Interview mit Alexander Krull von ATROCITY

Steigen wir gleich voll ein: Warum braucht die Metal-Szene heute eine Fortsetzung von „Werk 80“?

Hahaha, interessante Frage! Wenn ich so auf die letzten Jahre mit der Band und unsere Tourneen zurückblicke, die uns in alle möglichen Ecken dieses Planeten verschlagen haben, kam immer wieder die gleiche Frage bei den Fans auf: Wann gibt es einen Nachfolger von WERK 80? Nicht, dass den Leuten unsere anderen Release nicht auch gefallen würden, es ist wohl eher das spezielle Konzept dahinter, was den Fans einen zum Teil sehr persönlichen Zugang verschafft. Einige Fans verbinden mit den Songs spezielle Erlebnisse und nostalgische Gefühle aus ihrer Jugend. Mittlerweile projektiert man das auch auf die Zeit als die erste WERK 80 erschienen ist. Nicht wenige Fans haben uns gesagt, dass sie durch diese Scheibe und unsere Umsetzungen viele der Songs erst angefangen haben zu mögen. Es gab sogar Leute, die uns gesagt haben, wir hätten sie dazu gebracht, Songs, die sie ursprünglich gehasst haben nun zu lieben. Wie so oft liegen wohl Hass und Liebe dicht beieinander. 

Nach welchen Kriterien habt ihr die Songs zusammengestellt? Nach dem größtmöglichen Hitfaktor oder sind bestimmte Erinnerungen oder Beziehungen zu den Songs die ausschlaggebenden Faktoren gewesen?

Die musikalische Idee ist erstmal das Wichtigste! Als klar war wir würden mit Orchester und Chor arbeiten und somit "die düstere Seite" von WERK 80 angehen, war uns ziemlich schnell klar welche Nummern wir auf das Album nehmen würden. Außerdem hatten wir ja einen Fundus an Songs in petto, den wir bei der ersten WERK 80 nicht berücksichtigt hatten. Die Erfahrungen vom ersten Album halfen uns auch bei der Auswahl unserer Favoriten.

Die erste „Werk 80“ war eher elektronisch und hier und da Industrial-mäßig angehaucht, diesmal habt ihr euch für ein pompöseres, orchestrales Klangbild entschieden. Würdest du sagen, dass darin der größte bzw. augenscheinlichste Unterschied zwischen Teil 1 und Teil 2 liegt?

Die ganze Scheibe ist dadurch organischer und homogener wie aus einem Guss geworden! Das hat uns sehr gefallen, denn wir wollten ja die Sache etwas angehen, das wäre sonst langweilig gewesen. Und bei der ersten WERK 80 waren die Songs zum Teil sehr unterschiedlich. Das wollten wir diesmal etwas anders machen, wir wollten einen roten Faden durch das ganze Album. Bei der ersten WERK 80 stammte vieles aus spontanen Jamsessions, was durchaus reizvoll ist, allerdings mit einem solchen Aufwand wie mit Symphonieorchester und Chor eher nicht der richtige Weg ist. Wir wollten ja die Elektronik durch die klassischen Elemente ersetzen, und das bedarf einer sehr genauen Vorbereitung, gerade bei den Partituren und den festgelegten Abläufen. Es hat aber trotz der ganzen Arbeit auch sehr viel Spaß gemacht und war eine sehr coole Erfahrung!

 

Am Jahresende 2007 haben euch Chris und Moritz für viele sicher überraschend verlassen. Worin liegen die Gründe für die Trennung? Und: Wie gestaltet sich die Suche nach ebenbürtigem Ersatz? Immerhin gilt es sowohl die neuen und alten Atrocity Songs, wie auch die verspielteren Leaves’ Eyes Songs gleichermaßen live umzusetzen.

Wir sind gerade in Mexiko und mit den beiden Acts Headliner bei einem großen Gothic Metal Event hier in einem alten Kastell in Mexico City. Wir werden morgen unser erstes Konzert mit unserem neuen Drummer Nick und Alla am Bass haben. Das wird eine echte Feuertaufe für alle, denn wir spielen über 2 1/2 Stunden und haben auch schon Songs von der neuen WERK 80 II dabei, die wir noch nie live gespielt haben! Wir haben eine super Stimmung hier! Mit den alten Mitgliedern lief einiges nicht mehr rund, und so haben wir uns entschieden auch ohne Chris weiterzumachen, nachdem Moritz sich aus beruflichen Gründen zurückgezogen hatte.

 

Lass uns kurz auf den neuen Mann hinter den Kesseln zu sprechen kommen, immerhin ist Nick Barker alles andere als ein Unbekannter. Vor allem für die Atrocity-Sachen dürfte er genau der richtige sein, wohingegen die Songs von Leaves’ Eyes eher Neuland für ihn sind. Wo siehst du seine größten Fähigkeiten und was macht ihn auch menschlich zum perfekten Schlagzeuger für eure beiden Bands?

Wie gesagt, wir haben hier eine Menge Spaß miteinander, es könnte bei all den Anstrengungen einer solchen langen Konzertreise nicht besser sein! Nick schwirrte schon lange in unseren Köpfen herum, noch bevor Moritz in die Band kam, hatte ich ihn als Drummer im Hinterkopf. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihm die Musik von Leaves' Eyes genauso reinläuft wie die härtere Ausrichtung von Atrocity. Nun kann er zeigen, dass er nicht nur zu den absoluten Top Drummern im Death und Black Metal gehört, sondern auch andere Sachen spielen kann. Witzig ist es zu sehen, wie er manche Sachen mit einem Fuß spielt, bei denen seine Vorgänger zwei Füße gebraucht haben hahaha...

Wäre es nicht logistisch einfacher gewesen sich für einen Drummer aus dem deutschsprachigen Raum zu entscheiden? Und: Nick wird als euer absoluter Wunschkandidat vorgestellt. Wie sahen die anderen Bewerbungen aus? Gab es noch weitere heiße Kandidaten?

Wir hatten für den Posten an Schlagzeug und Bass bestimmt 100 Bewerber, darunter auch namhafte Leute, was uns ehrt. Namen möchte ich an dieser Stelle nicht nennen, das wäre vielleicht nicht die feine Art. Es gab durchaus Kandidaten aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch aus aller Welt, von Europa, USA bis nach Südamerika. Nick ist übrigens nicht aus der Welt, er ist durch eine günstige Flugverbindung schneller bei uns als es manch anderer Drumkollege aus Deutschland gewesen wäre. Momentan verbringt er ohnehin viel Zeit bei uns und wohnt auch etappenweise bei uns.

Bekanntlich ist Nick ein sehr umtriebiger Schlagzeuger, der auch schon als Tourmanager für andere Bands gearbeitet hat. In wie fern hat es euch vor seiner Verpflichtung Bauchschmerzen bereitet, dass man mit ihm evtl. nicht auf lange Sicht planen kann? Plant ihr generell mit ihm nur für ein gewisses Zeitfenster oder soll Nick langfristig etabliert werden?  

Für Nick sind Leaves' Eyes und Atrocity absolute Priorität! Natürlich kann er trotzdem auch andere Projekte verfolgen, dass hat er in der Zeit bei Dimmu Borgir ja auch gemacht.

 

Wie seid ihr auf jemanden wie Dita von Teese als Covergirl geraten? Natürlich ist sie nicht zuletzt durch die kurze Ehe mit Marilyn Manson eine internationale Berühmtheit geworden, aber gleichzeitig doch sicher auch nicht ganz billig oder? ;-) Hätte es nicht auch ein „normales“ Model getan oder wolltet ihr bewusst schon mit dem Cover das erste Statement setzten? Ich denke bei der ersten „Werk 80“ war das bereits der Fall.

Dita war absolut die Wunschvorstellung, sie ist als Modell die ideale Besetzung. Gerade was die düster stylische Unsetzung von der WERK 80 II angeht, ist das die perfekte Wahl und genauso umgesetzt wie ich mir das ursprünglich vorgestellt hatte. Das volle Kontrastprogramm zum weißen Coverartwork der ersten WERK 80. Zudem verkörpert Dita genau den Glamour und die Grazie, die ich als wichtig für die Visualisierung unserer klassisch angehauchten Metal-Umsetzung der 80er Hits empfand! Zum Glück kannte ich einen Fotografen, der eng mit Dita arbeitet.

Wie wichtig ist nackte Haut für dich generell im Werk 80-Kontext? Nur ein gewisses Konzept oder steckt mehr dahinter?

Die Idee wurde ja durch die aufregenden 80er Jahre Skandalbands inspiriert. Also Frankie Goes To Hollywoods erstes Video zu RELAX hat uns sicherlich dazu inspiriert! Den Song haben wir jetzt natürlich auch aufs Album genommen, das war wohl mehr als überfällig!


Ich will mal ganz frech und direkt fragen: Steigt dir deine Frau nicht aufs Dach, wenn ihr leicht bekleidete Damen zu euch auf die Bühne holt oder selbige auf eure Cover packt, hehe?

Haha nein, Liv findet das vollkommen in Ordnung. Wir machen ja keine plumpen cheezy Sachen, sondern meiner Meinung nach anspruchsvolle und ästhetische erotische Bilder ins Artwork. 

Durch das 2. 80er Album habt ihr jetzt eigentlich genug Material für eine komplette „Werk 80 Tour“. Käme das für euch in Frage oder wollt ihr stattdessen lieber normal gemischte Shows spielen und die Coverversionen sozusagen als das Salz in der Suppe einschieben?

Es sind komplette Werk 80 Shows bei den Festivals und auch eine Tour mit den WERK 80 Sachen geplant. Wir haben schon einige Tourangebote vorliegen und müssen jetzt entscheiden, wie wir das terminlich alles unterbringen können. Das alte Leid, hahaha.

Im Gegensatz zu vielen anderen Bands geht es mir persönlich so, dass ich eure Coverversionen nicht als Partymusik auffasse, sondern schon an der ersten „Werk 80“ auch die Substanz besonders zu schätzen wusste, abgesehen natürlich von Hitfaktor und Tanzbarkeit. Wie sieht deine Auffassung zu dem Thema aus? Würdest du mir zustimmen?

Ich denke, die WERK 80 Platten eignen sich tatsächlich für beides. Zum einen kennt man die Songs als Stimmungsmacher, von Metalparties bis hin zu Fetisch Modeschauen war glaube ich alles bei der ersten WERK 80 vertreten. Zum anderen sind aber die Alben auch mit der musikalischen Aufarbeitung und den dazugehörigen Details für eine musikalische Reise mit Kopfhörer super geeignet. Hört Euch nur mal die neue WERK 80 II mit Kopfhörern an und ihr versteht, was ich meine!

Der zweite Werk 80 Teil ist im Kasten, kann man sich möglicherweise in naher Zukunft auf eine Fortsetzung von „Atlantis“ freuen? Das Thema an sich gibt sicherlich genug her für einen 2. Teil.

Ein cooler Ansatz! Wir werden auch so etwas Ähnliches angehen: Wir arbeiten an einer heftigen düster bombastischen Trilogie! Das ist ein weiterer Mount Everest, den wir besteigen wollen. Vorher möchten wir aber sehr gerne eine weitere atmosphärische Akustik Scheibe im Stile von „Calling the Rain“ mit meiner Schwester Yasmin veröffentlichen! „Calling the Rain“, “Blut”, “Willenskraft”, “Hallucinations” DoCD inklusive “The Hunt” und “Blue Blood” EP, “Die Liebe” feat. Das Ich und die erste „Werk 80“ sind übrigens gerade als remasterte Re-Release erschienen und somit endlich wieder erhältlich, nachdem kürzlich “Todessehnsucht“ wieder veröffentlicht worden ist!

Markus Rutten – www.sounds2move.de

Kommentar: "Werk 80 II" von ATROCITY

11 Jahre nach "Werk 80" erscheint nun "Werk 80 II". Über den grundsätzlichen Sinn oder Unsinn solcher Werke mag man geteilter Meinung sein, aber "Werk 80 II" macht Spaß. Moment mal… Spaß? Ja, genau das. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Werk auf mancher Party rotieren wird. Die 11 Lieder präsentieren sich im Metal Gewand deutlich durchschlagskräftiger und dynamischer. Nette Musik zum Nebenbei hören – für eine wirklich intensive Beschäftigung fehlen mir allerdings die Ecken und Kanten, was natürlich auch an den Originalen liegen mag. Wie dem auch sei, „Fade To Grey“ „Such a Shame“ oder auch „People are People“ machen schon ordentlich Laune und lassen auch über das ein oder andere stimmliche Defizit hinweghören. Sehr nettes Artwork übrigens…

 

Link: www.atrocity.de