Interview mit Scott Phillips von CREED

 

 

Lass uns mit einer eher philosophischen Frage beginnen: Glaubst du an Schicksal?

 

Oh, das ist direkt mal eine sehr schwierige Frage. Ich glaube daran, dass jeder sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann. Deine Entscheidungen sind dafür verantwortlich, was in deinem Leben geschieht.

 

Und war es Schicksal, dass sich die Wege von eurem Sänger Scott Stapp und dem Rest der Band nach mehreren Jahren wieder gekreuzt haben, um die Karriere von Creed weiterzuführen?

 

Ja, das könnte vielleicht Schicksal gewesen sein... (überlegt). Ich meine, wir hatten viel Erfolg zwischen 1997 und 2002. Aber natürlich hat auch jeder mitbekommen, dass die Band 2004 aufgelöst wurde, weil wir nicht mehr miteinander konnten. Möglicherweise war es auch nicht direkt Schicksal, sondern eher die Tatsache, dass auch Freundschaften Krisen durchleben oder auf ein Abstellgleis gestellt werden können. Es gibt meiner Meinung nach jedoch immer auch einen Weg, sich wieder zusammen zu raufen und Vergangenes aus der Welt zu schaffen.

 

Alte Liebe rostet nicht?

 

So könnte man es sagen ja, hehe.

 

Bei eurer Trennung wurde seinerzeit viel geschrieben, sowohl sachlich als auch etwas überspitzt, weil einige Medien wie immer auf der Suche nach einer großen Schlagzeile waren. Unbestritten ist jedoch, dass es damals zu großen internen Differenzen kam, menschlich wie kreativ. Was ist in eurem Verhältnis untereinander heutzutage anders im Vergleich zu der Zeit, in der ihr euch irgendwann einfach nichts mehr zu sagen hattet?

 

Ich denke, es herrscht heute viel mehr natürlicher Respekt untereinander und vor dem, was jeder einzelne in die Band mit einbringt. Rückblickend hatten wir einfach auch eine schlechte Kommunikation innerhalb der Band und das war sicherlich einer der Gründe dafür, dass Creed damals zerbrochen sind. Heute wissen wir wie wichtig es ist zu reden, denn Kommunikation ist zwischenmenschlich häufig der wichtigste Schlüssel zur Harmonie, egal ob innerhalb einer Band oder zum Beispiel in einer Ehe.

 

Zumindest hattet ihr aber keinen „Some Kind of Monster“-Moment.

 

Haha, das ist wahr! Heute sind wir auch einfach alt genug, um über gewisse Dinge einfach zu reden wenn es etwas zu klären gibt und jeder sagt seine Meinung frei heraus. Wir müssen nicht über Umwege oder Dritte gehen, um unsere Meinung kund zu tun.
 

Ich habe im Netz ein paar eurer jüngsten TV Auftritte aus den USA finden können, etwa bei Fox News. Was mich überrascht hat ist, dass ihr dort jeweils immer einen oder mehrere eurer alten Hits gespielt habt, anstatt den Leuten einen Ausblick auf „Full Circle“ zu geben.

 

Wir wollten den Zuschauern damit in Erinnerung rufen, wer wir waren und was unsere Geschichte bis dato ausgemacht hat. Wer wir heute sind ist unmittelbar mit unserer Vergangenheit verbunden. Außerdem fanden viele dieser Auftritte zu einem Zeitpunkt statt, zu dem wir noch überhaupt nicht komplett fertig mit dem Album waren. Klar befand es sich im Endstadium, aber es kannte noch niemand da draußen irgendetwas davon, da wir auch noch keine Single im Radio oder ein Video veröffentlicht hatten, um diesen oder jenen Song zu unterstützen. Daher haben wir uns dazu entschlossen, wieder eine Verbindung mit den alten Fans aufzubauen über die Songs, mit denen sie vertraut sind.

 

Somit habt ihr über die Vergangenheit versucht, den Weg für die Zukunft zu ebnen?

 

Das ist genau der Punkt und entspricht auch dem Albumtitel „Full Circle“. Exakt darum geht es, dass wir versuchen wollen, den Faden dort wieder aufzugreifen, wo wir ihn damals abgeschnitten haben, um ihn im Hier und Jetzt weiter zu spinnen.

 

Hat sich diese Philosophie auch auf eure Comeback-Tour durch die Vereinigten Staaten übertragen, die ihr im Sommer hinter euch gebracht habt, also dass ihr euch vor allem auf die alten Hits konzentriert habt?

 

Auch, aber nicht nur. Wir haben natürlich regelmäßig auch unsere seinerzeit aktuelle Single „Overcome“ gespielt, dann „A Thousand Faces“, den Titeltrack „Full Circle“, unsere jetzige Single „Rain“ und „Bread of Shame“ war auch ein paar mal mit im Set. Wir haben also schon versucht, den Leuten auch das neue Material nahe zu bringen und ihnen diese Songs ans Herz zu legen.

 

Hast du persönlich das Gefühl, dass mit Creed noch vieles ungesagt ist? Mit Alter Bridge lief es wirklich nicht übel für euch und trotzdem habt ihr entschieden, mit Creed noch eine zweite große Band wieder an den Start zu bringen. Im Endeffekt werdet ihr für beide viel Zeit, Kraft und Hingabe benötigen.

 

Das stimmt und meine Freizeit ist in diesen Tagen auch auf ein absolutes Minimum zusammengeschrumpft. Wir werden aber trotzdem mit beiden Bands weitermachen. Ich glaube Creed haben eine Art Heilungsprozess hinter sich, der nötig war, damit wir wieder vernünftig miteinander reden können. Aber dafür mussten ein paar alte Wunden zuerst verheilen. Es gab einfach die ganzen Jahre dieses offene Kapitel in unserem Leben, das nicht zu Ende geschrieben wurde und letztlich haben wir entschieden, das Buch nicht zu schließen, sondern die Geschichte weiter zu schreiben. Im Endeffekt ist es ja auch so, dass wir noch jung genug sind, um beides stemmen zu können und genau aus diesem Grund werden wir auch genau das tun.

 

Dabei wird euch jedoch sicherlich klar sein, dass ihr vermutlich nicht mehr dazu in der Lage sein werdet, eure jeweils aktuelle Veröffentlichung länger als ein bis eineinhalb Jahre live zu promoten, sprich zu betouren.

 

Sicher hast du recht, aber das Touren an sich hat sich auch verändert wenn man es mit dem vergleicht was wir noch 2002 veranstaltet haben. Inzwischen kann man fast schon von einem komplett unterschiedlichen Szenario sprechen. Auf Tour zu sein hat sich wie das gesamte Geschäft deutlich verändert und man hat das Gefühl, dass Alben eine wesentlich kürzere Halbwertszeit haben als noch vor 5 oder 10 Jahren. So wie ich das sehe, kann man kaum mehr 18 Monate non-stop eine Platte betouren, so was funktioniert einfach nicht mehr. Nachdem wir mit Alter Bridge „Blackbird“ draußen hatten, waren wir natürlich auch viel unterwegs, aber das war alles in allem trotzdem nur ein Jahr. Mit Creed hatten wir jetzt im Sommer 10 Wochen „on the road“ hier in den USA und wir planen für nächstes Jahr insgesamt noch einmal bis zu 6 Monate weltweit, je nach dem wie auch die Nachfrage ist. Diese Dinge haben sich wie gesagt einfach geändert.

 

Wie sind die Reaktionen eurer Frauen und eurer Familie ausgefallen, als es darum ging, dass ihr zukünftig zwei erfolgreiche Rockbands parallel betreiben wollt?

 

Sie haben uns sehr unterstützt und uns geraten, diese Chance einfach zu ergreifen. Alle verstehen, dass wir vermutlich nicht die nächsten Rolling Stones, Aerosmith oder AC/DC sind und noch mit 50, 60 oder sogar darüber hinaus auf der Bühne stehen werden. Es kann theoretisch so kommen, aber wer ist so blauäugig, sich darauf zu verlassen?

 

Es war in den letzten Jahren immer mal wieder zu lesen, dass euer Label Wind-Up sich erkundigt habe, wie es um die Chancen einer Reunion stünde. Hatten sie letztlich einen signifikanten Einfluss auf eure Entscheidung, es noch einmal zu versuchen?

 

Nein, nicht wirklich. Weißt du, diese Anfragen und Bitten gab es eigentlich öfter mal und von verschiedenen Leuten. Von Booking-Agenten oder unseren Freunden zum Beispiel, teilweise von Leuten aus Scotts Umfeld oder gänzlich von außerhalb unseres Camps... Wir haben jedes Mal dankend abgelehnt, aber man soll ja auch niemals nie sagen, wobei die Voraussetzungen, Umstände und das Timing ganz klar stimmen mussten. Unter dem Strich hatte ohnehin niemand außer uns vier das letzte Wort bei dieser Sache und wenn wir uns nicht zusammen gesetzt und darüber gesprochen hätten, wäre es heute noch nicht so weit egal, was die Welt da draußen sagt oder möchte. Zumal uns von einigen Stellen weniger Druck, sondern vielmehr Skepsis entgegen gebracht wurde, nach dem Motto „Ob das wirklich funktioniert?“.

 

Was waren eigentlich eure persönlichen Standards im Bezug auf „Full Circle“? Welchen Anspruch hattet ihr an euch selbst?


Vor allem, dass wir mit dem Album und der Situation zufrieden sind. Ich meine, wir hatten über Jahre nicht mehr mit Scott Stapp gearbeitet und wussten nicht wie er mittlerweile arbeitet, wo er musikalisch steht etc. Bei uns drei anderen war die Sache klar, wir sind nach wie vor ein eingespieltes Team dank Alter Bridge. Wir wussten nicht, was uns erwartet und wie die Sache ausgeht und haben darum vor allem vor Augen gehabt, dass am Ende jeder von ganzem Herzen hinter den neuen Songs stehen kann. Eben so wie es auch früher immer war. Wäre dies nicht der Fall, könnten wir es gleich lassen.

 

 

In mancherlei Hinsicht hat man auf jeden Fall als neutraler Beobachter das Gefühl, dass die Metal-Vorlieben von Mark (Tremonti, Gitarrist – MR) diesmal präsenter sind als das in der Vergangenheit bei Creed der Fall war. Ein paar Nummern sich richtig schön heavy und auch die Anzahl der Soli ist klar gestiegen.

 

Als wir damals Alter Bridge aus der Taufe hoben, war unser Anreiz der, dass wir uns als Musiker und Songwriter verbessern und etwas Neues ausprobieren wollten. Wir wollten uns selbst pushen und nicht einfach nur ewig da weiter machen wo wir zum damaligen Zeitpunkt standen. Diese Philosophie und natürlich auch das was wir in der Zwischenzeit gemacht haben, hat unbestritten auf das neue Album abgefärbt, da wir natürlich alle auch viel bessere Musiker sind, als wir es noch 2001 bei den Aufnahmen zu „Weathered“ waren.

 

Wobei sich Scotts Gesang dem auch merklich angepasst zu haben scheint, da einige Gesangslinien ungewohnt aggressiv klingen. Ich denke da zum Beispiel an das Ende von „Fear“ wenn er immer wieder „Let go!“ ins Mikrofon bellt.

 

Als Sänger hat er sich natürlich auch herausfordern wollen, ganz klar. Er ist zudem seit jeher auch ein sehr politischer Songwriter, wenn es darum geht, was er mit seinen Texten thematisiert. Diese Botschaften will Scott dann auch so rüberbringen wie sie es eben benötigen und das ist ihm meiner Meinung nach auf diesem Album sehr gut geglückt.

 

Stammt das Songmaterial komplett aus diesem Jahr oder habt ihr für euer neues Album auch Ideen und Songs aus früheren Tagen verarbeitet?

 

­So ziemlich alles wurde erst in diesem Jahr für „Full Circle“ geschrieben. Einzig „Overcome“ basiert auf einem ziemlich alten Entwurf, denn es gab da eine Vorgängerversion, die schon geschrieben wurde, noch bevor unser Debüt „My Own Prison“ (1997) erschienen ist. Der Song sollte damals bereits auf das Album und die meisten, den Produzenten eingeschlossen, waren grundsätzlich dafür. Nur Mark hat sich gegen die Nummer gesträubt, da sich die damalige Version für ihn nicht richtig anfühlte und das Lied in seinen Augen noch nicht funktionierte. Den Song haben wir dann in diesem Jahr wieder ausgegraben und plötzlich hatte Mark die zündende Idee und präsentierte uns das, was jetzt das erste Riff von der neuen „Overcome“-Version ist; damit passten die Puzzleteile auch endlich zusammen. Abgesehen davon haben wir es vermieden, Fragmente aus der Vergangenheit zu bemühen und somit ist der Rest komplett aus diesem Jahr.

 

 „Full Circle“ beginnt mit „Overcome“ und „Bread of Shame“ ziemlich entschlossen, handelt es sich in beiden Fällen doch um sehr druckvolle Songs mit einem schönen Drive. War es euch wichtig, auf diese Art und Weise ein Zeichen zu setzen und sozusagen mit einem Paukenschlag eure Rückkehr zu verkünden?

 

Ja, das kann man denke ich so sagen. Wir hatten diese Idee im Kopf, wie wir die Platte beginnen und ankündigen wollten, oder wie du es sagst gleich zum Auftakt ein Ausrufezeichen zu setzen. Ich denke über die Jahre haben sehr viele Leute Creed vor allem mit „Higher“, „With Arms wide open“ und „My Sacrifice“ assoziiert, eben den Radiosingles, und dabei außer acht gelassen, dass wir immer auch härtere Songs auf den Alben hatten. Wir wollten direkt klar machen, dass dies ein Rockalbum ist und Creed eine Rockband sind, keine Popband! Natürlich haben wir nach wie vor auch ein Gespür für poppigere Momente und Songs wie etwa „Rain“ und „Away in Silence“ – aber im Kern sind wir damals wie heute eine Rockband.

 

In den Credits von „Full Circle“ haben die Alter Bridge-Musiker unter euch durch die Bank auch Myles Kennedy (Sänger von Alter Bridge, MR) gegrüßt. Dankt ihr ihm dabei einfach nur als gutem Freund oder auch dafür, dass er euch grünes Licht für die Creed Reunion gegeben hat und damit indirekt geholfen hat, eure Rückkehr überhaupt auf den Weg zu bringen?

 

Auf jeden Fall beides. Myles ist immerhin nicht nur unser Sänger, sondern auch einer meiner besten Freunde. Er hat viel Verständnis dafür, warum wir das jetzt einfach machen müssen. Einer der Faktoren für die Reunion mit Creed war auch, dass wir dachten, er würde vielleicht den großen Schritt machen und bei Led Zeppelin einsteigen... es gab da ja diese Gerüchte um eine mögliche Tour. Wir wussten nicht ob und falls ja wie lange er da eingespannt wäre und es fühlte sich für uns nicht richtig an ihm das abspenstig zu machen oder gar verbieten zu wollen. Wir lassen uns gegenseitig tun was wir für richtig halten und das finde ich großartig.

 

Lass uns abschließend noch mal ins Kuriositätenkabinett wechseln. Im September habt ihr einen neuen Weltrekord aufgestellt, weil ihr nicht weniger als 239 Kameras verwendet habt, um eine eurer Shows für eine kommende DVD zu filmen. War euch von vornherein bewusst, dass ihr mit dieser Zahl einen neuen Rekord aufstellen werdet?

 

Das war definitiv kein Ziel, das wir uns extra vorgenommen haben und erreichen wollten. Der Regisseur, mit dem wir zusammen gearbeitet haben, der übrigens auch für die Alter Bridge DVD verantwortlich ist die in naher Zukunft erscheint, hatte die Idee mit einer Technologie namens „Pic Freeze“ zu arbeiten, welche zum Beispiel im Film „Matrix“ zum Zuge kam. Damit kann man einzelne Bilder anhalten und dann um 180° bzw. 360° drehen. Teilweise funktioniert das sogar in Echtzeit während das Bild läuft. Am Ende des Abends haben wir glaube ich sogar vier neue Rekorde mit der Technik aufgestellt, nicht nur für die meisten Kameras bei einer Konzertaufzeichnung. Wir konnten schon ein bisschen was von dem Rohmaterial sichten und es schaut sehr spektakulär aus! Ich denke man darf sich auf das Endergebnis freuen, wir tun es jedenfalls.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

Link: www.creed.com