Interview mit Alexander Krull von ATROCITY
Wenn es dieser Tage um "Okkult" geht, spricht man vielerorts davon, dass "Atrocity zur Härte zurück gefunden haben". Fühlt es sich für dich auch wie eine Rückkehr an oder schätzt du die Sache als Beteiligter anders ein?
„Okkult“ ist von langer Hand geplant gewesen, direkt im Anschluss von „Atlantis“. Wir wussten damals schon, dass andere Projekte wie „Werk 80 II“, „After the Storm“ mit Yasmin und unser großes DVD Projekt „Die gottlosen Jahre“ zuerst anstehen würden. Die Idee, im Anschluss ein richtig hartes Pfund und eine umfassende Album Trilogie über die „Mysterien der Welt“ zu machen, war der einzig logische Schritt für uns als Band mit dem musikalischen Background, den wir natürlich nach wie vor haben. Wir haben unsere Wurzeln als extreme Metal Band ja niemals verleugnet oder abgelegt, noch haben wir uns jemals von der düsteren Seite verabschiedet. Atrocitys Death Metal-Walzen wie „Necropolis“ oder „Fatal Step“ sind fester Teil eines jeden Livesets. Nur weil wir experimentelle Alben wie "After the Storm" gemacht haben, heißt es ja nicht gleich, dass wir nicht weiterhin extremen, düsteren Metal spielen wollen, haha! Das ist wirklich ein Problem in der Metalszene: „Oh jetzt machen sie nur noch Ethno-Sachen“ oder so ähnlich. Das ist natürlich absoluter Mumpitz. Zumal Atrocity feat. Yasmin für mich mittlerweile schon eher ein eigenständiges Projekt ist, aber natürlich immer noch ein Teil von uns als Band. Und klar, natürlich ist das ein geiles Gefühl, auf der neuen Scheibe so harte Stücke wie „Death by Metal“, „Necromancy Divine“ oder „Pandæmonium“ zu zelebrieren. Ich habe die ersten Death Metal-Festivals in Europa veranstaltet, war von Anfang an in den Underground- und Tapetrader-Zeiten mit der Band aktiv dabei, das wird also immer ein Teil von mir und der Band Atrocity sein, logisch! Das einzige, was uns von traditionelleren Metal Bands unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir schon immer vielseitige Alben und Projekte gemacht haben. Eine Band wie Pink Floyd genießt bei mir genau deswegen sehr großen Respekt dafür, sich selbst nach großen Erfolgen immer wieder neu erfunden zu haben. Warum sollte dies eine Metal Band nicht auch machen dürfen? Ich habe jedenfalls keine Lust auf Einheitsbrei und finde das auch nicht zuträglich für die gesamte Szene. Unser Blick geht jedenfalls nach vorne: „Death by Metal“ widmen wir unseren Ursprüngen und der gesamten Szene! Gleichzeitig unterstreichen wir auf „Okkult“ unsere zukünftige Marschroute. Es ist noch lange nicht das Ende unserer Fahnenstange in Sachen Death Metal!
"Okkult" ist der Auftakt zu einer Alben-Trilogie. Über welchen Zeitraum wird sich diese nach jetzigem Stand ziehen und wie weit seid ihr gegenwärtig mit den beiden anderen Platten? Habt ihr einen konkreten Zeitplan erstellt?
Einen fixen Zeitraum haben wir nicht, das ist aufgrund der variierenden Tourpläne eh nie 100 Prozent einzuhalten. Aber die nächsten Jahre gehören bei Atrocity definitiv „Okkult“, soviel steht fest. Wir haben schon einige neue musikalische Ideen und textliche Konzepte am Start, wir möchten aber natürlich erstmal mit dem aktuellen Release auf Tour gehen.
Thematisch passen die neuen Songs erwartungsgemäß gut zusammen, inhaltlich allerdings scheint es erst mal keinen roten Faden zu geben, die Stücke folgen nicht stringent einem Handlungsstrang. Wie wollt ihr sicherstellen, dass die drei Alben am Ende trotzdem als großes Ganzes wahrgenommen werden?
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In den letzten Jahren gab es doch die eine oder andere personelle Veränderung bei Atrocity und Leaves' Eyes. Würdest du sagen, dass die neuen Mitstreiter einen Einfluss auf "Okkult" und dessen Ausrichtung hatten? Oder haben du und Tosso die kreativen Zügel nach wie vor fest in der Hand?
Im Prinzip sind Tosso und ich die Hauptsongwriter in der Band. Es hat sich einfach im Laufe der Zeit so eingespielt und wir geben eben ein gutes Songwriter-Team ab. Allerdings bedeutet das ganz bestimmt nicht, dass wir nicht auch Ideen der anderen Mitglieder einfließen lassen. Joris (Nijenhuis, Schlagzeuger - MR) stieß zur Band als wir schon größtenteils mit den Songs fertig waren. Er hat aber seinen Einfluss und super Ideen bei der Umsetzung und den Recordings der Drums im Studio eingebracht. Im Moment sitzt er sogar schon bei sich zuhause in Holland und arbeitet im Rehearsal Room an den Drum-Ideen für die neuen Songs vom nächsten „Okkult“ Album. Und klar, Sander (van der Meer, Gitarrist - MR) bringt sich mit Ideen genauso ein. Die Harmonie innerhalb der Band ist sehr gut. Im Moment stehen hauptsächlich Tourplanungen an, denn wir wollen alle die Power und Energie der Liveshows auf den nächsten „Okkult“ Output einfließen lassen.
Mit die größte Überraschung auf "Okkult" ist für mich "Beyond perpetual Ice" - das ist doch mal lupenreiner, skandinavischer Melodic Death! Das hat es in der Form noch nicht von euch gegeben, ihr seid auch nach all den Jahren noch für eine Überraschung gut, oder? Haha!
Interessant, haha. Freut
mich, dass der Song gut ankommt und für eine weitere Überraschung sorgen kann,
den haben wir noch zusammen mit JB (van der Wal, Bassist - MR) gemacht. Für mich
hätte der Song aber auch sehr gut auf die „Willenskraft“ Scheibe gepasst. Mit
Kategorien habe ich's bekanntermaßen nicht so, deshalb ist das für mich vielmehr
ein Atrocity Song, wo Härte und Melodien sehr gut miteinander harmonieren.
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Bei unserem Vorbericht zum Album habe ich den Songtitel "La Voisine" ganz dilettantisch als "Die Nachbarin" übersetzt. Was steckt wirklich hinter dem Song? ;-)
Bei der Geschichte
handelt sich tatsächlich um eine sehr unangenehme „Nachbarin“, nämlich die
Giftmischerin und Hexe "La Voisin". Wir benutzen lediglich die Schreibweise
„La Voisine“. Und vielleicht war das damals in der Tat ein Wortspiel der
umliegenden Anwohner. Denn Catherine Monvoisin, wie sie eigentlich hieß,
wurde so von der Bevölkerung in Paris genannt. Im Prinzip haben wir es hier
mit einem sehr speziellen Kriminalfall aus dem Paris des 17. Jahrhunderts zu
tun. Eigentlich wurde La Voisine als Giftmischerin eines Hexenzirkels im
Zusammenhang des Giftskandals des Hochadels, "Affaire des poisons",
hingerichtet. Erst nach ihrem Tod wurden ihre Verstrickungen und Gräueltaten
bei schwarzen Messen, die sie mit einem Abt für Adelige abhielt, auf
schockierende Weise aufgedeckt: Man fand 2.500 Baby-Skelette im Hinterhof
ihres Zuhauses. Angeblich wurden an jenem Ort ebenso Dämonen angebetet.
Teils waren es die Leichen von abgetriebenen Säuglingen. Allerdings hat La
Viosine angeblich Säuglinge in den Armenvierteln von Paris käuflich
erworben, um diese bei schwarzen Messen zu opfern und aus deren Blut ihre
Zaubertränke zu brauen. Die Adligen versprachen sich durch die schwarzen
Messen Machtvorteile, wie etwa Madame de Montespan, die spätere Mätresse des
französischen Königs Ludwig XIV. Nachdem Montespan tatsächlich Karriere bei
Hof machte, braute La Viosine weiterhin für sie Liebestränke, die diese dem
König in Essen und Trinken mischte und so verabreichte. Man vermutet La
Viosine wurde lange Zeit vom Hochadel gedeckt. Also eine sehr krasse Wendung
einer wahren und sehr grausamen Geschichte, wie sie der beste Krimi- oder
Horror-Autor hätte nicht besser schreiben hätte können. |
Bei "Masaya" ist die Zuordnung durch den Untertitel "Boca del Infierno" etwas einfacher, da lernen wir spätestens durch Google, dass es sich um eine Schlucht in Portugal handelt, die dort umgangssprachlich "Höllenschlund" genannt wird. Waren dir die ganzen Geschichten, etwa vom vorgetäuschten Selbstmord von Aleister Crowley, bereits bekannt oder seid ihr bei der Recherche darüber gestolpert? Hast du bewusst für die "Okkult"-Trilogie nach derartigen Mythen und Geschichten gesucht?
Wie gesagt, obskure Geschichten waren schon immer eine Leidenschaft von mir. Allerdings diesen „Höllenschlund“ meinen wir nicht, haha. Es geht um Masaya in Nicaragua, einen Vulkan mit einem umliegenden, großen Höhlensystem. Die Eingeborenen glaubten dies sei der Eingang zur Unterwelt, und um böse Geister abzuwehren brachten sie auch Menschenopfer in den Höhlen dar. Als die spanischen Eroberer kamen, dachten sie im Prinzip genauso, nämlich dass es einer der Eingänge zur Hölle wäre und errichteten am Vulkan ein riesiges Kreuz, um den Teufel zu bannen. Im Prinzip ist der Song ein sehr gutes Beispiel für einen weiteren roten Faden von „Okkult“. Völlig unabhängig von Kultur und Herkunft entstehen Religion und Aberglaube genau da, wo der Mensch mit seinem Wissen an seine Grenzen stößt, bzw. Urängste die Kontrolle über den Verstand übernehmen. Mit dem „Prinzip der Angst“ manipulieren Religion und Politik die Menschen für ihr eigenes Machtinteresse und haben damit unsagbar viel Unheil über diese Welt gebracht.
OK, der Punkt geht an dich, hehe. "Mein Boca del Infierno" liegt unweit von Lissabon, sprich in Portugal. Eigentlich ein Land, das unter gewissen Gesichtspunkten ziemlich gut zum Konzept des Albums passt. Man denke nur an den Fado und die morbide Folklore des Landes. Da wäre es wohl keine große Überraschung, wenn ihr dort auch den "Höllenschlund" ausfindig gemacht und für euch entdeckt hättet.
Vielleicht beim nächsten
Album dann, haha!
Für das Drumherum von "Okkult" habt ihr euch etwas ganz besonderes ausgedacht:
Es wird eine Art Schatzsuche veranstaltet, bei der die Fans unveröffentlichte
Songs finden können, wobei ihnen überlassen bleibt, was sie mit diesen machen
oder eben nicht. Wie genau läuft die Sache ab, habt ihr die jeweiligen Songs auf
USB-Sticks gezogen, evtl. müsste der Datenträger ja auch gegen Witterung und
andere äußere Einflüsse geschützt sein?
Kein USB Stick, es
handelt es sich tatsächlich um eine 24 Karat vergoldete CD. Darauf ist die
Musik ewig haltbar. Neben der Wertigkeit ein sehr schöner Nebeneffekt. Im
Prinzip kann jeder bei der Schatzsuche mitmachen. Bei der ersten
Metal-Schatzsuche der Welt geht es darum, etwas wirklich Einmaliges und sehr
Wertvolles zu finden. Wie gesagt, zu jedem „Okkult“ Album gibt es jeweils
nur einen Bonus Track, der in Form dieser vergoldeten CD an einem geheimen
Ort verborgen ist. Die ersten Hinweise findet man im Booklet der Digipack-CD
in Form eines Zahlencodes. Die Fans sind dazu eingeladen, uns Videos, Bilder
oder Berichte von ihrer Suche zu schicken, wir veröffentlichen alles. Sie
können aber auch selbst Schatzsuchergruppen zum Beispiel auf Facebook
gründen! Wir hoffen natürlich, dass viele Fans mitmachen werden, so eine
Eigendynamik entstehen kann und es für alle Beteiligten aufregend bis zum
Ende der Suche sein wird! Es soll ja Spaß machen! Ich kann jetzt schon
versprechen, dass es wirklich sehr spannend wird und man bei der Schatzsuche
ein paar ungewöhnliche Orte besuchen kann. Durch die Aktion soll auch die
Wertigkeit von Musik zurück ins Gedächtnis gerufen werden. Mehr Infos gibt
es auf unserer offiziellen Homepage und Facebookseite! |
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Man kann sich natürlich die Frage stellen, warum ihr euch diesen Aufwand überhaupt antut, hehe. Alltäglich ist ein derartiges Unterfangen sicherlich nicht, und die Mühe würden sich wohl auch nur die wenigsten Bands machen. Muss man dem Publikum heute vielleicht etwas Kreatives und Außergewöhnliches bieten, wenn man die Leute noch hinter dem Ofen hervorlocken will?
Natürlich ist das ein Höllenaufwand, und so was gab es zuvor auch noch nicht. Es wird sich erst noch zeigen, wie die Leute darauf reagieren, wir stehen ja gerade am Anfang der ersten Schatzsuche. Für mich persönlich und die anderen in der Band ist es auf alle Fälle eine willkommene und neuartige Herausforderung, die Liebhaber unserer Musik auch interaktiv an unserem Konzept teilhaben zu lassen. Und ja, egal wie es ausgeht, die Mühe hat sich jetzt schon gelohnt. Schon alleine die Versteckaktion war ein Abenteuer für sich! Ihr seid alle herzlich eingeladen, daran teilzuhaben!
Markus Rutten - www.sounds2move.de
Link: www.atrocity.de