Interview mit BJÖRN GELOTTE von IN FLAMES

Markus: Euer neues Album sollte laut Anders (Friden, Sänger von In Flames, Anm. d. Aut.) erst auf den Namen „Crawl through Knives“ hören, jetzt heißt es aber doch „Come Clarity“. Wie kam es dazu, dass ihr euch noch mal umentschieden habt?

Björn: „Crawl through Knives“ war der erste Song, der überhaupt fertig gestellt wurde und auch einer der ersten, die einen festen Titel hatten. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass man einen Namen braucht wenn ein neues Album entsteht, damit alle wissen um was es geht und man sich in gewisser Weise auch daran gewöhnen kann. Dieser Titel symbolisiert, dass man nicht aufgeben soll und immer für etwas kämpfen muss. Aber als die Musik fertig aufgenommen war und auch alle Texte niedergeschrieben waren erkannte man erst den Flow, den die Song haben und den Spirit, den sie versprühen. „Come Clarity“ war einfach repräsentativer für das Album und seinen Vibe. Es verdeutlicht wofür man eigentlich gearbeitet hast und wir alle haben gesagt ‚Ja, das ist es’. Wir haben die letzten beiden Jahren hart gearbeitet und viel live gespielt, erst als Headliner und dann 2005 als Support und anschließend das Album gemacht.

M: Also ist der Titel in erster Linie auch ein Statement, das zeigen soll wo In Flames anno 2006 stehen und welchen Weg ihr zukünftig gehen werdet?

 

B: Ja, definitiv. Jedes unserer Alben ist immer eine aktuelle Momentaufnahme der Band und das gilt besonders für das neue Album. Dieses Album steht in gewisser Weise für unsere gesamte Karriere, vom ersten Tag bis heute. Alle bisherigen Alben haben ihren Teil zu „Come Clarity“ beigetragen und den Sound und die Songs definiert. Das Album ist also nicht nur eine Bestandaufnahme sondern auch eine Retrospektive.

M: Für den Song „Dead End“ habt ihr mit der schwedischen Singer-Songwriterin Lisa Miskovsky zusammengearbeitet. Keine alltägliche Kooperation, weil sie eigentlich komplett andere Musik macht als es In Flames tun. Wie seid ihr mit ihr zusammen gekommen?

B: Wie du richtig recherchiert hast ist sie eigentlich eine reine Singer-Songwriterin und damit meilenweit von der Musik entfernt welche In Flames machen. Aber wir hörten immer wieder von Freunden, dass sie privat auf Metal steht und besonders auf In Flames. Das hat uns sehr überrascht, aber wir fanden das ziemlich cool. Dann haben wir uns gedacht, dass wir vielleicht mal was mit ihr zusammen machen könnten, vielleicht einen Akustik-Song für sie schreiben oder etwas in der Art. Als wir sie dann getroffen haben verstanden wir uns ziemlich gut und dann kamen wir auf die Idee, dass sie auch einen der aggressiven, schnellen und harten In Flames Song singen könnte. Auch wenn das natürlich etwas komplett Neues für sie war. Aber so haben wir es dann gemacht und ihre schöne, kraftvolle Stimme harmoniert sehr gut mit Anders’ wütenden Screams.

M: So etwas ist natürlich immer interessant zu sehen, wenn Musiker aus eigentlich verschiedenen musikalischen Richtung zusammen etwas machen, das dann auch so überzeugend funktioniert.

B: Vollkommen richtig. Das habe wir in der Vergangenheit auch schon getan als wir zum Beispiel Sachen gecovert haben, die eigentlich eine völlig andere Baustelle waren. Das hat super funktioniert. So etwas ist immer ein sehr interessantes Experiment und wir hätten selbst nicht erwartet dass es letztendlich so gut funktionieren wird.

M: Werden denn außer Lisa noch andere Gäste auf „Come Clarity“ zu hören sein?

B: Hm... Nein, dieses Mal nicht. Wir haben ein paar Pläne für einige Leute, die wir gerne Mal dabei hätten – für Solos oder etwas in dieser Richtung. Aber bisher gab es keinen Grund dafür und es fehlte auf „Come Clarity“ auch der gewisse Rahmen für solche Sachen. Das Album klingt einfach „fertig“ für uns so wie es jetzt ist und wir wollten auch nicht gezwungen viel reinstecken, was nicht notwendig war.

M: Zu „Take this Life“ habt ihr kürzlich einen Clip gedreht. Kannst du diesbezüglich schon Details nennen oder ist das Ganze noch in der Mache?

 

B: Details zum fertigen Clip kann ich dir im Moment leider noch nicht nennen, aber inhaltlich geht es um die soziale Realität. Die Aussage ist erst einmal „Das Leben ist Scheiße“ und zieht einen runter. Dann wird daraus aber ein Hilferuf und es geht darum sich selbst aufzurütteln um weiter zu machen und aus dieser Situation herauszukommen und nicht aufzugeben. Das symbolisiert auch der Song an sich. Man soll stark sein und warten bis seine Zeit gekommen ist. Denn es wird immer eine Chance geben.

M: Wird es zu dem Song eigentlich auch eine richtige Single geben wie vor zwei Jahren mit „The Quite Place“? Oder ist das Video in erster Linie als Werbung für euer Album gedacht?

B: Um ehrlich zu sein weiß ich gar nicht genau was die Plattenfirma vor hat. Aber das kann passieren. Und „Take this Life“ ist auch gut dafür geeignet, denn er ist einer der schnellsten Songs die wir je geschrieben haben und gleichzeitig funktioniert er auch sehr gut, weil er einen wirklich catchy Refrain hat. Es wäre eine gute Sache, aber normalerweise machen wir einen Clip primär um ein bisschen Werbung für unsere Alben zu machen. Wir werden sehen.

M: Wenn ich mir das Album im Gesamten anhöre, habe ich den Eindruck, dass man zu Beginn einen recht leichten Einstieg bekommt, was bei „Soundtrack to your Escape“ nicht unbedingt der Fall war. Dieses Album war verhältnismäßig düster, ein bisschen progressiv, sperrig und nicht so leicht greifbar. War es euch wichtig dieses Mal eine Platte zu machen, die es dem Hörer nicht so schwer macht?

 

B: Also hauptsächlich wollten wir für die Songs wieder einen fetten Chorus haben, was ja schon bei „Soundtrack“ der Fall war. Ich denke das ist uns gelungen. Wir haben aber nicht gesagt die Songs sollen eingängiger oder melodiöser werden. In erster Linie wollten wir den Schwerpunkt von „Come Clarity“ mehr auf die Gitarrenmelodien und die Gitarren an sich legen. Das war schon immer ein wichtiger Aspekt von In Flames, nur haben wir das beim letzten Album etwas zurückgestellt. Wir wollten also keine „leichte Kost“ bieten, sondern haben das gemacht was wir eigentlich schon immer getan haben.

M: Und ihr habt im Vergleich zum Vorgänger mehr aufs Tempo gedrückt.

B: Auf jeden Fall. Das war auch eine Sache, die uns sehr wichtig war. Teilweise haben wir im Proberaum gesessen und uns gegenseitig angefeuert: ‚Schneller, noch schneller, schneller... Ja! Jetzt ist es perfekt’ *lacht*. Erst als wir es kaum noch spielen konnten waren wir zufrieden. Das verleiht den Songs diese gewisse Energie. Nur irgendwann erreicht man halt auch seine Grenzen und dann muss man es auch gut sein lassen.

M: Ihr seid in den letzten Monaten verstärkt durch die USA getourt, beispielsweise mit dem Ozzfest. Glaubst du, dass der Aufenthalt dort sich in irgendeiner Weise hörbar auf den Sound eures neuen Albums ausgewirkt hat?

B: Nein, das kann ich glaube ich guten Gewissens ausschließen. Wir haben die Musik so gemacht, wie wir es immer getan haben. Das heißt ich und Jesper (Strömblad, ebenfalls Gitarrist bei In Flames, Anm. d. Aut.) haben uns mit unseren Gitarren und ein paar Six-Packs ausgestattet, zusammengesetzt und dann Melodien und Song-Fragmente entworfen und zusammengefügt. Aber was sich in der Tat im Vergleich zu früher geändert hat ist, dass wir heutzutage ein stärkeres Augenmerk auf die Produktion und die Arrangements haben. Wenn du auf Tour bist, dann lernst du unheimlich viel über deine Songs und machst dir beim Komponieren auch Gedanken, ob du die Songs auch zu 100% live spielen kannst. Darüber haben wir uns früher kaum Gedanken gemacht, als wir Alben wie „The Jester Race“ oder „Whoracle“ gemacht haben. Und das ist auch der Grund dafür, dass wir die meisten Songs aus dieser Zeit heute kaum mehr live spielen. Sie funktionieren einfach nicht auf diese Art und vor allem nicht so gut wie die jüngeren Stücke. Das ist eigentlich eine ganz einfache Lektion, die du aber nur lernst wenn du live spielst.

 

M: Ihr werdet im März und April dann auch durch Europa touren und habt für diese Shows Sepultura ins Boot geholt, was ein heißer Tanz zu werden verspricht. Nach einem solchen Package lecken sich viele Fans sicher schon die Finger. Habt ihr die Jungs persönlich eingeladen mit euch Europa heimzusuchen?

B: Ja, wir haben das selbst gemacht. Wir wollten unbedingt mit ihnen touren. Es ist interessant zu sehen wie diese beiden Bands den Leuten einheizen und sicher wird es auch spannend ihnen auf die Finger zu schauen. Wir sind große Fans von Sepultura und es ist uns eine Ehre, dass sie mit uns auf die Reise gehen wollen. Das ist ein „Kick-Ass-Package“ vom feinsten. *lacht*

M: Da wird sicher noch mindestens eine weitere Band dazu kommen müssen, die allabendlich eröffnet. Eigentlich kann diese Band einem schon jetzt leid tun *lacht*

B: *lacht* Oh ja, da hast du wohl recht. Sepultura werden wohl kaum als erste Band auf die Bühne steigen. Ich denke es werden noch 2 Bands dazu kommen, die eröffnen. Aber da ist noch nichts gebucht. Und Sepultura haben genau das gleiche Problem wie wir wenn es darum geht nur ein kurzes Set zu spielen. So ging es uns auf dem Ozzfest. Weißt du wie lang wir da Zeit hatten? Zwanzig Minuten. Wie soll man sieben Alben in nur zwanzig Minuten quetschen? Das ist unmöglich. Zum Glück haben wir dieses Problem auf unserer eigenen Tour nicht.

 

M: Und wie habt ihr diese kurze Zeit beim Ozzfest dann letztendlich gestaltet?

B: Das war ein ganz neues Publikum für uns und wir wussten zuerst auch nicht was wir am besten spielen sollten. So beschränkten wir uns dann letzten Endes auf jüngeres Material. Wir haben „Pinball Map“ vom „Clayman“-Album, „Cloud Connected“ von „Reroute to Remain“ und “A Touch of Red”, “My sweet Shadow” und “The Quite Place” von “Soundtrack to your Escape” gespielt, also nur Stücke der letzten drei Platten. Tja und das war es dann auch schon, 5 Songs und fertig. *lacht* Die waren da rigoros und kennen keine Grade.

M: Wenigstens wurdet ihr nicht schikaniert und mit Eiern beworfen wie Iron Maiden. Hast du die Geschehnisse mit ansehen können?

B: Oh man, das ist verabscheuungswürdig! Wir waren natürlich da, aber ich persönlich habe es nicht gesehen. Ein enger Freund von uns, der auch unser Fotograf ist, hat es gesehen. Er war zu diesem Zeitpunkt als einziger noch im Photograben und war somit ganz nah am Geschehen. Übrigens sind es seine Bilder, die jetzt überall im Internet und in den Magazinen zu sehen sind. Das ist wirklich eine traurige Geschichte, die zeigt, dass Sharon Osbourne denkt sie könne nahezu alles tun und würde ungestraft davon kommen. So etwas macht man einfach nicht, denn wir sind nicht im Kindergarten. Was soll das?

M: Und so etwas macht man erst recht nicht mit einer Band wie Iron Maiden.

B: Da hast du verdammt recht. Die Leute haben außerdem teure Tickets für diese Show gekauft und Iron Maiden waren zudem der Headliner des Abends, alle sind wegen ihnen gekommen. Black Sabbath waren eigentlich nur der Rausschmeißer und haben als allerletzte Band gespielt. Es ist auch nicht bei den Eiern geblieben. Maiden wurde mehrmals die PA abgedreht, Personen sind während dem Set auf der Bühne herumgerannt und lauter solche scheiße. Denk nur an die vielen Leute, die diese teuren Karten nur gekauft haben um ihre Helden Iron Maiden zu sehen – die sind regelrecht verarscht worden. Ein echtes Armutszeugnis.

M: In Flames sind bekanntlich auch Helden für viele jüngere Bands. Zumindest ist die Zahl derer, die euch als einen ihrer Haupteinflüsse nennen nicht eben gering. So etwas erwartet man wohl kaum, wenn man anfängt Musik zu machen, oder?

B: Nein, definitiv nicht *lacht* . Aber jeder fängt an Musik zu machen, weil ihn eine Band dazu inspiriert hat. Man hat irgendetwas gehört und das bringt dich dazu auch ein Instrument in die Hand zu nehmen. Ich meine niemand fängt an und sagt ‚Eines Tages bin ich auch einer von diesen Typen, die alle anhimmeln’. Am Anfang möchtest du einfach sein wie deine Idole, denn sie kriegen alle Mädels, haben viele tolle Songs geschrieben und stehen vor Tausenden von Leuten auf der Bühne. Und wenn die Leute irgendwann so etwas über dich sagen... Dann fühlst du dich erst einmal verdammt alt *lacht*. Aber okey, wir machen das jetzt auch schon ein paar Jahre lang und man hat so viel in die Band rein gesteckt und investiert, da ist es toll wenn du etwas zurück bekommst. Das wichtigste an der Sache ist, dass die Leute versuchen es uns gleich zu tun und die Inspiration nutzen um diese Einflüsse vielleicht mit etwas komplett anderem zu verbinden und so etwas neues zu schaffen. Eine neue Band oder einen neuen Stil oder was auch immer. Das haben wir auch getan und es ist cool, wenn Leute aus verschiedenen Sachen ihre eigene Identität entwickeln. Dann erst bin ich sicher, dass wir etwas wirklich großartiges geschaffen haben, denn alles andere wären Coverbands wenn du verstehst was ich meine. Und davon gibt es Unzählige.

M: Und warum sind deiner Meinung nach ausgerechnet In Flames eine so einflussreiche Band geworden, an der sich so viele orientieren?

B: Das ist wirklich schwer einzuschätzen. Aber ich vermute es ist nicht nur wegen der Melodien oder der klassischen Riffs oder der Aggression. Es ist ein Mix aus all diesen Sachen plus der Art und Weise wie wir über Musik denken. Wir haben viele Freiräume in unserem Schaffen und müssen nicht in eine extreme Richtung gehen. Aber wir können es eben tun - und gleichzeitig einen Song wie „Evil in a closet“ oder ein Depeche Mode Cover machen. All diese Sachen können wir nur umsetzen, weil wir uns niemals festgelegt haben. Wir genießen eine künstlerische Freiheit, die Bands wie AC/DC oder Iron Maiden vielleicht nicht mehr haben, weil sie ihren Sound einfach gefunden haben und auch dabei bleiben. Meiner Meinung nach können wir uns jederzeit verändern und ich schätze viele junge Musiker möchten auch einmal solche Freiheiten genießen und einfach etwas anderes machen als die meisten Formationen.

Interview + Ausarbeitung: Markus Rutten - www.sounds2move.de / 01.2006

Homepage: www.inflames.com