Interview mit Alexander Krull von ATROCITY

 

 

Alex, in „Die Gottlosen Jahre“ lernen wir dich nicht nur als Musiker und Produzenten, sondern auch als Tape-Trader, Festival- und Tourveranstalter, Reviewer und Fanzine-Autor, Artworker und Juniorchef der kleinen „Frühstückspension Krull“ kennen. Gibt es eigentlich einen Job rund um die Metalszene und das Musikgeschäft, den du noch nicht gemacht hast? ;-)

 

Haha, gute Frage! Tatsächlich gibt es eine ganze Menge, was ich im Metal-Zirkus erlebt und ebenso jobmäßig gemacht habe. Und da gäbe es bestimmt noch die eine oder andere Anekdote aus meiner langjährigen Labelarbeit bei den Plattenfirmen Massacre Records, Roadrunner oder Napalm Records. Das alles noch mit auf die DVD einzubinden, wäre natürlich zuviel des guten gewesen. Bei der „Die Gottlosen Jahre“ DVD geht es ja vornehmlich um die Bandgeschichte von Atrocity und das ganze Drumherum. Naja, unweigerlich ist das ja schon mit meinem eigenem Leben verbunden, haha. Und mein Leben habe ich dem Metal schon in ganz jungen Jahren verschrieben. So lernte ich eben vieles von der Pike auf kennen. Als wir zum Beispiel in der Rockfabrik in Ludwigsburg als blutjunge Band in den Backstage Räumlichkeiten geprobt haben, war das einerseits eine geile Sache, und wir haben den Rock 'n' Roll-Zirkus quasi tagtäglich hautnah mitbekommen und alle möglichen Musiker kennen gelernt usw.. Andererseits haben wir als Gegenleistung, dass wir dort proben durften, regelmäßig als Stagehands gearbeitet. Das war immer eine Megaschlepperei, da wir unser eigenes Equipment nach den Konzerten auch wieder an Ort und Stelle zurückbrachten und wieder aufgebaut haben. Das konnte durchaus mehrmals die Woche so sein, haha. Mit Sicherheit für eine junge Band genau die richtige Schule, schon sehr früh alle Seiten des Rockbiz kennen zu lernen, also nicht nur die sogenannten „Sonnenseiten“ des Musikerdaseins. So kam bei uns nie ein Gedanke auf, auch nicht als wir die ersten Erfolge im Rücken hatten, etwa abzuheben oder sonst irgendeinen Rockstar-Scheiß anzuzetteln, haha.

 

Ihr habt lange an eurer ersten DVD gefeilt und vermutlich unzählige Stunden an Rohmaterial gesichtet. Dabei seid ihr doch bestimmt noch über ein paar Schmunzler gestolpert, die es am Ende nicht auf „Die gottlosen Jahre“ geschafft haben. Fallen dir spontan ein paar schöne Szenen ein, die letztlich der Schere zum Opfer gefallen sind?

 

Na klar, in Sachen „Pleiten, Pech und Pannen“ gibt es schon noch die eine oder andere Geschichte. Zum Beispiel zu Zeiten der ersten Werk 80 Shows brannte mal mein Bühnenhemd lichterloh, da ich einen Pyro-Einsatz verpasste, und in Südtirol ist die Bühne unter mir eingekracht, haha. Aber alles draufzupacken ist nicht möglich und zudem nicht sinnvoll. Wir haben ja jetzt schon einen dreistündigen Episodenfilm, den man am besten in verschiedenen Etappen anschauen sollte. Dann bleibt es auch spannend. Viele lustige Insidergeschichten haben wir weggelassen, die versteht man als Außenstehender eher nicht. Es ist ja eine Doku über den Weg einer Metal-Band, und nicht ein Spaßfilm. Wir überlegen gerade, ob man vielleicht noch ein bis zwei kurze Outtakes ins Netz stellen könnte, mal schauen.

 

Atrocity haben sehr früh angefangen und wurden schon im Teenager-Alter gegründet. Entsprechend viele verschiedene Lebensabschnitte habt ihr seitdem hinter euch gelassen. Rückblickend schüttelt man ja naturgemäß gerne mal grinsend mit dem Kopf, wenn man alte Fotos von sich findet. Ihr habt sogar intensiv in den letzen 25 Jahren gekramt. Gab es da Fotos oder Videoaufnahmen, die du mit Humor nehmen musstest? Ich erinnere mich beispielsweise an eine Zeit, als du ein Piercing-Kettchen zwischen Nasenflügel und Ohr getragen hast. Eine klassische Jugendsünde?

 

Naja, als Jugendsünde würde ich nicht gleich alles abtun. Ich finde es vollkommen OK, wenn man gewisse Dinge gemacht hat und auch dazu stehen kann. Und glaube mir, ich bin da schon sehr kritisch. Aber natürlich grinst man ab und zu mal, wenn man alte Bilder oder Videos sieht, das ist ja völlig normal, haha. Und wahrscheinlich ist so etwas in der Art auch bei mir ein Grund dafür, dass ich niemals Tattoos bei mir selbst haben wollte: Ich würde wahrscheinlich schon nach zwei Wochen etwas bei einem Tattoo finden, das mir nicht mehr gefällt, genauso wie all die Damen, die sich heutzutage ihre Arschgeweihe wieder weg lasern lassen...

 

Wie wir ja gelernt haben, hattest du schon ganz konkrete Pläne, Cindy Crawford zu heiraten. 1. Was ist schief gelaufen und 2. was sagt Liv zu den damaligen Ankündigungen ihres Gatten?

 

Ah Cindy Krull...hahaha. Tja, war wohl nix. Das war damals die Model Ikone schlechthin zusammen mit Claudia Schiffer-Krull. Na ja, morgens um 3 Uhr im Studio kommt man schon mal auf komische Gedanken. Liv nimmt das natürlich mit Humor, wir kannten uns da noch nicht. Also Glück gehabt, sonst gäbe es was mit dem Wikinger-Schwert...

 

Ein zentraler Satz in eurer neuen Banddoku ist für mich der Kommentar über euch „Wer die Pionierarbeit leistet, ist nicht immer auch derjenige, der davon profitiert“. Fasst das die ersten 25 Jahre Atrocity gekonnt zusammen?

 

Das könnte man in gewisser Weise sicherlich so sehen, wenn man es vor allem aus der kommerziellen Sichtweise sieht. Es gibt mit Sicherheit Bands, die vielleicht sehr viel mehr von manchem unserer Pionierwerke profitiert haben als wir selbst, haha. Viele junge Musikfans wissen wahrscheinlich nicht mal was von unserer Historie... Jetzt gibt es ja wenigstens diese DVD, da kann man sich die Band-Geschichte mal anschauen, haha. Aus künstlerischer Sicht haben wir definitiv davon profitiert, schließlich uns selbst mit unserer Stilvielfalt und somit auch anderen Musikern in mancherlei Hinsicht den Weg geebnet zu haben. Technischer Death Metal ist mittlerweile ein etabliertes Genre, als wir unser Debüt „Hallucinations“ gemacht haben, gab es das Genre noch nicht. Oder die Verbindung von Metal und Gothic, oder auch deutschsprachige Texte im Metal waren für uns seinerzeit sehr gewagte Experimente und haben für die gesamte Szene letztendlich eine positive Auswirkung gehabt. Die tollen Feedbacks der vielen Musiker, die auf der DVD zu Wort kommen, freuen uns natürlich sehr, und das macht uns gleichermaßen stolz, solch einen Beitrag für die Szene geleistet zu haben. Wie oft habe ich mir anhören müssen „Das braucht kein Mensch“ oder „Das ist jetzt der Todesstoß der Band“ und solch einen Unfug, wenn wir wieder mal mit einer neuen verrückten Idee angekommen sind. Glücklicherweise haben wir trotz mancher Skepsis auch immer wieder große Erfolge feiern können. Trotzdem wollten wir dann keinen Stillstand, und klar gibt es Leute, die sagen, „Die Band könnte noch ganz woanders stehen, selbst Schuld, warum seid ihr mit Atrocity nicht einfach einem einzigen Musikstil treu geblieben“. Das wollten wir aber einfach nicht. Punkt.

 

Ihr habt in eurem bisherigen Schaffen im Grunde vor nichts halt gemacht und so ziemlich alles schon einmal auf die eine oder andere Art und Weise ausprobiert. Würdest du zustimmen, dass ihr euch selbst und den Fans das Leben nicht immer einfach gemacht habt? Oder hat man euch hin und wieder einfach missverstanden, wenngleich ihr rückblickend vieles richtig gemacht habt?

 

Wir haben es den Fans bestimmt nicht immer einfach gemacht und uns als Musiker auch immer wieder selbst vor neue Herausforderungen gestellt. Für die Band ist das mit Sicherheit das Lebenselixier, und die Musik bleibt spannend und interessant. Deshalb ist in all den Jahren auch niemals Langweile aufgekommen, weder bei den Fans noch den Musikern, haha. Manches Missverständnis und Gerücht ist im Nachhinein natürlich etwas ärgerlich, aber so ist das manchmal mit ignoranten Leuten, die einen ins Gerede bringen. Traurig aber wahr, manchmal muss man sich schon die bescheuertsten Thesen anhören, so nach dem Motto „OK, das letzte Album ist wohl nicht so gut gelaufen, jetzt muss man 80er Jahre Cover-Versionen machen“. So ein Blödsinn! Wenn Du als Underground Band startest, die sich wirklich alles hart erarbeiten musste und man später als „kommerziell“ bezeichnet wird, ist das geradezu lächerlich. Und manche Schlaumeier und Wichtigtuer in der Metalszene sollten einfach mal ihr Maul halten, da gibt es so einige, die noch in ihre Windeln geschissen haben, da sind wir schon in einem Klapperbus auf Tour gewesen und haben in besetzten Häusern gespielt! Da sind mir unsere Fans viel lieber, die uns seit Jahren treu zur Seite stehen.

 

Auf der neuen DVD kommen ja unzählige Musiker und Weggefährten von euch zu Wort. Ganz undiplomatisch: Welches Lob war für dich das größte Kompliment?

 

Das kann ich so echt nicht sagen. Ich fand es höchst erstaunlich, wie genau manch Interviewpartner über uns bescheid weiß, wow! Wie gesagt, uns freuen natürlich die vielen positiven, respektvollen und ehrlichen Statements. Es gibt ja neben viel Lob durchaus auch kritische Stimmen, und die sollten nicht etwa auf der DVD vorenthalten werden. Ein respektvollerer Umgang innerhalb der Szene wäre allgemein mehr als wünschenswert, und der kann selbstverständlich auch kritisch sein, klar. Aber bei aller Leidenschaft und Emotionalität für die Musik, finde ich es mittlerweile schlimm, wie man zum Teil nur noch in Schwarz oder Weiß urteilt. Es gibt genügend Leute in unserer Gesellschaft, die uns in der Metalszene allesamt als Volldeppen hinstellen wollen. Da sollte man umso mehr darauf achten, dass man sich innerhalb der Szene gegenseitig respektiert. Deshalb reagiere ich auch auf Leute sehr giftig, die respektlosen Quark verzapfen und einfach nur Ignoranten sind.

 

Deine langjährigen Schützlinge Elis haben vor nicht all zu langer Zeit das Ende ihrer Band verkündet, nachdem sie abermals ohne Sängerin dastehen. Wie stehst du zu ihrer Entscheidung? Ich denke nachvollziehbar ist es auf jeden Fall. Aber hätte man vielleicht schon nach „Griefshire“ und der folgenden Tragödie die Segel streichen sollen, ungeachtet der Tatsache, dass auch die Veröffentlichungen mit Sandra danach nicht schlecht waren? Vielleicht wäre das der bessere Zeitpunkt gewesen, wobei es natürlich müßig ist darüber aus heutiger Sicht zu spekulieren…

 

Elis hatten unglaublich viel Pech in ihrer Karriere, und der Tiefpunkt war natürlich das überraschende Ableben von Sabine. Davon hat sich die Band wohl nicht mehr so richtig erholt. Aber es war sicherlich der richtige Weg, mit einer tollen Sängerin wie Sandra erstmal weiterzumachen, und ich habe die Band dabei immer voll unterstützt! Nun ist das Kapitel Elis wohl endgültig Geschichte, und man wird sehen, in wieweit sie auf andere Weise einen Neustart wagen. Ich wünsche ihnen jedenfalls alles Gute!

 

Lass uns noch einen kleinen Blick in die Zukunft werfen: Ihr habt kürzlich verkündet, dass ihr mit den Schlagzeugaufnahmen zu eurem nächsten Album „Okkult“ begonnen habt. Darf man aus dem Titel schließen, dass es sich um ein deutschsprachiges Album handeln wird? Euer Statement war ja relativ knapp gehalten, aber man konnte herauslesen, dass es nach „After the Storm“ jetzt wieder etwas heftiger zur Sache gehen soll. Auf was können wir uns freuen, vielleicht sogar ein Schritt in Richtung der musikalischen Ausrichtung von „Atlantis“? Wie ich gehört habe, soll „Okkult“ Teil eines umfangreicheren, ziemlich aufwändigen Projektes sein. Das ist jetzt die Gelegenheit für dich, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, hehe.

 

Vorneweg: Nein, „Okkult“ wird trotz des deutschen Titels in dem Sinne kein „deutschsprachiges“ Album sein. Die Produktion ist in vollem Gange, und wir sind super zufrieden wie es gerade läuft! Das neue Material klingt auf jeden Fall schon mal super fett! Wir möchten noch nicht allzu viel verraten, nur soviel, dass „Okkult“ der Start zu einer fulminanten, harten und bombastischen Album Trilogie sein wird, und gleichzeitig wird eine neue Ära von Atrocity eingeläutet werden. Musikalisch gibt es definitiv die volle Breitseite! Das düstere Konzept wird nicht nur innerhalb der Alben stattfinden, soviel kann ich auch noch verraten. Wir möchten die Fans aktiv teilhaben lassen. In Kürze werden wir ein umfangreiches Statement veröffentlichen. Wir freuen uns gerade auf unsere anstehenden Touren in Südamerika und Asien und hoffen so bald wie möglich wieder in Europa auf der Bühne stehen zu dürfen! Dann hoffentlich schon mit dem neuen „Okkult“ Album im Gepäck, das noch in 2012 erscheinen soll! Wir können es gar nicht mehr erwarten, das neue Material dann endlich live zu spielen!

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.atrocity.de