige Songs schreiben und auf der Bühne rumblödeln. Die sind ja mit ihren Veröffentlichungen (Ärzte und Solo-Scheiben) so was von kreativ - da fällt mir nichts zu ein. Bei den Hosen freue ich mich auch, wenn ich sie noch ein paar Mal live sehen darf. Ungeschickt war es von den Onkelz wahrscheinlich nicht, zu dem Zeitpunkt abzutreten. Bin mal gespannt ob sie irgendwann wiederkommen. Ich brauche sie aber nicht.

 

Lass uns bei diesem Thema auch zu deiner Band noch einmal konkreter werden: Wie würdest du dir (irgendwann, hat ja noch Zeit! ;-) ) den perfekten Abgang für die Dritte Wahl vorstellen?

 

Ich denke an ein großes Konzert mit vielen befreundeten Bands, Freibier usw. Und dann fällt der letzte Vorhang!

 

Von Abschied kann im Moment allerdings noch keine Rede sein. Für 2009 sind bereits jetzt über 30 Konzerte gebucht. Er scheint so, als wäre das Interesse an euch nach wie vor durchaus vorhanden, oder?

 

Wir spielen momentan nur einen Bruchteil von dem, was uns angeboten wird. Die Leute wollen uns immer noch sehen und hören. Das ist schön! Ich hoffe, dass es noch eine Weile so bleibt. Wir basteln ja gerade an neuen Songs, wir wollen halt schon noch ein bisschen weitermachen. Das ist durchaus als Drohung zu verstehen!

 

Markus Rutten - www.sounds2move.de

 

 

Link: www.dritte-wahl.de