Interview mit LIV KRISTINE

Markus: Gleich für den ersten Song auf deinem neuen Album hast du dir prominente Unterstützung geholt. „Over the Moon“ stammt aus der Feder von Peter Tägtgren (Hyprocrisy, Pain – Anm. d. Aut.). Wie kamst du gerade auf ihn? Man könnte annehmen, dass jemand wie Peter diese Art von Songs überhaupt nicht komponiert.

Liv Kristine: Genau, Peter. Ich hab ihn einfach mal gefragt ob er nicht Lust hätte einen Song für mein Soloprojekt zu schreiben. Wir haben uns dann in der Rockfabrik in Ludwigsburg getroffen und er sagte ‚Na klar. Ich hab so viele Songs über, da ist auch was für dich dabei’. Er hat mir die Songs dann geschickt und einer davon war eben „Over the Moon“. Er ist einfach ein erstklassiger Komponist.

M: Wenn ich richtig informiert bin wird auf der „Fake a Smile“ EP auch einer seiner Songs zu hören sein.

LK: Genau, auf dem Album sind „Over the Moon“ und „Trapped in your Labyrinth“ drauf und auf der EP ist „This is Us“ von Peter dabei.

M: Die Texte stammen aber jeweils von dir.

LK: Richtig, die Texte habe komplett ich geschrieben.

M: Nach welchen Kriterien hast du dich denn für „Fake a Smile“ als Single entschieden? Oder wurdest du vom Label vor vollendete Tatsachen gestellt? Du hättest ja genauso gut „My Revelation“ oder „Over the Moon“ auswählen können. Das sind in meinen Augen auch potentielle Singles.

LK: Ja, diese beiden Songs waren auch mögliche Kandidaten. Das sind genau meine Worte, da hast du mich sehr gut eingeschätzt *lacht*. Aber wir haben „Fake a Smile“ zusammen mit ein paar anderen Songs rausgeschickt und dann sagten die Radioleute, die Journalisten und die Plattenfirma, dass die Mehrzahl „Fake a Smile“ als Single haben wollen. Und damit stand es fest.

 

M: Gibt es denn schon Überlegungen vielleicht eine 2. Single auszukoppeln oder wird sich das nach dem Erfolg der EP und des Albums entscheiden?

LK: Nein, ich denke es wird sicher eine weitere Auskopplung geben und dann wird es wohl „Over the Moon“ werden.

M: Schön, wir haben uns ja bereits unsere beiden Favoriten ausgewählt. Dann müssen sie dann einen davon nehmen. *lacht*

LK: Genau *lacht*

M: Das Video zur ersten Single ist auch schon im Kasten. Dafür wart ihr meines Wissens nach in Nürnberg im geschlossenen „Völkerbad“.

LK: Das ist richtig. Wir waren in diesem alten Schwimmbad und drinnen ist es wirklich wunderschön. Es war bei dem Dreh ziemlich kalt und alle haben gefroren. Ich leider am meisten, weil ich nur ein Kleid trug und keine Jacke oder Mantel anziehen konnte. Und danach kam das Beste: Raus aus dem Schwimmbad und ab in den Wald und den Schnee – im Abendkleid. Da wurde ich dann sozusagen zur Eiskönigin *lacht*. Aber als Norwegerin bin ich schon einiges gewöhnt. Eisbaden und so weiter habe ich alles schon mitgemacht. Das Eisbaden machen wir Norweger im Winter um uns etwas abzuhärten. Und das Video an sich ist in meinen Augen sehr sehr gut geworden und wir hoffen, dass es überall laufen wird.

M: Dein Göttergatte Alex (Krull, Sänger und Produzent von Atrocity, Anm. d. Aut.) arbeitet derzeit noch mit der Band am 2. Teil von „Werk 80“. Hat dich in diesem Zuge auch wieder das „Cover-Fieber“ gepackt? Mit „Streets of Philadelphia“ ist auf deinem Album nämlich ebenfalls eine Coverversion zu finden.

 

LK: Die Aufnahmen zur neuen „Werk 80“ laufen derzeit noch, das stimmt. Aber um auf meine Coverversion zu kommen: Da war es so, dass mich „Streets of Philadelphia“ einfach umgehauen hat. Und zwar ist das bei mir so, dass ich ein Lied nur einmal hören muss und es dann sofort nachsingen kann. Das ist eine angeborene Fähigkeit und ich mache das dann auch ohne Noten. Und bei „Streets of Philadelphia“ war das überraschenderweise nicht so. Ich musste mich wirklich intensiv damit auseinandersetzen, das Stück fast 100 Mal hören und es auseinandernehmen. Den Song habe ich sehr emotional eingesungen und da war dann Gesangstechnik, Atemtechnik und Textverständnis alles zweitrangig, denn in diesem Song geht es wirklich nur um Emotionen. Wenn man den Film dazu gesehen hat weiß man um was es geht. Dann habe ich eine Pilotspur eingesungen, also den Song einmal durch, damit die Musiker ihre Instrumente einstimmen können. Danach hab ich natürlich noch diverse Mal neu eingesungen, damit alles pikobello ist vom Gesang her. Dennoch hab ich mir den Piloten später noch einmal angehört und dann sind wir schnell dahinter gekommen, dass bei diesem Song die Emotionen im Vordergrund stehen und es egal ist ob jede Note genau getroffen wird oder der Text überall wortgenau eingehalten wird. Und ich glaube als „The Boss“ Bruce Springsteen diesen Song damals eingesungen hat war es genauso. Wir haben dann auch seine Freigabe bekommen und das ist etwas, worauf ich sehr stolz bin.

MR: Bekanntlich bist du ja auch ein großer Madonna-Fan. Warum hast du dich nicht dazu entschlossen einen ihrer Songs zu interpretieren? Stand diese Idee überhaupt im Raum für dich?

LK: Ja, ich bin wirklich ein großer Fan. Aber ein Cover von ihr stand nicht wirklich zur Diskussion. Ich habe jahrelang ihre Lieder auswendig gelernt und hatte zeitweise sogar denselben Haarschnitt *lacht*. Mittlerweile sehe ich Madonna eher als Karrierefrau und Mutter. Es ist unglaublich was diese Frau alles drauf hat. Ihre letzte Platte fand ich nicht so absolut gelungen, aber ich verstehe trotzdem was sie damit meint. Ich sehe sie in erster Linie als eine Frau, die verdammt viel geschafft hat.

 

MR: Somit hast du dich in gewisser Weise aus Respekt anderweitig umgesehen?

LK: Genau so ist es.

MR: Du hast sehr lang an diesem Album gearbeitet, die Songs sind ja nicht alle erst vor 2 Monaten entstanden. Da ist doch sicher ein Song auf dem Album, den du schon lange Zeit in der Hinterhand hast.

LK: Ja genau. „My Revelation“ und „You take me Higher“ sind zum Beispiel Stücke, die schon länger existieren. Aber irgendwie waren diese Stücke für mich noch nicht so richtig fertig und ich habe mir dann überlegt ‚Soll ich diesen Titeln noch mal eine Chance geben?’. Und da hat es dann auch sehr geholfen, dass wir Musiker von außen geholt haben, die in erster Linie für die ganzen exotischen Instrumente verpflichtet wurden. Sie haben dann aber gesagt ‚Hey, lasst uns da doch mal dies probieren oder das versuchen’ und so sind die Stücke dann doch aufs Album gekommen.

MR: Damit hast du mir meine nächste Frage schon ein bisschen vorweg genommen. Auf „Enter my Religion“ ist es auffällig, dass ihr teilweise sehr exotische Instrumente verwendet habt und die Titel teilweise sehr speziell klingen. Wolltest du auf jeden Fall ein Album machen, dass anders klingt und nicht wie Songs, die jeder schon hundertfach gehört hat?

 

LK: Genau richtig. Ich wollte kein glattgebügeltes Album produzieren. Ich habe mich in den acht Jahren seit meinem ersten Soloalbum natürlich entwickelt und meine Erfahrungen gemacht. Ich bin an einem Punkt wo ich bei allem soweit es geht dabei sein möchte. Ich kann meine eigenen Texte schreiben, im eigenen Studio aufnehmen und das letzte Wort liegt auch in meiner Hand. Das war vor acht Jahren bei „Deus Ex Machina“ anders. Damals gab es einen Produzenten, einen Texter und ein Tonstudio. Ich hatte nur pünktlich zu sein und meine Parts einzusingen. Auf meiner Stirn klebte offensichtlich ein Dollarzeichen, aber das habe ich unglücklicherweise erst spät gemerkt. Dass es eine Person hinter dieser Stimme gibt, eine Persönlichkeit mit eigenen Ideen und Wünschen, das wurde einfach nicht wahrgenommen. Das fand ich sehr schade und habe mich dann dagegen gewehrt. Das Ganze ging dann leider auch vor Gericht und es hat Jahre gedauert bis ich meine Rechte und meine Freiheit wieder hatte. Das ist auch der Grund warum zwischen diesen beiden Alben acht lange Jahre liegen. Ich habe meine Erfahrungen gemacht und auch die schlechten haben mir geholfen, denn ich habe daraus gelernt. Und heute stehe ich genau da, wo ich stehen möchte.

MR: Kann man den Albumtitel eigentlich wörtlich nehmen und als Statement auffassen, dass die Musik für dich eine Art Religion bzw. Religionsersatz ist?

LK: Ich glaube „Enter my Religion“ hat nicht mit Gott, Buddha, Christ sein oder so zu tun, sondern für mich ist Religion alles woran jemand glaubt. Und an was glaubt man? Man glaubt normalerweise an sich, sein Leben und alles was einen umgibt – das Leben ist einfach vielseitig. Für mich ist mein Leben meine Religion. Das was ich glaube, ist das, was ich lebe. Vielleicht ist das Wort „Religion“ im Titel etwas provokant, aber das war natürlich nicht so geplant. Es steht viel eher für eine Einladung in meine persönliche Welt. Es geht um Träume, Erlebnisse und Wünsche und vielleicht kann ich mit meinen Songs auch ein paar gute Ratschläge geben. Für den Text des gleichnamigen Songs habe ich gerade mal 5 Minuten gebraucht, die Ideen kamen wie der Blitz *lacht* . Und da habe ich gleich gesagt, dass wir das Album auch so nennen werden.

MR: Wie sieht eigentlich deine Liveplanung zu deinem Soloalbum aus? Ende letzten Jahres habt ihr ausgiebig mit Subway to Sally getourt, im April geht es nach Südamerika und noch kurz ins europäische Ausland. Dann fangen auch schon die Festivals an. Da wird die Zeit knapp.

LK: Ja, ich muss mein Jahr wieder sehr strikt durchplanen. Aber ich werde definitiv auf Solotour gehen. Momentan sind wir noch am schauen ob wir lieber eine größere Tour spielen, in großen Hallen, aber als Support oder ob wir kleine Clubs für 200 Leute spielen, sprich eine familiäre, kleine Headlinertour. Das Ganze soll wahrscheinlich eher im März stattfinden, aber wie gesagt liegen da die Verhandlungen noch in den letzten Zügen. (Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Interviews steht fest, dass Liv Kristine erst Ende Mai ihre Solotour bestreiten wird. Die Termine findet ihr in unserem Forum, Anm. d. Aut.)

 

MR: Steht schon fest welche Musiker dich begleiten werden? Die komplette Leaves’ Eyes / Atrocity-Besetzung wir wohl eher nicht erforderlich sein.

LK: Nein, da hast du recht. Ich werde nur 2 von den Jungs dabei haben. Das ist zum einen der Moritz (Neuner, Anm. d. Aut.) am Schlagzeug und einer unserer Gitarristen wird mich ebenfalls begleiten. Alex wird nicht mitkommen, denn er muss sich um das Studio kümmern. Er arbeitet in der Zeit mit Elis an ihrem neuen Album und außerdem geht für die Verbliebenen die Arbeit am „Werk 80“ Nachfolger weiter. Und er muss natürlich auch Papa sein *lacht*.

MR: Wie erging es dir eigentlich nach Tarjas Rauswurf bei Nightwish? In der finnischen Presse wurdest du ja schon als neue Sängerin gefeiert. Überhaupt haben sich in Finnland die wildesten Spekulationen ergeben.

LK: Das ist allerdings richtig. Zum Zeitpunkt des Rauswurfs war ich in Amerika und als ich zurück kam sah ich, was auf unserer Homepage los war und prompt rief abends die finnische Abendpresse an und erzählte mir, dass ich die neue Sängerin von Nightwish sei.

MR: Dann ist es ja gut, dass dir das auch mal jemand sagt.

LK: Genau und kurz darauf riefen auch schon meine Eltern an und wollten wissen was denn hier bei uns los sei. Ich bin sowohl mit Tarja als auch Tuomas und Marco gut befreundet und Tarja hat mich dann auch noch angerufen und mir ihre Glückwünsche überbracht. Aber bis heute hat mich noch niemand von der Band oder dem Management wirklich gefragt und ich halte das Ganze auch nur für ein Gerücht. Schon allein, weil ich meinen Weg bereits gefunden habe mit Leaves’ Eyes und meinem Soloprojekt. Und ich bin schließlich auch noch Mutter. Für mich ist im Moment alles perfekt so wie es ist und ich habe auch noch gar nicht darüber nachgedacht was ich machen würde, wenn die Frage wirklich käme.

 

MR: Cradle of Filth hingegen haben dich gefragt ob du noch mal ein Duett mit ihnen machen wirst und du hast zugesagt. Deren neues Album soll im Sommer erscheinen und im Herbst wird dann sicherlich gleich eine Tour folgen. Wäre es da nicht interessant zu versuchen mit Leaves’ Eyes einen Support-Slot zu bekommen? Schon allein weil ihr dann „Nymphetamine“ und das kommende Duett live umsetzten könntet und diese Reise euch in große Hallen in ganz Europa führen würde. Oder bist du der Auffassung dass Leaves’ Eyes es schwer hätten, weil Cradle einfach auch ein anderes Publikum haben?

LK: Da liegst du richtig. Die Jungs werden zu uns ins Studio kommen und wir werden ein weiteres Duett einspielen. Aber was Genaueres darf ich jetzt noch nicht verraten. Und eine gemeinsame Tour wäre absolut eine tolle Sache und wenn sich die Möglichkeit ergäbe, würde ich es sehr sehr gern machen. Letztes Jahr sind wir mit Subway to Sally getourt, die auch ein anderes Publikum haben und die Tour ist wirklich hervorragend gelaufen. Die meisten Shows waren ausverkauft und auch wenn ein paar Leute wegen uns da waren, so war es in erster Linie natürlich das Publikum von Subway to Sally. Wir konnten dennoch ein paar neue Fans gewinnen und sind auch sonst sehr zufrieden mit der Tour. Heutzutage sind die Leute etwas aufgeschlossener und hören z.B. auch nebenher etwas Klassik oder kaufen sich hier und da mal eine Pop-Platte. Das ist doch auch völlig okay. Vor zehn Jahren war das noch anders, damals hieß es ‚Ich höre nur Black Metal! Und Gothic Metal ist nur was für Frauen’. *lacht* Atrocity haben dann ja auch die Scheibe „Die Liebe“ zusammen mit Das Ich gemacht und dann auch noch Theatre of Tragedy mit auf Tour genommen. Das war schon mutig. Tja, damals gab es auch noch oft diese „Ausziehen, Ausziehen“-Rufe, aber das gibt es heute zum Glück nicht mehr.

Interview + Ausarbeitung: Markus Rutten – www.sounds2move.de

Homepage LIV KRISTINE: www.livkristine.de
Photos: Kai Joachim