Interview mit Karina von GIFTIG

MR: Die deutsche Radiolandschaft hat zuletzt vermehrt zu deutschsprachiger Musik zurück gefunden. Glaubst du, dass Giftig sich berechtigte Hoffnungen machen können, dort eine Plattform zu finden? Vielleicht nicht gerade mit einem Song wie „Lautlos“, aber „Bis ans Ende der Welt“ wäre zum Beispiel eine Nummer, mit der auch das „Easy-Listening-Publikum“ zu Recht kommen würde.

Karina: Auf jeden Fall! Ich bin der Meinung, dass auf unserem Album für „fast jeden“, der mit Rockmusik was anfangen kann, was dabei ist! Dennoch klingt es immer nach GIFTIG, egal, ob es nun eine Ballade, wie " Bis ans Ende der Welt " oder ein "Rocker" wie „Lautlos“ ist. Das alles sind wir. Natürlich gebe ich zu, dass "Bis ans Ende der Welt" auch viele Zuhörerherzen erweichen würde, die nicht nur auf "Rock" geeicht sind! Ist ja auch einfach ein schöner, wenn auch sehr trauriger Song. Wir freuen uns über JEDEN neuen Zuhörer, denn man macht doch Musik, um gehört zu werden…

MR: Mit eurem Album (VÖ 13.01.2006, Anm. d. Aut.) werdet ihr sicher für eine Gewisse Aufmerksamkeit sorgen können. Habt ihr Angst, vom Publikum, das euch vielleicht noch nicht kennt (weil es sich nicht mit Newcomern oder dem Underground beschäftigt) als „Die härtere Version von Silbermond“ oder etwas in dieser Art abgetan zu werden? Auch wenn das oberflächlich und in meinen Augen falsch ist – ihr wisst, dass die Leute gerade neue Bands gern in Schubladen stecken.

K: Dann müssen sie uns aber noch kennen lernen …Klar mögen es die Leute, Bands in Schubladen zu stecken, vor allem dann, wenn sie neu herauskommen! Manchmal hab ich das Gefühl, die Leute denken, wenn ne Band neu rauskommt, die Band wäre grad erst „geschlüpft“. Doch wie die Band entstand, vor allem wie lange es sie schon gibt, und wie lange sie „ihren Sound“ schon machen, da denkt kaum jemand drüber nach. Das mit den „Schubladen“ gefällt mir eh nicht. Das klingt so negativ… besser gefällt mir, wenn die Leute Bands oder Sounds "vergleichen"…. denn das muss nicht unbedingt negativ sein…
SILBERMOND sind sehr erfolgreich, und ich wünschte, es würde MEHR solcher Musik im Radio laufen, statt der immergleichen Pop-Clones… mit einer so renommierten Band verglichen zu werden, zeigt immerhin, dass die Leute uns ernst nehmen. Musikalisch sehe ich uns auch nicht so sehr ähnlich.  Wir wurden schon fast mit jeder Band verglichen, die eine Frau am Mikro hat und Gitarren-Sound macht…

 

MR: Wo würdet ihr persönlich eure Musik einordnen, wenn ihr es müsstet? Klar will sich niemand kategorisieren lassen, aber welcher musikalische Aspekt ist bei Giftig deiner Meinung nach am gewichtigsten?

K: Da  wären wir eigentlich wieder beim vergleichen. Nun gut, ich würde sagen, dass wir Leuten gefallen würden, die auch Evanescence oder Linkin Park mögen. Und deutsche Texte. Es gibt eine Menge Leute, die uns gar nicht als "hart" empfinden, weil sie die Texte so sehr mögen, dass sie selbst die harten Passagen der Musik nicht als "aggressiv" empfinden. Das finde ich gut, denn wir wollen zwar "phatt" klingen, aber nicht plump und gewollt böse.  Abgesehen von unserem „Giftigsound“ aus verzerrten Gitarren, den Keys & Scratches, finde ich nämlich die Gesangsmelodien, die sehr eingängig sind, und den Inhalt der Texte sehr wichtig und prägend für GIFTIG! Im englischen kann man wirklich fast alles singen, egal, welchen Sinn die Texte haben, es klingt eigentlich (vor allem anscheinend für deutsche Ohren) immer gut… doch würde man manche Texte auf deutsch übersetzen… oh, oh... ! Bei deutschsprachiger Musik hören die Leute hier automatisch auch sofort auf den Text und deshalb muss man aufpassen, dass es sich nicht nach Schlager anhört, gerade wenn man wie ich oft über zwischenmenschliche und sehr persönliche Themen schreibt und singt.

MR: Was sind eure musikalischen Haupteinflüsse?

K: Wir versuchen, keine Einflüsse absichtlich in unsere Songs einfließen zu lassen, aber eine Band klingt immer auch ein wenig wie die Summe der Lieblingsbands der einzelnen Bandmitglieder, oder? J Zum Glück stehen wir auf viele verschiedene Styles… Jojo kommt z.B. aus dem Hardcore, ich mag Alternative und Metal, Dirk mag Metal, aber teilweise auch sehr poppige Bands und Musiker wie z.B. selbst Xavier Naidoo… Paul mag Metal aber auch Soul & Funk… da ist für alle was dabei, und das hört man unserem Album an. ROCK ist der rote Faden, und wir kombinieren die Tracks mit Elementen aus ALLEM, was uns gefällt und uns passend erscheint… bis der Song GIFTIG genug klingt. 

 

 

MR: Ihr habt mit Frank Bornemann (u.a. Guano Apes) und Dirk Riegner (u.a. Him, Oomph!) ein erfahrenes Team für die Produktion eurer Songs an der Hand. Wie groß ist ihr Anteil am Giftig-Sound 2005/2006?

Der Dirk Riegner hat unseren "Fallen Angel"-Remix gemacht und wird uns hoffentlich auch weiterhin unterstützen! Vor allem mit Loops, etc. Frank Bornemann hat uns seit 2 Jahren stets beraten und den Kontakt zu Dirk hergestellt. Mit den beiden haben wir auch durchaus bewusst vor der Produktion über den Sound gesprochen, den wir mit dem Album erreichen wollten. ABER: unser Gitarrist Dirk U. hat unsere Platte komplett produziert, und wir durften für DELTA das Album aufnehmen, ohne dass uns irgend jemand Vorgaben gemacht hat. Es hat also im Studio niemand außer uns selbst entschieden, welchen Sounds wir aufnehmen. Die Mixe der ersten 10 Songs von "10.000 Worte" hat dann Uli Baronowsky für uns gemacht, und darüber sind wir echt froh, denn so war gewährleistet, dass wir auch "objektiven" Input von außen in die CD bekommen…  die anderen Songs hat "unser" Dirk dann im Brainrox Studio (www.brainrox.de) gemixt, wo wir alles aufgenommen haben, und auch diese Titel klingen so, wie ich mir GIFTIG immer vorgestellt habe … "unser" Dirk hat bereits mit einer Menge nationaler und auch mit einigen US-Bands gearbeitet, so dass wir als Band stets unsere eigene kleine "Hit-Fabrik" darstellen. J Jojo und ich sind auch IMMER mit an der Front, wenn gemixt wird… Wir arbeiten aber trotzdem gerne im Team mit anderen Leuten außerhalb der Band, und zum Glück können wir mit Leuten arbeiten, die wir sehr respektieren und denen wir vertrauen. Wir mussten (fast) alles selber machen, aber uns wurde dafür auch kein "Produzent vorgesetzt", mit dem wir kämpfen mussten, um unser Ding zu machen…

MR: Nach welchen Kriterien habt ihr die Single "Fallen Angel" (bereits erschienen, Anm. d. Aut.) ausgewählt? Warum ist die Wahl letzten Endes auf „Fallen Angel“ gefallen?

K: Weil die Publikumsreaktion, vor allem auf diesen Song, unglaublich positiv war/ist! Er ist einer der "Faves" der Band… und alle beteiligten Firmen (Verlag, Vertrieb, etc.) wollten ebenfalls FA, denn er ist einprägsam und präsentiert SEHR gut, was GIFTIG ausmacht. Er rockt… Auf der CD sind bestimmt noch 2 oder 3 potentielle Singles.

MR: Bei „Befrei meine Seele“ arbeitest du viel mit dem so genannten Vibrato. Nutzt du diese Gesangstechnik prinzipiell gern oder hast du da im Sinne des Songs gehandelt? Oder liegt dieser Effekt einfach an der Produktion?

K: Mit der Produktion oder dem Mix hat mein Vibrato nix zu tun! Wenn ich ehrlich bin, ist mir das gar nicht so aufgefallen, dass ich ihn hauptsächlich bei "Befrei meine Seele) eingesetzt habe…. Und ich tue es nicht mit Absicht! Wenn ich singe, dann fühle ich die Musik und lebe sozusagen in dem Moment den Inhalt des Textes, d.h. ich singe es mit dem entsprechenden Gefühl…. und da kommt auch schon mal das Vibrato durch J Es ist eine Art, meinen Gesang auszudrücken. Ich variiere gerne meine Stimme, so wie ein Gitarrist ja auch verschiedene Sounds bei verschiedenen Songs benutzt.

MR: JoJo hat eine Rolle in der TV Serie Abschlussklasse 04 / 05 gehabt. Hat sich seine gesteigerte Popularität bisher merklich auf Giftig ausgewirkt?

K: Jojo wird dauernd erkannt und angesprochen. Egal, wo wir sind, die Kiddis sind schon da!
Klar drückt er ihnen eine GIFTIG-Karte mit unserer Homepageadresse in die Hand! Das hat auf jeden Fall ein paar Vorteile! Aber trotz der derzeitigen Wiederholung der Serie auf VIVA (2x täglich) ist das kein Freischein für uns zum Ruhm. Wir wollen auch durchaus lieber als ernstzunehmende Rockband angesehen werden, als in die Casting-Ecke gedrückt zu werden…

MR: Bei der PopAkademie BW seit ihr 2004 ins Finale eingezogen. In wiefern hat euch die Zusammenarbeit mit der Pop Akademie effektiv etwas gebracht? Würdet ihr anderen Bands auch zu diesem Schritt raten?

K: Die PopAkademie war zu DEM Zeitpunkt gut für uns, ein weiterer Gradmesser, und auch eine Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen. Aber man darf als junge Band nicht zuuu viel von so einem Wettbewerb erwarten. Die Jury wählte uns, konnte uns aber auch nicht DEN Deal besorgen, da die Plattenfirmen schon selber entscheiden, was sie signen… aber die Labels sehen, dass man engagiert ist, wenn man immer wieder auf solchen "Plattformen" auftaucht, und unterm Strich kann das helfen, einen A&R zu überzeugen. Auf jeden Fall  sind wir stolz im Finale dabei gewesen zu sein, denn es waren einige andere gute und interessante Bands dabei.

 

MR: Euer Song „Drowning“ war auf dem All-Freaks Sampler zu finden und wurde dadurch recht populär. Zudem hat er euch zusätzlich ins Gespräch gebracht, da er einfach ein echter Ohrwurm ist. Warum habt ihr ihn nicht mit auf das Album genommen? Wolltet ihr  nur unveröffentlichte Songs auf „10.000 Worte“ haben oder gab es andere Gründe?

K: Wir konnten nicht alle Songs aufs Album nehmen, die wir haben, also mussten wir eine Auswahl treffen, die zusammen homogen klingt. Und unser "Business-Umfeld" wollte gerne völlig unveröffentlichte Songs haben, es sind also zum Teil auch schon in diesem frühen Stadium einer Band solche Aspekte abzuwägen. Wir hoffen (und glauben!) aber,  dass Drowning & einige andere Songs, die nicht auf unserem Debüt-Album drauf sein können, aufs zweite Album kommen könnten, denn es sind in der Tat aus den 5 Jahren GIFTIG schon einige Songs "im Kasten", die wir als nicht schlechter empfinden als die Album-Tracks von 10KW.

MR: Es gibt einige andere, ebenfalls talentierte und aufstrebende deutsche Bands. Genannt seien zum Beispiel Karma. Connect, Redeema, Novokain oder Absent for a Week. Gibt es eine Band im sogenannten „Untergrund“, die deiner Meinung nach überfällig für den großen Wurf ist?

K: TWANGER aus Langenfeld ist eine wirklich gute Band, die neulich mit unserem Dirk ein paar sehr coole Vorproduktionen aufgenommen haben. Die waren auch schon auf einem Brainstorm-Sampler (Irgendwo in Deutschland). Und natürlich unsere "Buddies", die BROILERS aus Düsseldorf. Punk mit Witz und Melodie, und echte Typen… J Die sind in "ihrer" Szene schon Kult, hätten aber das Zeug, auch größere Kreise zu ziehen…

 

MR: Stand es für euch eigentlich jemals zur Debatte eure Texte statt auf Deutsch (mit wenigen englischen Farbspritzern) in englischer Sprache zu verfassen?

K: Nein, weil es mir sehr wichtig ist, dass das deutsche Publikum versteht, was ich ihnen mit den Texten sagen will! Und weil die Texte so persönlich sind, dass ich sie in MEINER Sprache am besten ausdrücken kann.

MR: Die Informationen auf eurer Homepage zu euch und vor allem zu den einzelnen Bandmitgliedern sind momentan ziemlich mau. Sicher habt ihr da noch verschiedenes in Planung. Für alle Interessierten: Was wird noch kommen um die Sache zum einen umfangreicher und zum anderen für Leute, die euch entdecken wollen noch persönlicher zu machen?

K: Wir kommen vor lauter Arbeit mit der Band gar nicht dazu, die HP auf den neusten Stand zu bringen… aber wir geloben Besserung für die Zukunft!

MR: Abschließend noch die Frage nach eurer Zukunft: Das Album erscheint im Januar. Soll es danach gleich auf Tour gehen? Oder wollt ihr die Platte erste einmal wirken  lassen? Und: Wo siehst du Giftig in 2-3 Jahren?

K: Klar wollen wir zum Album Jan./Feb. Auf Tour! Wir sind dran alles zu planen! In 2-3 Jahren sind wir alle 2-3 Jahre älter, haben 2-3 Alben raus gebracht und touren hoffentlich durch ganz Deutschland! Wir hoffen, dass sich alles positiv für uns entwickelt und wir viele neue Leute infizieren können mit dem GIFTIG-Sound…

Interview & Ausarbeitung: Markus Rutten - www.sounds2move.de / 12.2005

Homepage: www.giftig.org