Interview mit Anneke van Giersbergen von AGUA DE ANNIQUE

 

 

Anneke, du hast dich dazu entschlossen „Air“ über dein eigenes Label Agua Recordings zu veröffentlichen, anstatt mit einem externen Label zusammen zu arbeiten. Was genau sind für dich die Vorzüge dieser Arbeitsweise? Die Gewissheit, dass du in jeder Hinsicht freie Hand hast und alle Entscheidungen selbst treffen kannst?

 

Ich wollte Songs schreiben und ein Album machen, das in allen Belangen genau so wird wie ich es mir vorstelle. Und das Beste was du meiner Meinung nach tun kannst in diesem Fall ist es selbst zu veröffentlichen, ohne eine große Firma. Die würde einem dann vermutlich ohnehin nur im Nacken sitzen und jedes Detail ganz genau erklärt bekommen wollen. Das Schöne ist, dass wir unsere eigenen Herren sind. Aber wir arbeiten auch mit verschiedenen Vertrieben zusammen, die dafür sorgen dass unsere Musik auch in fremden Ländern erhältlich ist. Wenn du so willst haben wir uns aus beiden Welten einfach das Beste herausgenommen, hihi. Abgesehen davon bleiben auch die Rechte an allem vollständig in unseren Händen.

 

Zwischen deinem Ausstieg bei The Gathering und der Veröffentlichung deines Debüts mit Agua de Annique lagen nur wenige Monate. Wann hast du damit angefangen die Songs für „Air“ zu schreiben? Und wusstest du zu diesem Zeitpunkt bereits, dass du nicht an The Gathering Songs arbeitest?

 

An den Songs habe ich bereits geschrieben, als ich noch bei The Gathering war; allerdings war es zum damaligen Zeitpunkt noch als Nebenprojekt geplant. Einige der Songs sind schon ziemlich alt, da ich nur sporadisch in meiner Freizeit an den Stücken gearbeitet habe. Die Ideen habe ich dann aufbewahrt, wenngleich auch viele der Songs erst im letzten halben Jahr vor der Veröffentlichung von „Air“ entstanden sind. Als ich dann aus unterschiedlichen Gründen The Gathering verlassen habe lag es auf der Hand, diese Platte sofort in Angriff zu nehmen, schließlich war sie bereits zur Hälfte fertig. Abgesehen davon, dass ich dann auch ausreichend Zeit hatte, um mich intensiv mit allem rund um Agua auseinander zu setzten.

 

 

Obwohl du nicht mehr Mitglied bei The Gathering bist, scheint das Verhältnis zwischen dir und der Band noch ziemlich in Takt zu sein, denn deine ehemalige Band taucht unter anderem in der Linkliste eurer Website auf. Diese Dinge sind in meinen Augen nicht selbstverständlich, denn oft versuchen beide Seiten einen Schlussstrich zu ziehen und etwaige Zusammenhänge mehr oder minder unter den Tisch fallen zu lassen. Was ist in diesem Zusammenhang zwischen dir und deinen ehemaligen Bandkollegen anders?

 

Naja, ich war immerhin 13 Jahre in der Band und habe dort viel erlebt und gelernt und zu jedem Zeitpunkt mein Herz in The Gathering gesteckt. So etwas wirft man doch nicht einfach weg... Meine Entscheidung ist jetzt weit über ein Jahr her und wir haben seitdem nicht allzu oft miteinander gesprochen, denn natürlich hat ihnen meine Entscheidung nicht gefallen. Es wurde aber nie dreckige Wäsche gewaschen oder in einer anderen Form unschön. Beide Seiten brauchen einfach etwas Abstand, aber das ist kein Grund den anderen zukünftig weniger zu schätzen.

 

Wäre es denn nicht auch möglich gewesen Agua de Annique und The Gathering parallel zu betreiben?

 

Natürlich wäre das möglich gewesen, aber darum ging es mir bei meiner Entscheidung nicht. Da haben andere Faktoren eine Rolle gespielt, etwa dass ich mit meinem Ehemann (Rob Snijders, Schlagzeuger von Agua de Annique, Red.) zusammenarbeiten und mehr Zeit für meine Familie haben wollte. Nach all den Jahren war es für mich an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren. Es ist toll, dass ich mir meine Zeit selbst einteilen und komplett selbstständig und losgelöst arbeiten kann. Und ich muss nur noch auf eine einzige Meinung Rücksicht nehmen und nicht mehr auf fünf davon. Da kommen einfach viele kleine Faktoren zusammen. Ich war schlichtweg bereit meinem Herzen zu folgen und dann habe ich nicht lange über dies und das nachgedacht, sondern es einfach getan.

 

Wie ist es mit der musikalischen Seite: Was unterscheidet für dich persönlich die Musik deiner ehemaligen Band mit der deiner neuen Formation?

 

 

Ich glaube die Musik von Agua kommt mit weniger Ebenen, mit weniger Details aus und geht mehr nach vorn. Es ist alles einfach etwas poppiger und leichter und hat auch ein Stück weit eine recht weibliche Note. Zu den Gemeinsamkeiten gehört natürlich offensichtlich meine Stimme, aber auch diese etwas düstere, melancholische Stimmung, die ich auch an The Gathering so liebe. Beide Bands passen annähernd in das gleiche Genre, denn sie bewegen sich irgendwo zwischen, Rock, Pop und Alternative. Absolut eingängig sind beide Bands nicht, aber ich denke mit Agua de Annique mache ich es den Hörern etwas einfacher. Bei The Gathering war es damals häufig so, dass uns Leute ein halbes Jahr oder noch länger nachdem ein Album herauskam eine E-Mail geschickt haben und sich gefreut haben, dass sie endlich verstanden haben was wir mit den Songs ausdrücken wollen, haha. Aber das ist großartig, denn das heißt auch, dass die Leute sich lange mit der Musik beschäftigt haben. Jedenfalls ist es großartig, dass man in die Musik beider Bands unheimlich gut eintauchen kann.

 

Man kann sozusagen in beide Bands eintauchen, aber bei Agua de Annique fällt einem das Schwimmern leichter, hehe.

 

Haha, das ist gut. Da hast du keinen Bleiwürfel um die Beine gebunden, hehe.

 

Du sagtest, dass du wert darauf gelegt hast, mit deinem Mann in einer Band zu sein. Diese Tatsache dürfte nun auch euer Privatleben sehr komfortabel machen.

 

Ja, das ist perfekt! Ich habe mir das lange gewünscht und es ist toll mit ihm zu arbeiten. Wir sind jetzt viel mehr zusammen und können auch zu Hause über diese Sachen reden und gleichzeitig Finn (der gemeinsame Sohn von Anneke und Rob, Red.) bei uns haben. Das genieße ich wirklich sehr.

 

Das Booklet von „Air“ scheint eine Geschichte in Form von Bildern zu erzählen. Darf man „Air“ folglich als eine Art Konzeptalbum verstehen?

 

In gewisser Weise schon. Die Songs an sich sind textlich nicht miteinander verbunden, aber das Drumherum, der Titel, das Artwork und all dies schon. Ich bin schon seit geraumer Zeit von der Figur der Stewardess geradezu besessen, ebenso vom Fliegen, Flughäfen und all diesen Dingen, die dazu gehören.

 

Deshalb hat das Bandlogo von Agua de Annique auch die Form der Anstecker auf einer Pilotenuniform.

 

Genau so ist es.

 

Wird dich dieses Konzept nach jetzigem Stand auch in der Zukunft begleiten, oder werdet ihr wohlmöglich das Logo für die nächste Platte verändern und euch ein neues Thema suchen?

 

Ich habe bereits damit begonnen neue Songs zu schreiben, die mitunter sehr schön geworden sind. Auch wenn ich noch nichts zu 100% sagen kann, so wird die Stewardess sehr sicher auch zukünftig als Repräsentantin von Agua de Annique zum Einsatz kommen. Sie wird vielleicht nur am Rand erscheinen und möglicherweise werden wir auch ihren Look regelmäßig verändern. Mit dem Flügellogo wird es sich ähnlich verhalten. Ich denke es bleibt uns erhalten, wenn auch nicht mit Sicherheit als primäres Bandlogo.

 

Für mich ist „Air“ ein sehr melancholisches und warmes Album. Würdest du sagen, dass das Album zu 100% dem Gemütszustand und dem Charakter von Anneke van Giesbergen anno 2007 / 2008 entspricht.

 

Ja, absolut! Ich habe mich bei diesem Album gern und oft von den Menschen um mich herum und von meiner Umgebung beeinflussen und tragen lassen. Bei mir geht das oft sehr schnell: Ich habe ein Idee für einen Text, eine Struktur oder eine Melodie und dann arbeite ich diese Ideen auf der Stelle aus, wenn ich die Zeit dazu habe. Diese schnell entstandenen Songs sind zumeist auch die besten, denn sie sind pur und unverfälscht. Für Rob und die anderen Jungs ist das etwas anders, denn für Instrumentalisten kann es mitunter recht langweilig sein, einen Part zu schreiben oder auszuarbeiten. Für viele ist es nicht sehr prickelnd herumzusitzen und Basslinien oder etwas in der Art zu schreiben, weil diese Sachen zumeist sehr nüchtern sind. Gefühle und Emotionen, diese Hochs und Tiefs muss dann Anneke einbringen, hihi.

 

Auf „Air“ finden sich mit „Sunken Soldiers Ball“ und „Come wander with me“ auch zwei Songs, die nicht von dir selbst geschrieben wurden. Dennoch passen sie sehr gut auf das Album und man kommt eigentlich nicht im Traum darauf, dass die Stücke nicht von dir stammen. Welche Verbindung hast du zu den Songs und weshalb waren sie es wert auf dem Album zu landen?

 

„Come wander with me“ ist ein altes irisches Volkslied und gleichzeitig kommt es auch in einer Folge von „The Twilight Zone“ vor, einer alten Schwarz-Weiß-Serie. Die Melodie ist hier und Holland unheimlich bekannt, da sie auch in einem tollen Werbespot verwendet wird. Dieses Lied hat mich sofort gepackt und ich habe es eine ganze Zeit lang vor mich in geträllert, wenn ich allein war. Als wir dann das Album aufgenommen haben, war dieser Song spontan auch dabei und ist so auf die Platte gekommen. Und „Sunken Soldiers Ball“ hat Kristin Fjelltseth, eine norwegische Freundin für mich geschrieben, die auch auf dem Stück im Hintergrund zu hören ist. Sie hat das Stück extra nur für mich mit Piano und ihrem Gesang aufgenommen und meinte, dass die Nummer perfekt zu mir passen würde und dass ich ihn gern aufnehmen und für mich verwenden könne. Live funktioniert das Stück ebenfalls großartig und die Leute scheinen wirklich genauso viel Gefallen daran gefunden zu haben wie ich selbst.

 

Wenn „Come wonder with me“ so bekannt ist, dann wäre es doch eigentlich die perfekte Wahl für ein Singleauskopplung oder?

 

Da hast du recht und wir haben das auch versucht. Es ist ein starker Song und die Leute mögen die Melodie auch, aber gleichzeitig ist es sehr melancholisch und schwermütig. Das ist wohl nichts, was die Leute im Alltag im Radio oder so hören wollen, denn man muss einfach in der Stimmung für diese Art von Musik sein.

 

Es ist sozusagen zu traurig für die Top 10.

 

Das ist auch meine Meinung, haha. Wir sollten das Tempo für eine Auskopplung definitiv deutlich weiter anheben und etwas Fröhlicheres auswählen, hihi.

 

Du hast in diesem Jahr bereits einige spezielle Auftritte absolviert, etwa bei der „Black Symphony“ Show mit Within Temptation oder einige Akustik-Shows mit Danny von Anathema. Bleiben solche speziellen Momente eher im Gedächtnis als „normale“ Clubshows?

 

Es gibt uns ja noch nicht all zu lange, von daher ist jede Show für uns noch ein großes Erlebnis. In den Clubs bekommst du aus erster Hand die Reaktionen der Menschen mit und erhältst ungefiltertes, direktes Feedback. Trotzdem ist es sehr inspirierend mit anderen Künstlern zusammen zu arbeiten und kleine Akustikkonzerte zu geben oder mit Within Tempation vor über 10.000 Menschen zu singen – auch wenn die Vorzeichen natürlich unterschiedlicher kaum sein könnten. Bei meinen Konzerten man Danny waren einige Leute, die sowohl The Gathering als auch Anathema mögen. Beide Bands sind in gewisser Weise Seite an Seite durch die Jahre gegangen, da wir auch eine ähnliche Entwicklung hinter uns haben. Und bei meiner Zusammenarbeit mit Sharon war es vor allem die Kombination unserer Stimmen, die den Leuten sehr gefallen hat. Unsere Namen fallen in der Metalszene oft gemeinsam und es war toll, endlich etwas mit ihr machen zu können.

 

Nach deinem Ausstieg bei The Gathering haben sich viele Fans eine oder mehrere Abschiedsshows gewünscht, um dich noch einmal mit der Band sehen zu können. Aus welchen Gründen habt ihr von einer Farewell-Show abgesehen? Wolltest du mit Agua de Annique nicht unnötig Zeit verlieren?

 

Nein, überhaupt nicht. Wir haben gemeinsam entschieden, dass wir davon absehen, weil sowohl The Gathering als auch ich nicht von der Bildfläche verschwinden werden und auch zukünftig noch Konzerte geben werden - wenn auch nicht gemeinsam. Abgesehen davon ist keiner von uns ein Freund solcher Abschiedskonzerte. Es kamen einfach einige Faktoren zusammen und wir hatten ja immer noch eine Hand voll Shows gebucht zu diesem Zeitpunkt. Ein paar Fans sind dann wirklich nur für diese Konzerte in die entsprechenden Länder gereist, was uns unheimlich gefreut und geehrt hat. Die Stimmung innerhalb der Band war zu diesem Zeitpunkt verständlicherweise auch ziemlich kühl und nicht gerade fröhlich, da wollten wir die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen.

 

Im Zuge deines Abschiedes wurde vor der offiziellen Verkündung auch euer Auftritt auf dem letztjährigen Metal Female Voices Fest abgesagt, was sicher eine perfekter Rahmen für eine der letzten Shows gewesen wäre.

 

Aber diese Show haben wir aus anderen Gründen abgesagt. Da ging es um geschäftliche Dinge und es war zudem eine Frage des Geldes, deshalb ist daraus nichts geworden. Aber das hatte nichts mit dem Split zu tun, denn ursprünglich wollten wir die Show spielen.

 

Und noch eine letzte Frage zu deiner Vergangenheit: Wie ist damals deine Kooperation mit Napalm Death zu Stande gekommen? Immerhin ist deren Sound verdammt weit weg von dem, was man normalerweise von dir kennt.

 

Das stimmt, ich war selbst überrascht, wie viel positives Feedback ich darauf aus Metalkreisen bekommen habe, hihi. Sie suchten damals ein weibliche Stimme für einen Song und dabei haben sie an mich gedacht und mich gefragt, was mich sehr geehrt hat, schon allein weil ich viele Jahre Fan von Napalm Death war. Ich habe da wieder einmal nicht viel nachgedacht, sondern es einfach getan. Erst später ist mir bewusst geworden, dass es eigentlich eine denkwürdige Kooperation war, denn Female Vocals sind alles andere als üblich im brutalen Death Metal bzw. Grindcore.

 

Generell bist du oft für Projekte und Kooperationen zu haben. Was steht bei dir in Zukunft an? Ich könnte mir zum Beispiel sehr gut einen gemeinsamen Song von dir mit Apocalyptica vorstellen.

 

Ja, wer weiß. Ich hab ein paar Sachen in der Rock- und Metalszene in Aussicht, aber ich werde auch ein paar andere Dinge außerhalb dieses Rahmens realisieren, etwa in der holländischen Szene oder mehr im Mainstreambereich. So etwas ist immer sehr erfrischend wie ich finde. Ich bin eigentlich für jede Idee offen und wenn mir eine Sache gefällt, dann mache ich sie auch. Einer meiner Träume wäre es übrigens einmal mit Serj Tankian von System of a Down zu arbeiten. Bisher hat er aber leider noch nicht angerufen, haha.

 

Markus Rutten – www.sounds2move.de

 

 

Link: www.aguadeannique.com