Interview mit NORRI von CORVUS CORAX
Nino
Liotta: Am 03.03.06. erscheint endlich die Live-CD und -DVD zu
"Cantus Buranus". Die Studioversion wurde ja schon letzten
Sommer veröffentlicht. Für dieses einmalige Projekt habt ihr eine
textliche Auswahl der umfangreichen Carmina Burana neuvertont.
Nach welchen Kriterien habt ihr diese ausgewählt und was war euch
bei der musikalischen Umsetzung wichtig? Norri: Wir
haben nach Texten gesucht, die auch tatsächlich zu uns passen. Ein großer
Teil der „Carmina Burana“ besteht aus geistlich-religiösen Schriften,
die für uns nicht in Frage kommen. Allerdings findet man in den anderen
Kapiteln viele interessante Texte über Wein, Weib und Gesang, sowie
erstaunlich aktuelle Spotlieder, die uns auch für weitere Werke noch
genug Auswahl lassen. Bei der musikalischen Umsetzung war uns wichtig
einen echten Zusammenklang von mittelalterlicher Musik, Chören und einem
„modernen“ Orchester zu erreichen. Wir haben daher von Anfang an diese
Elemente schon während des Komponierens gleichwertig behandelt. Deswegen
werden wir die Lieder von „Cantus Buranus“ in Zukunft auch nicht mit
unserer „normalen“ Corvus Corax Formation spielen. NL: Nach der abgespeckten Ur-Aufführung auf dem W.O.A 2005, gab es das Gesamtwerk zwei Wochen später in Berlin, zusammen mit anderen Künstlern und einem großen Orchester, zu sehen. Parallel wurde hier auch für die DVD mitgeschnitten. Wie ging diese Zusammenarbeit von statten? Welche Hürden gab es dabei zu überwinden?
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NL: Ihr
werdet nicht umsonst als "Bühnen-Band" bezeichnet - absolviert
ihr doch jährlich eine hohe Anzahl Konzerte. Gerade die letzte Veröffentlichung
war in kompositorischer Hinsicht sicherlich ziemlich zeitaufwendig. Dann
gibt es da noch TANZWUT, mit Mitgliedern von CORVUS CORAX, die aktuell mit
"Schattenreiter" am 07.04. das nächste Studioalbum
herausbringen. Wie schafft man das alles unter einen Hut zu bringen? Könnt
ihr euch überhaupt zwischendurch eine Auszeit gönnen bzw. erlauben? Wir haben
einfach Spaß an dem was wir tun und machen soviel es geht. Ich komme da
mitunter locker auf eine 60-70 Stunden-Woche. Wahrscheinlich sind wir
einfach nur verrückt. Immerhin haben wir uns dieses Jahr das erste Mal in
diesem Jahrtausend eine 1-monatige Urlaubspause gegönnt. (und im
Sonnenschein unter der Palme mit dem Laptop an neuen Songideen gearbeitet
– geht wohl nicht mehr anders ;-) ) NL: Letzen
Oktober habt ihr, erstmals, einige Auftritte in den USA gespielt. Wie kam
es dazu? Hat euch das neue Wege und Möglichkeiten eröffnet - oder war es
nur eine einmalige Gelegenheit, die ihr dankend angenommen habt? Wir haben
seit 2 Jahren für die USA Dancing Ferret Records als Label, dass unsere CDs
dort veröffentlicht. Der Boss dieser Firma, Patrick Rodgers; hat dann
versucht uns Auftrittsmöglichkeiten zu organisieren, damit wir eine
Chance bekommen in den USA fuß
zu fassen. Die Reaktionen des Publikums und der Veranstalter dort waren
dann auch unglaublich. Wir werden auf jeden Fall auch dieses Jahr wieder rüberfliegen
und zum Tanz bitten.
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NL: Die
Inspiration bezieht ihr meist aus mittelalterlichen Texten und Liedbüchern.
Eure Lieder klingen immer sehr authentisch - aber wer weiß auf der
anderen Seite schon genau, wie die Musikanten vor z.B. 700 Jahren klangen?
Auf was legt ihr Wert bei der Interpretation und Komposition? Es gibt
natürlich keine CD-Aufnahmen aus dem Mittelalter, daher ist die
Diskussion über Authenzität eher
amüsant. Wir achten darauf, keine Instrumente zu benutzen, die erst später,
z.B. in der Renaissance, entwickelt wurden. Auch die kompositorischen
Mittel haben sich seit dem Mittelalter stark verändert. Es wurde im
Mittelalter „Bordun“-Musik gespielt, d.h. ein oder mehrere „Bordun“-Töne
laufen kontinuierlich als Begleitung zur Melodie, was natürlich keine
komplexen Harmonien zulässt. Etliche
aktuelle Bands sollte man daher auch besser mit dem Etikett „Folklore“
versehen. Wir spielen diese Bordunmusik und haben uns von traditioneller
Musik der Gegenwart, z. B. aus dem Balkan und Nord-Afrika inspirieren
lassen. Da kann man auch heute noch eine Menge darüber lernen, wie es bei
uns im Mittelalter gewesen sein könnte. NL: Bringt
sich bei der Arbeit an den Werken jeder individuell ein, oder habt ihr den
berühmten "Band-Diktator" - der die Richtung angibt - was bei
soviel Musikern auch nicht undenkbar wäre. Würde man doch ziemlich
schnell den Überblick verlieren, ohne die richtige Koordination. Bei uns
handelt sich es tatsächlich um echte Teamarbeit. Wir sind alle viel zu
egozentrisch, als dass ein Diktator geduldet werden könnte. Wir haben
aber alle eine gewisse Spezialisierung entwickelt, sodass wir ohne
Probleme parallel an dem gleichen Song arbeiten können. Das spart natürlich
eine Menge Zeit während der Produktion. NL: Auf
der Suche nach einem Dudelsack oder Schalmei - Lehrer wird der
Interessierte ziemlich schnell merken, dass er die Suche getrost aufgeben
kann. Welche Erfahrungen habt ihr diesbezüglich, oder seit ihr reine
Autodidakten? Als wir
mit dieser Musik anfingen, gab es hier ja nicht einmal die Instrumente zu
kaufen. Wir sind in dieser Hinsicht alle Autodidakten, auch wenn die
meisten von uns eine Ausbildung an „normalen“ Instrumenten haben,
mussten wir uns die Spielweise der Corvus Corax-Instrumente selber
beibringen. Auch hier hat es sich gelohnt, die Musik z.B. aus dem Balkan,
aber auch Zigeuner- oder Klezmermusik genauer anzuhören. NL: Im
Gegenteil zu anderen Bands aus der "schwarzen Szene", habt ihr
eine ziemlich breit gefächerte Zuhörerschaft - was besonders bei
Live-Auftritten deutlich wird. Da sieht man den Metaller neben der
Rentnerin. Ist euch das so recht, oder ist dieser Umstand eher eine zufällige
Entwicklung, die ihr ungewollt akzeptieren müsst? |
Wir sahen
uns noch nie als einen Teil der „schwarzen “ oder irgendeiner anderen
Szene. Wir wollen keine elitäre Gruppe ansprechen, sondern Musik für all
die machen, die spaß daran haben zu feiern. Deswegen freuen wir uns jedes
Mal, wenn wir vor einem bunt durcheinandergewürfeltem Publikum spielen,
ohne dass sich jemand an seinem Nachbarn stört.
Es geht doch, Leute! NL:
Meister Selbfried, langjähriges Mitglied von CORVUS CORAX, ist letztes
Jahr aus der Band ausgestiegen. Neben Wim und Castus, eines der
Urgesteine. Wie ist der Rest damit umgegangen? Wird sein Platz in
absehbarer Zeit wieder besetzt? Das ist ja
alles keine Zwangsveranstaltung und Meister Selbfried hatte einfach keine
Lust mehr auf das Tourleben. Wir waren zwar nicht glücklich über seine
Entscheidung, aber wir respektieren es. Nun sitzt er eben im Büro und
arbeitet dort weiter mit an unserem Wahnsinn. Sein Platz auf der Bühne
kann nur ersetzt werden, wenn der passende Spielmann auftaucht. Wenn nicht
dann nicht. NL: Was
darf man 2006 noch von euch erwarten? Gibt es schon konkrete Pläne für
das nächste Studio Album? Mit der neuen Tanzwut-Cd „Schattenreiter“ sind wir nun grad fertig geworden (vö. 7.4.2006 !) und arbeiten jetzt an der neuen Corvus Corax-Scheibe, die noch diesen Sommer rauskommen soll und im Herbst werden wir uns dann um die neue „Cantus Buranus“ kümmern. Ansonsten liegt seit 1 ½ Jahren eine neue Cd von unserem kleinen Nebenprojekt k.d.a. auf der Lauer. Da fehlen nur noch einige Videos für die Surround-mixe. Also der Wahnsinn geht immer weiter :-)
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Interview: Nino Liotta - www.sounds2move.de