Interview mit Andi Dörner von CALIBAN

 

 

Mit „I am Nemesis“ geht euer neuester Schützling in die Startlöcher. Ganz generell, ganz kompakt: Auf was kann man sich denn explizit freuen?

 

Auf was man sich freuen kann? Meiner Meinung nach auf das beste Caliban-Album, das wir jemals geschrieben haben. Was das angeht, sind wir Bandmitglieder uns auch alle einig. Wir haben uns gerade heute noch darüber unterhalten, dass wir mit dem Endergebnis echt zufrieden sind. Bislang haben wir immer „Shallow Heart“ als unseren persönlichen All-Time-Favorit bezeichnet, aber ich glaube „I am Nemesis“ ist für uns jetzt die neue Nummer 1. Wir sind, wie gesagt, alle sehr zufrieden mit der Platte. Es ist einfach alles Notwendige vorhanden, was eine gute Platte ausmacht. Wir finden die Platte wirklich sehr gut.

 

Wenn es dir möglich ist, wie würdest du das neue Album kurz und knapp mit wenigen Worten oder Sätzen beschreiben?

 

Kurz und knapp? Energie geladen, aggressiv, metallisch, melodisch, melancholisch und in die Fresse.

 

Gerade Songs wie „Memorial“, „Davy Jones“ oder „Modern Warfare“ zünden unglaublich gut und bleiben im Ohr. Die Balance aus den harten, aggressiven Shouts und den ausdrucksstarken Cleanparts ist gefunden. Ich kann mir gut vorstellen, dass selbige live wunderbar gut funktionieren und die Hütte wahrlich zum Kochen bringen werden. Besteht denn die Chance, selbige zukünftig in euren Sets vorzufinden?

 

„Davy Jones“ wird einer der zukünftigen Live-Kandidaten sein. Da „Memorial“ die erste Singleauskopplung der Scheibe ist, wird auch dieser von uns gespielt, gar keine Frage – das ist ja dann quasi wie eine Art Pflichtsong in der Setlist. „Modern Warfare“ steht zunächst nicht auf dem Plan, zumindest nicht für die anstehende Tour, aber prinzipiell ist da der Handlungsspielraum ziemlich offen. Wir schauen einfach mal, wie sich das entwickelt. Wir konzentrieren uns jetzt erst einmal auf die Live-Präsentation von „Memorial“ und „Davy Jones“ sowie drei anderen Songs („Dein R3.ich“, „We are the Many“, „The Bogeyman“ - VV) der neuen Scheibe. Irgendwann wird auch „Modern Warfare“ sicherlich mal live gespielt werden, da bin ich mir sicher.

 

Hast du denn persönlich auch den ein oder anderen Song der neuen Scheibe parat, den du den Hörern ans Herz legen würdest?

 

Puh, das ist dieses Mal echt schwer zu beantworten, weil sich die Songs, wie ich persönlich finde, relativ die Waage halten. Ich kann mir da keinen persönlichen absoluten Favoriten herauspicken.

 

Songs, die mir persönlich sehr am Herzen liegen, sind zum Einen „Memorial“ aus persönlicher Sicht, da es thematisch um den Tod meines Vaters geht, den ich in dem Song verarbeitet habe und zum Anderen „This Oath“, welcher von meiner Frau handelt. Davon abgesehen, finde ich, dass uns mit dem Opener „We are the Many“ ein ziemlicher Brecher gelungen ist.

 

Apropos live: Derzeit steht die „Get Infected“ Tour zusammen mit All Shall Perish, We Butter The Bread With Butter, Eyes Set To Kill und Attila an. Da geht es Schlag auf Schlag – jeden Tag in einer neuen Stadt. Mal ganz unter uns, seid ihr aufgeregt?

 

Aufgeregt in dem Sinne schon, aber im Vergleich zu damals nicht mehr in dem Ausmaß. Sicher ist immer ein bisschen Aufregung und ein bisschen Nervosität dabei – insbesondere, jetzt, weil es für uns auch darum geht, die neue Platte so gut es geht zu promoten. Verglichen mit einer Tour zu einer Platte, die schon seit einem Jahr auf dem Markt ist oder die man schon ein paar Monate auf Tour präsentiert hat, ist das definitiv etwas anders. Wir gehen jetzt mit einer komplett neuen Platte auf Tour, die auch erst während der Tour veröffentlicht wird. Eine Spur Aufregung ist definitiv dabei, aber wir sind mindestens genauso neugierig, wie die Resonanz ausfällt und wie die Leute auf das neue Material von Caliban reagieren werden. Klar, zwei Songs konnte man sich ja schon mal anhören, die wir vorab veröffentlicht haben und die Resonanz war auf jeden Fall gut. Ich denke, wenn wir das dann live auch so an die Massen bringen können, dürfte es auch richtig gut losgehen.

 

Auf eurem aktuellen Scheibchen prangert ihr die Missstände der heutigen Zeit an – sei es nun die überschwängliche Medienpräsenz und die Folgen daraus, das leider immer noch vorhandene Problem des Faschismus oder die „falsche“ Nutzung des Internets. Was steckt dahinter? Warum war es für euch wichtig, genau diese Punkte anzusprechen?

 

Es war einfach mal etwas Neues, was wir ausprobieren wollten. Wir haben eine solche Art Album noch nie gemacht. Die vorherigen Platten waren bislang immer persönlich gehalten und beschäftigten sich mit Thematiken wie Herzschmerz oder ähnlichen Sachen. Wir haben uns nie mit der Gesellschaft an sich befasst.

 

Auf dem Album „Say Hello to Tragedy“ haben wir Anfänge in diese Richtung gestartet und sind ein bisschen auf Tuchfühlung mit wahren Geschehnissen gegangen und haben uns mit dem beschäftigt, was im Moment nicht ganz so rund läuft. „I am Nemesis“ ist im Vergleich dazu vollgepackt mit solchen Sachen. Wir mussten uns jetzt auch mal Luft machen. Es ist, wie gesagt, das erste Mal, dass Caliban sich in den Gefilden der gesellschaftskritischen Musik bewegt. Da wir uns aber nicht über „irgendwelche“ Themen auslassen wollten, nur um das Album voll zu kriegen, haben wir echt lange gesammelt, welche Missstände uns nahe liegen, welche uns nahe gehen oder mit welchen wir uns beschäftigen würden. Und so kam es dann zu den gewählten Themen auf „I am Nemesis“.

 

Läuft man gerade bei solch aktuellen, brisanten Themen nicht Gefahr, in die Ecke der verrufenen „chronischen Weltverbesserer“ geschoben zu werden?

 

Klar! Ich bin aber der Meinung, dass es Bands gibt, die das schon ihr Leben lang machen und über irgendeinen Kram schreiben, der auf der Welt passiert. Entweder man mag es oder man mag es eben nicht. Caliban waren nie großartig politisch. Wir erwähnen lediglich die Missstände, wir wollen niemanden bekehren.

 

Es sind ja jetzt auch nicht wirklich aktuelle Sachen. Es sind angesprochene Probleme, die vielleicht derzeit wieder in erhöhtem Maße auftreten und aufkeimen, aber schon eine ganze Weile vorhanden sind und leider auch noch weiterhin da sein werden. Sei es jetzt das von uns in den Songs erwähnte Problem der Kindesmisshandlung, das Problem mit den Politikern im Allgemeinen und den großen Herrschaften, die an der Spitze sind und lügen und betrügen, um ihre Macht auszubauen. Man sieht es doch am klassischen Beispiel Öl – oder um ganz allgemeine Themen, wie Habgier oder eben das Internet. Sicherlich kommen gerade aktuell wieder diese Probleme zum Vorschein, aber die gibt es nicht erst seit gestern, und die werden mit Sicherheit auch nicht in den nächsten zwei Wochen gelöst werden. Ich mache mir da weniger Gedanken, dass Caliban mit „I am Nemesis“ als „chronische Weltverbesserer“ abgestempelt werden.

 

Die Band Caliban gibt es bereits seit dem Jahre 1997. Als ihr euch damals unter dem Namen „Never Again“ zusammengetan und die ersten Songs aufgenommen habt, konntet ihr euch Erfolge wie die heutigen auch nur ansatzweise vorstellen?

 

Nein, überhaupt nicht. Es war alles nicht wirklich vorherzusehen. Wir haben glücklicherweise damals gleich nach unserem ersten Demo einen Deal bei Lifehouse bekommen. Das hat uns schon mehr als überrascht. Wir waren aber unglaublich froh und glücklich, dass uns ein Label genommen hat und dann auch noch so ein gutes. Es ging alles Schlag auf Schlag. Man hat noch mehr Konzerte gespielt, und dann nahm alles mehr oder weniger seinen Lauf, wie man so schön sagt. Sicherlich war der Weg dahin nicht immer leicht. Als wir dann zu Roadrunner Records gewechselt sind, kam der Punkt, dass wir uns entscheiden mussten, ob wir die Band weiterhin nur als Hobby betreiben oder eben die Entscheidung treffen würden, daraus einen Fulltime-Job zu machen. Wir haben uns für die Band und für den Fulltime-Job entschieden, und dann galt es immer mehr und mehr zu bewältigen. Ja und irgendwann waren wir dann da, wo wir jetzt sind. Ausmalen oder vorstellen konnten wir uns den Verlauf sicherlich nicht. Gewünscht? Ich habe als Kind oft in die Freundebücher der Klassenkameraden unter „Traumberuf“ eingetragen, dass ich Rockstar werden möchte, warum auch immer? Sicherlich bezeichne ich mich nicht als Rockstar, aber die Richtung stimmt. Es hat mit Musik zu tun, haha. Ich genieße es auf jeden Fall, es ist ein wirklich schönes Gefühl.

 

Moment mal, 1997 gegründet? Das heißt nach Adam Riese, dass es dieses Jahr wohl noch etwas zu feiern gibt, nicht wahr? Schließlich hat man nur ein Mal 15-jähriges Bandjubiläum. Bestehen da schon Gedanken anlässlich der Feier dieses Ereignisses? Wird es überhaupt eine Feier geben?

 

Wir werden feiern, aber im Stillen. Wir posaunen es nicht raus, wir hauen jetzt nicht unnötig mehr auf die Kacke als sonst. Wir wollen auf dieses ganze unnötige Tohuwabohu weitestgehend verzichten – zumindest sieht die Planung bis jetzt so aus. Vielleicht machen wir doch irgendeine Special-Show, aber das ist alles nicht wirklich spruchreif.

 

Wenn wir schon einmal dabei sind und auf das 15-jährige Bandjubiläum zu sprechen kommen: Gesetz den Falles man würde dich bitten, die vergangenen 15 Jahre zusammenzufassen und dein persönliches Resümee zu ziehen, wie würde dies aussehen?

 

Überwiegend positiv. Klar, alles hat seine Vor- und Nachteile, aber im Endeffekt möchte ich persönlich die Zeit nicht missen, auch wenn Vieles echt anstrengend war und man auch viele Probleme dadurch hatte. Sei es aus dem Grund, dass man hier und da mal Geldnotstände hatte, weil – auch wenn es die Klischees immer wieder besagen – so viel verdient man dann jetzt auch nicht. Auf der anderen Seite hat man aber viele Erfahrungen gemacht, die einem im normalen Leben vielleicht verwehrt geblieben wären. Man bereist die Welt und trifft extrem viele Leute. Man hat Fans und Leute, die in der ersten Reihe und vor der Bühne stehen und einen feiern und die Songs, die man selbst verfasst hat, mitsingen.

 

Es waren definitiv Höhen und Tiefen dabei, aber es waren überwiegend spaßige Momente, sonst hätte man das wahrscheinlich nicht weiterführen können. Ich bereue es auf jeden Fall nicht, diese Entscheidung getroffen zu haben.

 

15 Jahre sind eine lange Zeit. Da kann auch schon einmal die eine oder andere Begebenheit in Vergessenheit geraten. Kannst du dich noch an euer erstes gemeinsames Konzert erinnern? Wie hast du dieses damals wahrgenommen?

 

Das erste Konzert, das wir hatten, das war noch nicht unter „Never Again“. Mark und ich sind quasi noch die übrig gebliebenen Gründungsmitglieder. Die anderen sind nach und nach dazugekommen. Wir sind jetzt seit, ich bin mir nicht ganz sicher, fünf oder sechs Jahren in dieser Kombo – einigen wir uns jetzt einfach mal auf fünf, das macht die Sache leichter, haha – nachdem hier und da mal ausgewechselt wurde.

 

Das erste Konzert habe ich gespielt, ich glaube im zarten Alter von 16 – meine Güte, das ist ja auch schon ewig her. Es war definitiv noch vor der Zeit mit „Never Again“ und das war ein Bandcontest, eine Art Newcomerfestival bei uns an der Schule, wo wir übrigens auch den Publikumspreis gewonnen haben. Es war nicht der erste Platz, dafür waren wir echt noch zu kacke, aber wir hatten die Sympathien der Leute. Das war schon ganz cool. Das erste Konzert als „Never Again“ war meiner Meinung nach bei uns im Jugendhaus – Haus der Jugend – so ein kleines Ding halt. War aber auch auf seine eigene Art und Weise ziemlich cool, muss ich sagen.

 

Es gibt Bands, die man durchaus als gut funktionierende Live-Band bezeichnen kann. Wenn du mich fragst, kann man Caliban dazu zählen. Schließlich seid ihr so lange und so oft „on the Road“ und in möglichst vielen Ländern unterwegs. Nachdem ihr bereits große Erfolge in Japan und den USA erzielen konntet, gibt es noch Ziele, die ihr euch vorgenommen habt?

 

Ich persönlich würde gerne noch den Rest der Welt bereisen, den wir bislang noch nicht gesehen haben. China, zum Beispiel, auch wenn ich die politische Situation dort, unter uns gesagt, nicht wirklich prall finde. Mich würde es dennoch reizen, weil ich gehört habe, dass dort zu spielen ziemlich cool sein soll. Von Heaven Shall Burn habe ich gehört, dass es sehr schön sein soll, in Island zu spielen. Was mich persönlich reizen würde ist Afrika. Das wären so die Länder, Gegenden und Ecken, an denen ich liebend gerne mal touren würde. Ansonsten haben wir ja konzerttechnisch schon eine ganze Menge abgedeckt.

 

Wie ja bekannt ist, habt ihr schon an der Seite von großartigen Künstlern gespielt. Man führe da nur mal die Beispiele Killswitch Engage, Machine Head, Lamb of God oder Shadows Fall an. Gibt es für euch überhaupt noch Bands – wenn man es so sagen kann – quasi euer persönliches Nonplusultra, an deren Seite ihr zu spielen wünscht?

 

Das ist bei uns wirklich schwer zu sagen, weil da die Geschmäcker sehr weit auseinander driften. Eine Band, mit der jeder sicherlich gerne mal auf der Bühne stehen würde, ist Slipknot. Könnte ich mir persönlich ziemlich gut vorstellen, weil es musikalisch schon irgendwo zusammenpasst und es immer ein volles Haus gibt. Wenn wir jetzt mal bei der musikalisch zueinander passenden Sparte bleiben, würde ich jetzt noch Korn sagen. Auch wenn ich, nachdem ich mir die ersten Alben noch gekauft hatte, kein Korn-Fan mehr bin. Ich weiß zwar gar nicht, wie Korn mittlerweile klingen, aber ich habe Korn letztes Jahr bei Rock am Ring gesehen und das war schon ziemlich fett. Von daher wäre es meiner Meinung nach schon eine richtig coole Nummer, zusammen mit Korn aufzutreten.

 

Nutzen wir an dieser Stelle mal als abschließende Frage, die Theorie, die die Menschheit im Moment am meisten zu beschäftigen vermag: das Ende der Welt am 21. Dezember 2012. Wie sehe der letzte Tag bei Caliban aus? Eine riesige Party mit allem was dazugehört oder doch zuhause in der Weltuntergangsstimmung versauern?

 

Haha, die Frage ist gut. Wenn es denn dann wirklich so wäre, wären wir wahrscheinlich eher die Party-People. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass Mark, der ja Straight Edge ist, sogar noch mal mit uns auf das Ende der Welt anstoßen würde. Was soll man sich auch zuhause einbunkern und versauern, wenn man doch eh weiß, dass es vorbei ist? Da kann man sich doch auch mit einem richtigen Knall verabschieden. Wenn es dann wider erwarten doch nicht so ist, hat man halt einen riesigen Kater, aber trotzdem jede Menge Spaß gehabt.

 

 

Vanessa Vogl – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.calibanmetal.com