Interview mit Philip Labonte von ALL THAT REMAINS

 

 

 

Gestern habt ihr ja bei Rock im Park gespielt. Die deutsche Medienwelt hat natürlich gleich die Neuigkeiten aufgeschnappt und verbreitet, dass es durch die hohen Temperaturen in diesem Jahr bereits frühzeitig zu einer enorm hohen Anzahl an Bewusstlosen und Kollabierten gekommen sei. Wie habt ihr die ganze Sache wahrgenommen, dass das Publikum reihenweise sprichwörtlich wie die Fliegen umgekippt ist?

 

Oh ja, da sagst du was. Auch wenn wir im Gebäude gespielt haben, war es doch schon richtig warm. Zum Thema Publikum und der zu erwartenden Wärme: Mir war für meinen Teil bekannt, dass es zwar keine Wüsten-ähnlichen Bedingungen geben, aber doch schon ganz annehmbar warm sein wird. Das Problem liegt, wenn du mich fragst, auch gar nicht an der Wärme, sondern an dem Umgang damit. Es ist wichtig, viel zu trinken, gerade wenn du den ganzen Tag in der prallen Sonne stehst und zur Musik am Herumspringen bist.  

 

Nun sind doch schon einige Konzerte im Rahmen eurer aktuellen Tour gespielt. Wie sieht es in Sachen Feedback aus? Seid ihr zufrieden mit dem Verlauf? Darunter waren sicherlich diverse positive, wie auch negative Highlights, deren Erinnerung ihr mit Nachhause nehmt. Vielleicht habt ihr da auf Anhieb ein paar auf Lager, die ihr mit uns teilen wollt?

 

Zuallererst muss ich sagen, dass ich total heiß darauf bin, wieder live zu spielen, auch wenn die Show gestern bei Rock Im Park schon eine recht große Nummer war. Der Flug war super. Jetzt kann es getrost weitergehen. Im Hinblick auf die aktuelle Tour kann ich nur sagen, dass ich so etwas von zufrieden bin. Wir haben eine ganze Menge an Ländern besucht, eine ganze Palette an Konzerten gespielt, um unser neues Material zu präsentieren. “For We Are Many” ist in unserer Diskografie die erste Platte, die wirklich jeweils zur Hälfte aus Klargesang und harten Shouts besteht. Natürlich gibt es dann Leute da draußen, die die Meinung vertreten “Ihr seid nicht Lamb Of God”. Ganz ehrlich – das waren wir aber auch nie! Dito der gewagten These mit Slayer. Das ist die eine Sache.

Wenn wir jetzt einmal nur die Entwicklung in den Staaten betrachten, muss man einfach zugeben, dass es unser bisher erfolgreichstes Album ist. Unmittelbar nach der Veröffentlichung gleich Platz 10 in den Billboard Charts zu erklimmen, kann sich sehen lassen. Man darf da echt nicht außer Acht lassen, dass in den Billboard Charts eher andere Platten vertreten sind. “For We Are Many” kommt mit harten Double-Bass-Gewittern und kompromisslosen Shouts um die Ecke und rundet das Ganze mit den cleanen Parts ab. Von daher ist die Billboard-Sache für uns schon ein echt gutes Feedback. Die Radiostationen spielen unsere Songs, wir haben Chartplatzierungen zu verzeichnen, wie beispielsweise mit unseren Singles “Hold On” (platzierte sich direkt in den Top 10 – VV) oder “The Last Time” (schaffte einen Charteinstieg in die Top 20 – VV). Für mich eine wirklich gute Resonanz.

 

Das Touren stellt für viele Bands das größtmögliche zu erreichende Ziel dar. Wie bereitet ihr euch in Anbetracht des Umstandes vor, euren Familien, Freunden und Bekannten für eine lange Zeit „Auf Wiedersehen“ sagen zu müssen?

 

Ganz ehrlich? Das ist das Beschissene an einer Tour. Sicherlich spiele ich gerne Shows, aber ich bin nicht gerne auf Tour. Verstehe mich bitte nicht falsch, aber eine Tournee ist wirklich etwas ganz anderes. Du sitzt 23 von 24 Stunden am Tag irgendwo herum, sei es nun in einem Bus, einer Location oder was auch immer und bereitest dich auf eine simple Stunde Show vor. Danach packst du in aller Eile deinen ganzen Kram zusammen, hast vielleicht ein paar Minuten Zeit, um dich mit deinen Fans zu unterhalten und hetzt dann zum nächsten Wartemarathon.

 

Für lange Zeit weg von Zuhause, kommt da nicht auch mal das Heimweh durch? Letzten Endes sind die Unterschiede zu einem „normalen“ Leben doch gravierend.

 

Natürlich ist es schwer, so lange weg von Zuhause zu sein. Wir sind jetzt auch schon wieder sechs oder sieben Wochen unterwegs, nachdem wir erst im März von der letzten Tour zurück gekommen sind. Ununterbrochen unterwegs und es geht einfach durch und durch, wenn du nicht mal eine Nacht im eigenen Bett verbringen kannst. Jetzt sind es noch knapp zwei Wochen. Eines kannst du mir glauben, ich freue mich auf nichts sehnlicher, als endlich mal nachhause zu kommen. Das Heimweh ist stellenweise echt extrem. Aber du nimmst es, wie es kommt, zumal es in der momentanen Zeit wirklich viele Bands gibt, die unbedingt spielen wollen, aber keine passende Tour finden. Die logische Konsequenz daraus ist, wenn du nicht auf Tour gehst, verdienst du keine Kohle. Wir sehen es wie unseren Job: Wir gehen auf Tour, kriegen unsere Kohle und müssen demzufolge die entsprechenden Abstriche machen. So schmerzhaft sie auch sein mögen. Auch wenn es hier und da Momente gibt, an denen du am liebsten alles hinschmeißen würdest. Solche Momente gibt es, wenn wieder mal eine Nachricht kommt von wegen „Hey, wir haben das und das Angebot bekommen“ und du gerade nach langen Touren eigentlich keine Lust mehr hast und einfach nachhause oder zumindest einen Tag ohne Programm haben willst. Nein sagen kannst du aber auch nicht, also „Keep Smiling“, und in den meisten Fällen verfliegt der Ärger auch ganz schnell und du freust dich auf das Event. Wir sehen das Ganze als eine große Möglichkeit, unseren Traum zu verwirklichen. Sicherlich wird es immer Personen geben, die über das Internet schreiben „da habt ihr doch noch einen Tag frei, kommt doch nach was-weiß-ich-wo“, in so Momenten hilft es nur, einfach abzuschalten. Wirklich zu 100 Prozent wirst du nie alle zufriedengestellt bekommen.

 

Ihr habt bereits das geschafft, von denen viele Bands noch träumen. Mit Auftritten wie beim Ozzfest oder im Rahmen der Rockstar Mayhem Festivals habt ihr das Publikum zu überzeugen gewusst. Man kann es schon so sagen, dass genau die Genannten gerade in den Staaten einen hohen Stellenwert haben. Was sind euch solche Erfahrungen wert? Prägen diese euch?

 

Mal ganz unter uns, diese beiden Festivals sind die genialsten Aktionen, die stattfinden können. Das Ozzfest ist einfach jedes Jahr aufs Neue unglaublich phänomenal, und das Mayhem muss man einfach nur lieben. Gerade solche Festivals sind dann ganz schön intensiv. Es ist eine ganze Palette an Shows abzuliefern, die Fahrerei zerrt ganz schön an den Nerven. Teilweise ist es auch so, dass du bis zu dem Tag deines Auftrittes nicht einmal mehr weißt, wann genau es für dich losgeht. Und so geht es jeder Band. Das Mayhem ist da noch relativ entspannt. Bei gerade einmal zehn bis 15 Bands lässt sich das leicht einschätzen. Bei der Warped Tour sind es dann schon stolze 75, da ist ein wirres Durcheinander quasi vorprogrammiert. Das Scheduling ist einfach nur verrückt. Du verbringst Stunden damit, in einer Schlange vor den Duschen oder vor dem Essen zu stehen. Es ist eine anstrengende Situation, du fühlst dich danach wie erschlagen, aber es ist dennoch etwas Besonderes. Für mich sind das einfach unbezahlbare Erfahrungen, die ich machen durfte. Im Sommer in den Staaten draußen zu spielen ist einfach eine ganze coole Nummer.

 

Gibt es überhaupt noch Touren oder Festivals von denen ihr träumt?

 

Eigentlich nicht. Ich möchte nicht so klingen, dass es mir egal ist, wo und wann wir spielen. Als ich damals im zarten Alter von 16 anfing, in einer Band zu spielen und mich von Bands des schwedischen Melodic-Death-Metals wie Entombed oder den Briten Carcass beeinflussen ließ, hätte ich mir nicht auch nur im Traum ausmalen können, einmal so erfolgreich zu sein, wie es All That Remains sind. Mit allem, was wir bis jetzt erleben durften, ist für mich mehr als nur ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Es ist einfach großartig. Alles was da noch hinzukommt ist quasi das Extra-Sahnehäubchen. Wir haben mehr erreicht als wir dachten, erreichen zu können. Von daher ist es für mich schwer zu sagen, dies oder jenes machen oder hier und dort spielen zu wollen. Ich habe so viel erlebt, habe schon auf so vielen Bühnen performt, ob nun das Fillmore in Denver oder in New York. Dieses Jahr spielen wir das erste Mal beim Download Festival, das zweite Mal bei Rock am Ring und Rock im Park. Weißt du, ich bin 36 Jahre alt, und ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als hier die Berliner Mauer noch stand und es die Sowjetunion noch gab. Jetzt haben wir in Moskau gespielt und morgen steht St. Petersburg auf dem Tourplan. Damals hätte ich niemals in Erwägung gezogen, auch nur auf die Idee zu kommen, in Russland zu spielen. Es ist einfach toll, sagen zu können, all das erlebt zu haben.

 

Also nimmst du die Erfahrungen mit einem Lächeln im Gesicht mit ins Grab.

 

Aber mit einem richtig großen Lächeln.

 

Wenn man dich vor die Aufgabe stellen würde, All That Remains und das was ihr macht in ein paar Worten zu beschreiben, wie würde das aussehen? Was unterscheidet euch von anderen Bands?

 

Was uns unterscheidet? Nun ja, es gibt Unmengen von Subgenres im Musikbusiness. Die Menschen versuchen seit jeher die Musik auf irgendeine Weise einzuordnen. Mögen die Urteile so unterschiedlich ausfallen, wie sie es nun mal tun, aber für All That Remains gibt es meiner Meinung nach kein wirklich hundertprozentig zutreffendes dieser vielen Subgenres. Wir haben unseren eigenen Sound, von daher ist es mir einerlei, welcher Begriff geäußert wird. Ich könnte auf Anhieb Beispiele nennen, die das Gegenteil beweisen. Genauso habe ich aber auch genügend Beispiele parat, die diese These bestätigen. Sicherlich helfen uns unsere Einflüsse aus dem straighten Klargesang des Heavy Metal, die Handlings für die Gitarrenriffs aus dem Thrash Metal oder die Härte des Death Metals. Wo sollte man da also eine klare Linie ziehen und eines der unzähligen Genres finden. Bei den Lyrics haben wir es lediglich im Hinterkopf, dem Publikum ein Gefühl von guter Laune zu vermitteln. Wir wollen, dass unsere Fans eine gute Zeit mit unserer Musik verbringen und treten so in Kontakt mit ihnen. Das ist alles, was wir wollen.

Als du mit Oli Herbert All That Remains als Nebenprojekt gegründet hast, konnte sicherlich keiner ahnen, dass ihr einst zur bekannten Genregröße heranwachsen würdet. Wenn ihr die Zeit zurückdrehen könntet und die Möglichkeit hättet, bestimmte Vorgänge, Abläufe und Geschehnisse zu ändern, würdet ihr etwas anders machen?

 

Im Hinblick auf All That Remains? In keiner Weise! Gut okay, das Einzige was ich vielleicht ändern würde, ist, dass ich Adam D. direkt für unser erstes Album hinter den Reglern positionieren würde, haha.

 

Euer aktuelles Album wurde letztes Jahr im Oktober veröffentlicht und legte, wie du bereits sagtest, mit dem Charteinstieg auf Platz 10 der Billboard 200 einen regelrechten Senkrechtstart hin. Hand aufs Herz, hättet ihr euch zum Zeitpunkt der Zusammenarbeit mit Produzent, Freund und Killswitch-Engage-Gitarrist Adam Dutkiewicz so etwas ausmalen können?

 

Ganz ehrlich, wenn es darum geht, ein Album zu produzieren, weiß ich gar nicht, ob man da überhaupt Erwartungen hegt. Und schon gar nicht in Sachen Verkaufszahlen. Sind wir mal ehrlich, darauf kommt es in der heutigen Zeit kaum noch an, es kauft doch keiner mehr regelmäßig Platten. Ich sehe die Entwicklung in den Staaten echt mit Tränen in den Augen. Da gibt es diese Elektronikfachmärkte wie beispielsweise Best Buy, wo du allen möglichen Kram kaufen kannst. Fernseher, Waschmaschinen, Computer, Computerspiele – einfach alles, wo ein Stecker dran ist. Früher gab es da eine unglaublich riesige Abteilung für CDs, mittlerweile sind es bedauernswerte fünf oder sechs Reihen.

 

Nun ja, hierzulande ist das Verhältnis dann doch noch ein etwas anderes, aber man merkt, wie die Musikindustrie mehr und mehr auf digitale Verbreitung abzielt.

 

Weißt du, und das finde ich, ist das Merkwürdige. In den USA kauft man keine Platten mehr, man lädt sie runter. Ich kaufe auch keine Platten mehr, sondern lade mir das Material direkt über iTunes. Es ist eben viel einfacher, direkt alles auswählen zu können. Klar, wenn du eine der Personen bist, die rausgeht und gezielt nach Musik sucht, was ich auch mal war, dann kannst du dich durch so eine riesengroße Abteilung durchhören. Wenn du aber den ganzen Tag mit Musik zu tun hast, ständig mit ihr konfrontiert wirst und allgegenwärtig von ihr umgeben bist, bist du froh, wenn du mal etwas anderes machen und abschalten kannst. Ich persönlich höre mir auch gerne mal das ein oder andere Hörbuch an, weil, wenn du wie ich seit 20 Jahren immer in irgendwelchen Bands aktiv gewesen bist, du nach den Shows einfach nur froh bist, normale Radioshows zu hören, um dich von selbigen einfach nur berieseln zu lassen. Schließlich will doch keiner arbeiten, wenn er Feierabend hat, richtig? Ha ha. Ich bekomme so viele Anfragen von Bands über meine Facebook-Seite, aber mal Hand aufs Herz, ich bin kein Fred Durst, der durch so etwas Limp Bizkit gegründet oder die Pforten für Korn geöffnet hat. So etwas will ich auch gar nicht machen, das wäre einfach nicht ich.

 

Wenn wir schon mal dabei sind und eure gute Freundschaft mit Killswitch Engage ansprechen. Nur mal rein theoretisch, könntet ihr euch eine Zusammenarbeit für einen Song oder vielleicht sogar eine ganze Tour vorstellen? Wenn ihr mich fragt, wäre das ein wirklich grandioses Line-Up.

So etwas gab es schon einmal. Letzten Februar habe ich als Ersatz für Howard mit den Jungs auf der Bühne gestanden. Ich war gerade ein paar Tage zu Hause in Massachusetts als mich Adam anrief und fragte, ob ich tags darauf in Florida sein könnte. Meine Antwort fiel mit einem “Ich schätze schon” recht dürftig aus. Ich hatte noch so viel Zeugs zu erledigen, aber ich wollte Killswitch Engage nicht hängen lassen, unabhängig davon, ob ich selbst gerade von einer Tour kam oder was noch zu erledigen war. Wir sind schließlich schon eine ganze Weile befreundet, und da lässt man sich gegenseitig nicht hängen.

Times Of Grace mit dem ehemaligen Killswitch Engage Leadsänger Jesse Leach werden euch bei den nachfolgenden Konzerte anstelle von Adept supporten. Wie nehmt ihr solche Zusammenarbeiten wahr, in denen es eben nicht um Kontrahenten, sondern viel mehr um ein gutes Miteinander geht?

 

 

Für mich ist es einfach großartig. Killswitch Engage sind wie schon gesagt gute Freunde von uns. Ich erinnere mich noch an eine meiner ersten Shows und das Zusammentreffen mit Adam. Ich habe es gerade vor ein paar Tagen Revue passieren lassen. Genau, das war jetzt hier bei Rock am Ring, weil Times Of Grace vor uns dran waren. Da kam es mir in den Sinn, wie cool es doch ist, sich schon so lange zu kennen, zusammen Musik zu machen und gemeinsame Erfolge zu erreichen. Auf das Zusammenspiel bei den kommenden Shows bin ich selbst gespannt, ich freue mich sehr darauf.

 

Du hast gerade von deiner ersten gespielten Show gesprochen, die du mit 16 Jahren absolviert hast. Erinnerst du dich noch an diesen Abend und an die Details dazu?

 

Oh ja, aber so etwas von. Ich war so aufgeregt, das glaubst du mir gar nicht. Ich hatte damals kurze Shorts an und ich bin mir sicher, selbst die Personen in der letzten Reihe konnten meine wackelnden Knie sehen. Ich sollte nur Gitarre spielen, ich war so grottenschlecht.

 

Am 1. April dieses Jahres wurde euer Clip zu “The Last Time” veröffentlicht. Wie wird es weitergehen? Was hecken All That Remains als nächstes aus?

 

Da muss ich passen. Ich hab absolut keine Ahnung, was wir als nächstes aushecken. Eigentlich war es so angedacht, aus jedem Album mindestens drei Clips zu veröffentlichen. Alles Weitere bleibt abzuwarten.

 

 

 

 

Vanessa Vogl – www.sounds2move.de

 

 

Web: forwearemany.allthatremainsonline.com/